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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 20.08.2001
Aktenzeichen: 8 WF 169/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 138
BGB § 242
Ein umfassender Ehevertrag, der zur Erleichterung der Scheidung abgeschlossen wird, muss die Rechte beider Parteien ausgewogen berücksichtigen und unterliegt insoweit auch einer inhaltlichen Überprüfung (vgl. BVerfG in FamRZ 2001, 343 ff).

Wird durch den Ausschluss des nachehelichen Unterhaltes zwangsläufig eine Partei von der Sozialhilfe abhängig, ist grundsätzlich von der Teilnichtigkeit dieses Vertragsteils auszugehen (BGH in FamRZ 1983, 137).

Der Gewährung von Prozesskostenhilfe steht ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss nicht entgegen, wenn die zugrundeliegenden schwierigen Rechtsfragen auch im Verfahren über einen Prozesskostenvorschuss von grundlegender Bedeutung wären (keine Verlagergung der Hauptsachenentscheidung in Neben- oder Vorverfahren).


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

8 WF 169/01 OLG Naumburg

Naumburg, den 20. August 2001

In der Familiensache

...

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Naumburg vom 26. April 2001 in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 01. August 2001 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Familiengericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die am 23. September 1961 geborene Antragsgegnerin begehrt von dem am 09. Dezember 1958 geborenen Antragsteller Zugewinnausgleich.

Am 18. April 1984 heirateten die Parteien. Die Ehe blieb wegen einer Erkrankung der Antragsgegnerin kinderlos. Am 28. Juni 1999 reichte der Antragsteller den Antrag auf Scheidung der Ehe ein, der am 17. August 1999 rechtshängig wurde. Am 20. September 2000 beantragte die Antragsgegnerin die Gewährung von Prozesskostenhilfe für einen Stufenantrag auf Auskunft und Zahlung von Zugewinnausgleich, bezogen auf das Endvermögen des Antragstellers am 17. August 1999.

Der Antragsteller hatte nach der Wiedervereinigung ein Bauunternehmen gegründet, mit dem er - vor Steuern - im Jahre 1996 einen Gewinn von DM 294.727,93 und im Jahre 1997 einen Gewinn von DM 180.458,73 erwirtschaftete (Bl. 78 d.A.). Demgegenüber erwirtschaftete die Antragsgegnerin keinen Zugewinn.

Am 12. März 1998 trafen die Parteien eine notarielle Scheidungsfolgenvereinbarung, mit der sie Gütertrennung vereinbarten und mit der die Antragsgegnerin - gegen Zahlung von DM 10.000,-- - auf weiter gehenden Zugewinnausgleich verzichtete. Außerdem verzichtete die Antragsgegnerin auf nachehelichen Unterhalt, und zwar "auch für den Fall der Not". Ergänzend schlossen die Parteien den Versorgungsausgleich aus (Bl. 18 ff. UA Ansprüche aus Güterrecht).

Mit Schreiben vom 20. August 1999 erklärte die Antragsgegnerin - die vorträgt, gegenwärtig auf Sozialhilfe angewiesen zu sein - die Anfechtung der Vereinbarung wegen arglistiger Täuschung und berief sich - unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme einer Diplom-Psychologin (Bl. 53 f. d.A.) sowie auf ein vom Familiengericht eingeholtes nervenärztliches Gutachten (Bl. 85 ff. d.A.) - darauf, von dem Antragsteller nach wie vor psychisch abhängig zu sein. Der Antragsteller habe unmittelbar vor dem Abschluss der Vereinbarung vom 12. März 1998 erklärt, sie "keinesfalls" zu benachteiligen. An eine Belehrung durch den Notar könne sie sich nicht erinnern. Bei dem Abschluss der Vereinbarung habe sie nicht gewusst, worum es ging. Diese Umstände seien für die Vereinbarung ursächlich. Dessen und der mit der Vereinbarung verbundenen nachteiligen Folgen sei sie sich erst auf Grund einer Besprechung mit ihrem Prozessbevollmächtigten am 19. August 1999 bewusst geworden (Bl. 16 f. d.A.).

Mit Beschluss vom 26. April 2001 hat das Familiengericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht abgelehnt (Bl. 143 ff. d.A.) und der Beschwerde der Antragsgegnerin - mit der sie sich ergänzend auf ein krasses Missverhältnis zwischen vereinbartem und gesetzlich geschuldetem Zugewinnausgleich beruft - mit Beschluss vom 01. August 2001 nicht abgeholfen (Bl. 166 f. PkH-Heft).

II.

Die - zulässige - Beschwerde der Antragsgegnerin (§ 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO) ist begründet.

1. Zutreffend ist allerdings die Erwägung des Familiengerichts, dass es zweifelhaft erscheint, ob die Antragsgegnerin bei dem Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung vom 12. März 1998 über den Inhalt ihrer Willenserklärungen im Irrtum gewesen ist (§ 119 Abs. 1 BGB). Ihr Vortrag, nicht gewusst zu haben, worum es ging, lässt nicht auf einen zur Anfechtung berechtigenden Inhaltsirrtum schließen, sondern auf einen bloßen Irrtum über Rechtsfolgen ihrer Erklärung, der nicht zur Anfechtung berechtigt (vgl. Soergel/Gaul, BGB, 12. Aufl., § 1408 Rdn. 42).

2. Damit ist die rechtlich gebotene Prüfung aber noch nicht erschöpft.

a) Der Vortrag der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe ihr erklärt, sie "keinesfalls" zu benachteiligen, deutet auf eine arglistige Täuschung durch den Antragsteller hin, die ein Anfechtungsrecht begründet (§ 123 Abs. 1 BGB), zumal die Antragsgegnerin - ausweislich der notariellen Urkunde - vom Notar nicht über die rechtliche Tragweite der Vereinbarung über den Zugewinnausgleich (zu Ziffer 3.) belehrt worden ist (vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 1987, 953 f.). Letzteres gilt auch für den Ausschluss des Versorgungsausgleichs (zu Ziffer 4.). Die Anfechtungsfrist (§ 124 BGB) ist nach Darstellung der Antragsgegnerin gewahrt.

b) Im übrigen hat das Familiengericht nicht beachtet, dass die Scheidungsfolgen-vereinbarung der Inhaltskontrolle nach §§ 138, 242 BGB unterliegt.

So sind der Freiheit von Ehepartnern zur vertraglichen Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen durch Eheverträge unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) Grenzen gesetzt, wo die Vereinbarung objektiv zwangsläufig zur Sozialhilfebedürftigkeit eines Vertragsschließenden führt (BVerfG, FamRZ 2001, 343, 344; ferner BGH, FamRZ 1983, 137; BGH, NJW 1987, 1546, 1548). Letzteres kommt nach Darstellung der Antragsgegnerin in Betracht, da sie vermögenslos ist und nicht nur auf nachehelichen Unterhalt, "auch für den Fall der Not", sondern auch auf einen Versorgungsausgleich verzichtet hat. Auf Grund dieser Vertragsgestaltung besteht die objektive Gefahr, dass sie bei einer Scheidung auf Sozialhilfe angewiesen ist (vgl. Reinartz, DNotZ 1978, 267, 272). Ob der Notar über diese einschneidende Folge belehrt hat, erscheint wegen der Unbestimmtheit des entsprechenden Hinweises zu Ziffer 1 der notariellen Urkunde fraglich. Auf eine Sittenwidrigkeit der Vereinbarung vom 12. März 1998 deutet überdies der Umstand hin, dass die Antragsgegnerin als Ausgleich für den Verzicht auf weiter gehenden Zugewinnausgleich lediglich DM 10.000,-- erhält, obgleich der Antragsgegner mit seinem Gewerbebetrieb noch in den Vorjahren 1996 und 1997 Gewinne vor Steuern von DM 294.727,93 bzw. von DM 180.458,73 erwirtschaftet hat (vgl. BGH, Beschl. v. 16.06.00 - BLw 19/99 -). So entsteht der Eindruck, dass die gesamte Scheidungsfolgenvereinbarung nicht Ausdruck und Ergebnis einer gleichberechtigten Lebenspartnerschaft der Parteien ist, sondern eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz des Antragstellers widerspiegelt. Dieser Eindruck verfestigt sich, wenn man die Stellungnahme der Diplom-Psychologin und den Inhalt des vom Familiengericht eingeholten nervenärztlichen Gutachtens in die Überlegungen miteinbezieht.

Die durch Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährleistete Vertragsfreiheit setzt voraus, dass die Bedingungen der Selbstbestimmung tatsächlich bei allen Vertragspartnern gegeben sind. Ist auf Grund einer besonders einseitigen Aufbürdung vertraglicher Lasten und einer erheblich ungleichen Verhandlungsposition der Vertragspartner ersichtlich, dass in einem Vertragsverhältnis ein Partner solches Gewicht hat, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, ist es Aufgabe des Gerichts, auf die Wahrung der Grundrechtsposition des anderen Vertragspartners hinzuwirken, um zu verhindern, dass sich die Selbstbestimmung dieses Partners in eine Fremdbestimmung verkehrt (BVerfG, a.a.O., S. 345).

3. Der Gewährung von Prozesskostenhilfe steht kein Anspruch auf Prozess-kostenvorschuss (§ 1360 a Abs. 4 BGB) entgegen, weil der Antragsgegnerin angesichts der aufgezeigten schwierigen Rechtsfragen nicht zuzumuten ist, die Unwirksamkeit der Scheidungsfolgenvereinbarung vom 12. März 1998 in einem weiteren Verfahren (§ 620 Nr. 9 ZPO) geltend zu machen (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 22. Aufl., § 115 Rdn. 66 ff.).

4. Der Senat sieht sich nicht in der Lage, in der Sache zu entscheiden, da der - für den Fall der Gewährung von Prozesskostenhilfe - angekündigte Stufenantrag auf Auskunft und Zahlung eines Zugewinnausgleichs (Bl. 2 UA Ansprüche aus Güterrecht) in der Auskunftsstufe zu unbestimmt ist. Die Antragsgegnerin besitzt nämlich keinen Anspruch auf eine Auskunft über Lebensversicherungen des Antragstellers (§§ 260, 1379 BGB), soweit der Antragsteller Lebensversicherungen auf Rentenbasis unterhält. Derartige Versicherungen sind vielmehr Gegenstand des Versorgungsausgleichs (§ 1587 a Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 BGB).

Ende der Entscheidung

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