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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 13.11.2001
Aktenzeichen: 11 U 116/01
Rechtsgebiete: BGB, AGBG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 328
BGB § 346
BGB §§ 346 ff.
BGB § 347 Satz 2
BGB § 347 Satz 3
BGB § 347 Satz 1
BGB § 328 Abs. 2
AGBG § 9 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 14 Abs. 1
ZPO § 22 Abs. 1
ZPO § 19 Abs. 1 Satz 2
Nach Rücktritt vom Vertrag kann eine bereits verwirkte Vertragsstrafe nicht mehr verlangt werden, wenn die Vertragsstrafe dem Erfüllungsinteresse des Gläubigers zuzuordnen ist.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

11 U 116/01 OLG Naumburg

In dem Berufungsrechtsstreit

wegen Vertragsstrafe

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richterin am Oberlandesgericht Lohmann, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Grubert und den Richter am Landgericht Lentner auf die mündliche Verhandlung vom 30. Oktober 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 23. Mai 2001 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg (Geschäfts-Nr. 5 O 580/01 (117)) wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 14.000,00 DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet.

Der Wert der Beschwer der Klägerin übersteigt 60.000,00 DM.

In Abänderung des im Termin vom 30. Oktober 2001 verkündeten Beschlusses wird der Streitwert für den zweiten Rechtszug auf 182.000,00 DM festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten im Wege der Teilklage auf Zahlung einer Vertragsstrafe wegen einer nicht eingehaltenen Arbeitsplatzgarantie in Anspruch, hilfsweise wegen Nichterfüllung einer Investitionsverpflichtung.

Die Klägerin ist alleinige Gesellschafterin der M. GmbH i. L. Diese war Eigentümerin des im Grundbuch des Amtsgerichts Magdeburg von M. auf Blatt 8205 eingetragenen Grundstückes Flur 109 Flurstück 346/6. Über den Verkauf dieses Grundstückes wurden mit dem Beklagten Verhandlungen geführt.

Der Beklagten war Geschäftsführer der S. GmbH, an die das Grundstück vermietet war.

Am 30. November 1995 schlossen die M. GmbH i. L. und der Beklagte einen notariellen Vertrag (Anlage K 1, Band I Blatt 14 bis 30 d. A.). Gegenstand dieses Vertrages war der Verkauf des bezeichneten Grundstückes an den Beklagten zu einem Kaufpreis von 300.000 DM. Hierauf sollten Mietzinszahlungen angerechnet werden, so dass noch 279.000 DM zu zahlen sein sollten.

Der Vertrag enthielt weiter folgende Regelungen:

"III. Kaufpreis und Zahlungsfälligkeit

...

5) Bei Zahlungsverzug stehen dem Verkäufer die gesetzlichen Rücktrittsrechte zu, ...

VI. Verpflichtungen gegenüber der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben

Der Käufer geht gegenüber der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, Berlin, ... die folgenden Verpflichtungen im Sinne eines Vertrages zu Gunsten Dritter ein:

...

2) Investitionen und Vertragsstrafe

a) Der Käufer verpflichtet sich gegenüber der BVS, auf dem Kaufgegenstand bis zum 31.12.1997 mindestens DM 400.000,-- zu investieren oder von Dritten investieren zu lassen.

b) Für den Fall, daß der Käufer die in Abs. 1 zugesagte Investition nicht innerhalb der vereinbarten Frist vornimmt, steht der BVS ein Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 25 % der bis zum 31.12.1997 zugesagten, aber nicht realisierten, Investition zu.

...

3) Arbeitsplatzgarantie

a) Der Käufer garantiert weiterhin, bis einschließlich zum 31. Dezember 1997 mindestens 20 Vollbeschäftigen-Arbeitsplätze oder/und eine entsprechend höhere Anzahl Teilbeschäftigten-Arbeitsplätze in Bezugnahme auf den Kaufgegenstand als Betriebsstätte zu schaffen bzw. zu erhalten.

b) Je Monat und nicht geschaffenen bzw. erhaltenen Vollbeschäftigten-Arbeitsplatz steht der BVS ein Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe von DM 2.000,-- zu."

Der Beklagte zahlte den Kaufpreis nicht.

Mit Vertrag vom 30. Juni 1996 trat die M. GmbH i. L. die Kaufpreisforderung an die V. mbH i. L. ab (Band I Blatt 40 d. A.).

Im März 1997 übersandte die S. GmbH die als Anlage 4 (Band I Blatt 33 d. A.) vorgelegte Auflistung ihrer Mitarbeiter im Jahr 1996.

Am 11. August 1997 erklärte der Beklagte, die wirtschaftliche Lage seines Unternehmens lasse die Zahlung des Kaufpreises nicht zu.

Am 14. Januar 1998 lehnte das Amtsgericht Magdeburg einen auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der S. GmbH gerichteter Antrag mangels Masse ab (Band I Blatt 38 f. d. A.).

Mit Schreiben vom 24. April 1998 (Band I Blatt 42 f. d. A.) erklärte die V. mbH i. L. den Rücktritt vom Grundstückskaufvertrag.

Für das Jahr 1997 erlangte die Klägerin von dem Sequester der S. GmbH die auf Seite 10 der Klageschrift angegebenen Mitarbeiterzahlen (Band I Blatt 10 d. A.).

Mit Schreiben vom 28. November 2000 (Band I Blatt 47 f. d. A.) verlangte die Klägerin von dem Beklagten aus der Vertragsstrafenvereinbarung die Zahlung von 598.000,00 DM.

Die Klägerin hat behauptet,

die von dem Sequester der S. erlangten Zahlen der Mitarbeiter im Jahr 1997 sei zutreffend.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie könne von dem Beklagten wegen Nichteinhaltung der Arbeitsplatzgarantie 516.000,00 DM und für nicht vorgenommene Investitionen 82.000,00 DM verlangen. Ihre Teilklage stützt sie auf diese Forderungen in der angeführten Reihenfolge.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 100.000,00 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 16. Dezember 2000 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet,

im Jahr 1997 habe er die auf Seite 4 seiner Klageerwiderung (Band I Blatt 77 d. A.) bezeichnete Zahl von Mitarbeitern beschäftigt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, mit dem Rücktritt vom Kaufvertrag seien auch die geltend gemachten Vertragsstrafenansprüche untergegangen.

Hiergegen richtet sich frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 23. Mai 2001 (Geschäfts-Nr. 5 O 580/01 (117)) abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 100.000,00 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basissatz ab dem 16. Dezember 2000 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zu ergänzendem Tatsachenvortrag zu Aufwendungen, die nach seiner rechtlichen Bewertung als Investitionen gemäß Ziffer VI.2 des Vertrages vom 30. November 1995 einzuordnen sind, wird auf den Schriftsatz vom 29. Oktober 2001 (Band I Blatt 166 bis 240 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg, weil das Landgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass der bis dahin bereits entstandene Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe mit dem Rücktritt erloschen ist.

1. Der geltend gemachte Vertragsstrafenanspruch ist zunächst jedenfalls in Höhe des mit der Teilklage geltend gemachten Betrages entstanden.

Die Vertragsstrafenregelungen sind nicht etwa nach dem AGBG unwirksam. Der Bundesgerichtshof billigt in seiner Rechtsprechung, dass die Klägerin in den von ihr abgeschlossenen Verträgen auch die sogenannten "weichen" Ziele verfolgt, die sich aus dem TreuhandG ergeben (insbesondere § 2 Absatz 6 TreuhG; NJW 1998, 2600, 2601). Sie darf solche Zielsetzungen also unabhängig davon verfolgen, ob Investitionsauflagen womöglich schon durch andere Normen zwingend vorgegeben ist. Auch die Höhe der Vertragsstrafe begegnet keinerlei Bedenken (vgl. BGH, VIZ 1999, 746, 747; VIZ 2000, 377, 378). In der zuletzt genannten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 9 Absatz 1 AGBG nicht darin liegt, dass Vertragsstrafen für die Nichteinhaltung von Arbeitsplatzzusagen und Investitionsverpflichtungen zusammentreffen ("Summie-rungseffekt"), während der Käufer regelmäßig durch die in Aussicht genommene Investition beide Verpflichtungen zugleich erfüllt. Dieser Auffassung folgt der Senat.

2. Der Beklagte hält seiner Inanspruchnahme ohne Erfolg eigene wirtschaftliche und gesundheitliche Schwierigkeiten entgegen. Für seine wirtschaftliche Solvenz hat er selbst einzustehen. Bei gesundheitlichen Problemen hätte er die notwendigen betrieblichen Maßnahmen durch Dritte veranlassen müssen.

3. Die Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe ist durch den Rücktritt vom Kaufvertrag nachträglich in Wegfall geraten, und zwar sowohl hinsichtlich der Investitionsverpflichtung als auch hinsichtlich der Arbeitsplatzgarantie.

a) Die §§ 346 ff. BGB verfolgen den Zweck, beide Parteien so zu stellen, als wenn der Vertrag nie abgeschlossen wäre. Solche Schadensersatzansprüche, die auf das Erfüllungsinteresse gerichtet sind, entfallen deshalb mit einem Rücktritt auch rückwirkend. Soweit der Bundesgerichtshof mit der von den Parteien zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1983 (BGHZ 88, 46, 48) dieser Auffassung beigetreten ist, ist er hiervon auch mit der weiteren von den Parteien zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1998 nicht etwa abgerückt, sondern hat diese grundsätzliche Abgrenzung vielmehr erneut bestätigt (BGH, NJW 1998, 3268, 3269). In dieser weiteren Entscheidung hat der Bundesgerichtshof lediglich unter Rückgriff auf die Abgrenzung zwischen den Regelungsmaterien des § 346 BGB einerseits und § 347 Sätze 2 und 3 BGB andererseits für Zweifelsfälle zusätzliche Kriterien dafür herausgearbeitet, wann ein durch den Rücktritt ausgeschlossenes Erfüllungsinteresse vorliegt. Dabei hat er den Anwendungsbereich rücktrittsfester Schadensersatzansprüche im Vergleich zu seiner vorherigen Rechtsprechung sogar noch eingeschränkt.

Vorliegend wird mit beiden Vertragsstrafenregelungen ein Leistungsinteresse der Klägerin abgedeckt, mit der diese ihre "weichen Ziele" verfolgt, die anstelle eines Teils der sonst höheren Kaufpreisforderung treten. Die Vertragsstrafe gilt damit dem Interesse an dieser Hauptleistung.

Dieser Einordnung steht nicht entgegen, dass der Bundesgerichtshof als Kriterium für die Abgrenzung, ob ein durch den Rücktritt ausgeschlossenes Erfüllungsinteresse vorliegt, auf den Anwendungsbereich des § 346 BGB einerseits und des § 347 Sätze 2 und 3 BGB andererseits zurückgegriffen hat (BGH, a. a. O.). Wenn Investitionsverpflichtung wie Arbeitsplatzgarantie an die Stelle eines Teils der sonst höheren Kaufpreisforderung traten, so sind sie in erster Linie unter § 346 BGB einzuordnen. Wenn weiter die hierfür einzusetzenden Mittel bei einem Rücktritt nach Erfüllung dieser Verpflichtungen nicht von der Klägerin zurückzuerlangen gewesen wären, entspricht dies im Verhältnis zu der Klägerin, auf das es allein ankommt, einer Einordnung unter § 347 Satz 1 BGB. Einem Wegfall der Verpflichtung zum Schadensersatz nach dieser Norm liegt nicht die gesetzliche Wertung zugrunde, dass der Rücktrittsschuldner etwas aus dem rückabzuwickelnden Schuldverhältnis verbleiben soll, sondern folgt aus einer Interessenabwägung für den Fall, dass die betreffende Leistung nicht mehr herausgegeben werden kann und eine Zahlungsverpflichtung ihn damit schlechter stellen würde, als dies ohne Abschluss des Vertrages der Fall gewesen wäre. Damit steht in Einklang, dass der Bundesgerichtshof für die Frage, wann ein durch den Rücktritt ausgeschlossenes Erfüllungsinteresse nicht vorliegt, nur auf § 347 Sätze 2 und 3 BGB zurückgegriffen hat, nicht aber auf § 347 Satz 1 BGB.

Der geltend gemachte Anspruch ist auch nicht deshalb rücktrittsfest, weil vorliegend anders als in den zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nicht unmittelbar Schadensersatz verlangt wird, sondern eine (zunächst) verwirkte Vertragsstrafe. Für eine Vertragsstrafe, die einen solchen Schadensersatz "vertritt", gilt nichts anderes als für Schadensersatzansprüche (Rieble, in: Staudinger, BGB, 13. Bearb., § 340 Rn. 56).

b) Die zunächst verwirkte Vertragsstrafe besteht nicht deshalb fort, weil der von dem Gläubiger des Kaufpreisanspruches erklärte Rücktritt keine Auswirkungen auf das mittels eines ausdrücklich als Vertrag zugunsten Dritter im Sinne des § 328 BGB begründete Verhältnis zwischen den Parteien hätte.

Allerdings sollen Gestaltungsrechte und insbesondere das Rücktrittsrecht von den Vertragsparteien dann nicht ohne Zustimmung des Dritten ausgeübt werden können, wenn das im Sinne von § 328 Absatz 2 BGB diesem Dritten eingeräumte Recht unentziehbar ist (RGZ 101, 275, 276 f. m. w. N. aus der damaligen Kommentarliteratur; Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., § 328 Rn. 6; Lange, NJW 1965, 657, 661). An einer solchen Zustimmung fehlte es nach dem Vortrag der Klägerin.

Ob das dem Dritten eingeräumte Recht entziehbar ist, ist nach den Umständen, insbesondere dem Zweck des Vertrages, zu entscheiden. Wenn in Ziffer III.5 des Kaufvertrages, wonach der Verkäufer gegebenenfalls zurücktreten kann, die Notwendigkeit einer Zustimmung der BVS nicht aufgenommen wurde, ebensowenig in Ziffer VI (Verpflichtungen gegenüber der BVS), so versteht der Senat diese Regelung so, dass eine Zustimmung der Klägerin gerade nicht erforderlich sein sollte. Auch nach Sinn und Zweck der Vertragsstrafenregelung ist eine Zustimmung der Klägerin zu einem Rücktritt nicht erforderlich. Für den Fall, dass ein Kaufvertrag wie der streitgegenständliche nicht durchgeführt wird, stand der Klägerin nämlich die Möglichkeit offen, die von ihr verfolgten "weichen Ziele" bei der Verwertung des Grundstücks in einem neuen Kaufvertrag über das jeweilige Grundstück umzusetzen. Ein Interesse daran, Investitionen und Arbeitsplätze gleich mehrfach zu erlangen, mag zwar tatsächlich bestanden haben, war aber offensichtlich nicht schützenswert.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Absatz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO, die Entscheidung über Streitwert und Beschwer auf den §§ 14 Absatz 1, 22 Absatz 1 und 19 Absatz 1 Satz 2 GKG sowie 3 und 546 Absatz 2 ZPO.

Soweit der Gebührenstreitwert auf 182.000,00 DM festgesetzt wurde, beruht dies darauf, dass der Senat nicht nur zu entscheiden hatte, soweit die Klägerin die von ihr geltend gemachte Teilforderung von 100.000,00 DM auf die Nichteinhaltung der Arbeitsplatzgarantie stützt, sondern auch, soweit sie hilfsweise in Höhe von 82.000,00 DM eine Vertragsstrafe wegen Verletzung der Investitionsgarantie geltend macht.

Ende der Entscheidung

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