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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 06.09.2002
Aktenzeichen: 10 Wx 38/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2077
1. Bei der Ermittlung des hypothetischen Willens einer Erblasserin, die neben ihrem leiblichen Sohn auch dessen aufgeführte Ehefrau testamentarisch als Erbin eingesetzt hat, kommt der Frage, ob § 2077 BGB als gesetzliche Auslegungsregel auf die Erbeinsetzung von Schwiegerkindern analog anzuwenden ist, entscheidungserhebliche Bedeutung zu.

2. Der vorlegende Senat erachtet die gesetzliche Auslegungsregel des § 2077 BGB in diesen Fällen für nicht anwendbar (Abweichung von OLG Saarbrücken FamRZ 1994, 1205 f.).


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss

10 Wx 38/01 OLG Naumburg

In der Nachlass-Sache

hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Neuwirth und die Richter am Oberlandesgericht Handke und Wiedemann

am 06. September 2002

beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 15. Oktober 2001 wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 2) begehrt die Einziehung eines Erbscheines, in dem die Beteiligte zu 1) als Miterbin der Erblasserin zu ein Halb ausgewiesen ist.

Der Beteiligte zu 2) ist das einzige Kind der Erblasserin. Am 24. September 1976 errichtete die Erblasserin vor dem Staatlichen Notariat in Halle ein Testament. Zu diesem Zeitpunkt waren die Beteiligten miteinander verheiratet. In dem Testament heißt es wörtlich:

"Zu meinen Erben berufe ich hiermit meinen Sohn W. E. , geboren am 13. Januar 1946, wohnhaft in N. , sowie dessen Ehefrau S. E. , geborene B. , geboren am 01. Oktober 1952, wohnhaft ebenda, zu gleichen Anteilen."

Anlass der letztwilligen Verfügung war die bevorstehende Ausreise der Erblasserin nach Westdeutschland.

Die Erblasserin kehrte Anfang der neunziger Jahre zurück und lebte im Haushalt der Beteiligten. Die Beteiligten trennten sich 1996 und lebten seitdem getrennt. Die Erblasserin verblieb bei ihrem Sohn, dem Beteiligten zu 2). Die Ehe der Beteiligten wurde am 07. März 2000 rechtskräftig geschieden. Die Erblasserin verstarb am 14. Oktober 2000.

Das Amtsgericht Halle-Saalkreis erteilte auf Antrag der Beteiligten zu 1) vom 27. Dezember 2000 mit Beschluss vom 09. März 2001 einen Erbschein, nach dem die Erblasserin je zu ein Halb von den Beteiligten zu 1) und zu 2) beerbt worden sei. In diesem Verfahren erhielt der Beteiligte zu 2) Gelegenheit zur Stellungnahme, von der er keinen Gebrauch machte.

Der Beteiligte zu 2) hat mit Schriftsatz vom 22. März 2001 die Einziehung des Erbscheines beantragt. Er begründete dies damit, dass zum Zeitpunkt des Todes der Erblasserin die Ehe zwischen ihm und der Beteiligten zu 1) bereits geschieden gewesen sei. Außerdem beantragte er einen Erbschein, der ihn als Alleinerbe ausweise.

Das Amtsgericht hat das Schreiben des Beteiligten zu 2) als Beschwerde gegen die Erteilung des Erbscheines aufgefasst und dieser Beschwerde nicht abgeholfen. Die zuständige Nachlassrichterin begründete dies damit, dass die Einwendungen des Beteiligten zu 2) bereits vor Erteilung des Erbscheines hätten vorgebracht werden können; sie könnten deshalb nicht zum Erfolg der Beschwerde führen.

Im Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht hat der Beteiligte zu 2) die Rechtsauffassung vertreten, dass auf das Testament die Vorschrift des § 2077 BGB analog anzuwenden sei. Die Beteiligte zu 1) vertrat dagegen die Auffassung, dass eine analoge Anwendung dieser Vorschrift deshalb nicht in Betracht komme, weil sie von der Erblasserin nicht nur in ihrer Funktion als Ehefrau als Erbin eingesetzt worden sei. Dies ergebe sich daraus, dass sie neben dem Beteiligten zu 2) als Vollerbin eingesetzt und im Testament namentlich erwähnt sei. Außerdem habe die Erblasserin nach dem Auszug der Beteiligten zu 1) und auch nach der Scheidung das Testament nicht widerrufen. Hierzu sei sie auch gesundheitlich in der Lage gewesen.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 15. Oktober 2001 das Amtsgericht angewiesen, den bereits erteilten Erbschein einzuziehen. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass in analoger Anwendung des § 2077 Abs. 1 BGB der Wille der Erblasserin dahingehend zu ermitteln sei, dass für den Fall der Scheidung die Beteiligte zu 1) nicht zur Erbin berufen sei. Eine Anweisung an das Amtsgericht, den vom Beteiligten zu 2) beantragten Erbschein zu erteilen, käme dagegen nicht in Betracht, da der vorliegende Erbscheinsantrag nicht den Formerfordernissen des § 2356 Abs. 1 BGB entspräche.

Die Antragstellerin hat gegen diesen Beschluss am 11. Januar 2002 weitere Beschwerde eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, dass im vorliegenden Fall eine analoge Anwendung des § 2077 Abs. 1 BGB nicht in Betracht käme. Die Erblasserin habe noch zu Lebzeiten davon Kenntnis gehabt, dass die Ehe gescheitert sei. Sie habe dennoch ihr Testament nicht geändert. Auch der Wortlaut des Testaments, der den vollen Namen der Beteiligten zu 1) enthalte, zeige, dass sie als Person und nicht in ihrer Funktion als Ehefrau zur Erbin eingesetzt worden sei. Der Zusatz "Ehefrau" im Testament diene lediglich der Identifizierung.

Der Beteiligte zu 2) wiederholt seine Auffassung, dass die Erblasserin aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes gar nicht mehr in der Lage gewesen sei, ihr Testament zu ändern.

II.

Der Senat hält die sofortige weitere Beschwerde für begründet. Er sieht sich jedoch an einer entsprechenden Entscheidung durch den im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf weitere Beschwerde ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 23. Juni 1993, 5 W 147/92 (= FamRZ 1994, 1205 f), gehindert. Die weitere Beschwerde wird daher gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Der vorliegende Fall entscheidet sich an der Frage, ob § 2077 BGB auf die Erbeinsetzung von Schwiegerkindern analog anzuwenden ist. Der Senat teilt die Auffassung des Oberlandesgerichts Saarbrücken hierzu nicht.

1. Der wirkliche Wille der Erblasserin ist im vorliegenden Fall nicht ermittelbar.

Weder aus dem Testament der Erblasserin noch aus den sonstigen Umständen des Falles lässt sich mit hinreichender Sicherheit entnehmen, ob die Erbeinsetzung auch für den Fall gelten sollte, dass die Ehe zwischen den Beteiligten zu 1) und zu 2) geschieden werde. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Auslegung letztwilliger Verfügungen ist dabei die Errichtung (h.M., vgl. schon BGH FamRZ 1960, 28, 29).

a) Der Wortlaut des Testaments vom 24. August 1976 enthält keine Regelung für den Fall der Scheidung des Sohnes. Die Erblasserin hat lediglich formuliert:

"Zu meinen Erben berufe ich hiermit meinen Sohn ..., sowie dessen Ehefrau S. E. ... zu gleichen Anteilen."

In dieser Formulierung ist zum einen die familiäre Stellung der Antragstellerin als Ehefrau des Sohnes der Erblasserin wiedergegeben. Daneben findet sich aber genauso der volle Name, der die Antragstellerin auch unabhängig von ihrer familiären Stellung identifizierbar macht. Damit lässt sich nicht eindeutig ermitteln, ob die Antragstellerin nur in ihrer Eigenschaft als Schwiegertochter oder als Person zur Erbin berufen worden ist.

b) Im vorliegenden Fall sind keine Umstände aus der Zeit der Errichtung des Testaments bekannt oder von den Parteien vorgetragen worden, die eine Bestimmung des wirklichen Erblasserwillens ermöglichen.

c) Ein u.U. später gefasster realer Wille wäre allenfalls insoweit von Bedeutung, als er Anhaltspunkte für die Ermittlung des hypothetischen Willens zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung zu liefern vermochte (BGH FamRZ 1960, 28, 29).

Auch hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Allein aus der Tatsache, dass die Erblasserin ihr Testament auch in Kenntnis der Trennung und Scheidung nicht geändert hat, lässt sich nicht auf ihren Willen zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung schließen. Die Testamentserrichtung erfolgte zwanzig Jahre vorher und unter völlig anderen Umständen.

d) Darüber hinaus finden sich auch keine Ansatzspunkte für weitere Ermittlungen.

2. Es ist daher der hypothetische Erblasserwille zu bestimmen. Für die Entscheidung der Sache ist damit ausschlaggebend, ob § 2077 BGB zur Bestimmung des hypothetischen Erblasserwillen als gesetzliche Auslegungsregel analog herangezogen werden kann.

a) Das Testament wurde in der ehemaligen DDR unter Geltung des ZGB errichtet. Dem ZGB fehlte eine dem § 2077 BGB vergleichbare Regelung. Dennoch beurteilen sich Inhalt, Auslegung und materiell-rechtliche Wirkung auch solcher Verfügungen von Todes wegen nach dem beim Erbfall geltenden BGB, da dies nicht von Art. 235 § 2 EGBGB erfasst wird (MüKo, Leipold, 3. Aufl., Art. 235 § 2 EGBGB, Rdn. 14). Damit käme im vorliegenden Fall eine analoge Anwendung des § 2077 BGB grundsätzlich in Betracht.

b) Das Landgericht hat die eine analoge Anwendung des § 2077 BGB bejaht und seine Entscheidung im Wesentlichen auf die genannte Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken gestützt.

Danach ist bei der Auslegung von Testamenten, die die Erbeinsetzung von Schwiegerkindern enthalten, die gesetzliche Auslegungsregel des § 2077 BGB anzuwenden. Zu fragen sei, ob es dem Willen des Erblassers entsprochen haben kann, dass die Ehefrau des Sohnes auch dann Erbin sein sollte, wenn zum Zeitpunkt des Erbfalles die Ehe gescheitert war und beide Ehegatten die Scheidung wollten. Nach dem den § 2077 Abs. 1 und 3 BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken sei eine letztwillige Verfügung, durch die der Erblasser seinen Ehegatten bedacht habe, unwirksam, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hätte. Dieser gesetzlichen Auslegungsregel liege die Erwägung zugrunde, dass derjenige, der seinen Ehegatten zum Erben einsetze, dies regelmäßig nur aufgrund der durch die Eheschließung bewirkten familienrechtlichen Bindung tue. Sei davon auszugehen, dass diese nicht fortbestehen werde, solle der andere Ehegatte nicht mehr Erbe sein. Zwar erfasse die in den § 2077 Abs. 1 BGB enthaltene Auslegungsregel unmittelbar nur den Fall, dass einer der Ehegatten den anderen als Erben eingesetzt habe. Es sei jedoch kein Grund erkennbar, die Einsetzung von Schwiegerkindern anders zu behandeln. Auch die Eltern eines Ehegatten würden regelmäßig wollen, dass der Ehegatte ihres Kindes nur dann Erbe werde, wenn mit dem Fortbestand der familienrechtlichen Bindung noch gerechnet werden könne.

c) Der Senat teilt die Auffassung des Oberlandesgerichts Saarbrücken in dem genannten Beschluss nicht in der dort formulierten Allgemeinheit.

aa) Nach seiner Entstehungsgeschichte stellt der heutige § 2077 BGB an sich einen Irrtumsfall i. S. d. § 2078 Abs. 2 BGB dar, bei der der Gesetzgeber lediglich im Hinblick auf die besondere Nähebeziehung auf eine gesonderte Anfechtungserklärung verzichtet hat. Leitend war die Erwägung, dass jemand, der seinen Ehegatten letztwillig bedenke, diesen in seiner Eigenschaft als Ehegatten bedenken wolle und dieser dann nicht als bedacht anzusehen sei, wenn er zur Zeit des Erbfalles diese Eigenschaft verloren habe (Mugdan V, Protokolle, S. 537). Insoweit ist dem Oberlandesgericht Saarbrücken zuzustimmen, dass § 2077 BGB damit dem Umstand Rechnung trägt, dass die Erbeinsetzung des Ehegatten in der Regel auf der familienrechtlichen Bindung der Partner beruht .

bb) Im Gegensatz zur Auffassung des Oberlandesgerichts Saarbrücken geht der Senat nicht davon aus, dass dies regelmäßig auch für das Verhältnis Schwiegereltern zu Schwiegerkind gilt.

Zwischen Ehegatten besteht eine familienrechtliche Bindung; zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkind nur ein Schwägerschaftsverhältnis. Zwischen den Ehegatten besteht regelmäßig eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft, zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkind nicht. Dem entspricht, dass der Ehegatte häufig, wenn nicht sogar regelmäßig zum Erben eingesetzt wird, während die Erbeinsetzung des Schwiegerkindes die Ausnahme darstellt. Stattdessen setzen Eltern in der Regel nur ihre Kinder als Erben ein.

Deshalb ist die Annahme des Oberlandesgerichts Saarbrücken, die Eltern eines Ehegatten würden regelmäßig wollen, dass der Ehegatte ihres Kindes nur dann Erbe werde, wenn mit dem Fortbestand der familienrechtlichen Bindung noch gerechnet werden könne, aus der Sicht des Senates ohne weitere Anhaltspunkte nicht zwingend. Für diese Art der Erbeinsetzung kommen durchaus auch andere Motive in Betracht. Denkbar ist z.B. ein besonders gutes persönliches Verhältnis zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkind. Gerade weil die Erbeinsetzung des Schwiegerkindes die Ausnahme darstellt, ist nicht ohne weiteres möglich, in diesen Fällen auf eine regelmäßig vorhandene Willenslage der Erblasser zu schließen. Steht beim Erblasser die familiäre Verbundenheit im Vordergrund, so liegt es für ihn regelmäßig näher, das eigene Kind als Erben einzusetzen.

Wenn schließlich die Umstände des Einzelfalles ergeben, dass die Erbeinsetzung des Schwiegerkindes nur mit Rücksicht auf die Ehe mit dem Kind des Erblassers erfolgt ist, bedarf es keiner analogen Anwendung des § 2077 BGB, da der Erblasserwille dann ohnehin feststeht.

c) Da aus der Sicht des Senates insoweit nicht mit der notwendigen Sicherheit darauf geschlossen werden kann, dass eine solche Erbeinsetzung nur mit Rücksicht auf die bestehende Ehe zwischen Kind und Schwiegerkind erfolgt, fehlt auch die innere Rechtfertigung dafür, die Beweis- bzw. Feststellungslastverteilung zu verändern. Wendet man den § 2077 BGB auf das Verhältnis Schwiegereltern Schwiegerkinder analog an, so trägt das Schwiegerkind gemäß § 2077 Abs. 3 BGB die Feststellungslast für die Weitergeltung des testierten Erblasserwillens. Lehnt man eine analoge Anwendung ab, so trifft das Kind des Erblassers die Feststellungslast hinsichtlich eines Irrtums i. S. d. § 2078 Abs. 2 BGB.

3. Im vorliegenden Fall ergibt die Auswertung aller bekannten Umstände - wie bereits dargelegt - kein klares Bild. Damit kommt auch die Annahme einer wirksamen Testamentsanfechtung gemäß § 2078 Abs. 2 BGB durch den Beteiligten zu 2. nicht in Betracht.

Ende der Entscheidung

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