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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 09.12.2004
Aktenzeichen: 4 W 43/04
Rechtsgebiete: VGB 88, VVG, BGB, ZPO, StGB


Vorschriften:

VGB 88 § 9 Ziffer 1 lit. a
VVG § 61
BGB § 827 Satz 2
BGB § 104 Nr. 2
BGB § 827
BGB § 105 Abs. 2
ZPO § 387
StGB § 203 Abs. 4
1. Zum Ausschluss der Geschäftsfähigkeit aufgrund einer Alkoholerkrankung.

2. Die ärztliche Schweigepflicht reicht über den Tod des Behandelten hinaus. Zu den Voraussetzungen für die Annahme der Entbindung von der Verpflichtung zur ärztlichen Schweigepflicht in diesen Fällen.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

4 W 43/04 OLG Naumburg_

In dem Verfahren, betreffend die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines erstinstanzlichen Rechtsstreites

...

wegen Leistungen aus einem Sachversicherungsvertrag

hier: sofortige Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Zettel und die Richter am Oberlandesgericht Corcilius und Baumgarten am 09. Dezember 2004 beschlossen:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 14. Oktober 2004 wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichtes Magdeburg vom 09. September 2004 in Verbindung mit dem Nichtabhilfeabschluss vom 18. Oktober 2004 abgeändert und zur Klarstellung neu gefasst.

II. Der Antragstellerin wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M. P. aus E. bewilligt.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Rechtsstreites über Leistungen aus einer Wohnhaus - Universal - Versicherung.

Der von der Antragstellerin gemäß dem Erbschein des Amtsgerichtes Sangerhausen - Nachlassgericht - vom 22. Juni 2004 ( Az. 10 VI 104/04 [ Bl. 95 d.A. ] ) beerbte und am 14. April 2003 verstorbene Ehemann A. R. hatte mit der Antragsgegnerin eine Wohnhaus - Universal - Versicherung unter Einbeziehung der Allgemeinen Wohngebäude - Versicherungsbedingungen ( VGB 88 ) abgeschlossen ( Bl. 14 - 18 und 69 - 89 d.A. ). Versicherte Sache war das Gebäude Sch. 87a in N. nebst Garage und Terrasse ( § 1 Ziffer 1 VGB 88 ).

Am Vormittag des 14. April 2003 entleerte der Versicherungsnehmer A. R. mehrere Propangasflaschen in der Garage im Keller des Anwesens und entzündete das Gas, was zu einer Explosion führte, bei der der Versicherungsnehmer verstarb und das Gebäude zerstört wurde. Die Antragsgegnerin hat ein Gutachten des Sachverständigen Dr.- Ing. C. Rl. aus D. zum Gebäudeschaden eingeholt, der zu einem Gesamtschaden Neuwert in Höhe von 225.686,37 Euro brutto gelangt, was von der Antragstellerin nicht in Zweifel gezogen wird. Mit der beabsichtigten Klage verlangt die Antragstellerin diesen Betrag sowie weitere 9.210,00 Euro für den durch die Explosion zerstörten Hausrat ( Bl. 60f d.A. ).

Die Antragsgegnerin wendet ein, dass der Versicherungsfall vorsätzlich von ihrem Versicherungsnehmer herbeigeführt worden sei und sie deshalb nach § 9 Ziffer 1 lit. a VGB 88 leistungsfrei sei. Die Antragstellerin ist hingegen der Meinung, dass ihr verstorbener Ehemann durch seinen vieljährigen Alkoholmissbrauch psychisch erkrankt gewesen sei und er den Versicherungsfall im schuldunfähigen Zustand herbeigeführt habe.

Die 6. Zivilkammer des Landgerichtes Magdeburg hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom 09. September 2004 zurückgewiesen und zur Begründung der Entscheidung ausgeführt, dass der Antragstellerin nach der Darlegungs- und Beweislastverteilung die Darlegung der Schuldunfähigkeit ihres Gatten im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses obliege. Dem sei sie nicht im ausreichenden Maße nachgekommen, denn eine fortschreitende Alkoholerkrankung, die bei dem Versicherungsnehmer u.a. durch ein aggressives Verhalten gekennzeichnet gewesen sei, genüge nicht für die Annahme der Schuldunfähigkeit. Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit könne nur dann diagnostiziert werden, wenn entweder die Sucht Symptom einer bereits vorhandenen Geisteskrankheit sei oder wenn der durch die Sucht verursachte Abbau der Persönlichkeit bereits den Wert einer Geisteskrankheit erreicht habe. Letzteres liege erst bei durch den Alkoholismus verursachten hirnorganischen Veränderungen mit entsprechender Symptomatik vor. Gerade diese Voraussetzung lasse sich nach dem Vortrag der Antragstellerin nicht feststellen, denn der verstorbene Ehemann habe neben der Alkoholerkrankung nach dem Bericht der ihn behandelnden Ärztin Dr. N. vom 10. Juni 2003 ( Bl. 59 d.A. ) unter der familiären Trennungssituation gelitten.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit der am 15. Oktober 2004 eingegangenen sofortigen Beschwerde vom 14. Oktober 2004. Sie weist darauf hin, dass sie sich zum Beweis der Schuldunfähigkeit ihres Ehemannes auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens bezogen habe. Die auf dem Alkoholabusus beruhenden hirnorganischen Veränderungen hätten ihren Ausdruck in den charakterlichen Veränderungen gefunden. Die krankhaften Vorstellungen ihres getrennt lebenden Ehemannes hätten einer freien Bestimmung des Willens entgegengestanden. Im Übrigen dürfe die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage nicht dazu führen, dass die Rechtsverfolgung im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren so intensiv wie im Hauptsacheverfahren betrieben werden müsse.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichtes Magdeburg vom 09. September 2004 ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden ( §§ 567 Abs. 1 und 2, 127 Abs. 2 ZPO ).

III.

Die beabsichtigte Klage der Antragstellerin auf Zahlung der Versicherungsleistung bietet eine hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass ihr die beantragte Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist ( § 114 ZPO ). Die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichtes Magdeburg hat somit Erfolg.

1.) Zu Recht gehen die Antragstellerin und das Landgericht im Ausgangspunkt unausgesprochen davon aus, dass es auf den Grad der Alkoholisierung des tödlich verletzten Ehemannes im Zeitpunkt der Explosion nicht ankommt. Selbst wenn er sich durch die Einnahme alkoholhaltiger Getränke in einem die Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand befunden haben sollte, was in den meisten Selbstmordfällen von Alkoholikern gerade nicht der Fall ist, wäre die Antragsgegnerin über den im Rahmen des § 61 VVG ( § 9 Ziffer 1 lit. a VGB 88 ) anwendbaren § 827 Satz 2 BGB leistungsfrei, wenn er sich vorsätzlich oder grob fahrlässig in den Zustand der Zurechnungsunfähigkeit versetzt haben sollte. Die Leistungsfreiheit setzt dagegen nicht voraus, dass der Versicherungsnehmer schuldhaft mit der Möglichkeit einer Schadensherbeiführung gerechnet hat. Daneben sind noch die Grundsätze der actio libera in causa anwendbar. Damit obliegt es dem Versicherungsnehmer versicherungsrechtlich selbst bei der bestehenden Selbstmordabsicht, vor der eigenen Alkoholisierung Vorkehrungen gegen schadensstiftende Handlungen vorzunehmen ( BGH NJW 1989, 1612 [ 1613 ]; LG Bochum VersR 1976, 949 mit Anm. von Anton Martin; Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Auflage, O I RdNr. 35f ).

2.) Somit können der Antragstellerin nur dann Leistungen aus dem abgeschlossenen Sachversicherungsvertrag zustehen, wenn sich deren Ehemann im Zeitraum des Schadensfalles dauerhaft im Zustand der Schuldunfähigkeit befunden hat. Dieser Zustand setzt eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit in einem Umfang voraus, der nach § 104 Nr. 2 BGB zur Geschäftsunfähigkeit geführt hat ( BGH NJW 1989, 1612; Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Auflage, O I RdNr. 31 ). Insoweit ist die Antragstellerin darlegungs- und beweisbelastet, weil die Rechtsordnung - was § 827 BGB deutlich zeigt - grundsätzlich von der Schuldfähigkeit der handelnden Personen ausgeht ( Beckmann / Matusche - Beckmann - Heß, Versicherungsrechts - Handbuch, 1. Auflage, § 16 RdNr. 81; teilweise a.A. Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Auflage, O I RdNr. 55ff ).

a) Die krankhafte Störung im Sinne von § 104 Nr. 2 BGB muss zu einem Ausschluss der freien Willensbildung führen. Das ist dann der Fall, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidungen unbeeinflusst von der Geistesstörung ( Vorstellungen, Empfindungen und Einflüsse dritter Personen ) zu bilden und von vernünftigen Überlegungen abhängig zu machen und nach dieser Einsicht zu handeln, sondern von dem krankhaften Empfinden widerstandslos beherrscht wird. Damit wird die Geschäftsfähigkeit nicht nach den Fähigkeiten des Verstandes bzw. nach den intellektuellen Fähigkeiten beurteilt, sondern nach der Freiheit der Willensentschlüsse ( RGZ 103, 399 [ 401 ]; 130, 69 [ 71 ]; BGH NJW 1996, 918 [ 919 ]; BGH NJW 1970, 1680 [ 1681 ]; BayObLGZ 2002, 189 [ 201 ]; Bamberger / Roth - Wendtland, BGB, 1. Auflage, § 104 RdNr. 9; Staudinger - Dilcher, BGB, 12. Auflage, § 104 RdNr. 22 ).

b) Bei dem Ausschluss der freien Willensbildung und der Fähigkeit danach zu handeln muss es sich in Abgrenzung zu § 105 Abs. 2 BGB um einen Dauerzustand handeln. Seiner Natur nach wirkt Alkohol jeweils nur zeitlich limitiert, so dass eine Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB an sich ausscheidet. Die alkoholisierte Person wird für den Zeitraum ihrer Alkoholisierung ausreichend durch § 105 Abs. 2 BGB geschützt. Auch der chronische Alkohol- und Drogenmissbrauch rechtfertigt für sich allein noch nicht die Annahme einer dauerhaften Störung. Der Alkoholabusus erreicht erst dann den Grad einer Störung der Geistestätigkeit, wenn die Sucht entweder Symptom einer bereits vorhandenen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ist oder wenn der Missbrauch zu einer organischen Veränderung des Gehirnes geführt hat, infolge dessen es zu einem Abbau der Persönlichkeit gekommen ist, der zum dauerhaften Ausschluss der freien Willensbildung geführt hat ( BayObLGZ 2002, 189 [ 202 ] = NJW 2003, 216 [ 219f ]; BayObLG FamRZ 1991, 608 [ 609 ]; VG Bayreuth VersR 1982, 890 [ 891 ]; Bamberger / Roth - Wendtland, BGB, 1. Auflage, § 104 RdNr. 9 ).

c) Nach diesen Grundsätzen genügt der Vortrag der Antragstellerin, um in ein ordentliches Klageverfahren überzugehen, in dessen Rahmen Beweis, möglicherweise nach ergänzenden und verfahrensfördernden Hinweisen durch das Landgericht, über die Fragen der Geschäftsfähigkeit und der alkoholbedingten hirnorganischen Schädigung des verstorbenen Ehemannes zu erheben sein wird.

aa) Der Vortrag der Antragstellerin beschränkt sich letztlich darauf, dass sich ihr verstorbener Ehemann neben der allgemeinen Behandlung durch seinen Hausarzt Dr. F. in S. in der Zeit vom 27. Januar bis zum 08. Februar 1992 in Behandlung der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. K. in S. befunden hat und sich vom 29. Dezember 1999 bis zum 12. Januar 2000 in der Suchtklinik B. und vom 11. Januar 2001 bis zum 15. Januar 2001 in der Fachklinik E. /H. aufgehalten hat. In der Zeit vom 27. November 2001 bis zum 25. April 2002 wurde er von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. aus E. behandelt, die ursprünglich von einer mittelschweren depressiven Phase bei Alkoholabhängigkeit ausging und die Alkoholproblematik zuletzt als gelöst ansah ( Bl. 59 d.A. ). Er soll den Status eines Gammatrinkers erreicht haben. Dabei handelt es sich nach der fünfstufigen Einteilung von Jellinek ( Alphatrinker bis Epsilontrinker ) um Alkoholkonsum mit Kontrollverlust, Abhängigkeit und körperlichen und sozialen Problemen ( Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Auflage, Stichwort: Alkoholkrankheit ).

bb) Dieser Vortrag allein enthält zwar nicht genügend Anknüpfungstatsachen, um ein Sachverständigengutachten über die Geschäftsfähigkeit des verstorbenen Ehemannes erstatten zu können. Allerdings ist im Rahmen des Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens zu bedenken, dass es der Antragstellerin in dieser Phase nicht möglich ist, weitere Tatsachen vorzutragen, weil ihr diese von den behandelnden Ärzten aus Rechtsgründen bislang nicht mitgeteilt worden sind. Insoweit bedarf es ( möglicherweise ) der Durchführung eines Zwischenverfahrens nach § 387 ZPO, in dem durch Zwischenurteil über die Zulässigkeit der Zeugnisverweigerung eines Zeugen entschieden wird.

( 1.) Die Schwierigkeiten der Antragstellerin sind in der die den verstorbenen Ehemann behandelnden Ärzte auch noch nach dessen Tod gemäß § 203 Abs. 4 StGB bindenden ärztlichen Schweigepflicht begründet. Nach allgemeiner Auffassung in der Rechtslehre erlischt die Verfügungsbefugnis über Geheimnisse aus dem persönlichen Lebensbereich des Patienten mit dessen Tod, so dass eine Entbindung von der Schweigepflicht grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt, insbesondere auch nicht durch die Erben und / oder nächsten Angehörigen qua ihrer Rechtsstellung, weil sie, die Schweigepflicht, als höchstpersönliches Recht nicht vererblich ist. Mit dem Wegfall des Patienten als Rechtspersönlichkeit wird der Arzt als ein zur Verschwiegenheit verpflichteter Treuhänder betrachtet ( RGSt 71, 21 [ 22 ]; BGHZ 91, 392 [ 398f ]; BGH NJW 1983, 2627 [ 2628 ]; BayObLGZ 1986, 332 [ 334f ] = NJW 1987, 1492; Laufs / Uhlenbrock - Ulsenheimer, Handbuch des Arztrechtes, 3. Auflage, § 70 RdNr. 10; LK - Schünemann, StGB, 11. Auflage, § 203 RdNr. 117; Sch / Sch - Lenckner, StGB, 26. Auflage, § 203 RdNr. 25 ). Teilweise wird eine Ausnahme erwogen, soweit es um die vermögenswerten Geheimnisse geht, die in die Disposition der Erben fallen sollen, und soweit es sich um die Tatsachen handelt, deren Kenntnis für die Wahrnehmung nachwirkender Persönlichkeitsbelange erforderlich ist. Hinsichtlich dieser Tatsachen sollen die nächsten Angehörigen dispositionsbefugt sein ( BGH NJW 1983, 2627 [ 2628 ] ).

( 2.) Reicht somit die ärztliche Schweigepflicht grundsätzlich über den Tod des Patienten hinaus, kommt es für die Entbindung von der Schweigepflicht, bei der es sich um eine Rechtsfrage handelt und über die im Zivilrechtsstreit bindend im Verfahren gemäß § 387 ZPO entschieden werden kann, auf den ausdrücklich oder konkludent geäußerten Willen des Verstorbenen gegenüber dem Arzt oder auch Dritten an ( Bundesdisziplinarhof - Wehrdienstsenat - NJW 1960, 550 [ 552 ] ). Ein solcher wird von der Antragstellerin bislang nicht behauptet und nach der Lebenserfahrung liegt es auch eher fern, dass sich der Verstorbene vor seinem Selbstmord und der Zerstörung des versicherten Gebäudes mit der Frage der Entbindung der ihn behandelnden Ärzte im Rechtsverhältnis seiner getrennt lebenden Ehefrau gegen die Antragsgegnerin beschäftigt und einen konkreten Willen zu dieser Problematik gebildet und geäußert hat. Beide Parteien werden im Rechtsstreit aber noch Stellung zu diesem Punkt nehmen können.

( 3.) In diesem Fall ist in einer nächsten Stufe der mutmaßliche Wille des Patienten durch das Gericht zu erforschen. Dieser im Einzelfall festzustellende Wille kann dadurch geprägt sein, dass das Interesse des Verstorbenen an der Geheimhaltung erloschen sein kann. Entscheidend für die Erforschung des mutmaßlichen Willens ist das wohlverstandene Interesse des Verstorbenen an der weiteren Geheimhaltung der dem Arzt anvertrauten Tatsachen. Für eine bestimmte und im Rechtsleben bedeutende Fallgruppe hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass das wohlverstandene Interesse eines Erblassers nicht dahingeht, dass seine Testierunfähigkeit geheim bleibt, sondern das wohlverstandene Interesse geht dahin, dass die allgemeinen Vorschriften zum Schutze einer testierunfähigen ( geschäftsunfähigen ) Person nicht durch die ärztliche Schweigepflicht unterlaufen werden ( BGHZ 91, 392 [ 400 ] ). Nach einer Ansicht in der Literatur soll das wohlverstandene Interesse eines Patienten auch dahin gehen, dass die Tatsachen aufgedeckt werden, die zur Durchsetzung einer Versicherungsforderung erforderlich sind ( LK - Schünemann, StGB, 11. Auflage, § 203 RdNr. 56; Laufs / Uhlenbrock - Ulsenheimer, Handbuch des Arztrechtes, 3. Auflage, § 70 RdNr. 10; Rein VersR 1977, 121 ).

( 4.) Bleibt der mutmaßliche Wille des Verstorbenen nach dem Versuch seiner Ermittlung zweifelhaft, liegt es in der Verantwortung des Geheimnisträgers, von den ihm bekannten Umständen auf den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zu schließen und nach einer gewissenhaften Prüfung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes zu befinden. Dabei kann sich die Sachlage auch durch den Tod geändert haben, denn ein Patient mag z.B. zu Lebzeiten ein Interesse an der Geheimhaltung seiner diagnostizierten Erkrankung mit einer geringen Lebenserwartung haben, nach seinem Ableben wäre dieses Interesse an der Geheimhaltung fortgefallen. Der Arzt ist auf der einen Seite durch sein Standesethos und auf der anderen Seite durch die Interessen des verstorbenen Patienten zu einer gewissenhaften Prüfung verpflichtet. Hierbei verbleibt ihm ein gewisser Entscheidungsspielraum, der durch die Gerichte nur eingeschränkt auf die Überschreitung seiner Grenzen überprüfbar ist. Dies setzt allerdings voraus, dass der Arzt die Gründe, auf die er seine Zeugnisverweigerung stützt, nachvollziehbar darlegt, damit das Gericht in die Lage versetzt wird, über die Frage der Überschreitung des Beurteilungsspielraumes zu entscheiden. Auf der anderen Seite wird der Arzt jedoch auch zu beachten haben, dass er auch allein durch die Begründung seiner Entscheidung nicht gegen das Gebot der Verschwiegenheit verstößt. Das bedeutet zum einen, dass sich der Arzt nicht allgemein und lapidar auf Gründe des Gewissens oder des Standesethos berufen kann. In diesem Fall ist der Arzt zur Aussage verpflichtet. Sollte daher der Hausarzt Dr. F. aus S. seine Zeugnisverweigerung weiterhin alleine mit seiner Rechtsansicht begründen, dass die Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht nicht von den Erben erklärt werden könne, wäre die Erfüllung seiner Zeugenpflicht ohne weiteres mit den Zwangsmitteln der Zivilprozessordnung durchzusetzen ( vergl. BGHZ 91, 392 [ 400 ]; BGH NJW 1983, 2627 [ 2630 ]; BayObLGZ 1986, 332 [ 336 ] ). Zum anderen dürfen für die Begründung der Zeugnisverweigerung keine sachfremden Erwägungen herangezogen werden, wie zum Beispiel die Befürchtung, dass durch die Auskunft bzw. durch den Einblick in die Krankenakten ein haftungsbegründender Behandlungsfehler aufgedeckt werden würde ( BGH NJW 1983, 2627 [ 2629 ] ). Nach Maßgabe dieser Ausführungen wird das Landgericht an der Ermittlung der notwendigen Anknüpfungstatsachen mitzuwirken haben.

cc) Der Senat merkt an dieser Stelle an, dass es für den gerichtlichen Sachverständigen auch von Bedeutung sein kann, welcher Art die Verletzungen waren, die der Antragstellerin von ihrem verstorbenen Ehemann zugefügt worden sind und wie dies geschah, da hieraus möglicherweise auch Rückschlüsse auf die jeweilige Verfassung des Ehemannes gezogen werden können. Insoweit mag die Antragstellerin auch darüber entscheiden, ob sie die sie behandelnden Ärzte von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit befreien will.

3.) Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe liegen vor.

...

Unter Einbeziehung dieser besonderen Belastungen erscheint hier ratenfreie Prozesskostenhilfe gerechtfertigt. Danach ist wie erfolgt über die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichtes Magdeburg zu entscheiden.

IV.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht ersichtlich. Weder haben die hier entschiedenen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung, noch ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ( § 574 Abs. 3 S. 1 ZPO ).



Ende der Entscheidung

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