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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 14.05.2002
Aktenzeichen: 9 U 231/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 296 a
ZPO § 417
ZPO § 543 Abs. 2
ZPO § 593 Abs. 2 S. 1
ZPO § 595
ZPO § 597 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 4
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Zu den Beweismitteln i. S. v. § 595 ZPO können auch Urteile gehören. Neben der formellen Beweiskraft i. S. v. § 417 ZPO kann im Urkundenprozess einem Urteil im Rahmen freier Beweiswürdigung Beweiskraft auch in Bezug auf seine sachliche Richtigkeit zukommen.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 U 231/01 OLG Naumburg

verkündet am: 14.05.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Klier, des Richters am Oberlandesgericht Dr. Tiemann und des Richters am Landgericht Dr. Otparlik auf die mündliche Verhandlung vom 16.04.2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 02.11.2001 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau - 6 O 1693/00 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage nicht als im Urkundenprozess unstatthaft, sondern als unbegründet abgewiesen wird.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 12.500.- Euro abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Pachtzins für die Monate September und Oktober 2000.

Im März 1993 schlossen die A. AG und die Grundstücksgesellschaft D. GbR als Bauherrengemeinschaft und Verpächter mit der Beklagten einen Pachtvertrag über ein im "F. " in D. gelegenes Hotelgrundstück zu einem festen jährlichen Nettopachtzins i.H.v. 4.039.000.- DM zzgl. Mwst. Der Vertrag hat eine Laufzeit von 20 Jahren mit Verlängerungsoption. Die Verpächter übertrugen das Eigentum zwischenzeitlich auf die Klägerin.

Seit April 1997 minderte die Beklagte den Pachtzins. Mit Schreiben vom 21.07.1998 kündigte sie u.a. wegen einer bräunlichen Verfärbung des Leitungswassers den Pachtvertrag fristlos zum 30.08.1998. Am 07.12.1998 schlossen die Parteien einen außergerichtlichen Vergleich, in dem sie verschiedene Einzelheiten zur Klärung der Verantwortlichkeit bzw. zur Beseitigung des Mangels "braunes" Wasser vereinbarten und sich verpflichteten, Kündigungen nicht auf diesen Punkt zu stützen. Der Pachtzins wurde um jährlich eine Mio. DM netto ab dem 01.09.1999 verringert. Eine Minderung wegen der in der Vergangenheit aufgetretenen Mängel wurde ausschlossen.

Mit Schreiben vom 19.05.2000 kündigte die Beklagte den Pachtvertrag erneut fristlos wegen Nichtbeseitigung der Ursachen des braunen Wassers zum 31.08.2000. Mit Urteil vom 21.03.2001 - 6 O 1104/00 - wies das Landgericht Dessau die von der Klägerin erhobene Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung ab. Die hiergegen eingelegte Berufung wies der Senat mit am 04.12.2001 verkündeten Urteil - 9 U 87/01 - zurück (Bl. 1-15 GA Anlagenband der Beklagten). Gegen das Berufungsurteil ist Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

Nach dem zum 31.08.2000 erfolgten Auszug der Beklagten verpachtete die Klägerin das Objekt an die H. GmbH zu einer "Sockelpacht mit variabler Umsatzpacht" (vgl. Bl. 5 I). Die Sockelpacht beträgt monatlich 11.250.- DM zzgl. Mwst.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Kündigung vom 19.05.2000 sei nach dem Vergleich vom 07.12.1998 ausgeschlossen (Bl. 209 I). Die Beklagte habe nicht urkundlich bewiesen, dass der Kündigungsausschluss ausnahmsweise nicht eingreife (Bl. 213 I). Das Auftreten von braunem Wasser sei weder allgemein- noch gerichtsbekannt, sondern lediglich aktenkundig. Die Verwendung von Sachverständigengutachten aus einem anderen Prozess sei im Urkundenprozess unzulässig (Bl. 96 I). Im Übrigen seien die Feststellungen des Sachverständigen unzutreffend (Bl. 212 I). Jedenfalls sei nicht gemäß den im Vergleich vom 07.12.1998 getroffenen Vereinbarungen nachgewiesen, dass die Klägerin für den Mangel verantwortlich sei (Bl. 148 f, 210 I). Die Berechtigung der Höhe der zu Gunsten der Beklagten vorgenommenen Abzüge müsse die Klägerin nicht urkundlich beweisen (Bl. 23 I). Für das Jahr 2000 sei mit der neuen Pächterin keine Umsatzpacht vereinbart worden (Bl. 24 I).

Wegen der von den Parteien in erster Instanz gestellten Anträge wird auf Bl. 224 I Bezug genommen.

Die Beklagte hat vorgetragen, auch für den Urkundenprozess sei streitentscheidend, ob die Kündigung vom 19.05.2000 wirksam gewesen sei (Bl. 11, 31 I). Dies sei der Fall, da der Mangel "braunes Wasser" unstreitig (Bl. 194 I) bzw. eine offenkundige Tatsache sei (Bl. 75, 196 f I); jedenfalls sei er bewiesen (Bl. 77, 197 f I). Die Klägerin habe ihre im Vergleich vom 07.12.2000 übernommene Verpflichtung zur Wiederherstellung eines technisch einwandfreien Zustandes nicht erfüllt (Bl. 15 I). Die Klägerin sei darlegungs- und beweispflichtig, dass sie den Mangel nicht verursacht habe (Bl. 199 I). Im Hinblick auf das Minderungsrecht der Beklagten (Bl. 199 f I) sowie die variable Umsatzpacht (Bl. 13 I) sei die Klage auch der Höhe nach nicht schlüssig.

Mit am 02.11.2001 verkündeten Urteil hat das Landgericht Dessau die Klage als im Urkundenprozess unstatthaft abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Mangel "braunes" Wasser sei offenkundig und habe unstreitig bereits seit Übergabe des Pachtobjekts vorgelegen. Der Vergleich vom 07.12.1998 sei dahin auszulegen, dass sich die Klägerin nicht auf den Kündigungsverzicht berufen könne. Für die Unerheblichkeit der Gebrauchsbeeinträchtigung, das Nichtvertretenmüssen und die Beseitigung des Mangels sei die Klägerin beweispflichtig. Diesen Beweis habe sie mit Urkunden nicht geführt (Bl. 226 I).

Gegen das ihr am 07.11.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 06.12.2001 Berufung eingelegt und diese mit am 06.02.2002 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 07.02.2002 verlängert worden war.

Die Klägerin nimmt Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend trägt sie vor, das Landgericht sei davon ausgegangen, dass allein das Auftreten von "braunem Wasser" bereits die Kündigung gerechtfertigt habe. Dies sei auf Grund des im Vergleich vom 07.12.1998 enthaltenen Kündigungsverzichts nicht der Fall. Vielmehr komme es nach dem Vergleich auf die Verantwortlichkeit für den Mangel an. Die Verantwortlichkeit der Klägerin sei durch das Gutachten des Sachverständigen K. , dessen Feststellungen unzutreffend seien, nicht bewiesen. Die Klage sei auch der Höhe nach schlüssig, weil eine Pachtzinsminderung nach § 4 des Vergleichs vom 07.12.1998 ausgeschlossen sei. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 06.02.2002 (Bl. 34 ff II) und 11.04.2002 (Bl. 17 ff III) mit Anlagen Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

das am 02.11.2001 verkündete Urteil des Landgerichts D. - 6 O 1693/00 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 287.059,71 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz aus jeweils 143.529,85 Euro seit dem 04.09.2000 und 04.10.2000 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 15.03.2002 (Bl. 3 ff III) und 23.04.2002 (Bl. 31 ff III) mit Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung des Pachtzinses für September und Oktober 2000 i.H.v. 287.059,71 Euro.

Zwar können auch Mietzinsforderungen im Urkundenprozess geltend gemacht werden (vgl. BGH, NJW 1999, 1408; OLG Oldenburg, WuM 1999, 225, 226; LG Bonn, NJW 1986, 264; LG Düsseldorf, MDR 1997, 928; LG Saarbrücken, WuM 1998, 557; Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., VIII, Rn. 41; a.A. für Wohnraummiete LG Augsburg, WuM 1993, 416; LG München I, WuM 1998, 558; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., V, Rn. 37). Hierzu hat die Klägerin die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich den Abschluss des Mietvertrages, die Höhe des monatlichen Mietzinses und dessen jeweilige Fälligkeit vorgetragen und gem. § 593 Abs. 2 S. 1 ZPO durch Urkundenvorlage belegt (vgl. OLG Oldenburg, WuM 1999, 225, 227; LG Bonn, NJW 1986, 264).

Die Beklagte hat jedoch die wirksame Beendigung des Mietvertrages durch Vorlage des im Parallelverfahren ergangenen Urteils des Senats vom 04.12.2001 - 9 U 87/01 - mit den Mitteln des Urkundenprozesses (§ 595 Abs. 2 ZPO) bewiesen. Urteile sind Urkunden i.S.d. § 417 ZPO (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 417, Rn. 1; Stein-Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 417, Rn. 1; Thomas/Putzo, ZPO, 23. Aufl., § 417, Rn. 1). Deren formelle Beweiskraft nach § 417 ZPO erstreckt sich zwar weder auf das entschiedene Rechtsverhältnis noch auf die Beurteilung rechtlicher Vorfragen, sondern nur darauf, dass die Entscheidung ergangen ist. Hierdurch ist der Senat jedoch nicht gehindert, in freier Beweiswürdigung zu beurteilen, ob dem Urteil vom 04.12.2001 - 9 U 87/01 - auch in Bezug auf seine sachliche Richtigkeit Beweiskraft zukommt (vgl. Stein-Jonas, a.a.O., Rn. 4 unter Verweis auf BGH, NJW 1980, 1000), zumal es nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ausreicht, die Tatsachen, auf die die Beklagte ihre Einwendungen stützt, nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) mittelbar durch den Beweis von Indiztatsachen zur Überzeugung des Gerichts zu erbringen (vgl. BGH, NJW 1985, 2953). Der Senat ist, wie im Urteil vom 04.12.2001 - 9 U 87/01 - ausgeführt, nach wie vor von der Wirksamkeit der Kündigung der Beklagten vom 19.05.2000 überzeugt. Die Klägerin vermochte im vorliegenden Verfahren nichts vorzutragen, was eine andere Beurteilung rechtfertigte.

Da die Beklagte die Wirksamkeit der Kündigung vom 19.05.2000 mit den Mitteln des Urkundenbeweises bewiesen hat (§ 595 Abs. 2 ZPO), ist die Klage gem. § 597 Abs. 1 ZPO als unbegründet abzuweisen (vgl. Zöller-Greger, ZPO, § 597, Rn. 1a). Darin liegt kein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot (vgl. Thomas-Putzo, ZPO, 23. Aufl., § 536, Rn. 8).

Selbst wenn man der Auffassung wäre, dass die Beklagte die Wirksamkeit der Kündigung vom 19.05.2000 nicht mit den Mitteln des Urkundenprozesses bewiesen hat, hätte die Berufung in der Sache keinen Erfolg, weil die Klage dann jedenfalls im Urkundenprozess nicht statthaft wäre. Die Durchführung des Urkundenprozesses ist vorliegend rechtsmissbräuchlich. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass dann, wenn das Nichtbestehen des Zahlungsanspruchs feststeht, dessen Geltendmachung am Einwand des Rechtsmissbrauchs scheitert (vgl. BGH, WM 1984, 689 f; OLG Köln, WM 1988, 21 f für Garantie auf erstes Anfordern; BGH, WM 1996, 2228, 2229 f; ZIP 1993, 1851 f; ZIP 1996, 172 f für Bürgschaft auf erstes Anfordern und BGH, WM 1996, 995 f für Akkreditiv). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Zweck des Urkundenprozesses besteht darin, dem Gläubiger schnell zu einem Titel zu verhelfen und die u.U. schwierige Klärung der Einwände des Beklagten in das Nachverfahren zu verlagern. Dies macht nach derzeitigem Sach- und Streitstand keinen Sinn mehr, weil der Ausgang des Nachverfahrens zur Überzeugung des erkennenden Gerichts bereits feststeht. Vorliegend hat der Senat keine Zweifel, dass die Kündigung der Beklagten vom 19.05.2000 wirksam ist (siehe oben), sodass ein Vorbehaltsurteil im Nachverfahren sofort aufzuheben wäre. Bei dieser Sachlage fehlt es am Rechtschutzbedürfnis für die Durchführung des Urkundenprozesses.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gem. §§ 708 Nr. 4 und 10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben, weil die Zulässigkeit der freien Beweiswürdigung der inhaltlichen Richtigkeit einer in einer Urkunde enthaltenen Entscheidung höchstrichterlich bereits geklärt ist (siehe oben).

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 23.04.2002 (Bl. 31 ff III), der im Wesentlichen nur die Rechtsausführungen des Senats aus der letzten mündlichen Verhandlung wiedergibt, war gem. § 296 a ZPO nicht zu berücksichtigen.

Ende der Entscheidung

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