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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 27.12.2006
Aktenzeichen: 6 Wx 17/06
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 3 Satz 1
AufenthG § 62 Abs. 3 Satz 2
1. Die Sicherungshaft zur Abschiebung eines Ausländers (§ 62 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) darf nach § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG insgesamt nicht für länger als sechs Monate angeordnet werden. Diese Höchstfrist bezieht sich nicht nur auf die Höchstdauer einer Abschiebungshaftanordnung, sondern bezeichnet das Höchstmaß der Gesamtdauer mehrerer Haftabschnitte verschiedener Haftanordnungen, die der Durchsetzung einer auf einem einheitlichen Sachverhalt beruhenden Ausreisepflicht dienen (Anschluss an KG, Beschluss vom 07.01.2000 - 25 W 10139/00, KGR 2000, 202 und BayObLG, Beschluss vom 16.09.2004 - 4 Z BR 70/04).

2. Davon unberührt bleibt die Möglichkeit der Verlängerung der Sicherungshaft um höchstens zwölf Monate nach § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert. Anhaltspunkte hierfür sind im Streitfall nicht festgestellt worden.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

6 Wx 17/06 OLG Naumburg

In der Abschiebungshaftsache

betreffend den vietnamesischen Staatsangehörigen ... ,

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Harbou, den Richter am Oberlandesgericht Rüge und die Richterin am Landgericht Geyer

am 27. Dezember 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 30. Oktober 2006 (3 T 746/06) wird festgestellt:

Die Anordnung der Sicherungshaft gegen den Betroffenen durch den Beschluss des Amtsgerichtes Quedlinburg vom 29. September 2006 - 2 XIV 17/06 - war rechtswidrig.

Dem Beteiligten werden die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, auferlegt.

Der Gegenstandswert des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

Der Betroffene ist am 27. November 2001 nach Durchführung eines Asylverfahrens und anschließender Anordnung der Sicherungshaft in sein Heimatland abgeschoben worden. Im Januar 2006 reiste er wieder nach Deutschland ein. Am 16. Januar 2006 wurde er in Hamburg festgenommen und befand sich dort seitdem teilweise in Untersuchungs-, und teilweise in Abschiebungshaft. Sein Asylfolgeantrag vom 24. Februar 2006 wurde am 28. März 2006 bestandskräftig abgelehnt. Er wurde ferner mit Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 23. März 2006 - rechtskräftig seit diesem Tage - wegen unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt im Bundesgebiet in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten - ausgesetzt zur Bewährung bis zum 22. März 2009 - verurteilt. Am 30. August 2006 wurde der Betroffene aus der Abschiebungshaft entlassen.

Danach hat sich der Betroffene bei dem Beteiligten als der für ihn zuständigen Ausländerbehörde gemeldet. Er erhielt von dort zunächst bis zum 15. September 2006 und anschließend bis zum 30. September 2006 die Duldung mit der Nebenbestimmung, dass sie erlischt, wenn die Abschiebung durchführbar ist. Nachdem der Beteiligte am 26. September 2006 erfahren hatte, dass der Betroffene in die so genannte B-Liste (zu den Problemen und Einzelheiten der Rückführung vietnamesischer Staatsangehöriger vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 19. Februar 2001 - 10 Wx 6/01, zitiert nach juris Rnrn. 13-15) eingetragen worden ist und deshalb seine baldige Abschiebung anzunehmen ist, ließ er den Betroffenen, als er am 29. September 2006 freiwillig bei ihm erschien, festnehmen.

Das Amtsgericht Quedlinburg ordnete auf Antrag des Beteiligten vom 29. September 2006 am gleichen Tage nach Anhörung des Betroffenen die Abschiebungshaft als Sicherungshaft für höchstens drei Monate an. Als Grund ist angeführt, dass der begründete Verdacht bestehe, dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen wolle (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG).

Die Beschwerde des Betroffenen vom 12. Oktober 2006 wurde vom Landgericht Magdeburg nach erneuter Anhörung des Betroffenen am 30. Oktober 2006 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Sicherungshaft bis zum 6. November 2006 andauert. Den weitergehenden Haftantrag des Beteiligten hat es zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, der Haftgrund bestehe darin, dass der Betroffene aufgrund seiner illegalen Einreise vollziehbar ausreisepflichtig sei (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).

Von der Sicherungshaft sei nicht nach § 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG abzusehen. Der Betroffene habe nicht glaubhaft gemacht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen wolle; dafür habe seine Anhörung trotz seiner Versicherung, mit dem von ihm eingeholten Laisser-Passer nunmehr freiwillig auszureisen, keine hinreichenden Anhaltspunkte ergeben.

Die Anordnung der Sicherungshaft durch das Amtsgericht scheitere auch nicht an § 62 Abs. 3 AufenthG. Satz 1 dieser Vorschrift verbiete nicht die Inhaftierung über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus, sondern nur die ununterbrochene Inhaftierung über mehr als sechs Monate. Mit Rücksicht auf die bereits verstrichene Zeit zur Vorbereitung der Abschiebung und aufgrund der Tatsache, dass nunmehr bereits ein Abschiebungstermin feststehe, erscheine die Sicherungshaft bis zu diesem Termin - dem 6. November 2006 - als gerade noch verhältnismäßig.

Der Betroffene ist am 6. November 2006 auf dem Luftwege nach Vietnam abgeschoben worden.

Gegen den, ihm am 7. November 2006 zugestellten, Beschluss des Landgerichts richtet sich die am 20. November 2006 eingegangene sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen. Er begehrt die Feststellung, dass die Anordnung der Sicherungshaft gegen ihn rechtswidrig gewesen sei. Wegen der Begründung nimmt der Senat auf den Schriftsatz des Betroffenen vom 20. November 2006 Bezug.

II.

A.

1. Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen ist gemäß den §§ 3 und 7 Abs. 1 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen vom 29. Juni 1956, zuletzt geändert durch Artikel 100 des Gesetzes vom 19. April 2006 (BGBl. I 866; künftig: FrhEntzG) in Verbindung mit §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und Abs. 4 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Mai 1898, zuletzt geändert durch Artikel 4c des Gesetzes vom 22. September 2005 (BGBl. I 2809; künftig: FGG) zulässig, nämlich statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt.

2. Das Feststellungsinteresse des Betroffenen besteht fort, obwohl sein ursprüngliches Rechtsschutzziel auf Aufhebung der Sicherungshaft wegen seiner inzwischen vollzogenen Abschiebung nach Vietnam erledigt ist.

Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet nämlich die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung auch in Fällen gewichtiger, allerdings in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 1997 - 2 BvR 817/90 u.a., BVerfGE 96, 27). Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kommt insbesondere bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in Betracht, und ist für den Fall einer Erledigung durch Entlassung aus der (vollzogenen) Abschiebungshaft ausdrücklich zu bejahen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99 u.a., BVerfGE 104, 220; OLG Celle, Beschluss vom 17. März 2006 - 22 W 10/06, zitiert nach juris Rn. 8; weitere Nachweise bei Keidel/Kunze/Winker, FGG, 15. Aufl., § 19 Rdn. 86).

B. Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zu der beantragten Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sicherungshaftanordnung. Denn der angefochtene Beschluss des Landgerichts vom 30. Oktober 2006 beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG).

1. Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG in Verbindung mit § 546 ZPO). Ein solcher Rechtsfehler ist dem Landgericht bei der Anwendung des § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG unterlaufen.

2. Nach § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kann die Sicherungshaft bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Das Landgericht hat irrtümlich angenommen, dass damit nur die Höchstdauer einer Abschiebungshaftanordnung als Sicherungshaft gemeint ist, nicht aber das Höchstmaß der Gesamtdauer mehrerer Haftabschnitte verschiedener Haftanordnungen.

a) Mit der in § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bestimmten Sechsmonatsfrist ist die Höchstfrist der Sicherungshaft geregelt, die unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 1 AufenthG angeordnet werden kann. Das ergibt sich ohne weiteres aus dem Wortlaut und Sinn der Bestimmung (vgl. KG, Beschluss vom 7. Januar 2000 - 25 W 10139/00, KGR 2000, 202) und wird auch durch § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG verdeutlicht. Nach dieser Vorschrift kann die Sicherungshaft in Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Verlängerung bedeutet jede Überschreitung dieser Haftzeitgrenze (vgl. KG, aaO.). In anderen Fällen darf die Sicherungshaft nicht für länger als sechs Monate angeordnet werden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 16. September 2004 - 4 Z BR 70/04, zitiert nach juris, Rnrn. 7 ff.).

b) Für § 57 Abs. 3 Satz 1 des bis 31. Dezember 2004 geltenden Ausländergesetzes war in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass bei der Berechnung der Sechsmonatsfrist mehrere, durch eine Haftentlassung unterbrochene Haftzeiträume zusammenzurechnen sind, wenn die Haftanordnungen auf einem einheitlichen Sachverhalt beruhen (vgl. nur KG, aaO. mwN). Der Senat teilt diese Ansicht und bezieht sie auch auf den Geltungsbereich des § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, der wie der gesamte § 62 AufenthG dem § 57 AuslG gleich lautet.

c) In seiner Entscheidung vom 7. Januar 2000 hat das Kammergericht bei einer Unterbrechung der Sicherungshaft durch eine sechsmonatige Freilassung die vorherige Haftzeit der dann zur Durchsetzung derselben - auf einem einheitlichen Sachverhalt beruhenden - Ausreisepflicht später angeordneten Sicherungshaft angerechnet. Lediglich bei einer zweijährigen Duldung tritt nach Ansicht des Bayerischen Obersten Landgerichts zwischen der früheren und der nach zwei Jahren anschließenden Haftzeit der Sicherungshaft unter bestimmten Umständen eine relevante Zäsur ein, die eine Zusammenrechnung nicht mehr rechtfertigt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. März 2003 - 4Z BR 16/03, BayObLGR 2003, 350).

d) Nach diesen Maßstäben bedeutet die Haftanordnung des Amtsgerichts Quedlinburg vom 29. September 2006 für drei Monate eine unzulässige Anordnung von Sicherungshaft über sechs Monate hinaus. Denn der Betroffene war mindestens schon vom 24. März 2006 bis 30. August 2006 - also für mehr als fünf Monate - in der JVA Hamburg-Fuhlsbüttel in Abschiebungshaft als Sicherungshaft.

- Zwar lässt sich das den Feststellungen des Landgerichts, die dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegen, nicht genau entnehmen; dort ist dazu nur ausgeführt, der Betroffene habe sich vom 16. Januar 2006 bis 30. August 2006 "zum Teil in Untersuchungshaft und zum Teil in Abschiebehaft" befunden. Die notwendigen Ermittlungen hierzu haben weder das Amts- noch das Landgericht geführt.

- Nach dem Entlassungsschein der JVA Fuhlsbüttel vom 30. August 2006 (GA 62) ist der Betroffene an diesem Tage aus der Abschiebehaft entlassen worden. Wenn in den Ausführungen des Landgerichts von teilweiser Untersuchungshaft die Rede ist, kann sich das nur auf den Zeitraum bis zum 23. März 2006 beziehen. An diesem Tage hat die Verurteilung des Betroffenen durch das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe Rechtskraft erlangt, so dass der Betroffene aus der Haft zu entlassen gewesen wäre. Spätestens ab dem Folgetage ist somit nur noch die Abschiebungshaft, aus der er am 30. August 2006 entlassen wurde, als Haftgrund denkbar.

- Nach Anrechnung der Hamburger Haftzeit wegen Abschiebungshaft von fünf Monaten und sieben Tagen auf die vom Amtsgericht am 29. September 2006 angeordnete Sicherungshaft von drei Monaten wird die nach § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zulässige Höchstfrist von sechs Monaten überschritten. Auch die nach Teilabhilfe durch das Landgericht von der angeordneten Sicherungshaft verbleibende Haftzeit von einem Monat und acht Tagen führt nach Addition mit der in Hamburg verstrichenen Haftzeit zu einer Gesamtdauer von mehr als sechs Monaten. Das hat das Landgericht wegen seiner Fehlinterpretation des § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG übersehen und hat deswegen eine Haftanordnung gebilligt, die rechtswidrig ist.

3. Umstände, nach denen der Betroffene seine Abschiebung verhindert und deretwegen nach § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG die Verlängerung der höchstzulässigen Dauer der Sicherungshaft von sechs Monaten um höchstens zwölf Monate zulässig wäre, sind vom Landgericht nicht festgestellt und ergeben sich auch nicht aus den zur Gerichtsakte gelangten Unterlagen und Anhörungsprotokollen.

C. Von der Zahlung von Gerichtsgebühren und der Erstattung gerichtlicher Auslagen ist der Beteiligte nach § 15 Abs. 2 FreihEntzG befreit. Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 FreihEntzG hat der Beteiligte indes die Auslagen des Betroffenen zu tragen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, insbesondere die Rechtsanwaltsgebühren. Denn das Verfahren der weiteren Beschwerde hat ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrages auf Anordnung von Sicherungshaft für drei Monate von Anfang an nicht vorlag.

Ende der Entscheidung

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