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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 20.08.2003
Aktenzeichen: 5 U 53/03
Rechtsgebiete: StGB, BGB


Vorschriften:

StGB § 176
StGB § 176a
BGB § 847 Abs. 1
BGB § 847 Abs. 2
1. Es entsteht einem Kind allein durch den mit ihm ausgeübten Geschlechtsverkehr und dem damit verbundenen Eingriff in seine durch die §§ 176 und 176a StGB geschützte, vor sexuellen Erlebnissen und ihren Folgen freie kindliche Gesamtentwicklung ein nach § 847 Abs. 1 und 1 BGB a. F. ersatzfähiger Nichtvermögensschaden.

2. Die Einvernehmlichkeit des Beischlafs hindert weder die Tatbestandmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit des Handelns.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 53/03

verkündet am: 20. August 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Braun, der Richterin am Oberlandesgericht Marx-Leitenberger und der Richterin am Landgericht Ewald auf die mündliche Verhandlung vom 20. August 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 11. April 2003 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dessau teilweise abgeändert und im Übrigen mit den Feststellungen aufgehoben.

Der Beklagte hat der Klägerin den immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr durch den Vollzug des Geschlechtsverkehrs zwischen den Parteien in der Zeit vom 15./16. Mai bis Juni 2001 entstanden ist.

Bezüglich der Höhe des Schmerzensgeldes und der Frage der Kosten des Rechtsstreits wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Dessau zurückverwiesen.

Der Streitwert für die Berufung beträgt 6.650,00 EUR.

Gründe:

I.

Zum Sach- und Streitstand in erster Instanz einschließlich der dort ergangenen Entscheidung nimmt der Senat Bezug auf das am 11. April 2003 verkündete Urteil (Leseabschrift Bl. 138 ff., Bd. I d. A.).

Nunmehr ist unstreitig, dass der Beklagte der Vater des am 13. März 2002 geborenen Sohnes der Klägerin ist.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts. Sie beanstandet insbesondere dessen Auffassung, der fehlende Nachweis einer Vergewaltigung in der Nacht vom 15. Mai zum 16. Mai 2001 ziehe die vollständige Abweisung der Klage nach sich. Sie macht sich hilfsweise den Vortrag des Beklagten zu eigen, während, vor und nach der Nacht vom 15. Mai 2001 zum 16. Mai 2001 sei es zwischen den Parteien zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr gekommen. Sie ist der Ansicht, auch im Falle wiederholten und ausschließlich einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs zwischen den Parteien hafte ihr der Beklagte auf Schmerzensgeld, weil er in ihr durch §§ 176 f. StGB geschütztes Recht auf eine vor verfrühten sexuellen Kontakten geschützte, ungestörte körperliche und seelische Entwicklung eingegriffen habe. Das Landgericht habe ihre Substantiierungslast überspannt, in dem es ihren Vortrag im Schriftsatz vom 06. März 2003 (Bl. 88 ff. d. A.), sie leide an psychischen Störungen, die sich in Aggressivität gegenüber Dritten sowie Selbstverletzungshandlungen äußere und diese Schäden ihre Ursache in der Vergewaltigung vom 15./16. Mai 2001 hätten, als unzureichend angesehen habe. Es hätte nicht unberücksichtigt lassen dürfen, dass der Beklagte eingeräumt hat, mehrfach mit ihr sexuell verkehrt zu haben. Jedenfalls leide sie infolge ihrer verfrühten sexuellen Kontakte zum Beklagten an den in erster Instanz beschriebenen psychischen Störungen.

Die Klägerin beantragt,

das am 11. April 2003 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dessau abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts bestellt wird, doch mindestens 6.650,00 EUR betragen sollte nebst 5 v. H. Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01. Juli 2002 zu zahlen,

hilfsweise,

die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und wiederholt seinen Vortrag aus erster Instanz, wonach die Klägerin in den Geschlechtsverkehr mit ihm eingewilligt habe. Das gemeinsame Kind sei erst nach der Nacht vom 15. zum 16. Mai 2001 gezeugt worden. Er bestreitet weiterhin, dass die Klägerin durch die ausnahmslos freiwilligen sexuellen Kontakte zu ihm Schäden erlitten hat und hält an seiner Ansicht fest, das Einverständnis schließe die Tatbestandlichkeit einer Rechtsgutverletzung aus, diese sei jedenfalls nicht rechtswidrig. Noch immer sei der Vortrag der Klägerin zu ihren Körperschäden und psychischen Einschränkungen unsubstantiiert und auch nicht ansatzweise belegt.

II.

Die Berufung ist zulässig und insoweit begründet, als die Klägerin gegen den Beklagten dem Grunde nach Anspruch auf Schmerzensgeld nach den § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 176 Abs. 1, 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB und 847 BGB a. F., Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB hat. Die bisherigen Feststellungen des Landgerichts bilden jedoch keine ausreichende Grundlage für die endgültige Bemessung des Schmerzensgeldes.

Wird ein Schadenersatzanspruch - wie hier - auf § 823 Abs. 2 BGB gestützt, gelten dieselben Beweisgrundsätze wie im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB. Regelmäßig hat also derjenige, der durch den Verstoß gegen ein Schutzgesetz verletzt zu sein behauptet, zu beweisen, dass ein Verstoß vorliegt, ein Schaden eingetreten ist und zwischen dem Verstoß und dem bei ihm eingetretenen Schaden ein ursächlicher Zusammenhang besteht; nicht etwa hat der Zuwiderhandelnde den Beweis dafür zu erbringen, dass es an einem solchen Zusammenhang fehlt (BGH NJW 1984, 432 ff.).

Es steht außer Streit, dass der am 31. August 1974 geborene Beklagte mit der am 22. August 1987 geborenen Klägerin in der Nacht vom 15. zum 16. Mai 2001 den Beischlaf vollzogen und damit zumindest den Tatbestand der §§ 176 Abs. 1 und 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt hat. Die Einvernehmlichkeit des Beischlafs hindert weder die Tatbestandsmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit des Handelns des Beklagten. §§ 176 und 176 a StGB sind Schutzgesetze i. S. des § 823 Abs. 2 BGB. Wegen des in der Nacht vom 15. Mai 2001 zum 16. Mai 2001 vollzogenen Beischlafs ist der Angeklagte auch vom Amtsgericht Bitterfeld rechtskräftig wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt worden, wobei die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Dagegen hat die Klägerin nicht nachweisen können, dass der Beklagte sie in der Nacht vom 15. zum 16. Mai 2001 vergewaltigt hat. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die sexuellen Kontakte zwischen den Parteien einvernehmlich waren und der am 23. März 2002 geborene gemeinsame Sohn der Klägerin und des Beklagten entgegen der Darstellung der Klägerin erst nach dem 16. Mai 2001 gezeugt wurde. Insoweit wird auf die rechtsfehlerfrei gewonnenen Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen (Bl. 6 LGU). Der Senat schließt sich der Würdigung des vom Landgericht durch Vernehmung der Zeugen H. und R. gewonnenen Beweisergebnisses an.

Der Klägerin ist allein durch den Geschlechtsverkehr mit dem Beklagten und dem damit verbundenen Eingriff in ihre durch die §§ 176 und 176 a StGB geschützte, vor sexuellen Erlebnissen und ihren Folgen freien kindlichen Gesamtentwicklung ein nach § 847 Abs. 1 und 2 BGB a. F. ersatzfähiger Nichtvermögensschaden entstanden. Bei der gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zu bestimmenden Höhe des Schmerzensgeldes sind jedoch alle Umstände der Tat, die Art und Dauer der dadurch hervorgerufenen Schäden, das Alter und die persönlichen Vermögensverhältnisse sowohl des Verletzten als auch des Schädigers zu berücksichtigen. Diese Umstände sind bislang nicht hinreichend aufgeklärt.

Die Klägerin hat schon in erster Instanz vorgetragen, unter Anfällen von Aggressivität und Zerstörungswut gegenüber Dritten und sich selbst zu leiden und dies auf den Beischlaf in der Nacht vom 15. zum 16. Mai 2001 zurückgeführt. Hierfür hat sie u. a. Beweis durch Sachverständigengutachten angeboten, den das Landgericht übergangen hat. Ihrem Berufungsvorbringen ist zu entnehmen, dass sie an diesem Vortrag und dem Beweisantritt weiter festhält. Dieser Vortrag kann nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil die Klägerin in erster Instanz stets behauptet hat, es sei nur einmal und ohne ihr Einverständnis unter Gewaltanwendung seitens des Beklagten zum Beischlaf gekommen und sich das Vorbringen des Beklagten, sie habe in den - wiederholten - Geschlechtsverkehr eingewilligt, erst in zweiter Instanz hilfsweise zu Eigen gemacht hat (§§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO). Obwohl das Landgericht den dem Vorbringen der Klägerin entgegenstehenden, für sie aber möglicherweise günstigen Vortrag des Beklagten der Entscheidung nicht zu Grunde legen durfte, solange die Klägerin den gegnerischen Vortrag als unzutreffend zurückwies (BGH NJW 1989, 858 f), durfte es nicht außer Acht lassen, dass es zumindest in der Nacht vom 15. zum 16. Mai 2001 zwischen den Parteien zum Beischlaf gekommen war - wenn auch die Anwendung von Gewalt nicht festgestellt werden konnte. Dass dieser Beischlaf die von der Klägerin beschriebenen psychischen Beeinträchtigungen nach sich zieht, ist nicht ausgeschlossen, zumal es möglich erscheint, dass die Klägerin angesichts ihres familiären Hintergrundes besonderen Spannungen ausgesetzt ist. Das Landgericht hat die Darlegungs- und Beweislast der Klägerin in diesem Punkt überspannt, indem es weitere Darlegungen zu den Leiden der Klägerin forderte. Über die Frage der von der Klägerin behaupteten Leiden und der Ursächlichkeit des sexuellen Missbrauchs durch den Beklagten hierfür ist daher Beweis durch Sachverständigengutachten zu erheben.



Ende der Entscheidung

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