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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 28.08.2002
Aktenzeichen: 14 WF 155/02
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 323
BGB § 242
Auch im Rahmen einer Abänderungsklage (§§ 323 ZPO, 242 BGB) kann sich das unterhaltsberechtigte minderjährige Kind auf die Beweislastregel berufen (vgl. BGH v. 6.2.2002 Az. XII ZR 20/02 in BGHZ 150, 12 ff = FamRZ 2002, 536 ff).
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

14 WF 155/02 OLG Naumburg

In dem Beschwerdeverfahren

hat der 14. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Deppe - Hilgenberg, die Richterin am Oberlandesgericht Hahn und den Richter am Landgericht Materlik am

28. August 2002

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Quedlinburg vom 27.06.2002, Az.: 4 F 71/02, wird zurückgewiesen.

2. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die gemäß den §§ 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den ihm Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Amtsgerichts Quedlinburg vom 27.06.2002, Az.: 4 F 71/02 (Bl. 31 bis 32 d. A.), ist nicht begründet.

Denn zu Recht hat das Amtsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen einer Partei gemäß den §§ 114, 115 ZPO Prozesskostenhilfe zu gewähren ist, wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung des Beklagten gegen die Klage seiner minderjährigen Tochter, der Klägerin, auf Abänderung der Urkunde des Jugendamtes des Landkreises Quedlinburg vom 20.12.1994, Urkunden-Reg.-Nr. 507/1994 (Bl. 12 d. A.), derzufolge er dieser ab November 1994 einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 141,00 DM (entspricht 72,10 Euro) schuldet, verneint und einen Unterhaltsanspruch der Klägerin ab Januar dieses Jahres in Höhe von 249,00 Euro für begründet erachtet.

Der Senat schließt sich nach nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage den zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts in dem angefochtenen Beschluss sowie in der Nichtabhilfeentscheidung vom 02.08.2002 (Bl. 46 d. A.) an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Bezug.

Auch das Beschwerdevorbringen vermag die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht in Frage zu stellen, sodass der Senat keine Veranlassung sieht, diese zu Gunsten des Beklagten abzuändern.

Ergänzend sei Folgendes bemerkt:

1. Der Beklagte kann sich nicht auf fehlende Leistungsfähigkeit berufen, weil er das Vorliegen derselben, unabhängig von den Erwägungen des Amtsgerichts, schon nicht schlüssig dargelegt hat. Denn er ist zur Zahlung des für den Zeitraum ab dem 01.01.2002 klägerseits geltend gemachten Unterhaltes von monatlich 249,00 Euro in jedem Fall als leistungsfähig anzusehen, da er sich zumindest so behandeln lassen muss, als verfüge er über entsprechende hinreichende Einkünfte. Seine Leistungsfähigkeit bestimmt sich nämlich nicht allein nach seinem tatsächlichen Einkommen, sondern nach den zumutbarerweise erzielbaren Einkünften, weil er zur Sicherstellung des Mindestunterhalts gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB einer gesteigerten Erwerbsobliegenheit unterliegt, die sich auch, sofern nötig, bei einem vollschichtig Erwerbstätigen auf die Aufnahme einer geeigneten Nebentätigkeit erstreckt (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2000, S. 1178; Wiedenlübbert, Erhöhte Erwerbsobliegenheit des Barunterhaltspflichtigen, NJ 2002, S. 337, 338 mit zahlreichen Nachweisen in FN 20).

a) Selbst bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit muss der Unterhaltsverpflichtete alles Zumutbare unternehmen, um durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit seine Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Die unternommenen Anstrengungen müssen im Unterhaltsprozess konkretisiert werden, und zwar durch eine nachprüfbare Aufstellung von monatlich durchschnittlich 20 bis 30 Bewerbungen, die konkret auf die entsprechenden Stellenangebote zugeschnitten sein müssen; Blindbewerbungen reichen grundsätzlich nicht aus (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 61. Aufl., § 1603, Rdnr. 38; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl., Rdnr. 619, 620). Als Arbeitsloser muss sich der Unterhaltspflichtige intensiv und ernsthaft um eine neue Arbeitsstelle bemühen. Hierzu reicht die Meldung beim zuständigen Arbeitsamt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats keinesfalls aus, um der gesteigerten Erwerbsobliegenheit Genüge zu tun. Ebensowenig genügt es, sich auf die Vermittlungsbemühungen durch das Arbeitsamt zu beschränken, der Unterhaltsschuldner muss vielmehr selbständig Arbeitsuche betreiben, dementsprechend sich auf Stellengesuche schriftlich bewerben und ggfs. sogar selbst eigene Stellenanzeigen schalten.

b) Die diesbezügliche - bislang nicht erfüllte - Darlegungs- und Beweislast für eine unter Umständen fehlende Leistungsfähigkeit trifft nach der gesetzlichen Konzeption des § 1603 BGB, der als Ausschluss- bzw. Ausnahmetatbestand zur prinzipiell gegebenen Unterhaltspflicht auf Grund der §§ 1601, 1602 BGB geregelt ist, gleichsam negativ den Beklagten als Unterhaltsschuldner. Dies gilt jedenfalls uneingeschränkt soweit und solange, als die Unterhaltsforderung - wie hier - nicht über den Regelunterhalt nach der Regelbetrag-VO zu § 1612 a BGB hinausgeht (vgl. BGH, FamRZ 2002, S. 536 ff.; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 02.05.2001, Az.: 14 UF 183/00; Wiedenlübbert, a.a.O., S. 341).

An dieser Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hat auch die von dem Beklagten erwähnte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 06.02.2002 (FamRZ 2002, S. 536 ff.) nichts geändert. Vielmehr ergibt sich aus dieser, dass das minderjährige Kind für den Fall, dass es Unterhalt in Höhe von 100 % des Regelbetrags nach der Regelbetrag-VO begehrt, neben dem Grundtatbestand der §§ 1601 ff. BGB nur noch die Tatsache der Minderjährigkeit zur Darlegung des Bedarfs vorzutragen hat. Dann greift nämlich zum einen die Vermutung, dass es bedürftig ist, und zum anderen die Vermutung, dass der Pflichtige hinsichtlich des begehrten Betrags leistungsfähig ist (vgl. Wiedenlübbert, a.a.O., S. 341).

c) Dem Beklagten ist es aber, wie das Amtsgericht letztlich ebenfalls angenommen hat, nicht ansatzweise gelungen, diese Vermutung zu erschüttern geschweige denn zu widerlegen. Das gilt für den Zeitraum seiner Arbeitslosigkeit (= bis zum 20.05.2002) ebenso wie für denjenigen ab der Tätigkeitsaufnahme zum 21.05.2002 bei der Fa. R. .

Zum einen hat der für die Umstände seiner Leistungsunfähigkeit oder auch nur eingeschränkten Leistungsfähigkeit darlegungspflichtige Beklagte hier schon nicht hinreichend vorgetragen, welche Anstrengungen - insbesondere während seiner Arbeitslosigkeit - er überhaupt unternommen hat, um den Mindestunterhaltsbedarf seiner minderjährigen Tocher, der Klägerin, sicherzustellen, z. B. durch aussagekräftige Bewerbungen um eine Arbeitsstelle oder durch Aufnahme einer - im Übrigen auch gemäß den §§ 141 Abs. 1, 198 Satz 2 Nr. 6 SGB III bei Bezug von staatlichen Entgeltersatzleistungen mindestens in Höhe von 165,-- Euro anrechnungsfrei zulässigen - Nebentätigkeit, wie z. B. Austragen von Zeitungen, Zeitschriften, Werbeprospekten, aus welcher erfahrungsgemäß monatlich 350,00 DM bis 400,00 DM bzw. 205,00 Euro netto erzielt werden könnten.

Nicht eine einzige von ihm verfasste Bewerbung hat der Beklagte vorgelegt. In keinem Fall genügt es, um der vorstehend näher beschriebenen gesteigerten Erwerbsobliegenheit Rechnung zu tragen, lediglich eine Liste mit unvollständigen Anschriften bzw. nur mit Angabe der jeweiligen Telefonnummern von Bewerbungsempfängern (Bl. 27 d. A.) vorzulegen, ohne ein einziges schriftlich verfasstes Bewerbungsanschreiben einzureichen.

Eine Überprüfung der Ernsthaftigkeit der Arbeitsplatzsuche des Beklagten ist daher schon nicht möglich, insbesondere ist nicht auszuschließen, dass er sich wahllos beworben haben könnte, ohne dass die jeweils in der vorgelegten Liste aufgeführten Arbeitgeber überhaupt eine geeignete freie Stelle angeboten hatten. Bei diesen Bewerbungen handelt es sich somit offensichtlich um - keinesfalls ausreichende - Blindbewerbungen.

Zum anderen erfüllt der Beklagte auch nicht die Mindestvoraussetzungen der Darlegungspflicht, wenn er lediglich pauschal geltend macht, dass in seinem Arbeits- und Berufsbereich, insbesondere im Bundesland Sachsen, eine hohe Arbeitslosigkeit bestehe und er als Maler und Lackierer nicht in der Lage sei, einen anderen, besser dotierten Arbeitsplatz als denjenigen seit dem 21.05.2002 bei einer Zeitarbeitsfirma zu finden.

Einen solchen allgemeinen Erfahrungssatz gibt es nämlich nicht. Vielmehr hätte der Beklagte - was er bislang gänzlich unterlassen hat - seine bisherigen Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle und die entsprechenden Absagen detailliert darlegen müssen, damit konkret festgestellt werden könnte, dass er tatsächlich keine anderweitige reale Arbeitsmarktchance mehr hat (vgl. Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1603, Rdnr. 38 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Im Übrigen ist es dem offensichtlich ortsungebundenen, fünfundvierzigjährigen Antragsteller auch zuzumuten, sich überregional zu bewerben (vgl. Wiedenlübbert, a.a.O., S. 340 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung in FN. 54 bis 56), was er bislang gänzlich unterlassen hat.

Nach alledem ist der Beklagte so zu behandeln, als sei er in der Lage, den begehrten Unterhalt in Höhe von 100 % des Regelbetrags/Ost in der dritten Altersstufe, das sind monatlich 249,00 Euro, an die Klägerin zu zahlen.

2. An dieser Beurteilung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Beklagte behauptet (Schriftsatz vom 03.06.2002, Bl. 22 d. A.), ein höheres Nettoeinkommen als monatlich 920,00 Euro sei von ihm aus einer vollschichtigen Tätigkeit als Maler und Lackierer, realistisch betrachtet, nicht zu erzielen. Denn selbst wenn zugunsten des Beklagten unterstellt wird, dass er maximal in dieser Höhe monatliche Einkünfte erhalten könnte, ist er in der Lage, den Regelbetrag gemäß § 2 der Regelbetrag-VO in der dritten Altersstufe, das sind 249,00 Euro, an die Klägerin zu zahlen.

Denn einerseits hat der Beklagte weitere unterhaltsrechtlich relevante Verbindlichkeiten nicht schlüssig dargelegt. Nach seinen eigenen Angaben (vgl. seine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 21.05.2002, Bl. 1 des PKH-Heftes des Beklagten) zahlt er seinem weiteren minderjährigen Kind D. T. , geboren am 15.12.1986, keinerlei Unterhalt. Ob entsprechende Ansprüche von diesem überhaupt schon geltend gemacht worden sind bzw. vom Beklagten geschuldet bzw. tatsächlich geleistet werden, ist jedenfalls nicht von ihm dargelegt worden, sodass diese etwaige weitere Unterhaltspflicht zumindest aufgrund des bisherigen Vortrags des Beklagten nicht zu berücksichtigen ist.

Im Übrigen dürften mangels entgegenstehender Anhaltspunkte etwaige Unterhaltsansprüche der volljährigen Tochter N. S. gegenüber denjenigen der Klägerin gemäß § 1609 Abs. 1 BGB in jedem Fall nachrangig sein.

Andererseits ist ferner zu berücksichtigen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Senats der dem Schuldner zu belassende Selbstbehalt dann herabzusetzen ist, falls die tatsächlichen Wohnkosten unter dem in ihm bereits enthaltenen Anteil von 255,65 Euro Kaltmiete (vgl. Ziffer 4.1 der Unterhaltsleitlinien des Oberlandesgerichts Naumburg, Stand: 01.01.2002) bleiben.

So liegt es hier. Der Selbstbehalt von 750,00 Euro ist hier zu reduzieren, da der Beklagte nach seinen eigenen Angaben im Prozesskostenhilfeverfahren eine monatliche Kaltmiete von "nur" 143,14 Euro für die von ihm bewohnte Wohnung zu leisten hat (vgl. Bl. 1 Rs. des PKH-Heftes des Beklagten).

Es ist nach alledem von folgender Berechnung auszugehen:

Nettoeinkommen - fiktiv - des Beklagten: 920,00 Euro abzüglich 5 % berufsbedingte Aufwendungen in Höhe von - 46,00 Euro bereinigtes Nettoeinkommen = 874,00 Euro abzüglich Selbstbehalt (750,00 Euro minus 112,51 Euro) von - 637,49 Euro verbleibendes Einkommen für den Unterhaltsanspruch = 236,51 Euro

Um die sich demnach rechnerisch ergebende Differenz von 12,49 Euro monatlich aufbringen zu können, ist es dem Beklagten - wie im Hinblick auf die gesteigerte Erwerbspflicht Minderjährigen gegenüber regelmäßig jedem vollschichtig tätigen Unterhaltsschuldner (vgl. hierzu bereits die Ausführungen und Nachweise unter Ziffer I 1 dieses Beschlusses) - zuzumuten, eine Nebenbeschäftigung, wie z. B. das stundenweise Austragen von Zeitungen etc. am Wochenende, aufzunehmen, um den Unterhaltsanspruch der Klägerin von 249,00 Euro sicherstellen zu können.

Nach alledem hat das Amtsgericht dem Beklagten in zutreffender Weise wegen fehlender sachlicher Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung die begehrte Prozesskostenhilfe versagt.

II.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte (§ 97 Abs. 1 ZPO, § 11 Abs. 1 GKG, Anlage 1, KV Nr. 1956). Außergerichtliche Kosten werden im Beschwerdeverfahren wegen nicht bewilligter Prozesskostenhilfe generell nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Ende der Entscheidung

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