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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 20.08.2003
Aktenzeichen: 5 U 67/03
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 19 Abs. 2
1. Die Überschuldung eines Unternehmens ist im Geltungsbereich des § 19 Abs. 2 InsO allein anhand des Ergebnisses der Überschuldungsbilanz zu beurteilen, das - je nach Wahrscheinlichkeit der Unternehmensfortführung - unterschiedlich zu ermitteln ist.

2. Ist bereits das Ergebnis der Überschuldungsbilanz zu Fortführungswerten negativ, besteht grundsätzlich Insolvenzantragspflicht trotz positiver Fortbestehensprognose.

3. Da in der Überschuldungsbilanz die Aktivposten nur dann mit den Fortführungswerten angesetzt werden dürfen, wenn eine positive Fortbestehensprognose gestellt werden kann und die Wahrscheinlichkeit der Fortführung des Unternehmens bereits die in der Überschuldungsbilanz einzusetzenden Werte beeinflusst, hat der Geschäftsführer in der Krise zunächst der Frage der Fortführungsmöglichkeit des Unternehmens nachzugehen.

4. Eine Fortbestehensprognose setzt grundsätzlich die Aufstellung eines dokumentierten Ertrags- und Finanzplanes voraus (Baumbach/Hueck-Schulze-Osterloh, a. a. O. m. w. N.). Die Prognose ist positiv, wenn sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit ergibt, dass die Gesellschaft mittelfristig Einnahmenüberschüsse erzielen wird, aus denen die gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten gedeckt werden können.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 67/03 OLG Naumburg

verkündet am: 20. August 2003

In dem Rechtsstreit

...

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Braun, der Richterin am Oberlandesgericht Marx-Leitenberger und der Richterin am Landgericht Ewald auf die mündliche Verhandlung vom 20. August 2003 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 25. April 2003 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Dessau teilweise abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 35.705,31 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 vom Hundert über dem Basiszinssatz seit dem 14. August 2002 zu zahlen. Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 1/5 und der Beklagte 4/5.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,00 Euro abwenden, wenn die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000,00 EUR abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Streitwert der Berufung beträgt 41.418,16 Euro.

Gründe:

I.

Wegen des Sach- und Streitstandes in I. Instanz einschließlich der dort ergangenen Entscheidung nimmt der Senat Bezug auf das am 25. April 2003 verkündete Urteil (Leseabschrift Bl. 158 Bd. I d. A.). Klarzustellen ist allerdings, dass in dem Protokoll vom 06. Februar 2002, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 68 f., Bd. I d. A.) nur festgehalten wird, dass die Insolvenzschuldnerin nicht zahlungsunfähig sei. Dass sie nicht überschuldet war, wird in dem Protokoll nicht ausdrücklich festgestellt.

Ferner hat der Beklagte in erster Instanz Einwände gegen die Höhe des geltend gemachten Schadens erhoben. Er hat vorgebracht, der in dem geltend gemachten Rechnungsbetrag enthaltene kalkulierte Gewinn der Klägerin sei nur dann als Schaden anzusehen, wenn sie im Fall des Nichtkontrahierens mit der Insolvenzschuldnerin einen vergleichbaren Auftrag hätte erhalten können. Hierzu fehle es jedoch an jeglichem Vortrag. Dies gelte auch für die Höhe des von der Klägerin kalkulierten Gewinnanteils. Schließlich dürfe die Klägerin die Umsatzsteuer nicht als Schadensersatz verlangen.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts. Sie beanstandet insbesondere, dass die Frage der Überschuldung der Insolvenzschuldnerin vollständig außer Betracht gelassen worden sei. Im Übrigen hält sie an ihrer Auffassung fest, die Insolvenzschuldnerin sei bereits am 22. Februar 2002 zahlungsunfähig gewesen. Schon zu diesem Zeitpunkt habe der Beklagte gewusst, dass die für die Zahlung der Löhne für Februar 2002 erforderlichen Mittel zum Fälligkeitszeitpunkt nicht zur Verfügung stehen würden. Auch sei die Insolvenzschuldnerin nicht in der Lage gewesen, ihre Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt auszugleichen. Vor diesem Hintergrund habe der Beklagte als ordentlicher Kaufmann damit rechnen müssen, dass er seinen vertraglichen Verpflichtungen der Klägerin gegenüber nicht werde nachkommen können. Sie hält des Weiteren daran fest, dass das Betriebsgrundstück am W. 40 im Liquiditätsstatus vom 06. Februar 2002 nicht mit einem Wert von 1 Mio. DM hätte angesetzt werden dürfen, vielmehr hätten die Abrisskosten in Höhe von 300.000 DM berücksichtigt werden müssen. Schließlich hätten die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen im Hinblick auf bestehende Gewährleistungsansprüche vorsichtiger bewertet werden müssen.

Im Übrigen nimmt die Klägerin Bezug auf ihren Vortrag erster Instanz.

Die Klägerin beantragt nach teilweiser Rücknahme der Berufung,

das am 25. April 2003 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Dessau abzuändern und den Beklagten zur Zahlung von 35.705,31 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 vom Hundert über dem Basiszinssatz seit dem 14. August 2002 an die Klägerin zu verurteilen,

hilfsweise

das am 25. April 2003 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Dessau aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er stellt die Überschuldung der Insolvenzschuldnerin zum 22. Februar 2002 in Abrede. Zu diesem Zeitpunkt habe die Insolvenzschuldnerin weder Steuerschulden gehabt noch seien die Löhne und Gehälter fällig gewesen. Die Abrisskosten von 300.000,00 DM seien nur im Rahmen der Verkaufsverhandlungen mit der Firma K. von Bedeutung gewesen. Eine Reduzierung des Verkehrswertes des Grundstücks sei damit nicht verbunden gewesen.

Im Übrigen nimmt der Beklagte Bezug auf seinen Vortrag in erster Instanz.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 35.705,31 EUR (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 64 Abs. 1 GmbHG).

Der Beklagte hat gegen die ihm nach § 64 Abs. 1 GmbHG obliegende Pflicht verstoßen, bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft unverzüglich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Die Vorschrift des § 64 Abs. 1 GmbHG ist, worüber seit langem Einigkeit besteht, ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB zu Gunsten der Gesellschaftsgläubiger.

Wie das Landgericht im Ansatz zutreffend erkannt hat, oblag es dem Beklagten als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, die sich aus § 64 Abs. 1 GmbHG ergebende Verpflichtung zu erfüllen, bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung der Gesellschaft die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne schuldhaftes Zögern zu beantragen.

Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob die Insolvenzschuldnerin am 19. Februar 2002 bereits zahlungsunfähig war, denn sie war jedenfalls seit dem 6. Februar 2002 überschuldet im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO.

Eine zur Stellung des Insolvenzantrages verpflichtende Überschuldung - zu der sich in der angefochtenen Entscheidung keine Ausführungen finden - liegt dann vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, wobei für die Bewertung des Vermögens des Schuldners die Fortführung des Unternehmens nur zu Grunde zu legen ist, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist (§ 19 Abs. 2 InsO). Während nach der bis zum Inkrafttreten des § 19 InsO am 01. Januar 1999 herrschenden Praxis die anhand einer Überschuldungsbilanz ermittelte rechnerische Überschuldung durch eine positive Fortbestehensprognose überwunden werden konnte, kommt es nunmehr allein auf das Ergebnis der Überschuldungsbilanz an, das - je nach der Wahrscheinlichkeit der Unternehmensfortführung - unterschiedlich zu ermitteln ist (Baumbach/Hueck-Schulze-Osterloh, GmbHG, 17. Aufl., Rn. 11 zu § 64). Ist bereits das Ergebnis der Überschuldungsbilanz zu Fortführungswerten negativ, besteht Insolvenzantragspflicht trotz positiver Fortbestehensprognose. Die Antragspflicht entfiele dann nur, wenn - was unwahrscheinlich ist - eine zusätzlich aufgestellte Überschuldungsbilanz zu Liquidationswerten die Deckung aller Verbindlichkeiten ergäbe, denn in einem solchen Fall könnten alle Gläubiger befriedigt werden (Baumbach/Hueck-Schulze-Osterloh, a. a. O.).

Da in der Überschuldungsbilanz die Aktivposten nur dann mit den Fortführungswerten angesetzt werden dürfen, wenn eine positive Fortbestehensprognose gestellt werden kann und die Wahrscheinlichkeit der Fortführung des Unternehmens bereits die in der Überschuldungsbilanz einzusetzenden Werte beeinflusst, hat der Geschäftsführer in der Krise zunächst der Frage der Fortführungsmöglichkeit des Unternehmens nachzugehen. Während die Klägerin darzulegen und zu beweisen hat, dass die Insolvenzschuldnerin zur Zeit des Vertragsschlusses am 22. Februar 2002 zahlungsunfähig oder überschuldet war, obliegt es auch nach Inkrafttreten der InsO dem Beklagten als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, die Aufstellung und Richtigkeit einer positiven Fortführungsprognose darzulegen und zu beweisen (Baumbach/Hueck-Schulze-Osterloh, a. a. O., Rn. 12 zu § 64). Das ist ihm nicht gelungen.

Eine Fortbestehensprognose setzt grundsätzlich die Aufstellung eines dokumentierten Ertrags- und Finanzplanes voraus (Baumbach/Hueck-Schulze-Osterloh, a. a. O. m. w. N.). Die Prognose ist positiv, wenn sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit ergibt, dass die Gesellschaft mittelfristig Einnahmenüberschüsse erzielen wird, aus denen die gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten gedeckt werden können (Baumbach/Hueck-Schulze-Osterloh, a. a. O., Rn. 12 zu § 64). Der Planungszeitraum wird aus praktischen Gründen zwar oft auf ein bis zwei Jahre beschränkt (Baumbach/Hueck-Schulze-Osterloh, a. a. O., Rn. 10 zu § 64). Entscheidend ist insoweit jedoch der im Einzelfall betriebswirtschaftlich überschaubare Zeitraum (Scholz-Karsten Schmidt, GmbHG, Rn. 12 zu § 63).

Der Beklagte hat weder hinreichend vorgetragen, noch nachgewiesen, dass ein aussagefähiger Ertrags- und Finanzplan erstellt wurde, der den Schluss auf eine mittelfristige Überlebensfähigkeit der Insolvenzschuldnerin zuließ. Er beruft sich in diesem Zusammenhang auf das Ergebnis der Beratung vom 6. Februar 2002, nach dem für diesen Zeitpunkt keine Zahlungsunfähigkeit vorlag und die fälligen Schulden mit den Forderungseingängen im Februar 2002 getilgt werden könnten. Soweit darin eine Prognose zu erblicken ist, erstreckt sie sich jedoch lediglich über die nächsten 4 Wochen und umfasst daher nicht einen üblicherweise betriebswirtschaftlich überschaubaren Zeitraum. Umstände, aus denen eine positive Überlebensprognose für die Gemeinschuldnerin abzuleiten gewesen wäre, sind darüber hinaus nicht dargetan. Die Insolvenzschuldnerin befand sich vielmehr im dritten Jahr einer insgesamt negativen Entwicklung ihrer wirtschaftlichen Situation. Betriebswirtschaftliche Maßnahmen, die eine Besserung dieser Situation erwarten ließen, sind nicht ersichtlich. Bei der Prüfung der Frage, ob die Insolvenzschuldnerin im maßgeblichen Zeitraum überschuldet war, ist daher von Liquidationswerten auszugehen.

Werden der Überschuldungsbilanz aber Liquidationswerte zu Grunde gelegt, überstiegen die Passivposten bereits am 06. Februar 2002 die Aktivposten der Insolvenzschuldnerin. Ausgangspunkt der Berechnungen ist dabei das von dem Beklagten selbst vorgelegte Zahlenwerk in den Protokollen vom 06. Februar 2002 und vom 04. März 2002. Die Wertansätze im Protokoll vom 04. März 2002 sind erkennbar Liquiditätswerte ("Versilberungswerte"), während das Protokoll vom 06. Februar 2002, obwohl das Zahlenwerk mit "Liquiditätsstatus" überschrieben ist, offenbar im Wesentlichen die aus der Finanzbuchhaltung entnommenen Ansätze enthält, die den Liquidationswert nur unzureichend wiedergeben. Dass es sich bei dem im Protokoll vom 06. Februar 2002 enthaltenen Ansätzen nicht um Liquidationswerte handelt, zeigen wiederum die Ansätze im Protokoll vom 04. März 2002, die im Vergleich zum Protokoll vom 06. Februar 2002 teilweise gerade im Hinblick auf den bei einem Verkauf erzielbaren Preis deutlich nach unten korrigiert wurden.

Die Klägerin, die - wie ausgeführt - nachzuweisen hat, dass die Insolvenzschuldnerin bereits Anfang Februar 2002 überschuldet war, kann dabei an die später erzielten Liquidationswerte anknüpfen (Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., Rn. 19 zu § 64). Ihr ist daher in der Auffassung zuzustimmen, das Betriebsgrundstück am W. 40 sei nicht mit 1 Mio. DM zu bewerten gewesen, sondern es hätten jedenfalls die bei einem Verkauf zu berücksichtigenden Abrisskosten von 300.000 DM abgezogen werden müssen. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit dem vom Insolvenzverwalter eingeholten Wertgutachten, das - was der Beklagte nicht in Abrede stellt - mit einem Grundstückswert von 309.000 EUR, also 604.351 DM endet. Allein die Korrektur des Wertes des Betriebsgrundstückes führt, legt man im Übrigen die - im Zweifel zu hoch angesetzten - Aktivposten im Protokoll vom 06. Februar 2002 zugrunde, zu einer deutlichen Überschuldung der Insolvenzschuldnerin am 06. Februar 2002. Es kann daher dahingestellt bleiben, inwieweit insbesondere die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen im Hinblick auf etwaige Mängeleinreden der Schuldner der Insolvenzschuldnerin zu berichtigen gewesen wären. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die aus dem Protokoll vom 04. März 2002 ersichtliche Entwicklung. Dort ist bei oberflächlicher Betrachtung zwar noch ein annähernd ausgeglichenes Verhältnis zwischen Aktiva und Passiva auszumachen, die nähere Betrachtung dieses Liquiditätsstatus ergibt indes, dass einem Aktivvermögen von 1.430.000 Euro nur die sofort fälligen Verbindlichkeiten in Höhe von 1.400.000 Euro gegenüber stehen und die erst später fälligen Verbindlichkeiten, u. a. das Gesellschafterdarlehn in Höhe von 500.000 DM, das unter "langfristige Verbindlichkeiten Darlehn Gesellschafter" im Status vom 06. Februar 2002 noch ausgewiesen wurde, ebenso wenig Erwähnung finden wie die Löhne und Sozialabgaben für Februar 2002. Schließlich ergibt sich aus dem Insolvenzgutachten vom 24. April 2002, dass die Insolvenzschuldnerin bereits bei Erstellung dieses Gutachtens, also nur zwei Monate später mit 2.188.918,90 EUR überschuldet war. Nichts deutet darauf hin, dass diese Überschuldung erst im März und April 2002 aufgebaut wurde. Auch der Beklagte hat dies nicht dargelegt.

Die Verkennung der wirtschaftlichen Situation der Insolvenzschuldnerin am 6. Februar 2002 und die damit verbundene Fehleinschätzung der Fortführungsmöglichkeit beruht zumindest auf Fahrlässigkeit des Beklagten, was ausreichend ist (BGH BB 1994, 1657, 1662). Der Geschäftsführer hat die Entscheidung darüber, ob er die Insolvenzeröffnung beantragen muss, mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters zu treffen. Stellt er bei der ihm obliegenden laufenden Überprüfung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens fest, dass dieses in die Krise geraten ist, muss er prüfen, ob sich für das Unternehmen eine positive Fortbestehensprognose stellt. Er darf das Unternehmen nur weiter betreiben, wenn er begründete Anhaltspunkte hierfür findet. Dabei kommt ihm ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, wobei es nicht auf nachträgliche Erkenntnisse, sondern auf die damalige Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters ankommt. Notfalls muss er sich fachkundig beraten lassen (BGH, a. a. O.).

Wie bereits ausgeführt, ist es dem Beklagten nicht gelungen, Umstände darzulegen, die es ihm als sorgfältigen Geschäftsleiter ermöglicht hätten, eine positive Fortbestehensprognose zu stellen. Er hat sich zwar sachverständigen Rates bedient. Die sachverständige Beratung könnte ihn jedoch nur dann entlasten, wenn ersichtlich wäre, dass sie alle im Zusammenhang mit der Frage der Insolvenzreife zusammenhängenden wesentlichen Fragen abdeckte, insbesondere also auch die Möglichkeit der Überschuldung und das Erfordernis einer Fortführungsprognose und deren Grundlagen ermittelte. Das Ergebnis der vom Beklagten in Anspruch genommenen Beratung war aber offensichtlich nicht zur Beurteilung der Insolvenzreife der Gesellschaft geeignet, weil nicht zwischen Liquiditäts- und Vermögensstatus unterschieden wurde. Auch beschränkte sich die Beratung, wie der Inhalt der Protokolle vom 6. Februar und 4. März 2002 zeigt, auf die Frage der Zahlungsfähigkeit für einen Zeitraum von wenigen Wochen und erstreckte sich gerade nicht auf eine Prüfung der Überschuldung i. S. d. § 19 Abs. 2 InsO. Schließlich ist nicht ersichtlich, dass der Beklagte sich auch in rechtlicher Hinsicht beraten ließ, ob die Feststellung der - gerade noch - bestehenden Zahlungsfähigkeit ausreichend war, um die Insolvenzantragspflicht zu verneinen.

§ 64 Abs. 1 GmbHG gewährt zwar grundsätzlich eine dreiwöchige Prüfungsfrist, die vom 06. Februar 2002 an gerechnet, am 22. Februar 2002, dem Tag des Vertragsschlusses mit der Klägerin, noch nicht abgelaufen war. Im Vordergrund steht jedoch die Pflicht zur Beantragung des Insolvenzverfahrens ohne schuldhaftes Zögern. Die Frist von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Überschuldung bildet nur die äußerste Grenze für die Antragstellung. Durfte sich der Geschäftsführer - wie hier - der Einsicht nicht verschließen, dass die Gesellschaft bereits überschuldet war, so durfte er nicht noch drei Wochen abwarten, um seiner Antragspflicht zu genügen (Scholz-Karsten Schmidt, GmbHG, 9. Aufl., Rn. 14, 16 zu § 64). Im Übrigen ist angesichts der Höhe der im Insolvenzgutachten vom 24. April 2002 ausgewiesenen Überschuldung davon auszugehen, dass sie schon vor Februar 2002 eingetreten ist.

Bei der Klägerin handelt es sich um eine sogenannte Neugläubigerin, weil ihre Ansprüche erst nach dem Entstehen der Insolvenzreife der Gemeinschuldnerin entstanden. Ihr Anspruch entspricht der Höhe nach ihrem gesamten Vertrauensschaden, soweit dieser durch eine auf sie entfallende Konkursquote nicht gedeckt ist (BGH BB 1994, 1657, 1663). Eine Deckung durch die Konkursquote setzt allerdings voraus, dass der Gläubiger tatsächlich etwas aus der Masse erhalten hat. Die bloße, meist ungewisse Erwartung einer quotalen Befriedigung ist nicht hinreichend. Der Vertrauensschaden der Klägerin ist hier mit dem Erfüllungsschaden identisch. Wenn der Geschädigte - wie hier - in seinem Betrieb vergebliche Aufwendungen zur Erreichung eines wirtschaftlichen Zieles getätigt und die damit bezweckten Einkünfte nicht erzielt hat, richtet sich sein Anspruch nach §§ 249, 252 BGB auf Erstattung des ergangenen Roherlöses abzüglich etwa ersparter Betriebskosten (BGH NJW 1997, 2943 f.; OLG Koblenz, GmbHR 2000, 31, 33). Der Umfang des entgangenen Gewinns muss nicht konkret berechnet werden. Nach ständiger Rechtsprechung ist es im kaufmännischen Verkehr zulässig, einen eingetretenen Schaden abstrakt, also unabhängig von den individuellen Verhältnissen des Geschädigten zu berechnen (BGH WM 1998, 931). Diese Berechnungsart ist nicht auf den Handel mit Waren beschränkt. Ganz allgemein wird die abstrakte Schadensberechnung in solchen Fällen angewandt, in denen einem Kaufmann ein Geschäft vereitelt worden ist, welches das typische Geschäft seines Handelsgewerbes ist, dessen Abschluss dem regelmäßigen Verlauf seines Gewerbes entspricht und das einen typischen Gewinn abwirft (BGH NJW 1974, 895; OLG Koblenz, a. a. O.). Diese Kriterien treffen auch auf die entgeltliche Ausführung von Werkleistungen im kaufmännischen Betrieb der Klägerin zu. Bei dem nach Rentabilitätsgesichtspunkten geführten Gewerbebetrieb der Klägerin besteht eine widerlegliche Vermutung dafür, dass dieser stets hinreichend ausgelastet und gewinnbringend tätig ist. Das muss zumindest für die durchschnittliche Auslastung des Betriebes während eines Zeitraums von mehreren Monaten gelten. Es kann daher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass die Klägerin wenn und soweit sie nicht für die Insolvenzschuldnerin tätig gewesen wäre, die vorhandenen und insofern frei gewordenen betrieblichen Kapazitäten nicht hätte brach liegen lassen, sondern im gleichen Umfang auf andere Weise zur Erzielung von Gewinn eingesetzt hätte. Hiergegen steht dem Schädiger der Gegenbeweis offen (BGH WM 1998, 931 f.). Einen solchen hat der Beklagte jedoch nicht angetreten. Die Höhe der Einnahmen, die die Klägerin in der Zeit, in der sie für die Insolvenzschuldnerin tätig war, hätte erzielen können, wenn sie nicht für die Insolvenzschuldnerin tätig gewesen wäre, kann auf den Betrag geschätzt werden, den die Insolvenzschuldnerin der Klägerin als vertragliches Entgelt für ihre Leistungen zahlen mußte (§ 287 ZPO). Der Beklagte hat gegen die Höhe des geltend gemachten Werklohnes keine erheblichen Einwendungen vorgebracht. Da keinerlei Zweifel daran bestehen, dass die Insolvenzschuldnerin von der Klägerin keinerlei Leistungen mehr verlangen wird, das Vertragsverhältnis also als abgeschlossen angesehen werden kann, kommt es auch auf eine eventuell fehlende Abnahme nicht an. In diesem Fall entfällt die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung.

Der Klägerin stehen schließlich Zinsen in beantragter Höhe ab dem 14. August 2002 zu (§§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 2 BGB).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 3, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat keine Veranlassung, die Revision zuzulassen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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