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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 05.09.2002
Aktenzeichen: 14 WF 165/02
Rechtsgebiete: KostO, FGG, ZPO


Vorschriften:

KostO § 1
FGG § 13 a Abs. 1 Satz 1
FGG § 19
FGG § 20
FGG § 50
FGG § 50 Abs. 1
FGG § 50 Abs. 2
FGG § 50 Abs. 2 Nr. 1
FGG § 57 Abs. 2
FGG § 57 Abs. 1 Nr. 9
FGG § 64 Abs. 3 Satz 3
ZPO § 629 a
ZPO § 621 e
ZPO § 621 e Abs. 1
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 621 a Abs. 1 Satz 1
ZPO § 621 a Abs. 1 Satz 1
Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für das Kind nach § 50 FGG greift in die Rechte des Sorgeberechtigten ein und ist mit der - einfachen - Beschwerde anfechtbar.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

14 WF 165/02 OLG Naumburg

In der Familiensache

hat der 14. Zivilsenat - 3. Familiensenat - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Deppe-Hilgenberg, die Richterin am Oberlandesgericht Hahn und den Richter am Landgericht Materlik am

5. September 2002

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Magdeburg vom 23. Januar 2002, Az.: 271 F 99/01, aufgehoben.

Außergerichtliche Kosten der Beteiligten im Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Beschwerde der Kindesmutter vom 15. August 2002 (Bd. II Bl. 221 d. A.) gegen die mit Beschluss des Amtsgerichts vom 23. Januar 2002 (Bd. I Bl. 80 d. A.) angeordnete Verfahrenspflegschaft für das Kind M. A. A. ist formell zulässig (1) und in der Sache begründet (2).

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Die in der Rechtsprechung und Literatur kontrovers beurteilte Frage, ob Eltern die Anordnung einer Verfahrenspflegschaft für ihr Kind gemäß § 50 FGG anfechten können

- dafür: OLG Hamburg FamRZ 2001, 34; KG, 13. ZS, FamRZ 2000, 1298 = NJW 2000, 2596; KG, 19. ZS, FamRZ 2001, 1537; OLG Düsseldorf, 6. FamS, NJW 2000, 1274 = FamRZ 2000, 1298; OLG Dresden, FamRZ 2000, 1296; OLG Karlsruhe, FamRZ 2000, 1296; OLG Frankfurt, FamRZ 1999, 1293; OLG München, FamRZ 1999, 667; OLG Hamm, FamRZ 1999, 41; Maurer, in: FamRefK, 1998, § 50 FGG, Rdnr. 36; Bumiller/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 7. Aufl., 1999, § 50 FGG, Rndr. 10);

dagegen: OLG Brandenburg, FamRZ 2000, 1295; OLG Celle, NJW 2000, 1273; OLG Naumburg, 8. ZS, MDR 2000, 1322 mit abl. Anm. Marquardt; OLG Düsseldorf, 7. FamS, FamRZ 2000, 249; Engelhardt und Kahl, in: Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 14. Aufl., § 50 Rdnr. 26 und § 19 Rdnr. 5) -,

wird vom Senat positiv beantwortet.

Die Statthaftigkeit der Beschwerde und die Beschwerdebefugnis der Eltern bei Anordnung einer Verfahrenspflegschaft für das Kind folgt, mangels spezieller Regelung in § 50 FGG, aus den allgemeinen Verfahrensvorschriften der freiwilligen Gerichtsbarkeit, d. h. sowohl aus einer verfassungskonform extensiven Auslegung der §§ 19, 20 FGG (a) wie auch aus der Regelung des § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG (b).

a) Gemäß § 19 FGG in Verb. mit § 621 a Abs. 1 Satz 1 und § 621 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO findet gegen Verfügungen des Gerichts erster Instanz, das sind Entscheidungen mit Außenwirkung, die keine Endentscheidungen im Sinne des § 621 e Abs. 1 ZPO darstellen, die Beschwerde statt, soweit durch sie Rechte der Beteiligten gemäß § 20 FGG beeinträchtigt werden können (vgl. Kahl, in: Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O., § 19 Rdnr. 2, 9 ff. m. w. N.). Es kann nach Ansicht des Senats keinem Zweifel unterliegen, dass durch die Bestellung eines Verfahrenspflegers für das Kind wenigstens mittelbar in das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 GG, das prinzipiell die Wahrnehmung sämtlicher Belange und Interessen des Kindes umfasst, eingegriffen wird, sodass in verfassungskonformer extensiver Auslegung der einfachgesetzlichen Vorschriften der §§ 19, 20 FGG von einer Statthaftigkeit der Beschwerde und einer Beschwerdebefugnis der Eltern, wie hier der Beschwerde führenden Kindesmutter, auszugehen ist.

Ein allgemeiner Grundsatz, dass im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit generell, auch bei möglicher Beeinträchtigung von Rechten der Verfahrensbeteiligten, Zwischenverfügungen nicht anfechtbar seien, ist weder feststellbar, noch wäre er in concreto hinnehmbar.

Eine womöglich gegenteilige Absicht des Gesetzgebers in diesem speziellen Falle, wie sie der eine Anfechtbarkeit der Pflegerbestellung verneinenden Stellungnahme der Bundesregierung zu § 50 FGG im Gesetzgebungsverfahren zu entnehmen sein mag (BT-Drs. 13/4899, S. 172), hat keinen Niederschlag im Gesetz gefunden und ist von daher wie auch in Anbetracht der Priorität des zugleich berührten Verfassungsrechts irrelevant. Auch vornehmlich prozessökonomisch motivierte Erwägungen der Verfahrensbeschleunigung, die demgegenüber für einen Ausschluss des Anfechtungsrechtes ins Feld geführt werden, vermögen insoweit als allenfalls nachrangig, bei Unergiebigkeit der etablierten Auslegungsregeln, in Zweifelsfällen berücksichtigungsfähiger Topos der juristischen Argumentation nicht zu verfangen. Der Wortlaut der §§ 19, 20 FGG steht einem Anfechtungsrecht der Eltern bei Bestellung eines Verfahrenspflegers mitnichten entgegen, der verfassungsrechtlich akzentuierte Gesetzeszweck erheischt eine Beschwerdebefugnis der Eltern, ohne dass sich eine gegenteilige Intention des Gesetzgebers verbindlich feststellen ließe.

b) Im Übrigen folgt die Beschwerdeberechtigung der Kindeseltern gegen die Bestellung eines Verfahrenspflegers auch aus § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG.

Danach steht, unbeschadet der Vorschrift des § 20 FGG, die Beschwerde gegen eine Verfügung, die, wie hier die Bestellung eines Verfahrenspflegers im Sorge- und Umgangsrechtsverfahren, eine Entscheidung über eine die Sorge für die Person des Kindes (oder des Mündels) betreffende Angelegenheit enthält, jedem zu, der, wie vornehmlich gerade die Eltern, ein berechtigtes Interesse hat, diese Angelegenheit wahrzunehmen (ebenso OLG Hamburg, FamRZ 2001, 34). Die Vorschrift des § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG findet nach § 57 Abs. 2 FGG lediglich auf die sofortige Beschwerde und nach § 64 Abs. 3 Satz 3 FGG auf die befristete Beschwerde nach den §§ 621 e, 629 a ZPO keine Anwendung. Daraus folgt, mit einem Argumentum e contrario, dass es für die einfache Beschwerde bei der Geltung des § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG verbleibt.

Auch wenn die Eltern durch die Bestellung des Verfahrenspflegers nicht ihr gesetzliches Vertretungsrecht für das Kind verlieren, so werden sie doch unzweifelhaft prozessual in ihren Rechten beschnitten. Sie müssen auch jederzeit eines Rechtsmittels des hierzu berechtigten Verfahrenspflegers (vgl.: Engelhardt, in: Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O., § 50 Rdnr. 25; Brudermüller, in: Johannsen/Henrich, Eherecht, 3. Aufl., 1998, § 50 FGG, Rndr. 22) im Prozess gewärtig sein und haben nicht zuletzt aufzukommen für die mitunter erheblichen Kosten, die ein Verfahrenspfleger, nicht selten durch sachlich deplacierte Ermittlungen außerhalb des eigentlichen, prozessual begrenzten Aufgabenkreises, verursacht. Auch im vorliegenden Fall sind laut Zwischenabrechnung der Verfahrenspflegerin für weitreichende Ermittlungen ihrerseits, durch Rücksprachen beim Klassenlehrer, beim Jugendamt etc., bereits Kosten in Höhe von 737,37 Euro liquidiert und festgesetzt worden (Bd. II Bl. 169 - 172 d. A.).

Ein berechtigtes Interesse der durch eine Verfahrenspflegschaft in vielfältiger Hinsicht betroffenen und rechtlich beeinträchtigten Eltern, selbst durch ein Rechtsmittel die Aufhebung einer ihres Erachtens unnötigen bzw. ungerechtfertigten Verfahrenspflegschaft zu erreichen, kann mithin nicht in Abrede gestellt werden.

2. Die Beschwerde der Kindesmutter erweist sich auch in der Sache als begründet.

Der die Verfahrenspflegschaft anordnende Beschluss des Amtsgerichts vom 23. Januar 2002 (Bd. I Bl. 80 d. A.) ist sowohl verfahrensrechtlich mit Fehlern behaftet (a) als auch in der Sache verfehlt (b) und bedarf deshalb der Aufhebung.

a) Nach Eingang des zur Ausübung des väterlichen Umgangsrechts eingeholten Sachverständigengutachtens am 17. Januar 2002 (Bd. I Bl. 48/49 d. A.) hat das Amtsgericht, ohne die beteiligten Kindeseltern anzuhören, am 23. Januar 2002 die Verfahrenspflegschaft angeordnet und damit in flagranter Weise den in Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt.

Verfahrensfehlerhaft ist auch die in der Wiedergabe respektive Paraphrase des gesetzlichen Wortlauts des § 50 Abs. 1 FGG sich erschöpfende Begründung des angefochtenen Beschlusses (ebenso: KG, FamRZ 2000, 1298, u. FamRZ 2001, 1537; a. A.: OLG Karlsruhe, FamRZ 2000, 1296; Engelhardt, in: Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O., § 50 Rdnr. 18), wonach zur Wahrung der Kindesinteressen im anhängigen Verfahren sowie zur Durchsetzung seiner Rechte es das Gericht für erforderlich halte, dem Kind einen Verfahrenspfleger zu bestellen.

Über den Umfang der notwendigen Begründung für die Bestellung eines Verfahrenspflegers mag man gegebenenfalls geteilter Auffassung sein. In Anbetracht der grundrechtsrelevanten Auswirkung und auch finanziell keineswegs unerheblichen Konsequenzen einer Verfahrenspflegerbestellung erscheint allerdings eine der Überprüfung fähige Begründung, die sich wenigstens kurz mit der vom Gericht für maßgeblich erachteten Variante des § 50 Abs. 2 FGG auseinandersetzt, prozessual unerlässlich.

b) Unbeschadet der verfahrensrechtlichen Defizite der angefochtenen Beschlussfassung liegen und lagen auch die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verfahrenspflegers nach der hier allein in Betracht kommenden Variante des § 50 Abs. 2 Nr. 1 FGG nicht vor.

Gemäß jener Regelung ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers nur dann als erforderlich anzusehen, wenn das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht. Nicht auf den nachgerade zwangsläufig jedem Sorge- und Umgangsrechtsverfahren immanenten Interessengegensatz zwischen den Eltern kommt es demnach an, sondern einzig darauf, ob die eigenständigen Belange des Kindes den Interessen beider Elternteile zuwiderlaufen und von daher prozessual nur unzulänglich wahrgenommen werden. Es bedarf folglich eines Interessengegensatzes bzw. einer Frontstellung zwischen den Eltern einerseits und dem Kinde andererseits. Solange jedoch das subjektiv artikulierte oder notfalls, bei fehlender Einsicht oder Uneinsichtigkeit, objektiv zu bestimmende Anliegen des Kindes mit dem kontradiktorischen Antragsbegehren wenigstens eines Elternteiles konform geht, kann ein Interessengegensatz zwischen dem Kind und seinen gesetzlichen Vertretern nicht festgestellt und muss demnach die Erforderlichkeit einer Verfahrenspflegerbestellung verneint werden (ebenso: OLG Düsseldorf, FamRZ 2000, 1298 = NJW 2000, 1274; OLG Frankfurt, FamRZ 1999, 1293, 1294).

Die Erklärung des Kindes, keinen Umgang mit dem Vater haben zu wollen, deckt sich im vorliegenden Fall uneingeschränkt mit dem prozessual verfolgten Anliegen der Kindesmutter, die das bislang noch gemeinsame Sorgerecht beider Elternteile für sich allein beansprucht. Der demgegenüber - bei Konzedierung eines alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts der Mutter (Bd. I Bl. 97 d. A. = S. 2 des Schriftsatzes vom 11. März 2002) - auf ein moderates Umgangsrecht beharrende Kindesvater nimmt die gegenteilige, wohl eher dem objektiven Interesse des Kindes verpflichtete Position ein, die ausweislich der letzten Schriftsätze mit den Anträgen der Verfahrenspflegerin bemerkenswerterweise geradezu nahtlos übereinstimmt. Ein Interessengegensatz zwischen dem Kind und beiden Elternteilen kann unter diesen Umständen nicht ausgemacht werden.

Schließlich dürfte der Rechtsstreit nach Eingang des Sachverständigengutachtens im Januar dieses Jahres erstinstanzlich entscheidungsreif gewesen sein, sodass erst recht mehr kein Anlass, geschweige denn eine verfahrensrechtliche Handhabe bestand, auf der Grundlage des Gutachtens gewissermaßen eine zusätzliche Spannungen bzw. eine neue Konfrontationsebene mit sich bringende Verfahrenspflegerbestellung, die generell und namentlich in Verfahren der vorliegenden Art eher die Ausnahme denn die Regel sein sollte (prinzipiell bzw. tendenziell ebenso OLG Frankfurt, FamRZ 1999, 1293, 1294, und OLG Düsseldorf, FamRZ 2000, 1298 = NJW 2000, 1274), vorzunehmen.

II.

Gerichtsgebühren für die erfolgreich erhobene Beschwerde sind, wie im Umkehrschluss aus § 131 Abs. 1 Nr. 1 in Verb. mit § 1 KostO folgt, nicht angefallen.

Von der Erstattung außergerichtlicher Kosten ist, der Billigkeit entsprechend, gemäß § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG in Verb. mit § 621 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen worden.

Ende der Entscheidung

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