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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 14.01.2003
Aktenzeichen: 7 W 26/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36
ZPO § 97
ZPO § 281
ZPO § 569
Ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit für eine selbstständiges Beweisverfahren tritt mit Anhängigkeit der Hauptsache ein, wenn die Klage bei einem anderen Gericht erhoben wird.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

7 W 26/02 OLG Naumburg

In dem Rechtsstreit

wegen Fortführung des selbständigen Beweisverfahrens

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Zettel, den Richter am Oberlandesgericht Corcilius und den Richter am Amtsgericht Dr. Koch am 14. Januar 2003 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 25.09.2000 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 37.054,96 EUR festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Antragsteller kauften von der Antragsgegnerin eine Teilfläche eines Grundstücks, auf der die Antragsgegnerin zuvor ein Mehrfamilienhaus mit zwei Eingängen, bezeichnet mit den Hausnummern J. weg 3 und 5, schlüsselfertig zu erstellen hatte.

Die Parteien stritten, bzw. streiten in einem selbständigen Beweisverfahren 4 OH 52/98, in diesem selbständigen Beweisverfahren 8 OH 11/99 und mittlerweile offensichtlich in einem weiteren selbständigen Beweisverfahren 6 OH 30/02 jeweils LG Magdeburg und in einem Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf, dort mit umgekehrtem Rubrum (15 O 14/99 und jetzt 5 U 65/02 OLG Düsseldorf), um das Vorhandensein von Mängeln der verschiedensten Art an Gebäude und Außenanlagen.

In diesem selbständigen Beweisverfahren haben die Antragsteller ursprünglich eine Reihe von Mängeln behauptet hinsichtlich derer ein Beschluss im selbständigen Beweisverfahren erging, der auch durch Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. B. vom 29.05.2000 ausgeführt worden ist.

Die Antragsteller haben diesbezüglich ergänzende Fragen eingebracht und weitere Mängel zur Überprüfung stellen wollen hinsichtlich derer das Landgericht Magdeburg ein weiteres Erweiterungsgutachten beschlossen hat (Beschluss vom 28.06.2000, Bl. 128 ff. d. A.).

Zur Ausführung dieses Beschlusses ist es nicht mehr gekommen, weil vorher das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss das Verfahren für beendet erklärt hat.

Vorausgegangen war diesem Beschluss die Kenntnisnahme von dem am Landgericht Düsseldorf anhängigen Verfahren, in dem die Antragsgegnerin dieses Verfahrens als dortige Klägerin von den Antragstellern dieses Verfahrens als dortigen Beklagten die Herausgabe von Sicherheitsbürgschaften ebenso wie die Zahlung eines Restkaufpreises von 200.000,00 DM begehrt und in dem die Beklagten und Antragsteller dieses Verfahrens sich zumindest auch auf die in diesem Verfahren gegenständlichen Mängel berufen.

Aus diesem Grund hat das Landgericht Magdeburg einen Wechsel der Zuständigkeit zum Landgericht Düsseldorf als dem nunmehrigen Gericht der Hauptsache angenommen. Nachdem auf entsprechenden Hinweis des Gerichts die Antragsteller dies jedoch bestritten und keine Verweisung an das Landgericht Düsseldorf beantragt haben, sondern diesen Standpunkt lediglich die Antragsgegnerin eingenommen hat, hat das Landgericht Magdeburg mit dem angefochtenen Beschluss das selbständige Beweisverfahren für beendet erklärt und die Kostenentscheidung und die Festsetzung des Streitwertes dem Gericht der Hauptsache, dem Landgericht Düsseldorf, überlassen.

Dieses seinerseits hat seine Zuständigkeit verneint und die Verfahrensübernahme abgelehnt (Beschluss vom 20.11.2001, - 15 O 14/99 - Bl. 179 ff. d. A.).

Nachdem das Oberlandesgericht Naumburg es abgelehnt hatte, eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 ZPO zu treffen (Beschluss vom 03.04.2002, - 1 AR 01/02 -, Bl. 196 ff. d. A.) haben die Antragsteller gegen den o.a. Beschluss des Landgerichts Magdeburg sofortige Beschwerde eingelegt, mit dem Ziel der Fortführung des selbständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht Magdeburg.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und hilfsweise, das Verfahren an das Oberlandesgericht Düsseldorf, 5. Zivilsenat, Az.: 5 U 65/02, zu verweisen.

Sie macht sich den Standpunkt des Landgerichts im angefochtenen Beschluss zu Eigen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den das Verfahren für beendet erklärenden Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg ist statthaft und zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

Gegen den angefochtenen Beschluss ist die sofortige Beschwerde der statthafte Rechtsbehelf (§§ 490, 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, Zöller/Herget, ZPO, 23. Aufl., § 490 Rn. 4).

Zwar sind zwischen dem Beschluss und der Einlegung der sofortigen Beschwerde nahezu acht Monate vergangen. Da sich jedoch weder eine Zustellung des Beschlusses noch überhaupt ein darauf bezogener Zustellungswille des Landgerichts aus den Akten ergibt, begann die Beschwerdefrist nicht zu laufen (ders., a. a. O., § 569 Rn. 4). Der Gesichtspunkt der Verwirkung der Beschwerde (hierzu Zöller/Gummer, a.a.O., § 567 Rdn. 10 m.w.Nw.) kann vorliegend ebenfalls nicht eingreifen, da die Parteien nicht untätig waren, sondern ihre Aktivitäten sich ebenso wie die der beteiligten Gerichte in erster Linie auf die Frage der Zuständigkeit des Landgerichts Magdeburg oder des Landgerichts Düsseldorf konzentriert haben.

Die Voraussetzungen des § 569 ZPO sind daher erfüllt.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 18.07.2002 (Bl. 235 d. A.) nicht abgeholfen (§ 572 ZPO).

Die zulässige Beschwerde ist jedoch in der Sache unbegründet.

Der Senat schließt sich der Ansicht des Landgerichts im angefochtenen Beschluss an, wonach ein Zuständigkeitswechsel im selbständigen Beweisverfahren bereits mit Anhängigkeit der Hauptsache eintritt. Dies ist allerdings in Rechtsprechung und Literatur umstritten:

Nach einer Ansicht endet die Zuständigkeit des Gerichts des selbständigen Beweisverfahrens erst mit dem Abschluss der Beweisaufnahme (so OLG Nürnberg, NJW 1989, 235; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 24.A., § 486 Rdn. 5; ablehnend Fischer, MDR 2001, 608 ff. (612)).

Nach anderer Ansicht endet diese Zuständigkeit erst mit der Aktenbeiziehung durch das Gericht der Hauptsache (Kleine-Möller/Merl/Oelmaier, Handbuch des privaten Baurechts, 2. A., 1997, § 17 Rdn. 89 m.w.N.; OLG München OLGZ 1982, 200 f. (201); Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61.A., § 486 Rdn. 12; zustimmend Fischer, a.a.O.).

Der Senat schließt sich der dritten Meinung an, die die Zuständigkeit schon mit dem Anhängigwerden der Hauptsache enden lässt (so bereits OLG Naumburg, Beschluss vom 18.12.1996 - 9 W 52/96 - unveröffentlicht und Beschluss vom 22.06.1999 - 3 W 8/99 - unveröffentlicht; OLG Braunschweig, NdsRPfl. 83,141; Zöller/Herget, ZPO, a.a.O., § 485, Rdn. 7) und folgt damit der Ansicht des Landgerichts Magdeburg im angefochtenen Beschluss sowie seiner Begründung hierfür: Für diese Regelung spricht, dass es allein dem Prozessgericht obliegt, den Umfang der erforderlichen Beweisaufnahme zu bestimmen (Gesichtspunkt der Prozeßwirtschaftlichkeit). Außerdem wird auf diese Weise dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 ZPO) am besten Rechnung getragen.

Der Senat ist weiterhin der Ansicht, dass auch ein Verfahren, in dem die Gegenstände des selbständigen Beweisverfahrens nur einredeweise, hier als Zurückbehaltungsrecht wegen behaupteter Werkmängel geltend gemacht werden, Hauptsacheverfahren im Sinne der Regelungen des selbständigen Beweisverfahrens ist (so auch OLG Köln NJW-RR 2000, 361 gegen OLG Köln NJW-RR 1997, 1295 = BauR 1997, 517 und OLG Naumburg, Beschluss vom 18.12.1996 - 9 W 52/96 - unveröffentlicht; differenzierend Zöller/Herget, a.a.O., § 494 a Rdn. 2: Fristsetzung sollte unterbleiben, solange die Möglichkeit einer Entscheidung über die Gegenstände des selbständigen Beweisverfahrens in einem Prozeßverfahren besteht.).

Tritt im Laufe des selbständigen Beweisverfahrens ein derartiger Zuständigkeitswechsel ein, so hat das Gericht des selbständigen Beweisverfahrens, wenn dieses noch nicht beendet ist, auf Antrag des Antragstellers sich durch Beschluss für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen (§ 281 Abs. 1 ZPO in entsprechender Anwendung) (str., wie hier OLG Frankfurt, NJW-RR 1998, 1610 und Fischer, a.a.O.; a. A. OLG Zweibrücken, BauR 1997, 885; Zöller/Herget, a.a.O., § 486 Rdn. 2 und Musielak/Huber, ZPO, 3.A., § 486 Rdn. 3). Lehnt der Antragsteller es ab, diesen Antrag zu stellen - wie es hier der Fall war -, so ist eine Verweisung von Amts wegen unzulässig, ebensowenig wie eine Abgabe von Amts wegen in Betracht kommt.

Das aufrechterhaltene Verfahren wird jedoch mangels örtlicher Zuständigkeit des Gerichts des selbständigen Beweisverfahrens unzulässig und ist daher einzustellen. Diesbezüglich hat das Landgericht somit vollkommen zu Recht gemäß Ziffer 1 seines Tenors entschieden.

Unnötig bzw. unrichtig war allerdings die Annahme des Landgerichts, das Verfahren werde vom Landgericht Düsseldorf fortgesetzt. Dies konnte mangels auszusprechender Verweisung aufgrund des fehlenden diesbezüglichen Antrags der Antragsteller nicht geschehen. Demzufolge ist eine Kostenentscheidung zwar nicht veranlasst gewesen (vgl. Zöller/Herget., a. a. O., § 490 Rn. 3). Sie war aber auch nicht dem Landgericht Düsseldorf zu überlassen. Der diesbezügliche Ausspruch geht ins Leere. Die Kostenregelung folgt den allgemeinen Grundsätzen des selbständigen Beweisverfahrens.

Da das Landgericht das Verfahren aufgrund der o. a. Umstände zu Recht mangels nunmehriger weiterer Zuständigkeit beendet hat, oblag es ihm allerdings, den Streitwert für das Verfahren festzusetzen. Dies wird es noch nachzuholen haben.

Die sofortige Beschwerde ist aber aus den genannten Gründen zurückzuweisen.

III.

Die Kostenfolge richtet sich nach § 97 ZPO.

Die Streitwertbemessung im selbständigen Beweisverfahren ist äußerst umstritten (vgl. die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise bei Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 11. A., Rdn. 4024 a). Grundsätzlich hat sich der Streitwert nach dem Wert des Hauptsacheverfahrens zu richten, weil es dieses beweisrechtlich vorbereitet (so u.a. auch OLG Celle MDR 1993, 1019; OLG Dresden, JurBüro 1998, 318; LG Osnabrück JurBüro 1998, 548). Praktisch bedeutet dies, dass sich der Streitwert im selbständigen Beweisverfahren nach den dort festzustellenden Mängelbeseitigungs- bzw. Minderungskosten bemisst, da es letztlich diese sein werden, womit die Rechtsverfolgung in der Hauptsache erfolgen kann (OLG Naumburg st. Rspr. z.B. JurBüro 1999, 596 f. und OLG-R 200, 278).

Hiervon ausgehend ist für das Beschwerdeverfahren der Streitwert auf das Interesse der Antragsteller an der Fortführung des selbständigen Beweisverfahrens festzusetzen (§ 3 ZPO). Die Antragsteller haben mit der Antragsschrift ihr Interesse am selbständigen Beweisverfahren mit 100.000,- DM angegeben. Die bisher erfolgte Beweisaufnahme hat Mängelbeseitigungskosten von brutto 27.526,80 DM ergeben (S. 54 des Gutachtens des Sachverständigen B. vom 29.05.2000), sodass ausgehend vom ursprünglichen Interesse der Antragsteller der Senat deren Interesse an der Fortsetzung des selbständigen Beweisverfahrens auf die Differenz von 72.473,20 DM, somit 37.054,96 Euro schätzt.

Die Entscheidung trifft Aussagen zu drei in Rechtsprechung und Literatur umstrittenen Rechtsfragen, nämlich was Hauptsacheverfahren im Verhältnis zum selbständigen Beweisverfahren ist, wann bei Anhängigwerden eines Hauptsacheverfahrens die Zuständigkeit des Gerichts des selbständigen Beweisverfahrens endet und ob bei Zuständigkeitswechsel eine bloße Abgabe oder eine Verweisung in entsprechender Anwendung des § 281 ZPO zu erfolgen hat, unbeschadet der Frage nach der richtigen Bemessung des Streitwertes im selbständigen Beweisverfahren.

Deshalb ist zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich und die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO).

Ende der Entscheidung

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