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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 17.01.2006
Aktenzeichen: 9 U 106/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 535 Abs. 1 S. 3
Rechnet der Vermieter entgegen den Bestimmungen des Mietvertrages die Nebenkosten über mehrere Jahre hinweg nicht ab, so kann er gegenüber dem Rückforderungsanspruch des Mieters nicht einwenden, dass durch die Zahlung der Vorauszahlung im selben Zeitraum eine konkludente Vertragsänderung eingetreten sei und die Vorauszahlungen nunmehr als Pauschalbetrag anzusehen seien (Abgrenzung zu BGH NZM 2004, 418; BGH NJW-RR 2000, 1463).
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 U 106/05 OLG Naumburg

Verkündet am: 17.01.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 17.1.2006 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Klier, des Richters am Amtsgericht Schulz und des Richters am Oberlandesgericht Dr. Tiemann für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 7.9.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg (5 O 2446/04) wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das am 7.9.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin insgesamt 43.538,34 Euro nebst Zinsen seit dem 26.2.2005 in Höhe von:

4 % aus 18.292,42 Euro

5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.672,69 Euro

8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 18.700,25 Euro

zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 50.000,-- Euro abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Zwischen den Parteien besteht ein Mietvertrag über Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Heimtextilien, Betten, Bettwaren und dazugehörigen Randsortimenten. Hinsichtlich der von der Klägerin (= Mieterin) zu zahlenden Nebenkosten heißt es in § 8 des Mietvertrages (u.a.):

...

Für die abzurechnenden Betriebs- und Nebenkosten werden Abschlagszahlungen von DM 1,20,--/m² zuzüglich Mehrwertsteuer monatlich von der Mieterin mit der Miete gezahlt.

Eine genaue Abrechnung erfolgt jeweils zum Jahresende nach Rechnungslegung bis spätestens zum 31. März des Folgejahres. Der Mieterin sind nachprüfbare Belege zur Verfügung zu stellen.

Die Klägerin hat zwischen April 1997 bis November 2003 die vereinbarten Abschlagszahlungen in voller Höhe erbracht, ab Dezember 2003 zahlt sie nur noch einen reduzierten Betrag. Die Beklagte hat für die Jahre 1997 bis 2003 keine Abrechnungen über die Nebenkosten erteilt. Im Wege der Stufenklage hat die Klägerin die Beklagte zunächst auf Rechnungslegung hinsichtlich der Nebenkosten für den genannten Zeitraum 1997 bis 2003 in Anspruch genommen. Mit rechtskräftigem Teilurteil vom 15.12.2004 hat das Landgericht Magdeburg die Beklagte zur Abrechnung über die Nebenkosten verurteilt. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass sich auf der Grundlage der erstellten Abrechnungen ein rechnerisches Guthaben der Beklagten von

 19974.961,39 Euro
19986.668,34 Euro
19996.672,69 Euro
20006.672,69 Euro
20016.545,23 Euro
20026.417,71 Euro
20035.864,92 Euro
./. Nachzahlung 2004127,02 Euro
 43.665,95 Euro

ergibt. Die Rückzahlung dieses Betrages verlangt die Klägerin nunmehr mit der Zahlungsklage. Die Beklagte ist der Ansicht, dass sie nicht zur Zahlung verpflichtet sei. Die Klägerin habe über einen langen Zeitraum keine Abrechnung der Nebenkosten verlangt, obgleich sie gewusst habe, dass sie Doppelzahlungen erbringe, weil sie neben den Vorauszahlungen auch direkte Zahlungen an die Versorgungsunternehmen geleistet habe. Es sei somit davon auszugehen, dass durch schlüssiges Verhalten der Mietvertrag dahingehend abgeändert worden sei, dass der Betrag von 1,20 DM/m² nicht mehr als Vorauszahlung, sondern als Pauschale gezahlt worden sei. Die Beklagte erhebt weiter die Einrede der Verjährung und ist darüber hinaus der Ansicht, dass ein Rückzahlungsanspruch der Klägerin verwirkt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrages der Parteien und der in erster Instanz gestellten Anträge wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl. 145 - 153 I).

Das Landgericht hat der Klage bis auf den Rückforderungsbetrag für das Jahr 1997 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Eine Vertragsänderung durch schlüssiges Verhalten liege nicht vor. Der Beklagten habe die jährliche Abrechnung oblegen. Dass sie dies unterlassen habe, könne bereits nicht als Angebot zur Vertragsänderung gewertet werden. Die Klägerin habe daher durch bloßes Nichtstun auch ein nicht vorliegendes Angebot nicht annehmen können. Ein Rückforderungsanspruch sei auch nicht verjährt, weil die Fälligkeit auch als Anknüpfungspunkt für den Beginn der Verjährungsfrist erst mit der Vorlage der Abrechnungen zu laufen begonnen habe. Die Ansprüche seien mit Ausnahme des Jahres 1997 auch nicht verwirkt.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Parteien mit Berufung und Anschlussberufung.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihren Rechtsstandpunkt, dass eine konkludente Vertragsänderung eingetreten sei und die von der Klägerin gezahlten Beträge als Pauschalbeträge anzusehen seien.

Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 10.10.2005 (Bl. 12 - 15 II) und den Schriftsatz vom 02.01.2006 (Bl. 59/60 II).

Die Beklagte beantragt,

das am 7.9.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg (5 O 2446/04) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen

und im Wege der Anschlussberufung

das am 7.9.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg (5 O 2446/04) abzuändern und die Beklagte zur Zahlung weiterer 4.961,39 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil dem Grunde nach und ist darüber hinaus der Ansicht, dass ihr auch der - rechnerisch unstreitige - Guthabensbetrag für das Jahr 1997 zustehe.

Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungserwiderung vom 15.11.2005 (Bl. 52 - 56 II).

Die Beklagte beantragt weiter,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

II.

Berufung und Anschlussberufung sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat lediglich die Anschlussberufung der Klägerin Erfolg.

Entgegen der Ansicht der Berufung ist hinsichtlich der Nebenkosten keine - konkludente - Vertragsänderung dahingehend zustande gekommen, dass die von der Klägerin für die einzelnen Jahre gezahlten Beträge als Pauschalen anzusehen sind.

Zwar kann eine Vereinbarung der Parteien über den Umfang der von dem Mieter zu zahlenden Nebenkosten auch durch jahrelange Zahlung stillschweigend getroffen werden (BGH NJW-RR 2000, 1463). Dabei sind stillschweigend abgegebene Willenserklärungen aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers auszulegen (BGH WuM 2004, 292, 293). Der von der Berufung zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes (VIII ZR 146/ 03 = WuM 2004, 292 = NJW-RR 2004, 877 = NZM 2004, 418) wie auch der eingangs genannten Entscheidung des 12. Senats des Bundesgerichtshofs (XII ZR 35/00 = NJW-RR 2000, 1463; s.a. Wolf/Eckert/Ball Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 9. Aufl., Rn. 478) lagen als Fallkonstellation zugrunde, dass in den Mietverträgen bestimmte Nebenkostenarten auf den Mieter abgewälzt wurden, die Nebenkostenabrechnungen aber weitere Positionen beinhalteten, die der Mieter durch jahrelange Zahlung jeweils mit ausgeglichen hatte, ohne im Hinblick auf die Grundregel für die Tragung der Nebenkosten (§ 535 Abs. 1 S. 3 BGB) dazu verpflichtet gewesen zu sein. Bei einer solchen Ausgangssituation kann in der Übersendung der Nebenkostenabrechnung, die auch andere als die im Mietvertrag auf den Mieter abgewälzte Kostenarten enthalten, dass Angebot des Vermieters gesehen werden, auch diese Kostenarten in Abweichung von § 535 Abs. 1 S. 3 BGB dem Mieter in Rechnung stellen zu können. Dieses Angebot kann der Mieter dann durch jahrelange Übung (also durch rügelose Zahlung auch der nicht im Mietvertrag abgewälzten Kostenpositionen) annehmen. Eine vergleichbare Ausgangsposition gibt es im vorliegenden Fall nicht. Das Landgericht (LGU S. 5 - Bl. 149 I -) weist zutreffend daraufhin, dass es bereits an einem (auch konkludenten) Angebot der Beklagten fehlt, dass aus den Vorauszahlungen auf die Nebenkosten gemäß § 8 des Mietvertrages eine Pauschale werden sollte. Beide Parteien haben über viele Jahre hinweg nichts in Bezug auf die Abrechnung der Nebenkosten unternommen. Es war die vertragliche Pflicht der Beklagten, die Nebenkostenabrechnungen jährlich zu erteilen. Da sie dies nicht tat, verstieß sie gegen ihre vertraglichen Pflichten und will nunmehr daraus, dass die Klägerin diesen Pflichtverstoß nicht gerügt hat, einen rechtlichen Vorteil erlangen. Ob dies jedenfalls dann unschädlich wäre, wenn die Beklagte durch ein (auch konkludentes) Verhalten gegenüber der Klägerin ihr Ansinnen, die Zahlungen als Pauschale ansehen zu wollen, zum Ausdruck gebracht hätte, kann dahinstehen, weil es wie vom Landgericht (a.a.O.) bereits dargelegt, überhaupt an einer Erklärung der Beklagten fehlt. Schlichtem Nichtstun auf beiden Seiten kann im vorliegenden Fall kein Erklärungsinhalt beigemessen werden. Es ist unbehelflich, wenn die Berufung darauf abstellt, dass der Klägerin die Doppelzahlung (an das Versorgungsunternehmen und die Beklagte) bekannt gewesen sei. Dies berührt das Verhältnis der Parteien zueinander nicht, begründet insbesondere keine Verpflichtung der Klägerin, die Beklagte zur Abrechnung aufzufordern. Einem Zahlungsanspruch der Klägerin steht somit der Einwand einer Vertragsänderung nicht entgegen.

Die Forderung ist auch nicht verjährt. Wie die Berufung nicht verkennt, wurden die Beträge erst fällig, nachdem die Beklagte prüffähige Abrechnungen erstellt und diese der Klägerin übergeben hatte (Emmerich/Sonnenschein Miete, 8. Aufl., § 556, Rn. 74 m.w.N.). Erst in diesem Augenblick konnte die Verjährungsfrist zu laufen beginnen. Auch insoweit kann der Berufung nicht gefolgt werden, dass die Verjährung vor diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen haben soll, weil die Klägerin Kenntnis von der Doppelzahlung hatte. Nicht tragfähig ist die Behauptung, dass es deshalb einer Abrechnung nicht bedurft hätte. Wie der vorliegende Fall belegt, war die Klägerin erst nach der Abrechnung durch die Beklagte in der Folge des Teilurteils vom 15.12.2004 in der Lage, ihren Rückforderungsanspruch zu beziffern.

Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht verwirkt, wobei dies entgegen der Ansicht des Landgerichts auch für das Jahr 1997 gilt. Schon hinsichtlich des Zeitmoments gilt, dass Verwirkung grundsätzlich erst dann in Betracht kommt, wenn seit der Möglichkeit das Recht geltend zu machen, eine längere Zeit verstrichen ist. Vorliegend kann insoweit aber auf die Zeitspanne von April 1997 bis 3.11.2004 (Rechtshängigkeit der Stufenklage - Bl. 20R I -) schon deshalb nicht abgestellt werden, weil ein Rückzahlungsanspruch vor der Erstellung der Abrechnungen nicht fällig war. Selbst wenn man diesen Gesichtspunkt unberücksichtigt lässt, würde es immer noch an einem von der Klägerin geschaffenen Vertrauenstatbestand fehlen, einen Rückforderungsanspruch nicht mehr geltend machen zu wollen. Auf beiden Seiten liegt schlichtes Untätigsein vor. Die Beklagte behauptet nicht einmal, in irgendeiner Weise Vermögensdispositionen getroffen zu haben, weil sie nicht mehr mit einem Rückforderungsanspruch der Klägerin gerechnet habe. Auch in diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass es die Beklagte war, die sich nicht vertragsgemäß verhalten hat, indem sie die Erstellung der jährlichen Abrechnungen unterließ. Aus diesem eigenen vertragswidrigem Verhalten will sie jetzt einen Vorteil ziehen. Auch dies ist bei der Prüfung der Frage der Verwirkung zu berücksichtigen, weil dieser Einwand seinen Ursprung im Grundsatz von Treu und Glauben hat. Der Klägerin steht somit im Ergebnis auch das Guthaben für das Jahr 1997 zu. Die Anschlussberufung hat insoweit Erfolg.

Hinsichtlich des Zinsanspruchs wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Soweit die Klägerin mit der Anschlussberufung Zinsen für das Guthaben 1997 ab Rechtshängigkeit verlangt, ist der Anspruch für den Zeitraum vom 3.11.2004 bis 25.2.2005 unbegründet. In diesem Umfang ist die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 543 ZPO nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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