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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 24.03.2005
Aktenzeichen: 14 UF 184/04
Rechtsgebiete: BGB, Regelbetrag-VO, StGB, StPO


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 1613
BGB § 1613 Abs. 1 S. 1
BGB § 1613 Abs. 1 S. 2
Regelbetrag-VO § 2
Regelbetrag-VO § 2 Nr. 3
StGB § 170 Abs. 1
StPO § 153 a
Bei Zahlungsaufforderungen unterhalb des gesetzlich geschuldeten Mindestunterhalts wird der zugleich zur Auskunfterteilung aufgeforderte Unterhaltsschuldner bereits grundsätzlich kein rechtlich schützenswertes Vertrauen für seine Erwartung in Anspruch nehmen können, damit müsse es sein Bewenden haben. Die ausdrücklich einen Unterhaltsanspruch des Gläubigers allein aufgrund des Auskunftsverlangens für die Vergangenheit positiv festgelegte Regelung des § 1613 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB schließt, zumindest für den hier in Frage stehenden Zeitraum von weniger als einem Jahr, eine gegenläufige Heranziehung der allgemeinen Billigkeitsregeln aus.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Im Namen des Volkes URTEIL

14 UF 184/04 OLG Naumburg

verkündet am: 24.03.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Deppe-Hilgenberg, den Richter am Landgericht Kawa und den Richter am Oberlandesgericht Materlik

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Wittenberg vom 29. September 2004, Az.: 4 F 591/03 UK, wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten der Berufungsinstanz.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten in zweiter Instanz allein noch über das Problem einer etwaigen Verwirkung des von den Klägern rückwirkend für die Zeit von August 2002 bis August 2003 geltend gemachten und ihnen erstinstanzlich zuerkannten Kindesunterhalts.

Aus der 1999 geschiedenen Ehe der Kindesmutter und des Beklagten sind der am 30.06.1989 geborene Kläger zu 1 und der am 14.03.1991 geborene Kläger zu 2 hervorgegangen, die beide noch Schüler sind und seit der Trennung der Parteien im Haushalt der Mutter leben.

Mit Schreiben vom 12.08.2002 (Bl. 7/8 d. A.) wurde der Beklagte unter Fristsetzung bis zum 02.09.2002 aufgefordert, Auskunft über seine aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen und ab August 2002 Unterhalt für den Kläger zu 1 (E. ) von monatlich 131,40 Euro und für den Kläger zu 2 (M. ) von 141,12 Euro zu zahlen.

Mit Schreiben vom 02.09.2002 (Bl. 27/27 Rs. d. A.) erteilte der Beklagte Auskunft über seine wirtschaftlichen Verhältnisse durch Vorlage einer Verdienstbescheinigung der A. AG für den Monat August 2002 (Bl. 9/9 Rs. d. A.) und zahlte, nachdem zwischenzeitlich gegen ihn ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht eingeleitet worden war, ab November 2002 Unterhalt in Höhe von 141,12 Euro für E. und in Höhe von 131,40 Euro für M. .

Schließlich, nach Wechsel der Bevollmächtigten auf Seiten der Kläger, wurde der Beklagte mit Schreiben vom 04.07.2003 (Bl. 10 - 12 d. A.) aufgefordert, 135 % des Regelbetrags der zweiten bzw. dritten Altersstufe nach § 2 Regelbetrag-VO als Unterhalt zu zahlen und darüber einen Titel errichten zu lassen.

Gemäß Urkunden des Jugendamtes des Landkreises M. vom 16.09.2003, Urkunden- Nr.: 413/2003 und 414/2003 (Bl. 16/17 d. A.), verpflichtete sich der Beklagte, ab August 2003 bis zur Volljährigkeit der Kinder Unterhalt in Höhe von 100 % des Regelbetrages der dritten Altersstufe nach § 2 Nr. 3 Regelbetrag-VO zu zahlen.

Die Kläger waren und sind der Auffassung, der Beklagte sei ab August 2002 mit der Zahlung des geforderten Kindesunterhaltes in Verzug, denn er sei nicht nur zur Zahlung der geringeren Unterhaltsrenten, sondern auch zur Auskunft gemäß § 1613 BGB aufgefordert worden.

Der Beklagte hat vorgetragen, bezüglich des rückständigen Kindesunterhaltes fehle es an einer Inverzugsetzung seitens der Kläger. Denn mit Schreiben vom 12.08.2002 sei er lediglich zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 131,40 Euro bzw. 141,12 Euro aufgefordert worden. Diesen Unterhalt habe er aber fortlaufend gezahlt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Wittenberg vom 24.09.2004 (Bl. 131 ff. d. A.) wurde der Beklagte verurteilt, an beide Kläger ab September 2003 laufenden Unterhalt in Höhe von 135 % des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe nach § 2 Regelbetrag-VO und - allein darum geht es noch in der Berufungsinstanz - als rückständigen Unterhalt nebst Verzugszinsen für die Zeit von August 2002 bis August 2003 an den Kläger zu 1 einen Betrag von 2002,80 Euro und an den Kläger zu 2 einen Betrag von 1.944,00 Euro zu zahlen.

Gegen das Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, der meint, die rückständigen Unterhaltsansprüche seien verwirkt. Denn mit Schreiben vom 12.08.2002 seien lediglich die geringeren, von ihm gezahlten Unterhaltsbeträge von 131,40 Euro bzw. 141,12 Euro monatlich angemahnt worden. Da erst mit Schreiben vom 04.07.2003 mehr Unterhalt verlangt worden sei, habe er darauf vertrauen dürfen, für die Vergangenheit mit keinen höheren Forderungen mehr konfrontiert zu werden.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu Ziffer 1 und 2 der Entscheidungsformel aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten die noch streitigen Unterhaltsansprüche nicht für verwirkt.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache nur in geringem Umfang Erfolg.

Die rückständigen Unterhaltsansprüche der Kläger für die Zeit von August 2002 bis August 2003 sind nicht, wie der Beklagte als einzigen Einwand in der Berufungsinstanz geltend macht, nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB als verwirkt anzusehen.

Vielmehr können die Kläger nach § 1613 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB vom Beklagten ab Anfang August 2002, in welchem Monat sie ihn zur Auskunfterteilung aufgefordert haben, den erstinstanzlich zuerkannten Unterhalt verlangen.

Der Anspruch kann nicht etwa deshalb als verwirkt gelten, weil die Kläger sich nach der Auskunfterteilung seitens des Beklagten bis zu dem neuerlichen Aufforderungsschreiben vom 04. Juli 2003 (Bl. 10 - 12 d. A.) mit den zunächst geforderten, geringeren Unterhaltsleistungen begnügt hätten. Denn der Beklagte hat redlicherweise gerade nicht darauf vertrauen dürfen, nicht mehr wegen der höheren Unterhaltsansprüche für die Zeit von August 2002 bis August 2003 in Anspruch genommen zu werden.

Nach § 242 BGB kann ein Anspruch auf Zahlung von rückständigem Unterhalt, auch wenn er tituliert ist, anerkanntermaßen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben wegen illoyal verspäteter Geltendmachung verwirkt sein, falls zum einen der Anspruch längere Zeit nicht geltend gemacht oder beigetrieben wird und zum anderen der Unterhaltsschuldner sich auf Grund des Hinzutretens besonderer Umstände nach Treu und Glauben darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass der Unterhaltsberechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen werde.

Hier bestehen bereits gravierende Bedenken gegen die Erfüllung des so genannten Zeitmomentes, da zwischen der ersten Aufforderung zur Auskunft und Zahlung von Kindesunterhalt Mitte August 2002 und der zweiten Zahlungsaufforderung vom 04. Juli 2003 nicht einmal ein Jahr liegt (ablehnend für diesen Fall: Kammergericht, FamRZ 1994, 771).

Unabhängig davon fehlt es in jedem Fall an dem des Weiteren für die Verwirkung erforderlichen Umstandsmoment.

Bei Zahlungsaufforderungen unterhalb des gesetzlich geschuldeten Mindestunterhalts wird der zugleich zur Auskunfterteilung aufgeforderte Unterhaltsschuldner bereits grundsätzlich kein rechtlich schützenswertes Vertrauen für seine Erwartung in Anspruch nehmen können, damit müsse es sein Bewenden haben. Die ausdrücklich einen Unterhaltsanspruch des Gläubigers allein aufgrund des Auskunftsverlangens für die Vergangenheit positiv festlegende Regelung des § 1613 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB schließt, zumindest für den hier in Frage stehenden Zeitraum von weniger als einem Jahr, eine gegenläufige Heranziehung der allgemeinen Billigkeitsregelung des § 242 BGB aus.

Im Übrigen hat der Beklagte gerade auch aufgrund seines eigenen Verhaltens im vorliegenden Fall nicht redlicherweise darauf vertrauen dürfen, von den Klägern nicht mehr auf Zahlung des rückständigen höheren Kindesunterhaltes in Anspruch genommen zu werden. Die Unterhaltszahlungen in verminderter Höhe sind nämlich nicht etwa im Vertrauen auf die Zahlungsaufforderung der Kläger vom 12. August 2002, sondern, gleichsam nolens volens, unstreitig erst dann erfolgt, als gegen den Beklagten ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 170 Abs. 1 StGB eingeleitet worden war. Die Unterhaltsleistungen seinerseits sind offenkundig erst im November 2002 vornehmlich zu dem Zweck aufgenommen worden, um mit der Erfüllung der entsprechenden Auflage der Staatsanwaltschaft eine Einstellung des bereits laufenden Ermittlungsverfahrens nach § 153 a StPO herbeizuführen.

Unter diesen Umständen ist es dem sich selbst keinesfalls gesetzestreu verhaltenden, sondern letztlich nur repressiv reagierenden und um Schadenbegrenzung bemühten Beklagten verwehrt, sich auf eine Verwirkung zu berufen, bei der es sich gerade um eine besondere Ausformung des elementaren Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben, der Generalklausel des Billigkeitsrechts, gemäß § 242 BGB handelt.

III.

Die Kostenentscheidung zu Lasten des mit seinem Rechtsmittel unterliegenden Beklagten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils entspricht den §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO in Verb. mit § 713 ZPO und § 26 Nr. 9 EGZPO.

Die in § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO gesetzlich definierten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.

Ende der Entscheidung

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