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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 13.12.2007
Aktenzeichen: 8 UF 172/07
Rechtsgebiete: RegelbetragVO, BGB, ZPO


Vorschriften:

RegelbetragVO § 2
BGB § 1612a
BGB § 1612b
BGB § 1612b Abs. 1
BGB § 1612b Abs. 5
ZPO § 655
ZPO § 767
Bei einem Zahlungstitel muss der zu vollstreckende Zahlungsanspruch betragsmässig festgelegt sein, soweit er sich aus dem Titel nicht "ohne Weiteres" errechnen lässt. Dies bedeutet, dass bei einem dynamischen Titel der anzurechnende Kindergeldbetrag beziffert ausgewiesen sein muss (Argument aus § 655 ZPO).
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 UF 172/07 OLG Naumburg

Verkündet am: 13.12.2007

In der Familiensache

hat der 8. Zivilsenat - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Feldmann und die Richter am Oberlandesgericht Bisping und Harms

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 04. Juli 2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Halberstadt unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels für die Zeit ab August 2004 abgeändert und für diese Zeit zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

1. Auf die Klage wird die Zwangsvollstreckung aus der Jugendamtsurkunde der Stadt B. , Bezirksamt Mitte, vom 12. September 2002 (Beurk.-Reg. Nr. 1642/2002) für unzulässig erklärt.

2. Auf die Widerklage wird der klagende Kindesvater verurteilt, an das beklagte Kind für die Zeit ab Mai 2006 monatlich im voraus fälligen Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des Regelbetrages nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung zu zahlen, wobei für die Zeit bis Oktober 2007 Kindergeld in Höhe von - zurzeit - EUR 11 monatlich angerechnet wird.

3. Die weitergehende Widerklage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Gebührenstreitwert für den Berufungsrechtszug wird auf EUR 7.721 festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über Kindesunterhalt.

Der klagende Kindesvater war mit der Kindesmutter verheiratet. Aus der Ehe ging das (am 26. November 2001 geborene) beklagte Kind hervor. Mit der im Tenor bezeichneten Jugendamtsurkunde vom 12. September 2002 verpflichtete sich der Kindesvater zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von 115,2 % des Regelbetrages nach § 2 Regelbetrag-Ver-ordnung "unter Anrechnung des jeweils nach § 1612b Abs. 1 und 5 BGB anrechenbaren Kindergelds". Damals war der Kindesvater noch bei der M. mbH mit Sitz in H. beschäftigt, der er zum 24. Oktober 2002 kündigen musste, weil die Gesellschaft plötzlich Lohn schuldig blieb. Am 06. November 2002 trat er eine neue Stelle bei der L. GmbH mit Sitz in H. an, bei der er netto EUR 1.102 monatlich verdient hat.

Als sich die Kindeseltern trennten, wies das Landeseinwohneramt B. , Abteilung Ausländerangelegenheiten, den Kindesvater aus der Bundesrepublik Deutschland aus, weil er kein deutscher Staatsbürger ist. Den Antrag des Kindesvaters auf einstweiligen Rechtsschutz beschied man abschlägig (Entscheidung des OVG Berlin vom 27. November 2003); spätestens seit diesem Zeitpunkt arbeitete der Kindesvater also ohne Arbeitserlaubnis. Mit Rücksicht darauf trat er bei seinem Arbeitgeber Anfang August 2004 unbezahlten Urlaub an und nahm die fristlose Kündigung seines Arbeitgebers hin, die wegen des Wegfalls der Arbeitserlaubnis mit Schreiben vom 30. August 2004 erfolgte. Als die Ehe mit der Kindesmutter geschieden wurde, kam er seiner drohenden Abschiebung zuvor, indem er am 01. April 2005 in sein Heimatland, die Türkei, ausreiste. Dort arbeitete er gegen Kost und Logis in der Haus- und Landwirtschaft seiner Mutter mit und heiratete erneut eine Deutsche, so dass er am 06. April 2006 wieder in die Bundesrepublik Deutschland einreisen durfte. Am 06. Juni 2006 ließ er sich eine neue Aufenthaltserlaubnis erteilen, die ihn wiederum zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte. Am 01. Juli 2006 nahm er eine Teilzeitarbeit bei der Fa. G. in B. auf.

Im ersten Rechtszug hat der klagende Kindesvater geltend gemacht, seit Juli 2004 nicht mehr leistungsfähig zu sein, weil er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Deutschland arbeiten durfte und mit seiner jetzigen Teilzeitarbeit nur noch geringeres Einkommen als früher erzielt. Mit dieser Begründung hat er für die Zeit ab Juli 2004 eine entsprechende "Abänderung" der Jugendamtsurkunde erstrebt. Das Familiengericht hat den titulierten Kindesunterhalt für die Zeit ab Juli 2004 lediglich auf 100 % nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung reduziert, da der klagende Kindesvater im Übrigen nicht alle verfügbaren Mittel zu seinem und des Kindes Unterhalt eingesetzt habe und einsetze (§ 1603 Abs. 2 BGB). Gegen diese Entscheidung wendet sich der klagende Kindesvater mit der Berufung, mit der er - jetzt nur noch für die Zeit ab August 2004 - seinen erstinstanzlichen Antrag auf vollständige Herabsetzung des in der Jugendamtsurkunde titulierten Kindesunterhaltes weiterverfolgt.

II.

Der Senat hat nur noch über Kindesunterhalt für die Zeit ab August 2004 zu befinden, nachdem der klagende Kindesvater sein Begehren im zweiten Rechtszug auf diesen Zeitraum beschränkt hat. Für die Zeit ab August 2004 ist die Berufung des klagenden Kindesvaters lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg:

1.a) Die streitbefangene Jugendamtsurkunde vom 12. September 2002 hat keinen vollstreckungsfähigen Inhalt, weil die in der Urkunde vorgenommene Kindergeldanrechnung nach § 1612b BGB nicht in einem - konkreten - Währungsbetrag beziffert worden ist.

Ein Titel, aus dem die Zwangsvollstreckung betrieben werden soll, ist nur dann bestimmt genug und zur Zwangsvollstreckung geeignet, wenn er nicht nur den Anspruch des Gläubigers, sondern auch Inhalt und Umfang der Leistungspflicht bezeichnet. Bei einem Zahlungstitel muss der zu vollstreckende Zahlungsanspruch betragsmäßig festgelegt sein (BGHZ 22, 54, 57), soweit er sich aus dem Titel nicht "ohne weiteres" errechnen lässt (BGHZ 88, 62, 65). Der Titel muss mithin aus sich heraus sämtliche Kriterien für seine Bestimmbarkeit eindeutig festlegen (BGH, FamRZ 2006, 261, 262), was bei der Jugendamtsurkunde vom 12. September 2002 nicht der Fall ist.

Bedürfte es bei dynamischen Unterhaltstiteln nach § 1612a BGB, die auf einen bestimmten Prozentsatz des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung lauten, nach dem Willen des Gesetzgebers keiner ziffernmäßigen Bestimmung des anzurechnenden Kindergeldbetrages, wäre die Bestimmung zu § 655 ZPO obsolet, die bei einer Änderung des konkret anzurechnenden Kindergeldbetrages eine Abänderung des betreffenden Titels erlaubt (Senat, Urteil vom 04. Juli 2002 - 8 UF 220/01 -). Auch die Gesetzesmotive zu §§ 1612a und 1612b BGB (BT-Drucksache 13/7338) empfehlen - zum Beispiel - folgende konkrete Titulierung: "112,5 % des jeweiligen Regelbetrages ... abzüglich 110 DM (Kindergeldanteil)".

b) Da der Alttitel keinen vollstreckungsfähigen Inhalt besitzt, hat das beklagte Kind nach wie vor einen Anspruch auf eine - vollstreckungsfähige - Ersttitulierung seines Kindesunterhalts. Dem hat das Familiengericht im ersten Rechtszug Rechnung getragen, indem es den in der besagten Jugendamtsurkunde titulierten Kindesunterhalt erstmals in vollstreckungsfähiger Weise auf 100 % des Regelbetrages nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung "herabgesetzt" (tituliert) und kein Kindergeld angerechnet hat. Dabei hat das Familiengericht lediglich übersehen, dass sich das Kind bis Oktober 2007 noch in der ersten Altersstufe befand und in dieser Altersstufe bei 100 % des Regelbetrages nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung bis auf Weiteres Kindergeld in Höhe von EUR 11 monatlich angerechnet werden muss (§ 1612b Abs. 5 BGB); erst für die zweite Altersstufe, hier also ab November 2007, entfällt bei 100 % des Regelbetrages nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung jegliche Kindergeldanrechnung.

c) Das beklagte Kind verteidigt im zweiten Rechtszug das Urteil des Familiengerichts, worin die konkludente Erhebung einer zweitinstanzlichen Widerklage (§ 533 ZPO) auf erstmalige - vollstreckungsfähige - Titulierung seines Kindesunterhalts in der vom Familiengericht titulierten Höhe liegt (analog § 133 BGB). Und der klagende Kindesvater wendet sich in zweiter Instanz für die Zeit ab August 2004 gegen die - nicht vollstreckungsfähige - Jugendamtsurkunde, was nichts anderes bedeutet, als dass er den nicht vollstreckungsfähigen Alttitel für die besagte Zeit analog § 767 ZPO zu beseitigen sucht (vgl. BGH, FamRZ 2006, 261 ff.). Die Klage analog § 767 ZPO und die zweitinstanzliche Widerklage sind Streitgegenstand im Berufungsrechtszug.

2. Die Klage analog § 767 ZPO ist zwar begründet, allerdings hat auch die Widerklage - teilweisen - Erfolg:

a) Für die Zeit von August 2004 bis April 2006 hat das Kind keinen Anspruch auf Kindesunterhalt, da der Kindesvater während dieser Zeit nicht leistungsfähig gewesen ist, weil er in Deutschland keine Arbeitserlaubnis mehr besaß und in die Türkei zurückgekehrt ist. Zwar hat sich ein Kindesvater grundsätzlich die gesetzliche Vermutung entgegenhalten zu lassen, dass er gegenüber seinem minderjährigen Kind in Höhe von bis zu 100 % des Regelbetrages als leistungsfähig gilt (vgl. BGH, FamRZ 2002, 536 ff.). Diese Vermutung hat der klagende Kindesvater aber nach Auffassung des Senates für die besagte Zeit entkräftet, weil nicht ohne Weiteres angenommen werden darf, dass er unter den gegebenen Umständen noch zahlungskräftig gewesen ist. Es macht eben einen Unterschied, ob man in Deutschland eine Arbeitserlaubnis besitzt oder in die Türkei zurückkehren muss und dort auf dem Lande lebt, weil die gesamten Lebensverhältnisse nicht vergleichbar sind. Insoweit ist die vom klagenden Kindesvater herangezogene höchstrichterliche Rechtsprechung einschlägig, die darauf abhebt, dass sich der Unterhaltspflichtige nur dann als leistungsfähig behandeln lassen muss, wenn zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei genügenden Bemühungen eine reale Beschäftigungschance mit entsprechenden Verdienstmöglichkeiten besteht.

b) Am 06. April 2006 durfte der klagende Kindesvater allerdings wieder in die Bundesrepublik Deutschland einreisen, und von dieser Möglichkeit hat er auch Gebrauch gemacht. Insoweit hat ihm das Familiengericht zu Recht vorgehalten, dass er sich nicht bereits ab Mai 2006 eine Vollzeitarbeit gesucht hat, obgleich ihn gegenüber seinem minderjährigen Kind nach wie vor eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit trifft:

Reichen die tatsächlichen Einkünfte des Unterhaltsschuldners nicht aus, um seinen Bedarf und den Bedarf des Unterhaltsgläubigers zu decken, trifft den Unterhaltsschuldner die Obliegenheit, die ihm zumutbaren Einkünfte zu erzielen, insbesondere seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen und eine ihm mögliche Erwerbstätigkeit auszuüben. Eine Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern legt dem Unterhaltsschuldner sogar eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit auf (§ 1603 Abs. 2 BGB; vgl. BGH, NJW 1994, 1002 ff. m.w.N.). So ist er verpflichtet, seine gesamte ihm zur Verfügung stehende freie Zeit für Bewerbungen auf Arbeitsstellen einzusetzen, mit denen er nicht nur seinen, sondern auch den Unterhaltsbedarf seiner minderjährigen Kinder zu decken vermag. Zu diesem Zweck besteht auch eine Obliegenheit zur Aufnahme weiterer Tätigkeiten einschließlich Nebentätigkeiten wie Zeitungaustragen, Kellnern usw. (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Auflage, § 1603 Rn 57 f.).

Dieser Obliegenheit hat der - insoweit darlegungs- und beweispflichtige - klagende Kindesvater nach seiner Wiedereinreise am 06. April 2006 nicht genügt. Denn für die Zeit ab 06. April 2006 hat er nicht nachvollziehbar vorgetragen, zumindest aber nicht nachgewiesen, dass er sich mit der gebotenen Intensität um eine schnellstmögliche Arbeitserlaubnis sowie um eine ausreichend vergütete Vollzeitstelle oder eine Vollzeitstelle mit einer Nebentätigkeit bemüht hat. So kann der Senat nicht nachvollziehen, weshalb sich der klagende Kindesvater nicht sofort wieder bei seinem früheren Arbeitgeber, der Fa. L. GmbH, vorgestellt hat. Außerdem bleibt unklar, warum er bei seinem jetzigen Arbeitgeber, der Fa. G. , lediglich eine Teilzeitarbeit aufgenommen hat; denn in der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz hat er wörtlich eingeräumt, dass er bei seinem jetzigen Arbeitgeber gegen eine entsprechende Vergütung "mittlerweile auch grundsätzlich mehr als die bisher üblichen Stunden arbeiten" darf. Schließlich war der Kindesvater im Jahre 2002 noch fähig, an sein Kind 115,2 % des Regelbetrages nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung zu leisten, wie er mit der Jugendamtsurkunde vom 12. September 2002 eingestanden hat. Es ist daher nicht einzusehen, weshalb er heute nicht einmal mehr 100 % des besagten Regelbetrages zu leisten vermag. Für eine Verringerung seiner Leistungsfähigkeit - etwa aus gesundheitlichen Gründen - fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Und der pauschale Hinweis des klagenden Kindesvaters auf die allgemeine Arbeitsmarktlage in Deutschland reicht zur Entkräftung der Vermutung, den Regelbetrag zu 100 % leisten zu können, nicht aus, zumal sich die allgemeine Arbeitsmarktlage in Deutschland seit 2006 gebessert hat.

Aus allen diesen Gründen ist die vom klagenden Kindesvater zitierte Rechtsprechung für die besagte Zeit ab 06. April 2006 nicht einschlägig, so dass er spätestens ab Mai 2006 in Höhe von 100 % des Regelbetrages nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung als leistungsfähig gilt.

Ende der Entscheidung

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