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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 01.02.2002
Aktenzeichen: 3 StE 2/01
Rechtsgebiete: JGG, StPO, GVG


Vorschriften:

JGG § 41 Abs. 1
StPO § 170 Abs. 2
GVG § 120
GVG § 120 Abs. 2 S. 2
GVG § 74 Abs. 2 S. 1 Nr. 4
GVG § 120 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
Zum Merkmal der besonderen Bedeutung i. S. v. § 120 Abs. 2 S. 1 Nr. 3a) GVG (s.a. BGH, Beschluss vom 21.03.2002 - StB 4/02 -).
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

3 BJs 21/01-4 (10) 3 StE 2/01-4 (2) GBA Karlsruhe

In der Strafsache

wegen versuchten Mordes u. a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg

am 01. Februar 2002

durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hennig, die Richterinnen am Oberlandesgericht Henze-von Staden und Marx-Leitenberger und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Wegehaupt und Sternberg

beschlossen:

Tenor:

Die Anklage des Generalbundesanwalts vom 19. Dezember 2001 (Az.: 3 BJs 21/01-4 (10), 3 StE 2/01-4 (2)), ergänzt mit Schriftsatz des Generalbundesanwalts vom 04. Januar 2002, wird zur Hauptverhandlung zugelassen.

Das Hauptverfahren wird vor dem Landgericht - Jugendkammer - Dessau eröffnet.

Die Untersuchungshaft der Angeklagten D. , M. , K. und L. dauert aus den Gründen der Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 17. August 2001 (Az.: 1 BGs 180/01, 1 BGs 184/01, 1 BGs 182/01 und BGs 186/01) zum dringenden Tatverdacht und Haftgrund nach Maßgabe der zugelassenen Anklage fort.

Gründe:

Der Senat hat die Sache bei Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 120 Abs. 2 S. 2 GVG an die zuständige Jugendkammer des Landgerichts Dessau verwiesen, weil dem Fall keine besondere Bedeutung i. S. v. § 120 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 a) GVG zukommt.

Die besondere Bedeutung i. S. dieser Vorschrift liegt vor, wenn es sich unter Beachtung des Ausmaßes der Verletzung der individuellen Rechtsgüter des durch die Tat konkret Geschädigten um ein staatsgefährdendes Delikt von erheblichem Gewicht handelt, das seine besondere Bedeutung dadurch gewinnt, dass es die dem § 120 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 GVG zugrundeliegenden Schutzgüter des Gesamtstaates in einer derart spezifischen Weise angreift, dass ein Einschreiten des Generalbundesanwaltes und eine Aburteilung durch ein Bundesgerichtsbarkeit ausübendes Gericht geboten ist (BGHSt 46, 238 ff. = BGH NJW 2001, 1359, 1363).

Im Ermittlungsverfahren dieser Strafsache hat der Senatsvorsitzende mit Beschluss vom 10. August 2001 (Az.: 1 AR 59/01) hierzu Folgendes ausgeführt:

"Weder die die Tat prägenden Umstände noch deren Auswirkungen sind von einem derartigen Gewicht, dass ihre Bedeutung als besonders eingestuft werden könnte.

Dabei wird nicht übersehen, dass die Gesinnung, aus der heraus die Tat begangen worden ist, rechtsradikalem Denken entspringt und die Tat darauf gerichtet war, allein ihrer Herkunft wegen mißliebige ausländische Menschen zu schädigen und zu vertreiben. Es bedarf auch keiner weiteren Ausführung, dass grundsätzlich Delikte, wie das hier begangene, schon von kleinen Anfängen an ernst zu nehmen sind und daß sich jede Verharmlosung oder gar Bagatellisierung verbietet. Das darf aber wiederum nicht dazu führen, dass jedem Delikt der hier vorliegenden Kategorie eine besondere Bedeutung i. S. d. § 120 GVG zugemessen wird.

Der hier gegebene Fall ist gegenüber anderen von geringerer Bedeutung. Das zeigt sich schon in der außerordentlich geringen Aufmerksamkeit, die der Vorgang in der Öffentlichkeit gefunden hat - verglichen etwa mit der Aufmerksamkeit in der weltweiten Öffentlichkeit für den vom Senat entschiedenen "Adriano-Fall". So ist beispielsweise der Vorgang Mitgliedern des Senats überhaupt erst durch Übersendung der Akten bekannt geworden.

Er hat in der Presseöffentlichkeit nur lokal und auch hier nur einen äußerst geringen Widerhall gefunden. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Aufmerksamkeit der Presse und der Umfang der Berichterstattung über ein solches Geschehen steuerbar und deshalb kein absolutes Kriterium ist. Der Umfang der Veröffentlichung ist aber mindestens ein wichtiges Indiz für die Bedeutung. Die mangelnde Publizität hier spricht dann gegen eine Gefährdung des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland. Belange des Bundes müssen aber in vergleichbar schwerer Weise berührt werden wie dies bei den anderen in § 120 GVG der Ahndung durch die Bundesjustiz unterstellten Straftaten der Fall ist, wenn eine Beeinträchtigung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik angenommen werden soll (BGH aaO.).

Für die Beurteilung der "besonderen Bedeutung" sind mitbestimmend die tatsächlich eingetretenen Folgen der Tat, ohne dass die hier möglichen gravierenden gefährlichen Auswirkungen übersehen werden dürften, die durch das Eingreifen der Geschädigten und nicht durch das Zutun der Beschuldigten verhindert werden konnten. Hier sind wegen der im frühen Brandstadium schnell erfolgreichen Löschung des Feuers Folgen allein für Sachen konkret eingetreten. Der in der Tatnacht geschätzte Schaden von 50.000,- DM ist zwar hoch aber für sich allein nicht so hoch, dass daraus eine besondere Bedeutung abgeleitet werden könnte.

Eine der Bedeutung des Falles angemessene Ahndung ist durch eine Jugendkammer des Landgerichts Dessau möglich.

Schließlich ist auch von erheblicher Bedeutung, dass es sich bei der Mehrzahl der Täter um Jugendliche bzw. Heranwachsende handelt. Zwar tritt die Zuständigkeit der Jugendgerichte hinter die des Oberlandesgerichts zurück, die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts läuft aber prinzipiell den Intentionen des Jugendgerichtsgesetzes, das für die Behandlung von Jugendstrafsachen in diesen Verfahren erfahrene Richter fordert, zuwider.

Eine großzügige Annahme der Zuständigkeit des Oberlandesgerichts würde die Spezialzuständigkeit und die besondere Erfahrung der Jugendrichter von der Behandlung solcher Verfahren in starkem Maße ausschließen. Auch aus diesem Grunde ist eine zurückhaltende Annahme der Zuständigkeit des Oberlandesgerichts geboten."

Dieser Gesamtwürdigung der Umstände und Auswirkungen der Tat unter besonderer Berücksichtigung des Gewichts ihres Angriffs auf das betroffene Rechtsgut des Gesamtstaates, die auch im Zwischenverfahren fortgilt, schließt sich der Senat an. Ein Delikt, das die Interessen des Zentralstaats besonders nachhaltig berührt und dadurch die Bundesgerichtsbarkeit begründet (vgl. Welp NStZ 2002, 1, 7; s. a. Schnarr MDR 1993, 589, 596) liegt nicht vor.

Das in der Anklageschrift geltend gemachte Argument, die Tat habe aufgrund der sie prägenden Auswirkungen besondere Bedeutung, trifft so nicht zu. Der Senat, der aufgrund seiner Tätigkeit einen Überblick über die rechtsradikalen Straftaten im Land Sachsen-Anhalt hat, kann gerade nicht feststellen, dass die hier angeklagte Tat überhaupt Auswirkungen gezeigt hat. Außer den ersten kurzen Presseberichten unmittelbar nach dem Brandanschlag ist keinerlei weitere Presseberichterstattung oder öffentliche Äußerung zu dieser Tat bekannt geworden.

Auch die beiden weiteren Delikte der hier angeklagten Art, die in der Folgezeit begangen worden sind, haben außer der Meldung, dass sie stattgefunden haben, keine weitere Erwähnung gefunden. Bezug auf die hier angeklagte Tat ist dabei nicht genommen worden. Bei den erwähnten weiteren Taten handelt es sich um einen Brandanschlag mit Molotowcocktails auf ein auch von Ausländern bewohntes Studentenheim in K. am 6.11.2001, das von der Staatsanwaltschaft Dessau als versuchter Mord bei der Jugendkammer Dessau angeklagt worden ist (481 Js 35867/01).

Das andere Verfahren betrifft einen gleichartigen Brandanschlag am 3.11.2000 auf ein vietnamesisches Geschäft in W. mit darüberliegenden bewohnten Räumen, das beim Schöffengericht W. angeklagt worden ist und von diesem wegen des Verdachts des versuchten Mordes an die Jugendkammer beim Landgericht Halle verwiesen worden ist (104 Js 45583/00 StA Halle).

Schließlich hat auch das Argument der Gruppenbildung und des damit möglicherweise verbundenen erhöhten Gefahrenpotentials hier keine ausschlaggebende Bedeutung. Es darf nicht übersehen werden, dass sich die Tätergruppe vor der Tatausführung zum Teil spontan gebildet hat. Mitgenommen wurde auch M. R. , der dann während der Tat mit den Angeklagten in J. war und gegen den das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Die Mitnahme und Anwesenheit eines Unbeteiligten, der aus Sicht eines planenden Täters mindestens als Zeuge in Betracht kommt, spricht nicht für ein gut vorbereites und damit schwererwiegendes Tatverhalten in einer organisierten Gruppe.

Es verbleibt hier demgemäß bei der sachlichen Zuständigkeit der Jugendkammer des Landgerichts als Gericht des ersten Rechtszuges gemäß § 41 Abs. 1 JGG i. V. m. § 74 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 GVG. Der Senat hat deshalb die Sache gemäß § 120 Abs. 2 S. 2 GVG an die auch örtlich zuständige Jugendkammer des Landgerichts Dessau verwiesen.

Ende der Entscheidung

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