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Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 24.05.2005
Aktenzeichen: 11 U 140/04
Rechtsgebiete: ZPO, EGZPO, BGB, ZGB/DDR


Vorschriften:

ZPO § 313a Abs. 1 Satz 1
ZPO § 540 Abs. 2
ZPO § 543 Abs. 1
EGZPO § 26 Nr. 8 Satz 1
BGB § 242
BGB § 902 Abs. 1 Satz 1
BGB § 985
ZGB/DDR § 467 Abs. 1
ZGB/DDR § 474 Abs. 1 Nr. 5
ZGB/DDR § 479
ZGB/DDR § 479 Abs. 1 Satz 1
Zur Verwirkung eines auf ein Grundstück gerichteten Herausgabeanspruches.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

11 U 140/04 OLG Naumburg

verkündet am: 24. Mai 2005

In dem Berufungsrechtsstreit

wegen Grundstücksherausgabe,

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 3. Mai 2005 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht Goerke-Berzau, des Richters am Oberlandesgericht Krause sowie des Richters am Landgericht Dr. Schröder für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 18. November 2004, Geschäftszeichen: 4 O 2855/03, abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug beträgt 10.000 €.

Von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 543 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO abgesehen.

Gründe:

I. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 Alt. 1 ZPO). Entgegen der Auffassung der Kammer sind die Kläger nicht in der Lage, ihren aus dem Eigentum fließenden Herausgabeanspruch (§ 985 BGB) gegen die Beklagte als Besitzerin der Liegenschaft durchzusetzen. Dem steht § 242 BGB, speziell die Verwirkung als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung entgegen.

1. Den Ausgangspunkt des Landgerichts stellt die Berufung zu Unrecht in Frage.

a) Die Kammer hat ausgeführt, die Kläger als Eigentümer hätten einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB. Die Beklagte sei nicht zum Besitz berechtigt. Zwar könne ein Eigentumsverschaffungsanspruch ein solches Recht verleihen, wenn dem Erwerber im Hinblick hierauf der Besitz eingeräumt worden sei. Dies setze aber den Abschluss eines formwirksamen Vertrages voraus, woran es hier fehle.

Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.

b) Entgegen der Auffassung der Berufung sind die Kläger und nicht die Beklagte Eigentümer des streitigen, 113 m² großen Flurstücks 152 der Flur 509 der Gemarkung M. .

Dies verlautbart der vom Senat beigezogene Auszug des Grundbuchs von M. Blatt 11002 <Bd. II Bl. 2-13 d.A.>. Jede, hiervon abweichende Eigentumssituation muss die Beklagte darlegen und beweisen (§ 891 Abs. 1 BGB). Hierfür genügt die pauschale Behauptung, die Beklagte sei Eigentümerin <Bd. I Bl. 207 d.A.> nicht, zumal sie sich mit den, zu den Akten gereichten Grundunterlagen sowie dem unstreitigen Vorbringen erster Instanz nicht vereinbaren lässt.

aa) Die Beklagte hat noch in erster Instanz behauptet, 1937 seien sich die Beteiligten darüber einig gewesen, dass der damalige Eigentümer des Flurstücks 152 die Fläche an den Eigentümer des Grundstücks der Beklagten, den Arbeiter N. C. auflassen werde, was dann allerdings unterblieben sei <Bd. I Bl. 138 d.A.>. Herr C. habe hierdurch einen besitzrechtsverschaffenden Übereignungsanspruch erworben <Bd. I Bl. 140 d.A.>. Die jetzt ins Feld geführte Grundbuchunrichtigkeit ist vor diesem Hintergrund neu, ohne dass ersichtlich wird, weshalb ihr unterlassener Vortrag in erster Instanz nicht auf Nachlässigkeit beruht (§§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Ist die Beklagte Eigentümerin geworden und lediglich das Grundbuch unrichtig, hätte es einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entsprochen, dies schon von Anfang an so darzustellen (§ 282 Abs. 1 ZPO).

Es ist zudem ebenso wenig zu ersehen, dass das Grundbuch unrichtig sein könnte, wobei regelmäßig auch ein gutgläubiger Erwerb auf Seiten der Rechtsvorgänger der Klägerin in Betracht gezogen werden muss.

bb) Die Beklagte selbst hat im Grundstückskaufvertrag vom 11. Oktober 1995 <Bd. I Bl. 19-30 d.A.> nur das Flurstück 153 erworben. Sie ist ausweislich des Grundbuchs von M. Blatt 8775 nur Eigentümerin dieses Grundstücks geworden <Bd. I Bl. 95-106 d.A.>. Für einen weitergehende Erwerb fehlt es an Auflassung und Grundbucheintragung (§§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 Satz 1 BGB).

cc) Das Flurstück 152 gelangte zu keinem Zeitpunkt in die Verfügungsbefugnis der Rechtsvorgänger der Beklagten. Es wurde zuvor mit 1294/104 bezeichnet <Bd. I Bl. 115 d.A.> und am 7. April 1937 an den Kaufmann A. K. und seine Ehefrau aufgelassen, die am 3. Mai 1937 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen wurden <Bd. I Bl. 112 d.A.>. Das Flurstück 153 (vorher 1117/104 <Bd. I Bl. 94 d.A.>) wurde dagegen am 27. Januar 1936 an den Arbeiter N. C. aufgelassen, der am 17. Juni 1936 in das Grundbuch eingetragen worden war <Bd. I Bl. 86 d.A.>. Die Grenzverhandlung, auf die sich die Beklagte durchgängig beruft, fand erst am 15. Juni 1937 statt <Bd. I Bl. 18, 137f. d.A.>. Sie weist zwar die Eheleute K. noch als Eigentümer des offenbar zur Teilung anstehenden, aber noch ungeteilten Grundstücks 1116/104 aus, was sich mit dem alten Grundbuchheft Band 26 Blatt 1051 <Bd. I Bl. 109 ff. d.A.> nicht in Übereinstimmung bringen lässt. Ein Eigentum des Herrn C. kann hieraus jedenfalls nicht abgeleitet werden, da die von der Beklagten behauptete Einigung nach den vollzogenen Eigentumsübertragungen erzielt wurde und deshalb auf eine Änderung der Eigentumszuordnung gerichtet war. Diese Änderung wurde nie durch Grundbucheintragung vollzogen (vgl. § 873 Abs. 1 BGB).

c) Zu keinem Zeitpunkt wurde ein zivilrechtlicher Anspruch auf Auflassung begründet, da es an der notwendigen Beurkundung fehlt (§ 313 Satz 1 BGB a.F.). Außerdem würde ein obligatorischer Anspruch die Kläger nicht binden, da sie zur Beklagten in keiner vertraglichen Beziehung stehen (OLG Hamburg, Urteil vom 26. August 1999, 10 U 41/98 = OLGR 2001, 304-305). Aus diesem Grund sind die Kläger auch nicht zum Abschluss eines auf Eigentumsübertragung gerichteten Vertrages verpflichtet (vgl. OLG Köln, Urteil vom 8. April 1992, 2 U 90/91 = MDR 1992, 1085), was ihnen deshalb ebenso wenig über § 242 BGB entgegen gehalten werden kann.

2. Das Landgericht hat den geltend gemachten Anspruch zutreffend unter Hinweis auf § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht als verjährt betrachtet. Der Herausgabeanspruch nach § 985 BGB folgt direkt aus dem Eigentum, das Gegenstand der Grundbucheintragung ist. Nichts anderes ergibt sich, entgegen der Auffassung der Berufung, für die Zeit der Geltung des ZGB/DDR. Im ZGB/DDR entsprach § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB die Vorschrift des § 479 Abs. 1 Satz 1 ZGB/DDR. Bis auf den klarstellenden Hinweis in § 479 ZGB/DDR, dass es um Rechte an Grundstücken geht, sind beide Normen identisch. Insoweit enthält § 479 Abs. 1 Satz 1 ZGB/DDR eine §§ 474 Abs. 1 Nr. 5, 467 Abs. 1 ZGB/DDR vorgehende Spezialregelung. Das Grundstückseigentum war auch in der DDR ein im Grundbuch einzutragendes Recht (vgl. §§ 2 Abs. 1 Bst. b) Nr. 4, Abs. 2; 4 GDO vom 6. November 1975 <GBl. I Nr. 43 S. 697> sowie § 10 Abs. 1 Satz 1 GDO), aus dem ein Herausgabeanspruch des Eigentümers erwuchs (§ 33 Abs. 2 Satz 1 ZGB/DDR), der sonach nicht der Verjährung unterlag.

3. a) Die Kammer hat weiter ausgeführt, auch wenn die Klägerin bereits seit 1978 als Eigentümerin im Grundbuch vermerkt sei, könne sich die Beklagte nicht auf Verwirkung berufen. Auf ihrer Seite fehle es am Vertrauenstatbestand. Im Grundstücksrecht sei beim Rückgriff auf die Verwirkung Zurückhaltung geboten. Ansonsten bestehe die Gefahr, aus dem Grundbuch hervorgehende, nicht verjährende Positionen, wie etwa das Eigentum, auszuhöhlen und die sachenrechtliche Zuordnung entgegen dem Grundbuchinhalt zu ändern. Die Kläger hätten bei der Beklagten zu keinem Zeitpunkt den Eindruck erweckt, den Herausgabeanspruch nicht mehr geltend zu machen. Erst nach dem 18. Oktober 1995 sei den Klägern ihr Eigentum bekannt geworden. Die Beklagte habe zudem nicht vertraut, sondern ebenfalls keine Kenntnis von der wahren Eigentumslage gehabt.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

b) Vor allem Rechte, die nicht der Verjährung unterliegen, können verwirkt werden (Erman/Hohloch, BGB, 11. Aufl., § 242 Rdn. 126). Dies gilt insbesondere für den Herausgabeanspruch (BGH, Urteil vom 21. Mai 1953, IV ZR 192/52 = BGHZ 10, 69-75; Urteil vom 15. März 1967, V ZR 127/65 = BGHZ 47, 184-190). Hierbei wird an die im Einzelfall für den Verpflichteten unzumutbare illoyale Verspätung der Rechtsausübung angeknüpft.

Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht und sich der Verpflichtete darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend machen werde (Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 242 Rdn. 87 m.w.N.). Hierfür kommt es, was das Landgericht verkannt hat, nicht nur auf die Kläger und die Beklagte an. Auch wenn die Parteien lediglich Sonderrechtsnachfolger der Erwerber von 1936 und 1937 sind, gereicht ihnen das Verhalten ihrer Rechtsvorgänger zum Vor- und/oder Nachteil (BayObLG, Beschluss vom 19. Juli 1990, BReg 2 Z 61/90 = NJW-RR 1991, 1041-1042; OLG Koblenz, Urteil vom 17. Juli 1998, 8 U 1858/97 = OLGR 1998, 498-499).

Das Zeitmoment ist zweifelsohne gegeben. Die von den Parteien dargestellten und von den Klägern rückgängig zu machenden Besitzverhältnisse bestehen bereits seit 1937. Es ist zwar nicht ersichtlich, woher der Voreigentümer Sp. noch im Juni 1937 die Befugnis nahm, Grenzverhandlungen zu führen. Die Beklagte hat in erster Instanz aber unbestritten vorgetragen, nachfolgend seien von den Nachbarn, also den Erwerbern, aneinander grenzende Garagen errichtet worden und zwar auf der mit der Grenzverhandlung zustande gekommenen Linie zwischen den Flurstücken 152 und 151.

Insgesamt hat sich in den seither vergangenen fast 70 Jahren ausweislich der Flurkarte <Bd. I Bl. 4 d.A.> die bauliche Situation den Besitzverhältnissen so angepasst, dass das Flurstück 152 mit dem Flurstück 153 zusammen fiel und als diesem zugehörig betrachtet wurde. So haben selbst die Parteien jahrelang geglaubt, die Beklagte nutze mit dem Flurstück 152 ihr Eigentum. Hat sich dies von Eigentümergeneration zu Eigentümergeneration derart verfestigt, können die Kläger hiervon nicht ohne weiteres abgehen. Sie sind an das Verhalten ihrer Vorgänger gebunden, die den Besitz der Eigentümer des Flurstücks 153 jahrzehntelang nicht in Frage stellten. Dass selbst dort niemand mehr daran dachte, den 1937 offensichtlich beabsichtigten Zuerwerb noch vollziehen zu müssen, zeigt das hierdurch geweckte und betätigte Vertrauen auf den Bestand der geschaffenen, den Eigentumserwerb vorweg nehmenden Besitzverhältnisse.

Diesen Vertrauenstatbestand kann die Beklagte nur dadurch beseitigen, dass sie das Angebot zum Grundstückserwerb grundlos ablehnt. Eine solche Weigerung ist nicht ersichtlich. Bisher haben die Kläger nach ihrer Darstellung nur Herausgabe geltend gemacht aber nicht den Verkauf angeboten.

Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene Schriftsatz der Kläger gab keine Veranlassung, erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten (§ 156 ZPO).

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 543 Abs. 1 ZPO und § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO.

Die Revision lässt der Senat nicht zu. Die Rechtssache wirft keine Fragen grundsätzlicher Bedeutung auf. Zudem erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Der Streitwert richtet sich nach §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG; 3, 6 Satz 1 ZPO. Maßgeblich ist der Verkehrswert des Flurstücks 152. Diesen schätzt der Senat auf 10.000 €. Das Grundstück ist 113 m² groß. Aufgrund seiner Lage in M. ist ein Bodenwert von 60 €/m² mit Sicherheit nicht zu hoch gegriffen. Hinzu kommen die aufstehenden Gebäude.

Ende der Entscheidung

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