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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 11.12.2008
Aktenzeichen: 8 UF 148/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 286 Abs. 1 S. 2
BGB § 288
Verfügt eine Unterhaltsschuldnerin über eine abgeschlossene Ausbildung als Elektromaschinenbauer in der DDR und hat sie in diesem Beruf nur kurz gearbeitet, existiert kein Erfahrungssatz demzufolge sie keine Chance am Arbeitsmarkt hat, eine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeitsstelle zu finden.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 UF 148/08 OLG Naumburg

Verkündet am: 11.12.2008

In der Familiensache

hat der 8. Zivilsenat - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 27.11.2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Feldmann, die Richterin am Oberlandesgericht Hahn und den Richter am Oberlandesgericht Harms für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 08.07.2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Halle (Saale) (Az.: 23 F 1748/06) unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger rückständigen Kindesunterhalt für den Zeitraum von Januar 2006 bis Dezember 2007 in Höhe von insgesamt 5.783,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 2.162,00 € seit dem 20.11.2006 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 5.372,00 € (Berufung: 3.450,00 €; Anschlussberufung: 1.922,00 €) festgesetzt.

Gründe:

I.

Der am 03.01.1990 geborene Kläger nimmt die Beklagte, seine Mutter, auf Zahlung von Kindesunterhalt für die Zeit von Januar 2006 bis Dezember 2007, mithin noch für die Zeit seiner Minderjährigkeit, in Anspruch.

Der Kläger ist aus der Ehe seines Vaters mit der Beklagten hervorgegangen; die Ehe seiner Eltern ist seit dem 18.05.1998 rechtskräftig geschieden. Die Beklagte ist wieder verheiratet. Die elterliche Sorge für den Kläger wurde im Zusammenhang mit der Ehescheidung seinem Vater übertragen, und der Kläger lebte - zumindest bis zum Erreichen der Volljährigkeit - im Haushalt des Kindesvaters.

Aus der Ehe der Beklagten mit dem Kindesvater ist ein weiteres Kind hervorgegangen, nämlich der am 28.05.1988 geborene R. M. . Dieser hat das Gymnasium mit dem Abitur abgeschlossen und befindet sich mittlerweile im Studium.

Der Kläger durchläuft seit dem 17.09.2007 eine außerbetriebliche Berufsausbildung im "B. " e. V. in H. . Zuvor, nämlich in der Zeit vom 01.06.2007 bis 14.07.2007, hatte er eine Ausbildung als Fachkraft im Gastronomiegewerbe im Gasthaus "W. " in V. begonnen, das Ausbildungsverhältnis jedoch wegen "unzumutbarer Ausbildungsbedingungen" (Überschreitung der Ausbildungszeiten) gekündigt. Vor Antritt dieser Lehrstelle hat der Kläger, der im Juli 2006 die 10. Klasse der Schule abgeschlossen hatte, ein berufsvorbereitendes Jahr absolviert.

Die Beklagte ist lediglich dem Kläger und dessen Bruder R. M. gegenüber barunterhaltsverpflichtet. Sie hat den Beruf einer Elektromaschinenbauerin mit der Spezialisierung auf "ruhende elektrische Maschinen" erlernt, jedoch nur kurz in diesem Beruf gearbeitet. Sie war später als Kranführerin, am Fließband und als Angestellte in einem Kopierladen tätig, ohne dass zu diesen Tätigkeiten nähere Einzelheiten vorgetragen sind. Im Jahre 2003 war sie bei der Fa. "S. " in G. beschäftigt; dort erzielte sie monatliche Nettoeinkünfte von 1.361,05 €. In der Zeit von November 2004 bis Anfang des Jahres 2005 war sie im Rahmen einer Nebenbeschäftigung als Telefonistin bei der Fa. "C. " GmbH für monatlich netto 94,77 € beschäftigt. Vom 08.09.2005 bis 28.07.2006 hat sie - wiederum im Rahmen einer Neben- bzw. Aushilfstätigkeit - als Regalauffüllerin und Disponentin bei der "K. " GmbH monatliche Einkünfte erzielt, die durchgehend deutlich unterhalb des ihr zu belassenden notwendigen Selbstbehalts lagen. Seit dem 14.08.2006 arbeitet die Beklagte vollschichtig bei der "M. " GmbH in Sch. , wo die Beklagte auch wohnhaft ist. Aus dieser Tätigkeit erzielt sie monatliche Bruttoeinkünfte von 1.500,00 €.

Unterhalt zahlte die Beklagte an den Kläger und seinen Bruder R. M. in der seinerzeit von beiden geforderten Höhe von je 187,92 € bis einschließlich Dezember 2005. Im Januar 2006 stellte die Beklagte die Unterhaltszahlungen ein. Anschließend zahlte sie an ihre beiden Kinder nur noch ein monatliches Taschengeld in Höhe von jeweils 50,00 €.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 19.01.2006 wurde die Beklagte zur Zahlung von Kindesunterhalt an den Kläger und seinen Bruder in Höhe von jeweils monatlich 187,92 € sowie zur Erteilung einer Auskunft über ihre Einkommensverhältnisse im Jahr 2005 aufgefordert.

Das Amtsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil wie folgt zu Unterhaltszahlungen an den Kläger verurteilt:

- Rückstand für Januar 2006 bis September 2006: 764,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.11.2006 (Rechtshängigkeit),

- für Oktober 2006 bis Mai 2007 monatlich jeweils 106,00 €,

- für Juni 2007 38,00 €,

- für Juli 2007 69,00 €,

- für August 2007 106,00 €,

- für September 2007 97,00 €,

- für Oktober 2007 bis Dezember 2007 monatlich jeweils 69,00 €.

Es hat damit dem klägerischen Begehren nicht in vollem Umfang entsprochen.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Beklagte sei mit den von ihr seit 14.08.2006 tatsächlich erzielten Einkünften (1.500,00 € brutto = 788,61 € netto) nicht leistungsfähig für die Zahlung des vom Kläger begehrten Kindesunterhalts, denn der notwendige Selbstbehalt werde nicht überschritten.

Jedoch werde die Leistungsfähigkeit der Beklagten auch durch ihre Arbeits- und Erwerbsfähigkeit bestimmt. Die Beklagte habe zu den von ihr zu verlangenden umfangreichen Bemühungen um eine besser vergütete Arbeitsstelle nicht hinreichend vorgetragen. Die von ihr regional und überregional unternommenen Bewerbungen reichten nicht aus, um die Erfüllung ihrer gesteigerten Erwerbsobliegenheit gegenüber dem Kläger annehmen zu können. Allerdings dürften ihr wegen Verletzung ihrer Erwerbsobliegenheit fiktive Einkünfte nur in einer realistischerweise erzielbaren Höhe zugerechnet werden, wobei die Arbeitsmarktlage, die Qualifikation, der Gesundheitszustand, das Alter und die Erwerbsbiographie der Beklagten in Rechnung zu stellen seien.

Nach diesem Maßstab dürfe - abweichend von der Auffassung des Klägers - nicht ohne weiteres auf den Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie abgestellt und der Beklagten auf dieser Grundlage ein fiktives Einkommen von monatlich 1.300,00 € netto unterstellt werden. Die Beklagte verfüge zwar über eine abgeschlossene Ausbildung als Elektromaschinenbauerin; diese Ausbildung sei aber auf ruhende elektrische Maschinen beschränkt gewesen, und die Beklagte habe offensichtlich nur sehr kurze Zeit in diesem Beruf gearbeitet. Anschließend sei sie als Kranführerin, Fließbandarbeiterin und Angestellte in einem Kopierladen beschäftigt gewesen und müsse deshalb im Ergebnis unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage und des Umstandes, dass sie in einem strukturschwachen Gebiet lebe, als ungelernte Kraft angesehen werden. Selbst bei optimaler Ausnutzung ihrer Erwerbsmöglichkeiten könne sie bei einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden allenfalls 1.000,00 € netto erzielen. Hinzu komme, dass ungelernte Kräfte in der Regel nur zeitlich befristet eingestellt würden; sie seien mindestens zwei Monate im Jahr arbeitslos, sodass es gerechtfertigt sei, von dem erzielbaren Einkommen von 1.000,00 € noch 10 % abzuziehen. Dies führe zu fiktiven Erwerbseinkünften der Beklagten von monatlich 900,00 €.

Der Beklagten sei aber auch noch eine Nebentätigkeit zuzumuten, aus der sie ein weiteres Einkommen von monatlich 125,00 € erzielen könne. Insgesamt könnten der Beklagten folglich fiktive Einkünfte von 1.025,00 € zugerechnet werden.

Das Amtsgericht hat daraus eine für Unterhaltsansprüche zur Verfügung stehende Verteilungsmasse von 135,00 € ermittelt und diese unter Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen des Klägers und seines Bruders sowie von eigenen Einkünften des Klägers aus Ausbildungsvergütung in den Monaten Juni und Juli 2007 sowie September bis Dezember 2007 auf den Kläger und R. M. verteilt.

Mit seiner Berufung verlangt der Kläger (unter Einbeziehung der in erster Instanz bereits tenorierten Unterhaltsansprüche) folgende Unterhaltszahlungen von der Beklagten:

- Oktober 2006 bis Mai 2007: monatlich je 287,00 €,

- Juni 2007: 188,00 €,

- Juli 2007: 288,00 €,

- September 2007: 99,00 €,

- Oktober 2007 bis Dezember 2007: 211,00 €,

- Rückstand Januar 2006 bis September 2006: 2.213,00 €.

Der Kläger macht geltend, das Amtsgericht habe fehlerhaft dem Beklagten lediglich erzielbare Einkünfte von monatlich 1.025,00 € zugerechnet. Der Kläger habe bereits in erster Instanz vorgetragen, die Beklagte habe den Beruf einer Elektromaschinenbauerin erlernt und außerdem als Kranführerin, am Fließband und als Angestellte in einem Kopiergeschäft gearbeitet. 2003 sei sie bei der Fa. "S. " beschäftigt gewesen und habe ein monatliches Nettoeinkommen von 1.361,05 € erzielt. Daher habe der Kläger das der Beklagten zuzurechende fiktive Einkommen auf 1.300,00 € beziffert. Die vom Amtsgericht vorgenommene Schätzung könne nicht Grundlage für das der Beklagten zu unterstellende erzielbare Einkommen sein, denn es lägen konkrete Anhaltspunkte vor, welche Einkünfte sie auf Grund ihrer Ausbildung, ihrer Fähigkeiten und ihrer Qualifikation erzielen könne. Diese habe der Kläger auch vorgetragen. Dann aber sei es Sache der Beklagten, im Einzelnen vorzutragen, dass es ihr nicht möglich sei, ein Einkommen von ca. 1.300,00 € netto monatlich zu erzielen. Das Amtsgericht habe bei seiner Schätzung auf allgemeine Erfahrungssätze zurückgegriffen und tatsächliche Umstände in der Person der Beklagten außer Acht gelassen. So habe es nicht berücksichtigt, dass die Beklagte in einer berufsfremden Tätigkeit bereits 1.361,05 € monatlich habe erzielen können. Schon dadurch werde die Ansicht des Amtsgerichts widerlegt, die Beklagte könne selbst bei optimalen Erwerbsbemühungen und vollschichtiger Tätigkeit nicht mehr als 1.000,00 € monatlich netto erzielen.

Die Einschätzung des Amtsgerichts, ungelernte Arbeitskräfte würden in der Regel nur befristet eingestellt, werde dadurch widerlegt, dass die Beklagte seit dem 14.08.2006 wieder eine unbefristete Tätigkeit ausübe.

Darüber hinaus habe das Familiengericht nicht beachtet, dass die Beklagte mit ihrer Berechtigung, einen Kran zu führen, über eine besondere Qualifizierung verfüge, die von Bedeutung bei ihrer Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt sei.

Das Amtsgericht habe im Ergebnis unzutreffend nicht die Erwerbsmöglichkeiten der Beklagten geprüft, sondern diejenigen einer ungelernten Arbeitskraft. Dabei habe sich die Beklagte aber nicht nur als Medienberaterin und IT-Kauffrau beworben, sondern auch in ihrem erlernten Beruf als Elektromaschinenbauerin. Damit habe sie dokumentiert, dass sie ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten besitze, um in diesem Beruf zu arbeiten.

Soweit das Amtsgericht berücksichtigt habe, dass die Beklagte in einer strukturschwachen Region lebe, sei dies nicht von Belang, denn die Beklagte müsse sich angesichts ihrer gesteigerten Erwerbsobliegenheit bundesweit bewerben und auch einen Ortswechsel hinnehmen.

Neben der fehlerhaften Bedarfsermittlung habe das Amtsgericht unzutreffend nicht berücksichtigt, dass der Bruder des Klägers am 28.05.2006 volljährig geworden sei, sodass dessen Unterhaltsanspruch unter Berücksichtigung des Einkommens des Kindesvaters und seines daraus resultierenden Haftungsanteils schon ab Mai 2006 zu ermitteln gewesen sei.

Ferner habe das Amtsgericht unzutreffend nicht berücksichtigt, dass der Selbstbehalt des Kindesvaters bei der Ermittlung seines Haftungsanteils für Unterhaltsansprüche von R. M. von 820,00 € auf 935,79 € wegen erhöhter Wohnkosten habe angepasst werden müssen. Als Folge sei der Unterhaltsanspruch des Klägers falsch berechnet worden.

Für Juli 2007 habe das Amtsgericht eine anzurechnende Ausbildungsvergütung des Klägers von 283,66 € angenommen; diese habe aber nur 207,04 € betragen.

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung des Klägers und begehrt im Wege der Anschlussberufung die Abweisung der Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils.

Sie macht geltend, als Elektromaschinenbauerin mit der Spezialisierung auf ruhende elektrische Maschinen habe sie auf dem heutigen Arbeitsmarkt keine Chancen. Sie könne daher nicht als Facharbeiterin angesehen werden. Mehr als 900,00 € monatlich könne sie nicht verdienen.

Weil die Beklagte auf dem Lande wohne, das nur unzureichend an öffentliche Verkehrsmittel angebunden sei, müsse sie täglich 12 km fahren. Deshalb sei ihr die 5-%-ige Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen zuzubilligen.

Was die Ausübung von Nebentätigkeiten angehe, so habe die Arbeitgeberin der Beklagten deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie diese nicht wünsche.

Auch müsse sich der Kindesvater seinerseits fragen lassen, warum er nicht mehr als 1.429,00 € monatlich netto verdiene. Hierzu habe der Kläger nichts vorgetragen.

Darüber hinaus gehe die gesteigerte Erwerbsobliegenheit gegenüber dem Kläger, der volljährig sei und die allgemeine Schulausbildung abgeschlossen habe, nicht so weit wie beim Minderjährigen oder aber beim Volljährigen, der sich noch in der Schulausbildung befinde.

Seit Volljährigkeit und Schulabschluss des Klägers sei der der Beklagten zu belassende Selbstbehalt auf 1.000,00 € erhöht.

Schließlich sei zu erwähnen, dass die Beklagte dem Kläger und seinem Bruder R. ein monatliches Taschengeld von 50,00 € zahle.

Die Beklagte sei im Ergebnis nicht leistungsfähig.

II.

Die Berufung des Klägers hat zum Teil Erfolg, während der Anschlussberufung der Beklagten der Erfolg versagt bleibt.

Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Kindesunterhalt von Januar 2006 an bis zum Eintritt seiner Volljährigkeit in der unter II.2 im Einzelnen dargestellten Höhe.

1.

Zu Recht wendet sich der Kläger gegen die Zugrundelegung eines fiktiven unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens von lediglich 1.025,00 € auf Seiten der Beklagten durch das Amtsgericht. Diese Vorgehensweise des Amtsgerichts ist schon deshalb bedenklich, weil es der Beklagten im Jahre 2003 gelungen war, einen markant höheren Verdienst von monatlich 1.361,05 € netto bei der Fa. "S. " zu erzielen.

Es überzeugt darüber hinaus angesichts der von der Beklagten erworbenen Qualifikation als Elektromaschinenbauerin und der bei ihr vorhandenen, schon recht umfangreichen Berufserfahrung in verschiedenen Bereichen des Erwerbslebens (Kranführerin, "Fließbandarbeiterin", Angestellte in einem Kopierladen, Regalauffüllerin und Disponentin, Telefonistin) nicht, sie unterhaltsrechtlich wie eine ungelernte Kraft zu behandeln.

Die Beklagte verfügt über eine abgeschlossene Ausbildung als Elektromaschinenbauerin, und es existiert kein Erfahrungssatz, demzufolge sie - weil sie diesen Abschluss in der ehemaligen DDR erworben und nur kurze Zeit in diesem Beruf gearbeitet hat - keine Chance auf dem Arbeitsmarkt hat, eine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeitsstelle zu finden. Offensichtlich hält sich die Beklagte auch selbst für vermittelbar in diesem Ausbildungsberuf, wie ihr Bewerbungsverhalten zeigt, denn sie hat sich in der Vergangenheit auch als Elektromaschinenbauerin beworben.

Die Beklagte legt zwar in erheblichem Umfang Absagen von den von ihr offensichtlich angeschriebenen potentiellen Arbeitgebern aus dem Zeitraum von Januar 2006 bis August 2006 vor, jedoch können diese Bewerbungen einerseits nicht auf Ernsthaftigkeit überprüft werden, weil nicht vorgetragen ist, welche Bewerbungsunterlagen die Beklagte den jeweiligen Adressaten übersandt hat, und andererseits reichen die Bewerbungen auch in quantitativer Hinsicht nicht aus. Die Datierungen der Absagen deuten darauf hin, dass sich die Bewerbungen der Beklagten auf den Zeitraum Januar 2006 bis Mai 2006 konzentriert haben. Sodann liegt lediglich noch eine Absage aus dem Monat August 2006 vor. Damit ist sie den an sie im Rahmen der gesteigerten Erwerbsobliegenheit zu stellenden Anforderungen nicht gerecht geworden, und dies rechtfertigt es, sie so zu stellen, als erziele sie ein Einkommen aus einer Tätigkeit als Elektromaschinenbauerin.

Es ergibt sich aus dem Internet-Portal "nettolohn.de", dass in der Region, in der die Beklagte ansässig ist, nämlich in L. , ein Bruttoeinkommen von 2.000,00 € als Elektromaschinenbauerin erzielbar ist.

Unter Verwendung der Funktion "Brutto-/Nettolohnrechner" des vorgenannten Internet-Portals und bei Einordnung in die Steuerklasse 4 (die Beklagte ist spätestens seit dem Jahr 2003 wieder verheiratet) ergibt sich ein fiktives Nettoeinkommen von monatlich 1.283,20 €. Dem gegenüber fehlt dem Vorbringen der Beklagten, sie könne in den verschiedenen von ihr in der Anschlussberufungsschrift dargestellten Branchen nicht mehr als 900,00 € erzielen, die hinreichende Substanz.

Mit Rücksicht auf ihre gesteigerte Erwerbsobliegenheit gegenüber dem Kläger in der Zeit seiner Minderjährigkeit war sie außerdem gehalten, eine Nebenbeschäftigung auszuüben, aus der monatlich netto 150,00 € erzielbar erscheinen. Wie ihr derzeitiger Arbeitgeber zur Ausübung einer Nebentätigkeit durch die Beklagte steht, ist ebenso ohne Belang wie das Einkommen des Kindesvaters, denn dieser hat in der Zeit der Minderjährigkeit des Klägers seine Unterhaltsverpflichtung durch Leistung von Betreuungsunterhalt erfüllt, und Unterhaltsansprüche des Klägers für die Zeit seit Erreichen seiner Volljährigkeit sind nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

Es ergeben sich fiktive Gesamteinkünfte der Beklagten von monatlich netto 1.433,20 €, abzüglich 5 % für berufsbedingten Aufwand (71,66 €) von monatlich 1.361,54 €.

Bei notwendigen Selbstbehalten von 890,00 € bzw. (ab 01.07.2007) von 900,00 € nach der Düsseldorfer Tabelle ergeben sich die folgenden Verteilungsmassen auf Grund der Annahme fiktiver Einkünfte der Beklagten:

- Januar 2006 bis Juni 2007: 471,54 €,

- Juli 2007 bis Dezember 2007: 461,54 €.

2.

Auf der Grundlage der ermittelten erzielbaren Einkünfte der Beklagten, ihrer Barunterhaltspflicht gegenüber dem Kläger und seinem Bruder R. M. sowie der vom Kläger in den Monaten Juni 2007, Juli 2007 und September 2007 bis Dezember 2007 bezogenen Einkünfte aus Ausbildungsvergütung ergeben sich Unterhaltsansprüche des Klägers gegen die Beklagte wie folgt:

- Januar 2006 bis April 2006 (Die Volljährigkeit von R. M. und damit die Barunterhaltspflicht auch des Kindesvaters für R. ist abweichend von der Auffassung des Amtsgerichts schon ab Mai 2006 zu berücksichtigen, weil in diesem Monat das 18. Lebensjahr vom Bruder des Klägers vollendet wurde):

1.361,54 € (fiktive Einkünfte der Beklagten) - 890,00 € (notwendiger Selbstbehalt) = 471,54 € (Verteilungsmasse); daraus folgen jeweils 235,77 €, gerundet 236,00 €, für den Kläger und seinen Bruder R. . Verlangt werden jedoch vom Kläger lediglich monatlich 205,00 €, sodass die Berufung insoweit begründet ist.

- Mai 2006 bis Mai 2007 (Nunmehr wirkt sich die Volljährigkeit von R. M. aus):

1.361,54 € (fiktive Einkünfte der Beklagten) + 1.429,00 € (Nettoeinkünfte des Kindesvaters) = 2.790,54 €; daraus folgt ein Bedarf von R. M. nach der Unterhaltstabelle von 437,00 € monatlich.

Nach Abzug der jeweiligen angemessenen Selbstbehalte nach Nr. 13.3 der Unterhaltsleitlinien des OLG Naumburg, Stand: 01.07.2005 (jew. 1.000,00 €) ergeben sich Einsatzbeträge für den Kindesvater von 429,00 €, für die Beklagte von 361,54 €. Daraus folgt eine Unterhaltspflicht der Beklagten für R. M. von 200,00 € monatlich.

Der Bedarf des Klägers nach der Unterhaltstabelle beträgt 312,00 €, sodass sich ein Gesamtbedarf für den Kläger und R. M. von 512,00 € ergibt.

Der Unterhaltsanspruch des Klägers beträgt mithin 312,00 € x 471,54 € (Verteilungsmasse) : 512,00 € (Gesamtbedarf) = 288,00 € (aufgerundet); verlangt werden vom Kläger jedoch für Mai 2006 lediglich 194,00 € und für Juni 2006 bis Mai 2007 jeweils nur 287,00 €. Die Berufung ist also insoweit begründet.

- Juni 2007 (Der Kläger befindet sich nunmehr in der ersten Berufsausbildung):

312,00 € (Bedarf Kläger nach Tabelle) - 179,33 € (Ausbildungsvergütung des Klägers von 443,66 € : 2 = 221,83 € - 42,50 € [1/2 des Pauschalabzugs von 85,00 € für ausbildungsbedingten Mehrbedarf gemäß Nr. 10.2.3, 12.1 der Unterhaltsleitlinien des OLG Naumburg, Stand: 01.07.2005] = 132,67 € (Einsatzbetrag für den Kläger)

Unterhaltsanspruch des Klägers mithin 132,67 € x 471,54 € (Verteilungsmasse) : 512,00 € (Gesamtbedarf) = 123,00 € (aufgerundet); verlangt werden vom Kläger jedoch 188,00 €. Ausgeurteilt hat das Amtsgericht 38,00 € für Juni 2007, sodass insoweit die Berufung des Klägers teilweise begründet ist.

- Juli 2007 (Der Kläger erzielt eine geringere Ausbildungsvergütung wegen Abbruchs der ersten Berufsausbildung):

309,00 € (Bedarf Kläger nach Tabelle) - 61,02 € (Ausbildungsvergütung des Klägers von 207,04 € (Hier greift der Einwand des Klägers, das Amtsgericht sei von einer zu hohen Vergütung des Klägers im Juli 2007 ausgegangen) : 2 = 103,52 € - 42,50 € [1/2 des Pauschalabzugs von 85,00 € für ausbildungsbedingten Mehrbedarf gemäß Nr. 10.2.3, 12.1 der Unterhaltsleitlinien des OLG Naumburg, Stand: 01.07.2007] = 247,98 € (Einsatzbetrag für den Kläger)

Unterhaltsanspruch des Klägers mithin 247,98 € x 471,54 € (Verteilungsmasse) : 507,00 € (Gesamtbedarf von 198,00 € [R. M. ] + 309,00 € [Kläger]) = 231,00 € (aufgerundet); verlangt werden vom Kläger 288,00 €. Ausgeurteilt hat das Amtsgericht 69,00 € für Juli 2007, sodass insoweit die Berufung des Klägers teilweise begründet ist.

- August 2007 (Kein Einkommen des Klägers aus Ausbildungsvergütung):

Unterhaltsanspruch des Klägers 309,00 € x 471,54 € (Verteilungsmasse) : 507,00 € (Gesamtbedarf) = 288,00 € (aufgerundet); verlangt werden vom Kläger 288,00 €. Ausgeurteilt hat das Amtsgericht 106,00 €. Allerdings sind noch 4,00 € anteiligen Kindergeldes anzurechnen, sodass sich ein tatsächlicher Zahlbetrag von 284,00 € ergibt und insoweit die Berufung des Klägers begründet ist.

- September 2007 (Nunmehr erzielt der Kläger eine Vergütung aus seiner zweiten Berufsausbildung):

309,00 € (Bedarf Kläger nach Tabelle) - 23,30 € (Ausbildungsvergütung des Klägers von 131,60 € : 2 = 65,80 € - 42,50 € [1/2 des Pauschalabzugs von 85,00 € für ausbildungsbedingten Mehrbedarf gemäß Nr. 10.2.3, 12.1 der Unterhaltsleitlinien des OLG Naumburg, Stand: 01.07.2007]) = 285,70 € (Einsatzbetrag für den Kläger)

Unterhaltsanspruch des Klägers mithin 285,70 € x 471,54 € (Verteilungsmasse) : 507,00 € (Gesamtbedarf) = 266,00 € (aufgerundet); verlangt werden vom Kläger nur 99,00 €. Ausgeurteilt hat das Amtsgericht 97,00 €, sodass die Berufung des Klägers teilweise begründet ist.

- Oktober 2007 bis Dezember 2007 (Nunmehr bezieht der Kläger die volle Ausbildungsvergütung aus der zweiten Berufsausbildung):

309,00 € (Bedarf Kläger nach Tabelle) - 98,50 € (Ausbildungsvergütung des Klägers von 282,00 € : 2 = 141,00 € - 42,50 € [1/2 des Pauschalabzugs von 85,00 € für ausbildungsbedingten Mehrbedarf gemäß Nr. 10.2.3, 12.1 der Unterhaltsleitlinien des OLG Naumburg, Stand: 01.07.2007]) = 210,50 € (Einsatzbetrag für den Kläger)

Unterhaltsanspruch des Klägers mithin 210,50 € x 471,54 € (Verteilungsmasse) : 507,00 € (Gesamtbedarf) = 196,00 € (aufgerundet); verlangt werden vom Kläger je 211,00 €, ausgeurteilt hat das Amtsgericht monatlich je 69,00 €, sodass insoweit die Berufung des Klägers teilweise begründet ist.

Im Ergebnis ist die Beklagte daher zu folgenden Unterhaltszahlungen an den Kläger für den in Frage stehenden Zeitraum zu verurteilen:

- Januar 2006 bis April 2006: je 205,00 €,

- Mai 2006: 194,00 €,

- Juni 2006 bis Mai 2007: je 287,00 €,

- Juni 2007: 123,00 €,

- Juli 2007: 231,00 €,

- August 2007: 288,00 € (abzüglich Kindergeldanteil von 4,00 € = 284,00 €)

- September 2007: 99,00 €,

- Oktober bis Dezember 2007: je 196,00 €.

Daraus ergibt sich ein von der Beklagten geschuldeter Gesamtrückstand an Kindesunterhalt für die Zeit von Januar 2006 bis Dezember 2007 von 5.783,00 €.

Soweit vorstehend eine Mangelfallberechnung durchgeführt wurde, liegt dem durchgehend eine Barunterhaltspflicht der Beklagten (und des Kindesvaters) gegenüber dem Kind R. M. als volljährigem Schüler, also auf der Grundlage der Unterhaltstabelle, zu Grunde. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts ist R. M. zwar inzwischen Student; es wird allerdings nicht vorgetragen, seit wann dies der Fall ist. Soweit die Beklagte ihren beiden Söhnen monatlich jeweils 50,00 € Taschengeld gezahlt hat, bleibt dies unterhaltsrechtlich unberücksichtigt, zumal diesen Leistungen keine Zweckbestimmung als Unterhalt beigemessen werden kann.

Der Kläger kann Zinsen seit dem 20.11.2006 (Datum des Eintritts der Rechtshängigkeit) aus dem Unterhaltsbetrag für Januar 2006 bis September 2006 (2.162,00 €) gemäß §§ 286 Abs. 1 S. 2, 288 BGB von der Beklagten beanspruchen.

3.

Die Kostenentscheidung sowie die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus den §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts beruht auf §§ 42 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1, 47 Abs. 1 S. 1 GKG.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und darüber hinaus erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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