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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 22.02.2007
Aktenzeichen: 8 UF 185/06
Rechtsgebiete: Regelbetrag-VO, BGB


Vorschriften:

Regelbetrag-VO § 2
BGB § 313 n.F.
BGB § 1712 Abs. 1 Nr. 2
Der betreuende Elternteil vertritt das Kind nicht nur im aktiven, sondern auch im passiven Rechtsstreit über den Unterhalt.

Die bisherige Rechtsprechung wird hiermit aufgegeben.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 UF 185/06 OLG Naumburg

verkündet am: 22.02.2007

In der Familiensache

hat der 8. Zivilsenat - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Feldmann und die Richter am Oberlandesgericht Bisping und Harms auf die mündliche Verhandlung vom 08. Februar 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufungen der beklagten Kinder wird das am 18. September 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Merseburg unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

1. Die Urkunde des Jugendamtes der Stadt B. vom 09. Februar 2004 (UR-Nr. 131/2004) wird dahin abgeändert, dass der klagende Kindesvater für die Zeit ab April 2006 nur noch Kindesunterhalt in Höhe von 94,2 % des Regelbetrages nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung an das (am 29. November 1991 geb.) beklagte Kind zu 1 zu Händen der Kindesmutter zu zahlen hat. Kindergeld wird zurzeit nicht angerechnet.

2. Die Urkunde des Jugendamtes der Stadt B. vom 09. Februar 2004 (UR-Nr. 132/2004) wird dahin abgeändert, dass der klagende Kindesvater für die Zeit ab April 2006 nur noch Kindesunterhalt in Höhe von 94,3 % des Regelbetrages nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung an das (am 24. Januar 1994 geb.) beklagte Kind zu 2 zu Händen der Kindesmutter zu zahlen hat. Kindergeld wird zurzeit nicht angerechnet.

Im Übrigen wird die Titelabänderungsklage des klagenden Kindesvaters abgewiesen.

II. Die unselbständige Anschlussberufung des klagenden Kindesvaters wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der klagende Kindesvater zu 87 v.H. und die beklagten Kinder zu 13 v.H.

Gründe:

I.

Die beiden beklagten Kinder sind aus der inzwischen geschiedenen Ehe des klagenden Kindesvaters mit der Kindesmutter hervorgegangen. Nach der Trennung von der Kindesmutter ließ der Kindesvater die beiden im Tenor bezeichneten Jugendamtsurkunden errichten, mit denen er sich verpflichtete, jeweils zu Händen der Kindesmutter an das beklagte Kind zu 1 für die Zeit ab Juli 2005 Kindesunterhalt in Höhe von 108,3 % des Regelbetrages nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung und an das beklagte Kind zu 2 für die Zeit ab Januar 2006 Kindesunterhalt in Höhe von 108,5 % des Regelbetrages nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung zu zahlen. Geschäftsgrundlage war, dass der Kindesvater damals Stadtobersekretär bei der Stadt B. war und aus dieser Tätigkeit ein Nettoeinkommen von EUR 1.830 monatlich erzielte.

Als der sehr stark sehbehinderte Kindesvater auch noch völlig ertaubte, versetzte ihn die Stadt B. auf Grund eines amtsärztlichen Gutachtens mit Wirkung vom April 2006 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand. Seitdem bezieht er nur noch Versorgungsbezüge in Höhe von netto EUR 1.496 monatlich. Außerdem geht er einer Nebentätigkeit nach, mit der er netto ca. EUR 65 monatlich hinzuverdient, und er hat Einkünfte aus Kapitalvermögen von ca. EUR 39 monatlich.

Mit Rücksicht darauf hat der Kindesvater am 06. April 2006 eine Klage auf Herabsetzung des in den beiden Jugendamtsurkunden titulierten Kindesunterhaltes eingereicht. Auf die Titelabänderungsklage hat das Familiengericht den in den beiden Jugendamtsurkunden titulierten Kindesunterhalt durch Urteil vom 18. September 2006 für die Zeit ab April 2006 auf jeweils 43 % des Regelbetrages nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung herabgesetzt. Gegen diese Entscheidung wenden sich die beiden beklagten Kinder mit ihren Berufungen, mit denen jeweils eine Abweisung der Titelabänderungsklage - also eine Heraufsetzung des Kindesunterhalts auf den in den Jugendamtsurkunden titulierten Kindesunterhalt - erstrebt wird.

II.

Die zulässigen Berufungen sind überwiegend begründet, weil der in den beiden Alttiteln titulierte Kindesunterhalt nur auf 94,2 bzw. 94,3 % des Regelbetrages nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung herabzusetzen ist, wie aus dem Tenor hervorgeht:

1. Die beiden beklagten Kinder werden - nachdem der Senat seine bisherige ständige Rechtssprechung aufgegeben hat - von der Kindesmutter vertreten, auch wenn der Gesetzeswortlaut die Vertretung von Kindern durch nur einen lediglich mitsorgeberechtigten Elternteil lediglich für Fälle der "Geltendmachung" von Kindesunterhalt vorsieht (§ 1629 Abs. 2 BGB). Mit Rücksicht auf diesen Gesetzeswortlaut hat der Senat zwar bislang in ständiger Rechtsprechung angenommen, dass sich die Vertretungsbefugnis allein auf Aktivprozesse klagender Kinder erstreckt und es bei Passivprozessen gegen beklagte Kinder zu deren Vertretung der Bestellung eines Ergänzungspflegers bedarf (§ 1909 BGB). Diese ständige Rechtsprechung hat der Senat aber aufgegeben, weil auch in der Verteidigung gegen eine Klage auf Herabsetzung titulierten Kindesunterhaltes (§ 323 ZPO) inzidenter eine - weitere - "Geltendmachung" des bereits titulierten Kindesunterhaltes zu sehen ist (so auch Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Auflage, § 1629 Rn 30, 40 m.w.N.). Die neue Senatsrechtsprechung steht im Einklang mit der jetzigen Auslegung der Bestimmung zu § 1712 Abs. 1 Nr. 2 BGB durch den Senat.

2. Sollen, wie hier, auf Titelabänderungsklagen keine Urteile, sondern andere Alttitel - zu denen auch Jugendamtsurkunden gehören - abgeändert werden (§ 323 Abs. 1 und 4 ZPO), so richten sich die Abänderungsvoraussetzungen materiell-rechtlich nach § 313 BGB n.F. (Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Auflage, § 323 Rn 43 ff. m.w.N.). Eine Abänderung eines solchen Alttitels setzt mithin eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage voraus, die dem Alttitel zu Grunde gelegen hat (§ 313 Abs. 1 BGB n.F.). D.h., nur soweit sich die Geschäftsgrundlage des Alttitels verändert hat, ist eine Abänderung des Titels erlaubt. Dabei ist es unerheblich, ob die Geschäftsgrundlage zu Recht dem Titel zu Grunde gelegt worden ist. Auch wenn dies nicht der Fall gewesen ist, ist keine "freie" Neufestsetzung des in einem Alttitel titulierten Unterhaltsanspruches zulässig. Man spricht deshalb von einer fortbestehenden gewissen "Bindungswirkung" des abzuändernden Alttitels (vgl. zum Ganzen Zöller/Vollkommer a.a.O., § 323 Rn 41 m.w.N.).

Hier hat der klagende Kindesvater - der die Voraussetzungen für die von ihm erstrebte Herabsetzung des in den beiden Jugendamtsurkunden titulierten Kindesunterhaltes darzulegen und ggf. unter Beweis zu stellen hat - lediglich vorgetragen, dass den beiden Alttiteln als Geschäftsgrundlage jeweils sein damaliges Nettoeinkommen von EUR 1.830 monatlich zu Grunde gelegt worden ist. Dieses Nettoeinkommen hat sich zwar schwerwiegend verringert, seit er mit Wirkung vom April 2006 in den Ruhestand versetzt worden ist. Die Einkünfte, die ihm seitdem noch zur Verfügung stehen, belaufen sich nämlich nur noch auf (EUR 1.496 zzgl. EUR 65 zzgl. EUR 39 mtl., d.s.) monatlich EUR 1.600 insgesamt. Diese Einkünfte machen aber immer noch 87 % seines früheren Einkommens aus. Infolgedessen verringert sich der in den beiden Jugendamtsurkunden titulierte Kindesunterhalt für die Zeit ab April 2006 lediglich um 13 %, woraus sich für die besagte Zeit eine Verringerung des titulierten Kindesunterhaltes von 108,3 bzw. 108,5 % nach § 2 der Regelbetrag-Verordnung auf den aus dem Tenor ersichtlichen dynamischen Kindesunterhalt ergibt.

Ende der Entscheidung

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