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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 09.02.2006
Aktenzeichen: 4 VA 1/04
Rechtsgebiete: ZPO, EGGVG


Vorschriften:

ZPO § 179
EGGVG §§ 23 ff.
EGGVG §§ 24 ff
EGGVG § 29 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

4 VA 1/04 (vorher 7 VA 1 /04) OLG Naumburg

In dem Verfahren

wegen: Anfechtung eines Justizverwaltungsaktes

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Zettel, den Richter am Oberlandesgericht Feldmann und die Richterin am Amtsgericht Meier am 09. Februar 2006 beschlossen:

Tenor:

Das Hauptsacheverfahren wird fortgesetzt. Die einstweilige Anordnung des Senats in dieser Sache vom 12. Oktober 2004 wird aufgehoben.

Die Anträge der Antragstellerin vom 24. September 2004 und vom 03. Januar 2006 werden zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Gerichtskosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Verschiedene Kläger, darunter auch die Firma A. , Ltd., haben am 07. November 2003 u. a. gegen die Antragstellerin dieses Verfahrens vor dem United States District Court for the District of New Jersey, Aktenzeichen MDL No. 1514 03-2182 (JBS), eine Schadensersatzklage erhoben, die dort unter der Bezeichnung "In Re: Electrical Carbon Products Antitrust Litigation" geführt wird. Bei diesem Verfahren handelt es sich um ein Gruppenklageverfahren nach US-amerikanischem Zivilprozessrecht (sog. "class action").

Die Kläger machen als Sammelkläger die Verletzung kartellrechtlicher Vorschriften des amerikanischen Rechtes geltend, und zwar für einen Zeitraum zwischen dem 01. Januar 1990 und dem 31. Dezember 2001. Sie beantragen Schadensersatz in unbestimmter Höhe, wobei die Höhe des tatsächlichen Schadens entsprechend den amerikanischen kartellrechtlichen Vorschriften verdreifacht werden soll (sog. "treble damages").

Die A. , Ltd. ist zum Sonderzusteller für eine Zustellung der Gruppenklage an die Antragstellerin dieses Verfahrens bestimmt worden. Sie hat demzufolge die Antragsgegnerin als Zentrale Behörde nach Art. 2 und 3 des sog. HZÜ um die Zustellung der verfahrenseinleitenden Schriftstücke an die Antragstellerin dieses Verfahrens ersucht.

Die Antragsgegnerin hat diesem Ersuchen entsprochen und den Direktor des Amtsgerichts Quedlinburg um die Ausführungen der Zustellung ersucht. Am 01.09.2004 ist die Zustellung durch den zuständigen Gerichtsvollzieher nach § 179 ZPO bewirkt worden. Die Antragsgegnerin hat den Direktor des Amtsgerichts Quedlinburg allerdings gleichzeitig angewiesen, die Rückleitung des Zustellungsnachweises von der abschließenden Entscheidung des Senats abhängig zu machen, nachdem dieser bereits durch die Antragstellerin angerufen worden war.

Die Antragstellerin macht geltend: Auf dem US-amerikanischen Markt für Kohleprodukte sei es zu Preisabsprachen gekommen. Dadurch benachteiligte Firmen verklagten in der zugrunde liegenden class-action in den Vereinigten Staaten nicht nur die US-amerikanischen Hersteller solcher Kohleprodukte, sondern auch die jeweiligen ausländischen Muttergesellschaften. Damit solle der Druck auf sämtliche Beklagte erhöht und diese sollten zu einem Vergleich gedrängt werden. In der Klage werde jedoch an keiner Stelle dargelegt, wie die Mutterunternehmen der US-amerikanischen Unternehmen an den behaupteten Vorgängen beteiligt gewesen sein sollen.

Damit aber beruhe die Klage gegen die Antragstellerin nicht mehr auf einer substantiellen Grundlage und verstoße deshalb gegen die unverzichtbaren Grundsätze des freiheitlichen Rechtsstaates. Die Zustellung einer solchen Klage sei daher geeignet, die Hoheitsrechte und die staatliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden und die Erledigung des Zustellungsantrags sei aus diesem Grunde gemäß Art. 13 Abs. 1 HZÜ abzulehnen.

Sie hat ursprünglich auch beantragt, die Zustellung bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 1198/03 auszusetzen, in dem anläßlich eines anderen Falles das Bundesverfassungsgericht Umfang und Grenzen des Art. 13 HZÜ verfassungsrechtlich klären werde. Dem lag zugrunde, dass beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde eines deutschen Unternehmens gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf anhängig war (Az.: 2 BvR 1198/03, NJW 2003, 2598 ff., "Napster"; vorgehend OLG Düsseldorf, WM 2003, 1587 ff.). Dort war geltend gemacht worden, die Zustellung einer Klage im Sammelklageverfahren (class- action) über einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 17 Milliarden Dollar gefährde wegen mit der Klage verfolgter rechtsmissbräuchlicher Ziele die Grundrechte der Verfassungsbeschwerdeführerin und verletze deshalb die Hoheitsrechte sowie die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland i. S. von Artikel 13 Abs. 1 HZÜ.

Demgegenüber vertrat die dortige Antragsgegnerin den Standpunkt, es sei mit Sinn und Zweck des HZÜ unvereinbar, bereits im Stadium der Klagezustellung in eine detaillierte Prüfung des ordre public oder sogar in eine materielle Prüfung des Klagebegehrens einzutreten, denn Artikel 13 Abs. 1 HZÜ solle dem ersuchten Staat nicht die Möglichkeit eröffnen, den im Ausland anhängigen Rechtsstreit nach eigenen Auffassungen zu präjudizieren bzw. Ermittlungen über den Hintergrund, den Anlass und die Berechtigung des Klagebegehrens vorzunehmen. Der Anwendungsbereich der genannten Klausel sei deshalb auf besonders gravierende Fälle beschränkt, in denen die Erledigung des Zustellersuchens eine offensichtliche Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen der Rechtsordnung des ersuchten Staates mit sich brächte.

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts war die zugrunde liegende Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. In Abwägung der den Beteiligten entstehenden Nachteile war es zu dem Ergebnis gekommen, es sei nicht erkennbar, dass die Kläger des US-amerikanischen Ausgangsverfahrens durch eine Verzögerung der Klagezustellung in Deutschland bereits unwiderbringliche Rechtsnachteile erlitten oder die zwischenstaatlichen Beziehungen belastet würden. Demgegenüber bestünde ab Zustellung der Klage und der daraus folgenden Einbeziehung der Beschwerdeführerin in den Prozess die Gefahr, dass das amerikanische Gericht in der Sache zu Lasten der Beschwerdeführerin entscheide, wodurch ungeachtet der möglicherweise später versagten Anerkennung des Urteils als Vollstreckungsgrundlage für die Beschwerdeführerin die Gefahr einer Vollstreckung in ausländische Vermögenswerte ebenso wie die einer Beeinträchtigung ihres Ansehens in den internationalen Wirtschaftskreisen bestehe.

Die Geltungsdauer seiner einstweiligen Anordnung hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach verlängert. Inzwischen hat es sie aufgehoben, nachdem die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde zurückgenommen hat.

Unabhängig davon hat das Oberlandesgericht Koblenz mit Beschluss vom 27. Juni 2005 ein bei ihm anhängiges Verfahren gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 EGGVG dem Bundesgerichtshof (dort. Az.: IV AR VZ 3/05) zur Entscheidung vorgelegt, weil es beabsichtigt, unter zwei Gesichtspunkten von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte abzuweichen. Es geht davon aus, dass eine auf einen Kartellrechtsverstoß gestützte Sammelklage nach US-amerikanischem Recht (class action), die auch auf die Verpflichtung eines deutschen Unternehmens zur Zahlung von Strafschadensersatz (treble damages) an alle Arzneimittelkonsumenten in den USA gerichtet ist, keine Zivil- oder Handelssache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 HZÜ ist (Leitsatz 1). Weiterhin geht es davon aus, dass in dem ihm vorliegenden Fall der Anordnung der Zustellung der Klage im Inland im Wege internationaler Rechtshilfe der Souveränitätsvorbehalt aus Art. 13 Abs. 1 HZÜ entgegenstehe (Leitsatz 2) (IPrax 2006, 25 ff.).

Die Antragstellerin macht sich die Erwägungen des OLG Koblenz zu eigen und möchte - falls nicht zu ihren Gunsten entschieden wird - das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofes über den vom OLG Koblenz vorgelegten Fall ausgesetzt wissen.

Die Antragstellerin beantragt nunmehr:

1. Die Veranlassung der Zustellung der in dem Zustellungsantrag der Firma A. , Ltd. in dem Rechtsstreit S. u. a. gegen M. u. a. vor dem United States District Court for the District of New Jersey (MDL 1514, 03-2182 JBS) genannten Schriftstücke an die Antragstellerin durch den Antragsgegner vom 20.07.2004 aufzuheben,

2. das Amtsgericht Quedlinburg anzuweisen, das Zustellungszeugnis nicht zu erteilen, hilfsweise nicht zurückzuleiten und das Zustellungszeugnis zu vernichten,

3. den Antragsgegner anzuweisen, die Erledigung des Zustellungsantrags der Firma A. , Ltd. in o. g. Verfahren an die Antragstellerin abzulehnen.

Hilfsweise zu Ziffern 1. - 3. beantragt die Antragstellerin, 4. die Vollziehung der Bewilligung der Zustellung der in dem Zustellungsantrag der Firma A. , Ltd. genannten Schriftstücke an die Antragstellerin durch den Antragsgegner vom 14. Juli 2004 bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Verfahren IV AR (VZ) 3/05 auszusetzen.

Zugleich beantragt sie im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes,

5. die Vollziehung der Zustellung der in dem im Hauptsacheantrag genannten Zustellungsantrag der Firma A. , Ltd. genannten Schriftstücke an die Antragstellerin durch den Antragsgegner vom 20.07.2004 bis zur Entscheidung des Senats über den Hauptsacheantrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG, hilfsweise bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Verfahren IV AR (VZ) 3/05, auszusetzen,

und

6. das Amtsgericht Quedlinburg anzuweisen, das Zustellungszeugnis bis zur Entscheidung des Senats über den Hauptsacheantrag auf gerichtliche Entscheidung des Senats gemäß §§ 23 ff. EGGVG, hilfsweise bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Verfahren IV AR (VZ) 3/05, nicht zu erteilen und nicht zurückzuleiten.

Die Antragsgegnerin hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt, jedoch das Zustellungsersuchen für zulässig angesehen und deshalb die Zustellung veranlaßt.

Der Senat hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2004 der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die Vollziehung der Zustellung bis zur Entscheidung des Senats über den Hauptsacheantrag weiter zu betreiben und gleichzeitig das Hauptsacheverfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 1198/03 ausgesetzt.

II.

Die Anträge der Antragstellerin sind zulässig. Die Entscheidung des Ministeriums der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt als Zentraler Behörde im Sinne des HZÜ ist ein Justizverwaltungsakt, gegen den der Rechtsweg zum Oberlandesgericht eröffnet ist (§ 23 EGGVG). Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 24 ff EGGVG sind gegeben. Insbesondere fehlt der Rechtsverfolgung der Antragstellerin nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Zustellung durch den zuständigen Gerichtsvollzieher bereits vorgenommen worden ist (OLG Düsseldorf, NJW 92, 3110 ff.; OLG Frankfurt IPrax 92, 166 ff.). Das Rechtshilfeersuchen ist noch nicht erledigt. Der ersuchenden Stelle ist noch kein Zustellungszeugnis nach Art. 6 HZÜ erteilt worden. Deshalb kann die positive Entscheidung der Antragsgegnerin über das Rechtshilfeersuchen jetzt auf jeden Fall noch beseitigt werden. Die Frage, ob derartiges auch noch nach Übersendung des Zustellungszeugnisses möglich ist (vgl. BVerfG ZIP 94, 1353 ff (1355); OLG Frankfurt a.a.O. mit Anm. von Stadler, 147 ff.; Schlosser, EU-Zivilprozeßrecht, 2.A., Rdn. 9 zu Art. 13 HZÜ), stellt sich hier nicht.

Die Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz sind - jedenfalls im Rahmen einer wie hier anhängigen Hauptsache - ebenfalls zulässig, sonst wäre ein effektiver Rechtsschutz nicht mehr möglich (§ 29 Abs. 2 EGGVG i.V.m. § 24 Abs. 3 FGG) (BVerfGE 91, 140 ff.; MünchKommZPO-Wolf, 2.A., Rdn. 20 zu § 23 EGGVG; Zöller/Gummer, ZPO, 24.A., Rdn. 32 zu § 23 EGGVG; Kissel, GVG, 3.A., Rdn 24 zu § 28 u. Rdn. 9 zu § 24 EGGVG).

Die Aussetzung des Verfahrens endete mit dem Ende des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht, wovon auch die Antragstellerin selbst ausgeht. In Fortsetzung des Hauptsacheverfahrens ist die erlassene einstweilige Anordnung des Senats aufzuheben, nachdem die Hauptsache durch Zurückweisung der Anträge der Antragstellerin zu entscheiden ist.

Die Antragstellerin bleibt mit ihren Anträgen ohne Erfolg. Die beantragte Auslandszustellung unterfällt dem Anwendungsbereich des Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (HZÜ). Ein Fall, in dem sie danach untersagt werden könnte, liegt nicht vor. Deshalb sind die diesbezüglichen Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen. Der Senat hält auch die im Verfahren vor dem Bundesgerichtshof aufgrund des Vorlagebeschlusses des OLG Koblenz (IPrax 2006, 25 ff. mit Anm. von Piekenbrock, 4 ff.; nachgehend BGH IV VZ 3/05) zu erwartende Entscheidung nicht für präjudiziell, weshalb das Verfahren nicht bis zu dieser Entscheidung auszusetzen ist, da der Sachverhalt des vorgelegten Verfahrens Besonderheiten aufweist, die dem hier vorliegenden Fall fehlen.

Im einzelnen: Die begehrte Auslandszustellung gegen die Antragstellerin richtet sich nach dem Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (HZÜ) vom 15.11.1965 (Zustimmungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland mit Abdruck des Textes des Übereinkommens: BGBl. 1977 II, 1452 ff.) Sowohl die Bundesrepublik als auch die USA sind diesem Übereinkommen beigetreten. Auslandszustellungen zwischen ihnen richten sich nach diesem Abkommen (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22.A., Rdn. 6 zu § 183).

Das HZÜ bestimmt in seinem Artikel 1, dass es in Zivil- oder Handelssachen in allen Fällen anzuwenden ist, in denen ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück zum Zweck der Zustellung in das Ausland zu übermitteln ist. Dieser Fall liegt hier vor. Anders als vom OLG Koblenz angenommen, fallen auch die punitive-damages- oder exemplary-damages Klagen des US-amerikanischen Rechts unter den Anwendungsbereich des HZÜ, obschon sie privatstrafeähnlichen Charakter haben (BVerfGE 91, 335 ff. = NJW 1995, 649 ff.; Stein/Jonas/Roth, a.a.O., Rdn 60 zu § 183 mit Nw. der OLG-Rspr und Lit.).

Dies dürfte schon allein daraus folgen, dass der Begriff der Zivilsache bei seiner Verwendung in einem internationalen Rechtshilfeabkommen nicht national, sondern autonom interpretiert werden muß (Koch/Diedrich, ZIP 1994, 1830 ff. (1831) m.w.Nw.).

Allerdings kann es - wie bereits vom Bundesgerichtshof entschieden - dahinstehen, ob die Frage der Einordnung von punitive damages Klagen allein nach ausländischem Recht, allein nach deutschem Recht oder im Wege einer Doppelqualifikation nach beiden Rechtsordnungen übereinstimmend zu beantworten ist, da sowohl nach US-amerikanischem Recht wie auch aus deutscher Sicht eine Zivilsache anzunehmen ist (BGHZ 118, 312 ff. (337 f.) = NJW 1992, 3096 ff. mit Anm. von Koch, 3073 ff.).

Im amerikanischen Recht werden punitive damages dem Zivilrecht zugeordnet (Nw. bei BGH a.a.O.).

Strafschadensersatz nach US-amerikanischem Recht wird zugesprochen, wenn der Beklagte nicht nur einen allgemeinen Haftungstatbestand erfüllt, sondern darüber hinaus ein absichtliches, bösartiges oder rücksichtsloses Fehlverhalten gezeigt hat (vgl. BGHZ 118, 312 ff. und Böhmer, NJW 1990, 3049 ff. (3050)). Hauptzwecke sind Bestrafung und Abschreckung (punishment and deterrence). Der Geschädigte soll darüber hinaus für die auf seinem Einsatz beruhende Durchsetzung des Rechts zur Stärkung der Rechtsordnung im allgemeinen belohnt werden. Die fehlende soziale Absicherung des Geschädigten kann ebenso Berücksichtigung finden wie das Regulierungsverhalten des Schädigers oder der Umstand, dass das US-amerikanische Prozeßkostenrecht auch der obsiegenden Partei nur ausnahmsweise die Erstattung ihrer Kosten zubilligt (Beispiele der amerikanischen Rspr. bei Peterson IPrax 1990, 187ff.).

Wenn es dabei auch Elemente mit Strafcharakter gibt, so wird in einem solchen Verfahren gleichwohl dem Grunde nach über das Bestehen oder Nichtbestehen privater Rechte und Rechtsverhältnisse gleichgeordneter Parteien entschieden. Das Verfahren wird von Privaten betrieben und jedenfalls dann, wenn - wie vorliegend - der Strafschadensersatz an den Geschädigten zu entrichten ist, liegt auch nach deutschem Recht eine Zivilsache vor. Demzufolge haben h.M. und die Rspr. - entgegen jetzt OLG Koblenz (a.a.O.) - in der Vergangenheit die punitive damages als Zivilsachen im Sinne des HZÜ angesehen (BGHZ 118, 312 ff. (337 m. umfangreichen weiteren Nw. aus Rspr. und Lit.; rechtssystematisch zur Einordnung auch Piekenbrock, IPrax 2006, 4 ff.(7 f.)). Dies gilt auch für eine sog. class-action, wie sie hier vorliegt. Diese ist eine im US-amerikanischen Recht vorkommende Sammelklage, bei der einzeln aufgeführte Kläger eine nicht näher bekannte, u.U. große Zahl nicht aufgeführter anderer Geschädigter repräsentieren (so inzident BverfGE 108, 238 ff. = NJW 2003, 2598 ff.; Stein/Jonas/Roth, a.a.O.). Unbeschadet dessen, dass das deutsche Rechtssystem eine solche Popularklage nicht kennt, ändert sie dadurch nicht ihren grundsätzlichen Charakter.

Fällt somit die Zustellung im vorliegenden Fall unter den Anwendungsbereich des HZÜ, so kann sie nach dessen Kriterien nicht abgelehnt werden. Nach Art. 13 HZÜ kann die Erledigung eines Zustellungsantrages nur abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat, hier die Bundesrepublik Deutschland, sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. Dabei darf die Erledigung nicht allein aus dem Grund abgelehnt werden, dass der ersuchte Staat nach seinem Recht ein Verfahren nicht kennt, das dem entspricht, für das der Antrag gestellt wird. Dies bedeutet, dass die Zustellung nicht schon wegen Unvereinbarkeit des Klagebegehrens mit dem innerstaatlichen ordre public verweigert werden darf, sondern tatsächlich nur dann, wenn der ersuchte Staat sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden (BVerfGE 91, 353 ff. = NJW 1995, 649 ff. = JZ 1995, 716 ff. mit Anm. von Stadler und mit Anm. von Geimer, EwiR 1995, 161 f. sowie BverfGE 108, 238 ff. = NJW 2003, 2598 ff.; OLG Frankfurt, NJW-RR 2002, 357 ff.).

Dies beinhaltet eine äußerst restriktive Auslegung dieses Ausnahmetatbestandes. Er kann nur zur Anwendung kommen, wenn die ersuchte Zustellung fundamentale Grundsätze der deutschen Rechtsordnung verletzen würde. Dies hat das OLG Düsseldorf in einem Fall angenommen, in dem einem Verfahrensbeteiligten eines inländischen Prozesses ein Prozeßfortführungsverbot (sog. antisuit injunction) zugestellt werden sollte. Darin hat es in der Tat eine Gefährdung der Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland gesehen und demzufolge die Verweigerung der Zustellung durch die Zentrale Behörde gebilligt (IPrax 1997, 260 ff. = ZIP 1996, 294 ff.; Urteilsbesprechung von Hau, IPrax 1997, 245 ff.; vgl. zur europarechtlichen Behandlung von antisuit injunctions nunmehr EuGH, IPrax 2004, 425 ff. mit Anm. von Rauscher, 405 ff.). Umgekehrt hat das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. sogar die Zustellung einer US-amerikanischen Klage mit der Geltendmachung von Ansprüchen nach dem Anti Dumping Act 1916 zugelassen, obwohl die Streitschlichtungsorgane der Welthandelsorganisation (WTO) schon festgestellt hatten, dass die für die Klage maßgeblichen Teile des Act 1916 gegen GATT-Vorschriften verstoßen (NJW-RR 2002, 357 ff.). Allerdings waren im Zeitpunkt der Entscheidung die Umsetzungsfristen für den WTO-Entscheid noch nicht abgelaufen.

An dieser restriktiven Auslegung ist festzuhalten, denn das HZÜ verfolgt das Ziel die Rechtshilfe unter den Vertragsparteien dadurch zu verbessern, dass die technische Abwicklung der Zustellung vereinfacht und beschleunigt wird. Damit wäre es unvereinbar, die innerstaatliche Rechtsordnung zum Prüfungsmaßstab für die Zustellung zu machen (Koch/Diedrich, ZIP 1994, 1830 ff.). Der Zustellungsbetrieb könnte - wenn dies ernsthaft betrieben werden sollte - ohne weiteres damit zum Erliegen gebracht werden.

Es kann offen bleiben, ob auch der Fall darunter zu subsumieren ist, dass die ersuchte Zustellung und bereits sie Grundrechtspositionen des Zustellungsadressaten etwa aus Art. 2 Abs. 1 oder 14 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzten würde (Hierzu kritisch Koch/Diedrich IPrax 1994, 1830 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hält dies in Fällen offenkundig mißbräuchlichen Verfahrensbetriebs für möglich (BverfGE 108, 238 ff. = NJW 2003, 2598 ff. "Napster"), hat jedoch bislang diese Frage noch in keinem Fall positiv entschieden. Im zitierten Fall war die Verfassungsbeschwerde zurückgenommen worden.

Im allgemeinen wird davon ausgegangen werden können, dass die Gewährung von Rechtshilfe durch Zustellung einer US-amerikanischen punitive damages Klage die allgemeine Handlungsfreiheit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht verletzt und auch nicht unverhältnismäßig ist. Schließlich wird mit der Regelung des HZÜ sichergestellt, dass kein Inlandsbürger ohne sein Wissen im Ausland mit einem Verfahren überzogen werden kann, so dass die Regelung auch seinen Interessen dient, indem er sich dadurch gegen die Klage effektiv verteidigen kann (BverfGE 91, 335 ff. (345) = NJW 1995, 649 ff. (650). Mit Recht verweisen Juenger/Reimann deshalb darauf, dass großzügige Zustellungsverbote sich als im weiteren nachteilig für die Zustellungsadressaten erweisen könnten (NJW 1994, 3274 f. (3275), so auch BVerfG a.a.O.).

Ein Zustellungsadressat wie die Antragstellerin könnte außerdem seine Inanspruchnahme in den USA auch bei Nichtdurchführung der Zustellung nicht gänzlich verhindern, da die US-amerikanische Rechtsprechung eine dortige Inlandszustellung an die amerikanische Tochter als alter ego (substitut service) für ausreichend hält, um auch die Muttergesellschaft wirksam in den Prozeß hineinzuziehen (seit der Supreme Court Entscheidung in der Sache Volkswagen AG v. Schlunk, 486 US 694 (1988); Koch IPRax 1989, 313 f.; Koch/Diedrich, ZIP 1994, 1830 ff. (1830 f.)).

Weiterhin wird der Antragstellerin mit der Zustellung nur das Einlassen auf ein Verfahren zugemutet. Dass dies mit Unbequemlichkeiten, Aufwand und Kosten verbunden ist, ist in jeder Rechtsordnung die Folge eines eingeleiteten Verfahrens. Ob eine daraus möglicherweise erwachsende Entscheidung zu Lasten des Zustellungsadressaten im Inland gegen ihn vollstreckt werden kann, ist damit noch nicht entschieden (Zur Frage der Anerkennung eines US-amerikanischen Urteils in derartigen Verfahren kritisch BGHZ 118, 312 ff. = NJW 1992, 3096 ff. und Stiefel/Stürner, VersR 1987, 829 ff.). Auch die aus der Zustellung resultierende Gefahr eines Verfahrens in Abwesenheit bei Nichtbeteiligung hat seine Entsprechung im deutschen Säumnisverfahren.

Die Befürchtung, einem sog. pre-trial-discovery unterzogen zu werden, kann als Hindernis einer Zustellung nach Art. 13 HZÜ ebenfalls nicht anerkannt werden (OLG Frankfurt, NJW-RR 2002, 357 ff. (358)). Mit diesem Abschnitt im amerikanischen Zivilprozeß wird dem Informationsinteresse der Parteien, besonders in Wirtschaftsverfahren, Rechnung getragen. Es ist dies ein Beweis- und Beweisermittlungsverfahren zwischen Klageerhebung und mündlicher Verhandlung unter weitgehender Parteiherrschaft (Das Verfahren wird näher erläutert von Böhmer, NJW 1990, 3049 ff. (3052 ff.)). Selbst die damit verbundene Ausforschung bewirkt nicht, dass seine Durchführung gegen den ordre public im Sinne des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO verstößt (so mit ausführlicher Begründung BGHZ 118, 312 ff. (323 ff.) m. w. Nw. aus Rspr. und Lit.). Die dafür geltenden Gründe müssen umso mehr gelten, wenn es wie hier nicht um einen Verstoß gegen den deutschen ordre public geht, sondern die Zulässigkeit einer Zustellung allein am Maßstab des Art. 13 HZÜ zu messen ist.

Dass aus dem durch die Zustellung geförderten Verfahren ein Urteil hervorgehen kann, dem später die Anerkennung und Vollstreckbarkeit in Deutschland versagt wird (vgl. insbesondere den Fall BGHZ 118, 312 ff.), ist kein Argument, mit dem bereits gegen die Zustellung argumentiert werden kann. Schließlich ist gerade dem Zustellungsrecht auch nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland eine inhaltliche Prüfung der zuzustellenden Dokumente fremd. Zustellungsvorschriften haben formalen Charakter (MünchKommZPO-Wenzel, 2.A., Rdn. 9 zu § 166; BGHZ 76, 222 ff. (229)).

Legt man die o.a. Kriterien als Maßstab an das Zustellungsersuchen im vorliegenden Fall an, so liegt hier kein Fall vor, in dem durch die Zustellung die Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland oder deren Sicherheit gefährdet wäre. Auch verstößt die Zustellung nicht gegen die allgemeine Handlungsfreiheit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.

Dem Senat ist die fortlaufende Diskussion in der Rechtswissenschaft wie auch die Rechtsprechung darüber bekannt, wie mit punitive damages Verfahren und daraus resultierenden Verurteilungen in aus deutscher Sicht exzessiver Höhe umzugehen ist (vgl. BVerfG NJW 2003, 2598 ff.; BGHZ 118, 312 ff.; Stiefel/Stürner, VersR 1987, 829 ff.; Koch, IPrax 1989, 313 f.; Böhmer, NJW 1990, 3049 ff.; Bungert, ZIP 1992, 1707 ff. und ZIP 1993, 815 ff.; Heß, JZ 2003, 923 ff.; Hau, IPrax 1997, 245 ff.; Hirte, VersR 2000, 148 ff.; Oberhammer, IPrax 2004, 40 ff. (45)). Er hält jedoch - entgegen dem OLG Koblenz (a.a.O.) - aus den o.a. Gründen das HZÜ in Fällen einer auf einen Kartellrechtsverstoß gestützten Sammelklage nach US-amerikanischem Recht (class action) mit dem Ziel der Verpflichtung eines deutschen Unternehmens zur Zahlung von Strafschadensersatz (treble damages) für anwendbar.

Ob der Souveränitätsvorbehalt des Art. 13 HZÜ einer Zustellung in Fällen einer offensichtlich mißbräuchlich erhobenen Sammelklage entgegensteht, kann der Senat offen lassen, da dies nach den Umständen des zu entscheidenden Falles hier nicht vorliegt, wobei derartige Fälle - so man sie überhaupt akzeptiert - sowieso nur absoluten Ausnahmecharakter haben könnten (warnend zu BverfGE 108, 238 ff. unter ausführlicher praxisbezogener Darstellung des amerikanischen Verfahrensbetriebes Stürner JZ 2006, 60 ff.).

Die Anträge der Antragstellerin bleiben aus diesen Gründen in jeder Hinsicht erfolglos.

Da der Senat die Anträge der Antragstellerin zurückweist, war eine Beiziehung der Kläger des ausländischen Verfahrens als materiell Beteiligter nicht erforderlich.

Die Antragstellerin hat die Gerichtskosten des Verfahrens zu tragen.

Der Geschäftswert des Verfahrens wird nach rechtlichem Gehör durch gesonderten Beschluss festgesetzt werden.

Ende der Entscheidung

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