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Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 23.10.2003
Aktenzeichen: 8 UF 100/03
Rechtsgebiete: ZPO, RegelbetragVO
Vorschriften:
ZPO § 655 | |
RegelbetragVO § 2 | |
RegelbetragVO § 1 |
2. Die Höhe des Unterhaltes bemisst sich im Beitrittgebiet immer nach § 2 Regelbetrag-Verordnung.
3. Bezugsgröße für die Anrechnung von Kindergeld ist bundeseinheitlich 135 % des Regelbetrages nach § 1 Regelbetrag-Verordnung.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
8 UF 100/03 OLG Naumburg
Verkündet am: 23.10.2003
In der Familiensache
...
hat der 2. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Friederici und die Richter am Oberlandesgericht Wiedenlübbert und Bisping auf die mündliche Verhandlung
vom 09. Oktober 2003 für Recht erkannt:
Tenor:
I. Auf die Berufung des klagenden Kindes wird das am 28. April 2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Oschersleben unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Unterhaltsausspruch abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an das klagende Kind zu Händen der Kindesmutter für die Zeit ab 22. Januar 2002 einen monatlich im voraus fälligen Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des jeweiligen Regelbetrags nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung zu zahlen, und zwar für die Vergangenheit sowie zurzeit ohne Anrechnung von Kindergeld.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung mit Ausnahme der Gerichtskosten des zweiten Rechtszugs, die nicht erhoben werden.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Gebührenstreitwert für den Berufungsrechtszug beträgt EUR 2.840.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
I.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 28. April 2003 hat das Familiengericht festgestellt, dass der Beklagte der Vater des klagenden Kindes ist, und ihn im Annexverfahren für die Zeit ab der Geburt des klagenden Kindes (22. Januar 2002) zur Zahlung eines monatlich im voraus fälligen Kindesunterhalts in Höhe von 100 % "des Regelbetrages" nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung verurteilt, und zwar "unter Anrechnung des jeweiligen anteiligen Kindergeldes nach § 1612 b Abs. 5 BGB".
Gegen die Entscheidung im Unterhaltsausspruch wendet sich das (mit seiner Mutter mittlerweile wieder in Sachsen-Anhalt wohnende) klagende Kind mit der Berufung, mit der es - wie schon im ersten Rechtszug - den "jeweiligen" Regelbetrag nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung und für die Zeit ab Januar 2003 (während der es mit seiner Mutter bei Hannover gewohnt hat) erhöhten Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des maßgebenden Regelbetrags nach § 1 der Regelbetrag-Verordnung, 1. Altersstufe, begehrt, wobei es diese Forderung im Berufungsrechtszug auf die Zeit bis Juni 2003 begrenzt. Soweit das klagende Kind von der Landeshauptstadt Hannover und dem Bördekreis (Sachsen-Anhalt) Unterhaltsvorschuss bezogen hat und bezieht, haben die Unterhaltsvorschusskassen mit dem klagenden Kind schriftlich die Rückübertragung des auf sie übergegangenen und noch übergehenden Unterhaltsanspruchs vereinbart. Der beklagte Kindesvater erstrebt die Zurückweisung der Berufung. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
II.
1. Die Berufung ist zulässig, zumal die Beschwer von mehr als EUR 600 erreicht ist (§ 511 Abs. 1 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n.F.). Dies folgt nicht zuletzt daraus, dass das angefochtene Urteil im Unterhaltsausspruch keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, weil die dort vorgenommene Kindergeldanrechnung (§ 1612 b Abs. 5 BGB n.F.) zu unbestimmt ist. Aus dem Wortlaut der Bestimmung zu § 655 ZPO ergibt sich nämlich, dass nach dem Willen des Gesetzgebers in Vollstreckungstiteln, die auf wiederkehrende Unterhaltsleistungen gerichtet sind, der - jeweils maßgebende - Betrag der nach den Bestimmungen zu §§ 1612 b und 1612 c BGB anzurechnenden Leistungen festgelegt werden muss (entsprechendes galt nach Art. 5 § 3 Satz 3 des Kindesunterhaltsgesetzes vom 06. April 1998 [BGBl. I 1998 S. 666, 675] für die Umstellung von Alttiteln auf das seit 01. Juli 1998 geltende neue Unterhaltsrecht); hätte der Gesetzgeber auch unbestimmtere Unterhaltstitel als vollstreckungsfähig ansehen wollen, hätte er für den Fall, dass sich ein für die Berechnung des angerechneten Betrags maßgebender Umstand ändert, nicht das Antragsverfahren nach § 655 ZPO einzuführen brauchen (und im Übrigen die Festlegung anzurechnender Leistungen im Umstellungsverfahren nach Art. 5 § 3 Abs. 1 Satz 3 KindUG auch nicht davon abhängig gemacht, dass sich aus dem Alttitel ergab, in welcher Höhe anrechenbare Leistungen berücksichtigt worden sind [Art. 5 § 3 Abs. 1 Satz 4 KindUG]). Das klagende Kind ist also dadurch beschwert, dass die Vorinstanz seinen Titulierungsanspruch nicht erfüllt hat (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., Vor § 511 Rdn. 11 m.w.N.). Ein entsprechender Hinweis an die Parteien ist mit der schriftlichen Verfügung des Senats vom 06. Juli 2003 erfolgt.
2. Aus diesem Grunde hat die Berufung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; denn mit dem Urteil des Senats wird erstmals der Titulierungsanspruch des klagenden Kindes erfüllt. Soweit das klagende Kind allerdings höheren Kindesunterhalt als nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung begehrt, ist sein Rechtsmittel unbegründet:
a) Das klagende Kind wird von der Kindesmutter vertreten (§ 1629 Abs. 1 BGB), da es nichtehelich ist und die Kindesmutter die alleinige elterliche Sorge hat (§ 1626 a Abs. 2 BGB), weil die Kindeseltern weder eine gemeinsame Sorgerechtserklärung abgegeben noch einander geheiratet haben (§ 1626 a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BGB).
b) Das klagende Kind kann Kindesunterhalt rückwirkend ab dem Monat seiner Geburt (Januar 2002) verlangen, weil es bis zur erstinstanzlichen Vaterschaftsfeststellung aus rechtlichen Gründen an der Geltendmachung des Kindesunterhalts gehindert gewesen ist (§ 1613 Abs. 2 Nr. 2 a BGB). Der zu zahlende Kindesunterhalt ist monatlich im voraus fällig (§ 1612 Abs. 3 BGB).
c) Der - in Sachsen-Anhalt wohnende - beklagte Kindesvater war auf den Antrag des klagenden Kindes im vorliegenden Vaterschafts-Annex-Verfahren zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des jeweiligen Regelbetrags nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung (§ 1612 a BGB) zu verurteilen, ohne dass ein Einwand eingeschränkter oder nicht bestehender Leistungsfähigkeit zulässig gewesen ist (§ 653 Abs. 1 ZPO). Für die Geltendmachung eines solchen Einwands gewährt das Gesetz dem beklagten Kindesvater nämlich nur die Möglichkeit der nachträglichen Abänderungsklage nach § 654 ZPO (vgl. BGH, FamRZ 2003, 1095).
Einen Anspruch auf 100 % des jeweiligen Regelbetrags nach § 1 Regelbetrag-Verordnung hat das klagende Kind gegen seinen Vater nicht. Denn "in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet" gelten die Bestimmungen zu § 1612 a Abs. 4 und 5 BGB mit der Maßgabe, dass bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland "von den für dieses Gebiet ermittelten Werten ausgegangen wird"; erst nach der Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse gelten die Regelbeträge nach § 1 der Regelbetrag-Verordnung auch "in dem" besagten Gebiet (Art. 2 § 1 des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 02. November 2000 [BGBl. I 2000 S. 1479]). Demgemäß hat der Verordnungsgeber die Regelbeträge "für" das Beitrittsgebiet bisher - nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung - geringer als nach § 1 der Verordnung festgesetzt. Auch wenn diese Regelungen materiell an die Einkommensverhältnisse anknüpfen - die für die Leistungsfähigkeit von Unterhaltsschuldnern von Bedeutung sind -, so folgt aus ihrem Wortlaut doch nach Auffassung des Senats formal, dass die Familiengerichte "in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet" bis zur Einkommensangleichung nicht befugt sind, erhöhten Kindesunterhalt nach § 1 der Regelbetrag-Verordnung zuzusprechen, sondern ausschließlich die Bestimmungen zu § 2 der Verordnung anwenden dürfen, die "für" das besagte Gebiet geschaffen wurden. Mit Rücksicht darauf war dem klagenden Kind schon deshalb kein höherer Anspruch als nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung zuzuerkennen, weil es "in dem" Beitrittsgebiet klagt (§§ 640 Abs. 2 Nr. 1, 640 a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dem lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entgegenhalten, dass sich der Unterhaltsanspruch, der auf die Landeshauptstadt Hannover übergegangen (§ 7 des Unterhaltsvorschussgesetzes [BGBl. I 2002 S. 3]) ist, nach § 1 der Regelbetrag-Verordnung bemisst (§ 2 UVG); denn soweit dieser Anspruch denjenigen nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung übersteigt, erscheint nach den vorstehenden Ausführungen bereits zweifelhaft, ob er auf das klagende Kind zurückübertragen worden ist; abgesehen davon darf der Senat erhöhten Kindesunterhalt nach § 1 der Regelbetrag-Verordnung nicht titulieren.
3. Demgegenüber unterbleibt die Anrechnung des Kindergelds nach der Auffassung des Senats bereits insoweit, als der beklagte Kindesvater außerstande ist, 135 % des jeweiligen Regelbetrags nach § 1 der Regelbetrag-Verordnung zu zahlen (§ 1612 b Abs. 5 BGB n.F.). Denn hinsichtlich der Bestimmung zu § 1612 b Abs. 5 BGB fehlt es an einer einschränkenden, dem Art. 2 § 1 des Gesetzes vom 02. November 2000 entsprechenden Anwendungsvorschrift, weil die Bestimmung zu § 1612 b Abs. 5 BGB nicht an die Einkommensverhältnisse - und somit an die Leistungsfähigkeit von Unterhaltsschuldnern - anknüpft, sondern eine Sicherung des Barexistenzminimums von Kindern bezweckt (BVerfG, Beschl. v. 09.04.2003 - 1 BvL 1/01 und 1 BvR 1749/01 -) und der Gesetzgeber den Unterhaltsbedarf von Kindern in den neuen wie alten Bundesländern als gleich hoch ansieht. So wird - nach bundeseinheitlichem Einkommensteuerrecht - in Ost wie West Kindergeld in gleicher Höhe gewährt. Bezugsgröße der 135 %-Regelung nach § 1612 b Abs. 5 BGB sind also in Ost wie West gleichermaßen die Regelbeträge nach § 1 der Regelbetrag-Verordnung.
Infolgedessen findet im vorliegenden Fall bis auf weiteres keine Kindergeldanrechnung statt.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 708 Nr. 10 ZPO und aus §§ 8, 25 GKG. Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Rechtssache wegen der von ihm vertretenen Auffassung zur Anwendung von § 2 der Regelbetrag-Verordnung im Rahmen von § 1612 a Abs. 1 BGB und von § 1 der Regelbetrag-Verordnung im Rahmen von § 1612 b Abs. 5 BGB grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Mit dieser Fragestellung hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht explizit befasst. Sie berührt die in der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - in anderem Zusammenhang - aufgeworfene Frage, ob der Gesetzgeber seinen Schutzauftrag, das Existenzminimum des Kindes sicherzustellen, mit der gesetzlichen Regelung genügend klar erfüllt hat.
Ende der Entscheidung
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