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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 23.09.2008
Aktenzeichen: 9 U 41/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 4
ZPO § 540 Abs. 2
ZPO § 543
ZPO § 945
ZPO § 945 Alt. 1
BGB § 1004
Erweist sich eine erlassene einstweilige Verfügung als teils gerechtfertigt, aber auch teils unbegründet, so kann der Schuldner nur Ersatz der Nachteile verlangen, die ihm erwachsen sind, weil er die einstweilige Verfügung - auch - in ihrem rechtswidrigen Teil befolgt hat.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 U 41/08 OLG Naumburg

Verkündet am: 23.09.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 19.9.2008 durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. Tiemann als Einzelrichter für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.2.2008 verkündete Urteil des Landgerichts Halle (5 O 126/07) einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche, die nach dem Vortrag der Klägerin aus dem Vollzug einer einstweiligen Verfügung entstanden sein sollen. Die Klägerin beabsichtigte, die Häuser A. -Straße 25 - 29 in M. abzureißen. Die Grundstücke A. -Straße 23, das im Eigentum des Beklagten steht, und 25 grenzen unmittelbar aneinander. Da der Beklagte befürchtete, dass bei einem Abriss Schäden an seinem Hausgrundstück entstehen könnten, beantragte er mit Schriftsatz vom 22.3.2005 die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens (5 OH 3/05 LG Halle). Die Klägerin hatte die Durchführung der Abrissarbeiten für die Zeit ab 1.7.2005 angekündigt. Mit Schriftsatz vom 17.6.2005 beantragte der Beklagte den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit folgendem Antrag (Bl. 2 in 5 O 168/05):

Der Antragsgegnerin [Klägerin des vorliegenden Verfahrens] wird der Abriß des in ihrem Eigentum stehenden Wohngebäudes, belegen auf dem Grundstück A. -Straße 25 in M. bis zum Abschluss des vor dem Landgericht Halle, Az. 5 OH 3/05 rechtshängigen selbstständigen Beweisverfahrens bzw. des sich anschließenden Hauptsacheverfahrens, jedoch bis längstens 6 Monate nach Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens bei Nichteinleitung des Hauptsacheverfahrens durch den Antragsteller untersagt.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat das Landgericht Halle mit Urteil vom 30.6.2005 eine einstweilige Verfügung erlassen, deren Tenor in Ziffer 1 lautet (Bl. 91 in 5 O 158/05):

1. Der Verfügungsbeklagten wird der Abriss des in ihrem Eigentum stehenden Wohngebäudes, belegen auf dem Grundstück A. -Straße 25 in M. bis zur Vorlage einer Berechnung zum Nachweis der ausreichenden Statik in den Bereichen

a) Anschluss des Zollinger-Daches an den Giebel

b) Standfestigkeit der westlichen Giebelaußenwand im Dachgeschoss unter Berücksichtigung der Windlasten

untersagt.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Mit seinem Urteil vom 20.9.2005 (Bl. 176ff. II in 5 O 158/05 = 9 U 70/05) hat der Senat das Urteil des Landgerichts Halle teilweise abgeändert und wie folgt tenoriert:

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das am 30.6.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Halle (5 O 168/05) unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert:

Der Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, geeignete Maßnahmen vorzunehmen, um eine Beschädigung des Hauses A. -Straße 23 beim Abriss des Hauses A. -Straße 25 verhindern.

Im Übrigen wird die einstweilige Verfügung des Landgerichts Halle vom 30.6.2005 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin gemäß § 945 ZPO gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch mit der Begründung geltend, dass ihr durch den vom Landgericht zu Unrecht verhängten Baustopp, den der Senat mit dem Berufungsurteil vom 20.9.2005 aufgehoben habe, ein Schaden entstanden sei. Nach Vollziehung der einstweiligen Verfügung am 30.6.2005 habe sie die Abrissarbeiten sofort gestoppt. Sie habe die Arbeiten erst nach dem 20.9.2005 durchführen können, wodurch ein Schaden entstanden sei:

Zinsschaden wegen verspätet erfolgter Altschuldenhilfe

Mehrkosten der mit den Abrissarbeiten beauftragten Baufirma

Mehrkosten des mit der Koordinierung des Abrissvorhabens beauftragten Ingenieurbüros

Der Beklagte bestreitet einen Schadensersatzanspruch nach Grund und Höhe. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Ein Schadensersatzanspruch bestehe bereits dem Grunde nach nicht.

Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO abgesehen. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Zahlungsanspruch weiter und beantragt hilfsweise weiter die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 9 II). Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Auf den Hilfsantrag der Klägerin ist das angefochtene Urteil gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen. Der Sache nach hat das Landgericht lediglich über den Grund des Anspruchs entschieden. Ein Fall von § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO liegt auch dann vor, wenn das Erstgericht die Klage mangels Bestehens eines Anspruchs abgewiesen hat, das Berufungsgericht den Zahlungsanspruch aber dem Grunde nach bejaht (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO, 66. Aufl., § 538, Rn. 14):

Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass die Frage nach der Bindungswirkung der Entscheidungen im einstweiligen Verfügungsverfahren dahingestellt bleiben kann. Der Senat hält nach nochmaliger Überprüfung an seiner im Urteil vom 20.9.2005 geäußerten Ansicht fest, dass es für den Erlass der einstweiligen Verfügung sowohl einen Verfügungsanspruch als auch einen Verfügungsgrund gab. Als von Anfang an unberechtigt i.S.v. § 945 Alt. 1 ZPO erweist sich die Maßnahme, wenn der Verfügungsanspruch und der Verfügungsgrund von Anfang an fehlten (d.h. am 30.6.2005 nicht vorlagen). Bestand der Anspruch zu diesem Zeitpunkt hingegen, ist der Gläubiger (= Beklagter) nicht zum Schadensersatz verpflichtet, selbst wenn der Anspruch rückwirkend entfällt (Zöller/Vollkommer ZPO, 26. Auf., § 945, Rn. 8 m.w.N.). Diese Grundkonstella-tion, von der § 945 Alt. 1 ZPO ausgeht ist, ist vorliegend nicht gegeben. Nach der richtigen Grundannahme des Landgerichts im Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung bestand dem Grunde nach sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund.

Insoweit wird Bezug genommen auf die Begründung im Urteil des Senats vom 20.9.2005 (9 U 70/05). Es geht daher vorliegend um die Frage, ob und in welchem Umfang sich die Reichweite der Urteile des Landgerichts vom 30.6.2005 und des Senats vom 20.9.2005 unterscheiden. Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass dem Beklagten mit dem Urteil des Senats deutlich weniger zugesprochen wurde als durch das Urteil des Landgerichts. Äußerlich wird dies schon dadurch deutlich, dass in der Kostenentscheidung dem Beklagten (= Verfügungskläger) 4/5 der Kosten des Rechtsstreits auferlegt wurden. Inhaltlich hat der Senat - und damit deutlich abweichend von der Entscheidung des Landgerichts - keinen Baustopp angeordnet. In der Begründung hat der Senat unter Hinweis auf das Urteil des OLG Oldenburg (OLGR 2001, 49) ausgeführt, dass ein Baustopp im Rahmen eines Anspruchs aus § 1004 BGB allenfalls unter den vom OLG Oldenburg angenommenen Grundlagen verfügt werden könne, die im konkreten Fall aber nicht vorlagen. Konsequenz aus dem Urteil des Senats war, dass die Klägerin am 20.9.2005 mit den Abrissarbeiten beginnen konnte, entweder weil es ihr möglich war, die geforderten geeigneten Maßnahmen zur Schadensabwehr zu ergreifen, oder weil sie das Risiko einging, sich bei Eintritt von Schäden dem Schadensersatzanspruch des Beklagten ausgesetzt zu sehen. Nach dem Urteil des Landgerichts hätte die Klägerin die Arbeiten im Hinblick auf den verfügten Baustopp nicht sofort am 30.6.2005 aufnehmen können. Es hätten vielmehr erst die geforderten Unterlagen über eine ausreichende Statik beigebracht werden müssen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die einstweilige Verfügung dem Grunde nach erlassen werden durfte, nicht aber mit diesem Umfang. Erweist sich eine erlassene einstweilige Verfügung als teils gerechtfertigt, aber auch teils unbegründet, so kann der Schuldner nur Ersatz der Nachteile verlangen, die ihm erwachsen sind, weil er die einstweilige Verfügung - auch - in ihrem rechtswidrigen Teil befolgt hat (Gehrlein, Schadensersatz aus § 945 ZPO in Wettbewerbssachen, MDR 2000, 688, 689 unter Hinweis auf die auch von der Berufung [BB S. 4 - Bl. 12 II] zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.11.1980 - I ZR 182/78 [z.B. NJW 1981, 2579 = MDR 1981, 560 ] -).

Ein Anspruch besteht mithin dem Grunde nach. Der Schadensersatzanspruch ist der Höhe nach streitig und auch nicht entscheidungsreif. Er werden Feststellungen dazu zutreffen sein, ob auf Seiten der Klägerin ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vorliegt. Sie stützt ihren Anspruch der Höhe nach wesentlich darauf, dass es zu einer zeitlichen Verzögerung gekommen ist (genau: dass die Abrissarbeiten nicht ab dem 30.6.2005, sondern erst nach dem 20.9.2005 erfolgen konnten). Insoweit wird die Frage zustellen sein, ob es der Klägerin nicht unter Berücksichtigung der Schadensminderungspflicht oblegen hätte, trotz Einlegung der Berufung, die vom Landgericht geforderten statischen Unterlagen beizubringen. Insoweit müsste geklärt werden, ob dies vor dem 20.9.2005 möglich gewesen wäre, ggfs. wie viel früher (bzw., ob die im Juli 2005 übermittelten Unterlagen [dazu die mit der BB vorgelegten Schreiben vom 1.7.2005 < Bl. 15 II > und 6.7.2005 < Bl. 16 - 18 II >] ausreichend waren). Eine Minderung des Schadensersatzanspruchs aus § 945 ZPO ist auch unter dem Gesichtspunkt in Betracht zuziehen, ob der Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger durch ein schuldhaftes Verhalten Anlass dazu gegeben hat, eine einstweilige Verfügung zu beantragen (BGH MDR 2006, 1225 [hier: zitiert nach juris, dort Rn. 25]). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass auch nach dem Urteil des Senats vom 20.9.2005 Bedenken bestanden, ob nach dem damaligen Stand der Planungen der Klägerin eine Schädigung des Beklagten ausgeschlossen werden konnte. Der Senat kann dazu keine abschließende Entscheidung treffen. Sollte ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht anzunehmen sein, müsste bei Bejahung eines Mitverschuldens durch eine schuldhafte Veranlassung der Beantragung der einstweiligen Verfügung bei Bestimmung der Minderungsquote eine einheitliche Bewertung erfolgen.

Der Rechtsstreit ist damit an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 543 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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