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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 09.01.2006
Aktenzeichen: 14 AR 12/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 36 Abs. 2
ZPO § 253 Abs. 1
ZPO § 261 Abs. 1
ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 2
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
ZPO § 606
ZPO § 606 Abs. 1
ZPO § 606 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 606 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 622
ZPO § 622 Abs. 3
Ein Beschluss, durch den sich ein Gericht für unzuständig erklärt, obwohl die Tatsachen für die Zuständigkeit klar erkennbar sind, hat keine Bindungswirkung, weil die Verweisung willkürlich ist (unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH, z.B. BGH NJW 1993, 1273).
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

14 AR 12/05 OLG Naumburg

In der Familiensache

hat der 14. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Deppe-Hilgenberg, die Richterin am Oberlandesgericht Hahn und den Richter am Oberlandesgericht Materlik am

9. Januar 2006

beschlossen:

Tenor:

Als örtlich zuständiges Gericht für das streitgegenständliche Scheidungsverfahren wird das Amtsgericht - Familiengericht - Merseburg bestimmt.

Gründe:

Sowohl das Amtsgericht Merseburg als auch das Amtsgericht Leipzig, dieses durch Vorlagebeschluss vom 12. Dezember 2005 (Bl. 41/42 d. A.), jenes durch vorhergehenden Verweisungsbeschluss vom 25. Oktober 2005 (Bl. 28 d. A.), haben sich durch rechtskräftige Entscheidungen im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (BGH, NJW 1980, 1282, und BGHZ 71, 69) für örtlich unzuständig erklärt. Da das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht im vorliegenden Fall der Bundesgerichtshof ist, war gemäß § 36 Abs. 2 ZPO das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht zu bestimmen, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört. Das ist für das Amtsgericht Merseburg als zuerst mit der Sache befasstes Gericht das Oberlandesgericht Naumburg.

Als örtlich ausschließlich zuständiges Gericht ist gemäß § 36 Abs. 2 in Verb. mit § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im vorliegenden Fall nach zwingender Maßgabe des § 606 Abs. 2 Satz 2 ZPO das Amtsgericht Merseburg zu bestimmen (1).

Dem gegenteiligen, als objektiv willkürlich zu qualifizierenden Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Merseburg vom 25. Oktober 2005 (Bl. 28 d. A.) kommt entgegen § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO keine Bindungswirkung zu (2).

1. Die örtlich ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Merseburg für das streitgegenständliche Scheidungsverfahren folgt entsprechend der stufenweise geltenden Regelung des § 606 ZPO aus Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift, da eine vorrangige Zuständigkeit sich weder aus Abs. 1 noch aus Abs. 2 Satz 1 ergibt.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ist der gemäß den §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO mit Zustellung der Klage bzw. der Antragsschrift im Scheidungsverfahren nach § 622 ZPO begründete Eintritt der Rechtshängigkeit, die hier mit der Zustellung des Scheidungsantrags am 25. August 2005 (Bl. 5 d. A.) an den Antragsgegner eintrat. Zu jenem Zeitpunkt hatten die Ehegatten unstreitig keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsort mehr, noch lebte einer von ihnen mit minderjährigen Kindern zusammen, sodass eine primär zu beachtende Zuständigkeit des Familiengerichts gemäß § 606 Abs. 1 ZPO nicht gegeben sein kann.

Mangels Zuständigkeit nach Abs. 1 wäre gemäß § 606 Abs. 2 Satz 1 ZPO das Familiengericht, in dessen Bezirk die Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt zuletzt gehabt haben - das wäre das Amtsgericht Leipzig gewesen -, nur dann zuständig gewesen, wenn einer der Ehegatten bei Eintritt der Rechtshängigkeit im Bezirk dieses Gerichts, also in L. , noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hätte. Das war indes nicht mehr der Fall, da weder die seit längerem in M. wohnende Ehefrau noch der zunächst in L. verbliebene, aber seit einer Havarie im Mai letzten Jahres durchgängig in K. sich aufhaltende Ehemann bei Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages in der vormaligen Ehewohnung in L. gewohnt hat. Die Abwesenheit des Ehemannes war auch keineswegs, was für eine Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes nicht ausgereicht hätte, nur vorläufiger Natur, sondern entsprach der endgültigen, auch prozessual stets deutlich artikulierten Absicht, das Haus zu veräußern. Der ständige Aufenthaltsort des Antragsgegners, auf den es für den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 606 ZPO entscheidend ankommt (s. dazu statt vieler Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., 2003, § 606 Rdnr. 3), war vielmehr, wie von Anfang an mehrfach schriftsätzlich verlautbart (Bl. 12/16 d. A.) und auch der notariellen Vereinbarung der Parteien vom 7. September 2005 (Bl. 19 - 26 d. A.) zu entnehmen, in der Wohnung A. 22 in der zum Bezirk des Amtsgerichts Merseburg gehörenden Ortschaft K. .

In Ermangelung eines Gerichtsstandes nach § 606 Abs. 2 Satz 1 ZPO war gemäß § 606 Abs. 2 Satz 2 ZPO das Familiengericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk sich bei Eintritt der Rechtshängigkeit der gewöhnliche Aufenthaltsort des Beklagten bzw. - im Scheidungsverfahren gemäß § 622 Abs. 3 ZPO an seine Stelle tretenden - Antragsgegners befand. Dieser hielt sich, wie ausgeführt, für gewöhnlich und beabsichtigtermaßen auf Dauer in K. auf, das dem Bezirk des damit ausschließlich örtlich zuständigen Familiengerichts Merseburg zugeordnet ist.

2. Die demnach kraft Gesetzes ausschließlich örtlich begründete Zuständigkeit des Amtsgerichts Merseburg ist durch den gegenläufigen Verweisungsbeschluss des Gerichts vom 25. Oktober 2005 (Bl. 28 d. A.) nicht aufgehoben worden. Denn der nicht oder bestenfalls höchst unzulänglich begründete und damit in jedem Falle als objektiv willkürlich anzusehende Verweisungsbeschluss entfaltet entgegen § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO keine Bindungswirkung.

Die gesetzlich angeordnete Verbindlichkeit eines Verweisungsbeschlusses nach jener Vorschrift wird zwar noch nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass er auf einem Rechtsirrtum des Gerichts beruht oder sonst fehlerhaft ist. Das übergeordnete verfassungsrechtliche Prinzip der rechtsstaatlich gebundenen und insbesondere dem Gebot des gesetzlichen Richters unterworfenen Judikative (Art. 20 Abs. 3 in Verb. mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) lässt indes nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Bindungswirkung entfallen, wenn der Verweisungsbeschluss objektiv willkürlich ist, weil er bar jedweder rechtlichen Grundlage ist oder, wie im vorliegenden Fall, jegliche nachvollziehbare Begründung vermissen lässt (s. dazu BGH, NJW 1993, 1273, NJW 1996, 3013 f., BayObLG, NJW-RR 1994, 891 = MDR 1994, 94, sowie, beispielhaft statt vieler aus der Literatur, Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., 1997, Bd. 3, § 281 Rdnr. 30, und Greger, in: Zöller, ZPO, 25. Aufl., 2005, § 281 Rdnr. 17).

Gravierend und bei Wahrung eines rechtsstaatlichen Mindeststandards der nachvollziehbaren Rechtsanwendung verfassungsrechtlich nicht mehr akzeptabel ist im vorliegenden Falle, dass das Amtsgericht sich in dem formularmäßig ergangenen Verweisungsbeschluss (Bl. 28 d. A.) sich nicht nur nicht mit der maßgeblichen Rechtslage auseinandersetzt, sondern sogar auf jegliche Begründung verzichtet und nicht einmal die maßgebliche Entscheidungsalternative in dem für verschiedene Varianten vorgesehenen Beschluss-Formular erkennen lässt. Selbst der handschriftliche, nachfolgend durch Unterstreichung kenntlich gemachte Zusatz bei der im Formular nicht angekreuzten - und von daher unklaren, bei der Ausfertigung (Bl. 29 d. A.) bezeichnenderweise nicht erkannten - Begründungsalternative für den Verweisungsbeschuss führt allemal noch zu der gleichermaßen fragmentarischen wie unverständlichen und in jedem Fall unzureichenden, da hochgradig defizitären Begründung: "Das angerufene Gericht ist örtlich unzuständig, weil nach § 606 Abs. 2 S. 1 ZPO".

Es verbleibt folglich bei der gesetzlich begründeten ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Merseburg, die zum maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit der Streitsache gegeben war, auch weiterhin gegeben ist und ungeachtet womöglich späterer Veränderungen der sie begründenden Umstände gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO bestehen bleibt.

Ende der Entscheidung

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