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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 19.04.2001
Aktenzeichen: 2 U 242/00
Rechtsgebiete: GBBerG, DDR-Energieverordnung, BGB, BFStrG, ZPO


Vorschriften:

GBBerG § 9 Abs. 1
GBBerG § 9 Abs. 5
GBBerG § 9 Abs. 2
DDR-Energieverordnung § 2 Abs. 2
DDR-Energieverordnung § 29 ff
DDR-Energieverordnung § 48
BGB § 1090
BGB § 1023
BGB § 1023 Abs. 1 letzter Halbsatz
BFStrG § 8 Abs. 2 a
BFStrG § 8
BFStrG § 10
ZPO § 546 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Leitsatz:

Die Kosten einer straßenbaulich bedingten Verlegung von Versorgungsleitungen, die sich nicht im Bereich eines Straßengrundstücks sondern auf einem Nachbargrundstück befinden, hat nicht das Versorgungsunternehmen sondern der Träger der Straßenbaulast zu tragen, wenn die Leitungen gemäß § 9 Abs. 1 GBBerG durch eine Dienstbarkeit zu Gunsten des Versorgungsunternehmens dinglich gesichert sind.

OLG Naumburg, Urt vom 19.04.2001, 2 U 242/00; vorgehend LG Stendal, Urt vom 15.11.2000, 21 O 315/00


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 U 242/00 OLG Naumburg 21 O 315/00 LG Stendal

verkündet am: 19. April 2001

gez. Hegner, JOS'in als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

...

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. Engel als Vorsitzenden, den Richter am Oberlandesgericht Handke und den Richter am Landgericht Galler auf die mündliche Verhandlung vom 21. März 2000 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15. November 2000 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Stendal abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 6.500,-- DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleich Höhe leistet.

Die Revision zum Bundesgerichtshof wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Verpflichtung, die Kosten der Verlegung von Erdgasleitungen in Folge von Straßenbaumaßnahmen zu tragen.

Die Klägerin ist Straßenbaulastträger der Bundesstraße 190. Die Beklagte, ein Energieversorgungsunternehmen, unterhält in der Ortslage S. Erdgasleitungen.

Im Jahre 1998 sollte der Knotenpunkt B 190/K. -Straße in S. ausgebaut werden. In diesem Zusammenhang musste an der vorhandenen Erdgasleitung von G. nach Sz. eine Schutzrohrverlängerung vorgenommen und die Messsäule MS 143 versetzt werden. Beide Baumaßnahmen betrafen nicht das Straßengrundstück selbst, sondern ein Nachbargrundstück.

Die Parteien sind unterschiedlicher Ansicht, wer nach der geltenden Rechtslage die Kosten für diese Baumaßnahmen zu tragen hat. Sie schlossen daher, um die Baumassnahmen nicht zu verzögern, am 07. September 1998 eine Vereinbarung, in deren § 2 Abs. 2 sich die Beklagte verpflichtete, die von der Klägerin vorgeschossenen Kosten dann zu erstatten, wenn sich nach - gegebenenfalls gerichtlicher - Klärung der Rechtslage ihre Kostentragungspflicht ergäbe.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Vereinbarung vom 07. September 1998 (Bl. 20 - 22 d. A.) Bezug genommen. Vereinbarungsgemäß übernahm zunächst die Klägerin die Kosten für die Arbeiten an der Erdgasleitung.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte verpflichtet sei, diese Kosten zu tragen. Das Versorgungsunternehmen und nicht der Straßenbaulastträger habe die Kosten zu tragen, wenn nach der Wiedervereinigung wegen des Ausbaus einer Bundesfernstraße im Beitrittsgebiet eine Versorgungsleitung verlegt werden müsse. Dies gelte auch bei Energiefortleitungsanlagen i. S. d. Energieverordnung der DDR, wenn dem Energieversorgungsunternehmen kein vertragliches Mitbenutzungsrecht i. S. d. §§ 29 ff, 48 DDR-Energieverordnung eingeräumt worden sei. Die Kosten seien unabhängig davon zu erstatten, ob die kostenträchtigen Baumaßnahmen an in dem bisherigen Straßenkörper befindlichen Leitungsteilen oder aber in Folge einer Verlegung der Straße an bisher nicht im Straßenbereich belegenen Leitungsteilen vorzunehmen seien.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 33.018,33 DM nebst 2 % Zinsen über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank ab dem 29. Januar 2000 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass ihr gemäß § 9 Abs. 1 Grundbuchbereinigungsgesetz eine persönliche Dienstbarkeit an dem Nachbargrundstück zustünde. Die Klägerin habe daher gemäß §§ 1090, 1023 BGB die Kosten zu tragen.

Das Landgericht hat der Klage mit dem am 15. November 2000 verkündetem Urteil antragsgemäß stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Beklagte nach den in den §§ 8 Abs. 2 a, 8 und 10 Bundesfernstraßengesetz zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken den für die Verlegung der Ferngasleitung verauslagten Betrag zu erstatten habe. Dieser Grundsatz gelte auch dann, wenn die Baumaßnahmen Grundstücke beträfen, die nicht zum bisherigen Straßenbereich gehörten.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 27. November 2000 zugestellte Urteil am 27. Dezember 2000 Berufung eingelegt und diese am 26. Januar 2001 begründet. Sie wiederholt und vertieft ihre Auffassung, dass sie auf Grund der durch § 9 Abs. 1 Grundbuchbereinigungsgesetz eingeräumten persönlichen Dienstbarkeit nicht zur Kostentragung verpflichtet sei.

Sie beantragt,

das am 15. November 2000 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Stendal abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

I.

Die Klägerin hat aus der mit der Beklagten geschlossenen Kostenvereinbarung keinen Anspruch auf Erstattung der fraglichen Baukosten, da sie im vorliegenden Fall gemäß §§ 1023 Abs. 1 letzter Halbsatz i. V. m. 1090 Abs. 2 BGB, § 9 Abs. 1 GBBerG selbst zur Kostentragung verpflichtet ist.

1. Die Parteien haben in § 2 Abs. 2 der Vereinbarung vom 7. September 1998 festgelegt, dass die Beklagte die von der Klägerin verauslagten Kosten zu erstatten habe, wenn sich nach - gegebenenfalls gerichtlicher - Klärung der Rechtslage eine entsprechende Kostentragungspflicht ergäbe. Damit ist zwischen den Parteien die Frage strittig, ob die Kosten der straßenbaubedingten Verlegung einer Versorgungsleitung vom Träger der Straßenbaulast oder vom Energieversorgungsunternehmen zu tragen sind. Sie beantwortet sich danach, ob der Träger der Straßenbaulast, wenn sich das Energieversorgungsunternehmen nicht mit der notwendigen Verlegung einverstanden erklärt hätte, das Ziel der Leitungsverlegung nur unter Übernahme der Kosten oder gegen Entschädigung hätte durchsetzen können (vgl. zur ständigen Rechtsprechung zuletzt BGH, Beschluss vom 25.01.2001, III ZB 25/00, WM 2001, 702, 703).

Im vorliegenden Fall konnte die Klägerin die Verlegung der fraglichen Leitung gemäß §§ 1023 Abs. 1 letzter Halbsatz i. V. m. 1090 Abs. 2 BGB, § 9 Abs. 1 GBBerG nur gegen Kostenübernahme verlangen.

a) Die fragliche Erdgasverbindungsleitung der Beklagten ist durch eine Dienstbarkeit (§§ 1018, 1090 BGB) dinglich gesichert.

aa) Wie die Klägerin in der Berufungsinstanz selbst eingeräumt hat, wurden die Schutzrohrverlängerung und die Versetzung der Messsäule MS 143 an Leitungsteilen erforderlich, die nicht im Bereich des bisherigen Straßengrundstückes belegen waren, sondern sich auf einem Nachbargrundstück befanden. In dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz vom 29. März hat die Klägerin allerdings die Auffassung vertreten, dass die Fläche zum Straßenkörper zähle, weil sie, die Klägerin, sie inzwischen käuflich erworben habe.

Dieser nachträgliche Erwerb vermag jedoch an der Beurteilung der Rechtslage nichts zu ändern. Entscheidend für die Eigenschaft als Straße ist die Widmung zum öffentlichen Gebrauch als Straße und nicht die Eigentumsverhältnisse an der Fläche. Zum Zeitpunkt der Leitungsverlegung war das fragliche Grundstück weder entsprechend gewidmet noch wurde es als Straße benutzt. Zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bestand daher kein Anlass.

Gemäß § 9 Abs. 1 GBBerG ist damit für die Beklagte eine Dienstbarkeit am 25. Dezember 1993 - dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Grundbuchbereinigungsgesetzes - entstanden. Die Eintragung der Dienstbarkeit in das Grundbuch ist keine Voraussetzung für das Entstehen dieses dinglichen Rechts. Dies ergibt sich aus der in § 9 Abs. 5 GBBerG vorgesehenen Grundbuchberichtigung.

bb) Die Entstehung der Dienstbarkeit ist auch nicht gemäß § 9 Abs. 2 GBBerG ausgeschlossen. Wie ausgeführt, ist im vorliegenden Fall unstreitig, dass sich die Leitung nicht auf dem eigentlichen Straßengrundstück befand.

b) Gemäß §§ 1023 Abs. 1 Satz 1, 1090 Abs. 2 BGB kann der Grundstückseigentümer die Verlegung der Leitung nur verlangen, wenn er die erforderlichen Kosten vorschießt und trägt.

Im vorliegenden Fall hat zwar nicht die damalige Grundstückseigentümerin, Frau E. G. , die Verlegung der Leitung gefordert. Die genannte gesetzliche Regelung zeigt aber, dass bei dieser Fallkonstellation das Energieversorgungsunternehmen nicht verpflichtet ist, die Leitung auf eigene Kosten zu verlegen. Dies findet seinen inneren Grund in der in § 9 Abs. 3 GBBerG normierten Entschädigungspflicht. Denn dem Eigentümer ist für die kraft Gesetzes dem Energieversorgungsunternehmen eingeräumte Grunddienstbarkeit und die damit verbundene Eigentumsbeeinträchtigung ein Entschädigungsanspruch eingeräumt worden. Wenn aber nicht einmal der Grundstückseigentümer die kostenfreie Verlegung der Leitung verlangen kann, so gilt dies erst recht für einen Dritten, hier für den Träger der Straßenbaulast.

3. Diese Kostentragungsregelung wird auch nicht durch den allgemeinen, aus § 8 Abs. 2 a, 8 und 10 BFStrG abgeleiteten Rechtsgedanken, dass das Kostenrisiko für eine etwaige durch eine Straßenänderung notwendig werdende Verlegung der Versorgungsleitung regelmäßig nicht vom Träger der Straßenbaulast, sondern vom Versorgungsunternehmen selbst zu tragen ist, ausgeschlossen.

a) Dieser Rechtsgedanke gilt nur für Straßengrundstücke selbst. Entgegen der Auffassung des Landgerichts lässt sich aus der im erstinstanzlichen Urteil zitierten Rechtsprechung eine grundsätzliche Erstreckung auf Nachbargrundstücke, die zum Zeitpunkt der Baumaßnahme im Eigentum privater Dritter stehen, nicht entnehmen. Darüber hinaus befasst sich die Rechtsprechung nicht mit der Frage der beschränkt persönlichen Dienstbarkeit nach § 9 Abs. 1 GBBerG.

b) Eine innere Rechtfertigung für eine solche Erstreckung auf Nachbargrundstücke ist auch nicht ersichtlich. Im Gegensatz zur Rechtslage bei Straßenland ist das Versorgungsunternehmen verpflichtet, den Privaten für die kraft Gesetzes eingeräumte Dienstbarkeit zu entschädigen. Eine Kostentragung bei fremd veranlasster Leitungsverlegung würde es daher doppelt belasten. Bei Straßenland erhält das Versorgungsunternehmen dagegen keine gesicherte Rechtsposition (§ 9 Abs. 2 GBBerG), ist andererseits aber auch nicht entschädigungspflichtig. Hier kann der Straßenbaulastträger - sofern keine Vereinbarung geschlossen ist - die Benutzung des Straßenlandes zur Leitungsführung grundsätzlich untersagen (§1004 BGB) und das Versorgungsunternehmen damit zwingen, die Leitung gegebenenfalls auf eigene Kosten zu verlegen.

4. Auch Vereinbarung der Klägerin mit Dritten, wie der Stadt S. , dem Landkreis S. und dem Straßenbauamt St. , die die Klägerin in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 29. März 2001 erwähnt, können die Kostentragungspflicht im Verhältnis zur Beklagten nicht beeinflussen.

II.

Im vorliegenden Fall war die Revision dem Antrag der Klägerin entsprechend gemäß § 546 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da die hier zu entscheidende Rechtsfrage nach Auffassung des Senates grundsätzliche Bedeutung hat. Auf Grund der Situation in den neuen Bundesländern steht zu erwarten, dass auch in Zukunft häufig die Verlegungen von Versorgungsleitungen notwendig wird, die sich nicht unmittelbar im Bereich des Straßengrundstückes befinden, die aber durch Baumaßnahmen an bereits bestehenden Straßen erforderlich werden. Soweit ersichtlich, hat der Bundesgerichtshof über die Frage, wen in diesen Fällen die Kostenlast trifft, noch nicht entschieden (s. BGH, Urteile vom 02.04.1998, III ZR 91/95 und III ZR 251/96, BGHZ 138, 266 ff. und 280 ff.; Beschluss vom 14.01.1999, III ZR 12/98, WM 1999, 740 ff; Urteil vom 02.03.2000, III ZR 141/99, WM 2000, 1147 ff.). Da die Klägerin als Trägerin der Straßenbaulast für Fernstraßen im gesamten Beitrittsgebiet eine andere Rechtsauffassung vertritt, besteht ein Bedürfnis nach höchstrichterlicher Klärung.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO und die Entscheidung über die Beschwer auf 546 Abs. 2 ZPO.



Ende der Entscheidung

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