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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 11.04.2006
Aktenzeichen: 10 Wx 1/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1944
Grundsätzlich ist die Darlegung eines Erben, vor einem bestimmten Zeitpunkt keine Kenntnis vom Erbfall gehabt zu haben für die Annahme des Beginns der Ausschlagungsfrist gem. § 1944 BGB ausreichend. Hat das Nachlassgericht abweichende Erkenntnisse, hat es diesbezüglich Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

10 Wx 1/06 OLG Naumburg

In der Nachlasssache

hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 11. April 2006 unter Mitwirkung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Schubert, der Richterin am Oberlandesgericht Mertens und der Richterin am Amtsgericht Westerhoff

beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 26. Januar 2006 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Beschwerde des Beteiligten gegen die Verfügung des Amtsgerichts Haldensleben vom 12. Oktober 2005 zurückverwiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Der Beschwerdewert wird auf bis zu 3.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Beteiligte, geboren am 23. November 1931, ist der Neffe der Erblasserin. Er begehrt nach einer Erbausschlagung die Einziehung eines zu seinen Gunsten erteilten Erbscheins.

Ausweislich des gemeinschaftlichen Erbscheins des Staatlichen Notariats Wolmirstedt vom 26. Juni 1968 ist der Beteiligte zu 1/14 Erbe der Erblasserin. Mit notariell beglaubigter Erklärung vom 22. Juni 2005, eingegangen bei dem Amtsgericht Wolmirstedt am selben Tage, teilte der Beteiligte mit, dass er anlässlich eines ihm übermittelten Einheitswertbescheides des Finanzamts und der anschließenden Überprüfungen beim Grundbuchamt festgestellt habe, dass er als Erbe Mitglied der Erbengemeinschaft nach der Erblasserin sei. Da die Erbschaft überschuldet sei, schlage er die Erbschaft aus.

Unter dem 12. Oktober 2005 hat das Amtsgericht Haldensleben - Rechtspfleger - mitgeteilt, dass es sich nicht veranlasst sehe, den Erbschein einzuziehen, da dieser wirksam erteilt worden sei. In einem Aktenvermerk, der dem Beteiligten nicht zur Kenntnis gegeben wurde, führte der Rechtspfleger aus, ausweislich der Grundakte M. G 206 sei festgestellt worden, dass der Beteiligte über die Grundbucheintragung am 23. November 1999 informiert worden sei.

Gegen die Entscheidung des Rechtspflegers vom 12. Oktober 2005 hat sich der Beteiligte mit der Beschwerde gewandt und ausgeführt, er habe von den zugrunde liegenden Erbausschlagungstatsachen erst aufgrund des Grundsteuermessbescheides des Finanzamtes H. vom 10. Mai 2005 in Verbindung mit dem Abgabenbescheid 2005 der Gemeinde Bn. vom 14. Juni 2005 sowie dem Grundbuchauszug vom 14. Juni 2005 Kenntnis erhalten.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dem Landgericht Magdeburg vorgelegt.

Die 3. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg hat die Beschwerde gegen die Ablehnung der Einziehung des Erbscheins nach der Erblasserin mit Beschluss vom 26. Januar 2006 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, zu Recht habe es das Amtsgericht abgelehnt, den Erbschein einzuziehen, da die Ausschlagung durch den Beteiligten nicht beachtlich sei. Die Erklärung des Beteiligten verhalte sich nicht zu den Tatsachen, die für die Frage der Versäumung der Ausschlagungsfrist maßgeblich seien.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beteiligte mit der weiteren Beschwerde.

II.

Die weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg, denn der angegriffene Beschluss beruht auf einer Verletzung des Rechts. Die angefochtenen Entscheidung des Landgerichts hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann den bislang aus den Akten ersichtlichen Tatsachen nicht entnommen werden, dass die für die Ausschlagung der Erbschaft gemäß §§ 1943, 1944 BGB normierten Voraussetzungen in der Person des Beteiligten nicht erfüllt sind.

Nach seinem Vortrag will er erst am 14. Juni 2004 von dem Anfall der Erbschaft Kenntnis erhalten haben. Sollte dieser Vortrag richtig sein, wäre die hier maßgebliche 6 Wochen Frist gemäß § 1944 BGB durch seine am 24. Juni 2005 notariell beurkundete Ausschlagungserklärung gewahrt worden.

Für die Frage der Wirksamkeit der Ausschlagungserklärung des Beteiligten kommt es darauf an, ob die Vorschriften des BGB in der im Jahr 1966 in der DDR geltenden Fassung beachtet worden sind.

Gemäß Art. 235 § 1 Abs. 1 EGBGB bleibt für die erbrechtlichen Verhältnisse das bisherige Recht maßgebend, wenn der Erblasser vor dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland gestorben ist. Nach der ferner erforderlichen interlokalen Vorprüfung richtet sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach einem deutschen Erblasser nach den Bestimmungen derjenigen Teilrechtsordnung, deren räumlichem Geltungsbereich der Erblasser durch seinen gewöhnlichen Aufenthalt angehörte (BGH, FamRZ 1994, 304). Dementsprechend bestimmt sich vorliegend die Frage, von wem die Erblasserin beerbt worden ist, nach dem Recht der ehemaligen DDR. Denn die Erblasserin ist im Jahr 1966 und damit weit vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 verstorben. Anzuwenden ist das BGB in der im Jahr 1966 in der DDR in Kraft befindlichen Fassung, das bis zum Inkrafttreten des ZGB der DDR am 1. Januar 1976 auch in der DDR galt. Denn nach § 8 Abs. 1 EGZGB bestimmte sich die Regelung erbrechtlicher Verhältnisse nach dem vor Inkrafttreten des ZGB geltenden Recht, wenn der Erbfall vor diesem Zeitpunkt eingetreten war. Auch die Ausschlagung einer Erbschaft beurteilt sich nach dem jeweiligen Erbstatut (OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 1349; KG, OLGZ 1993, 278, 281; Staudinger/Rauscher, BGB, 13. Bearbeitung, Art. 235 § 1 EGBGB, Rn. 175).

Nach alledem ist für die Ausschlagungserklärung des Beteiligten maßgeblich, ob diese gemäß den Regelungen in §§ 1944, 1945 BGB erfolgt ist.

Die für eine Ausschlagung einer Erbschaft vorgeschriebene Form (§ 1945 Abs. 1 BGB) ist durch die in öffentlich beglaubigter Form abgegebene Erklärung des Beteiligten gegenüber dem Amtgericht Haldensleben gewahrt worden.

Zweifelhaft ist, ob die Ausschlagungserklärung verfristet erfolgt ist. Die Ausschlagungsfrist betrug vorliegend gemäß § 1944 Abs. 1 BGB sechs Wochen.

Die Ausschlussfrist für die Erbausschlagung beginnt gemäß § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB für jeden Erben erst mit dem Zeitpunkt, in dem er vom Anfall der Erbschaft (§§ 1922, 1942 Abs. 1 BGB) und vom Grund der Berufung zur Erbfolge bestimmte und überzeugende Kenntnis erlangt (BayOblGZ 1992, 64, 68; 1968, 68, 74). Erforderlich, aber auch genügend ist, wenn dem Erben die tatsächlichen und rechtlichen Umstände in so zuverlässiger Weise bekannt geworden sind, dass von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, in die Überlegungen über Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft einzutreten (BayOblG, FamRZ 1994, 264, 265; MünchKomm/Leipold, § 1944, Rn. 8). Fahrlässige Unkenntnis des Erben steht seiner Kenntnis nicht gleich (BGH, Rpfleger 1968, 183; BayOblGZ 1968, 68, 74). Es ist auch ohne Bedeutung, ob ein Nichtkennen auf einem Irrtum über Tatsachen oder auf einem Rechtsirrtum beruht (RGRK/Johannsen, § 1944, Rn. 8). Da der Beteiligte zur Zeit des Erbfalls jedenfalls über 30 Jahre alt war, kommt es vorliegend auf seine Kenntnis an.

Die Frage, ob und wann ein Erbe Kenntnis vom Anfall der Erbschaft sowie vom Grund der Berufung zur Erbfolge erlangt hat, liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet (BGH, RPfleger 1968, 183). Das Rechtsbeschwerdegericht ist daher an die Feststellungen des Gerichts der Tatsacheninstanz gemäß §§ 27 Abs. 1 S. 2 FGG; 561 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Tatsachenfeststellung des Beschwerdegerichts ist nur darauf überprüfbar, ob sie unter Verletzung des Gesetzes zustande gekommen ist (BayOblG, NJW-RR 1995, 653, 654). Sind die Feststellungen verfahrensgemäß zustande gekommen, ist der Sachverhalt ausreichend ermittelt und alle geeigneten Beweise erhoben worden (§ 12 FGG) und ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerfrei, besteht die Bindungswirkung (ständige Rechtsprechung, BayOblG, FamRZ 1991, 1232, 1234).

Nach diesen Maßstäben ist die Feststellung des Landgerichts, die Erbausschlagung des Beteiligten sei nicht beachtlich, da die Ausschlagungsfrist gemäß § 1944 BGB verstrichen sei, zu beanstanden. Es hat den Vortrag des Beteiligten nämlich nicht ausreichend gewürdigt.

Der Beteiligte hat eine sogenannte negative Tatsache behauptet, nämlich davon, gesetzlicher Erbe nach der Erblasserin geworden zu sein, erst in der Zeit von Mai bis Juni 2005 Kenntnis erlangt zu haben. Inwieweit dieser Vortrag für die Darlegung des Beginns der Ausschlagungsfrist gemäß § 1944 Abs. 2 BGB nicht ausreichend sein soll, verschließt sich dem Senat. Der Beteiligte ist der Sohn des am 26. Februar 1945 vorverstorbenen Bruders der Erblasserin W. Sch. . In Ansehung des Zeitablaufes ist nicht ersichtlich, welchen weiteren Vortrag das Landgericht von dem Beteiligten erwartet hat, der, sollte er tatsächlich zu früherer Zeit keine Kenntnis von dem Anfall der Erbschaft in seiner Person erlangt haben, nicht mehr vortragen kann, als dass er keine Kenntnis hatte. Es sind auch keine Tatsachen bekannt, die zwingend den Schluss darauf ermöglichen könnten, dass der Beteiligte in der Zeit vom 1966 bis zum Frühjahr 2005 Kenntnis von dem Anfall der Erbschaft in seiner Person erhalten haben muss. Eine derartige Kenntnis könnte man beispielsweise bei einem im Haushalt lebenden, volljährigen Kind eines Erblassers annehmen. Vorliegend ist für ein derartiges Näheverhältnis aber nichts ersichtlich. Auch kann nicht unterstellt werden, dass ein juristischer Laie weiß, dass er sogar als Neffe beim Vorliegen weiterer Voraussetzungen noch als gesetzlicher Erbe eines Erblassers in Betracht kommen kann. Ferner ist nicht bekannt, dass der Beteiligte von seinen Miterben, beispielsweise durch seine Tante M. B. , die am 4. Juni 1968 den verfahrensgegenständlichen Erbschein beantragt hatte, zu einer früheren Zeit über den Anfall der Erbschaft in seiner Person informiert wurde.

Das Landgericht hat auch in seinem Hinweis vom 6. Dezember 2005 und in dem angefochtenen Beschluss nicht deutlich gemacht, welchen weiteren Vortrag es von dem Beteiligten erwartete. Lediglich dem Vermerk des Rechtspflegers vom 12. Oktober 2005 ist zu entnehmen, dass dieser von einer Kenntnis des Beteiligten schon im Jahr 1999 ausgeht, da ausweislich der Grundakte unter dem 23. November 1999 eine Eintragungsnachricht an diesen übersandt worden sei. Sowohl der Rechtspfleger als auch das Landgericht haben offenbar diesen Umstand bei ihrer Entscheidung gewürdigt, ohne dem Beteiligten Gelegenheit zu einem ergänzenden Vortrag zu geben; dies ist zu beanstanden.

Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass unter Berücksichtigung eines funktionierenden Postverkehrs Behördenpost den Adressaten auch erreicht; Ausnahmen sind indes denkbar. Da die Grundakte nicht vorliegt und offenbar auch dem Landgericht nicht vorlag, ist ferner in keiner Weise festgestellt worden, ob die Anschrift richtig angegeben ist und welchen Inhalt die Mitteilung des Grundbuchamtes an den Beteiligten hatte. Ungeachtet dessen hätte der Rechtspfleger, spätestens aber das Landgericht, dem Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu der von Amts wegen ermittelten Tatsache der Mitteilung des Grundbuchamtes aus dem Jahr 1999 geben müssen. Das Landgericht wird erst nach Beiziehung der Grundakten, die entsprechend den obigen Ausführungen geboten sein dürfte, nach einer Stellungnahme des Beteiligten und nach gegebenenfalls weiteren Ermittlungen im familiären Umfeld des Beteiligten, speziell bei seinen Miterben, zu der Feststellung in der Lage sein, ob der Beteiligte erst entsprechend seinem Vortrag Kenntnis von dem Erbanfall erlangt hat, oder ob dies schon früher der Fall war.

Nach alledem kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben, da die dem Landgericht zur Verfügung stehende Tatsachengrundlage nicht ausreichend für die Annahme ist, der Beteiligte habe schon vor dem Jahr 2005 Kenntnis von dem Erbanfall in seiner Person gehabt.

Gerichtskosten sind vorliegend nicht zu erheben, da die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 S. 1 KostO vorliegen. Im Hinblick auf die außergerichtlichen Kosten kommt eine Erstattungsanordnung gemäß § 13 a Abs. 1 S. 1 FGG nicht in Betracht, da am Verfahren nur ein Beteiligter beteiligt ist.

Den Streitwert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde setzt der Senat gemäß §§ 31 Abs. 1 S. 1, 131 Abs. 2, 30 Abs. 1 KostO in Übereinstimmung mit dem Landgericht auf 3.000,00 Euro fest.

Ende der Entscheidung

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