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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 18.05.2006
Aktenzeichen: 9 U 50/03 (1)
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 539
Wenn ein Mieter 9 Faxschreiben vorlegen kann, die sämtlich an die Faxnummer des Vermieters gerichtet sind und er weiter zu allen 9 Schreiben den o.K.-Vermerk auf dem Sendeberecht nachweisen kann, dann genügt ein einfaches Bestreiten des Zugangs nicht. In einem solchen Fall spricht vielmehr ein Anscheinsbeweis für den Zugang, den der Vermieter erschüttern muss. Enthalten die Schreiben Mängelanzeigen und mindert der Mieter über einen Zeitraum von rund 3 Jahren den Mietzins ohne dass der Vermieter dies beanstandet, ist ein Nachzahlungsanspruch verwirkt. Es ist sowohl das Zeit- als auch das Umstandsmoment erfüllt.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

9 U 50/03

verkündet am: 18.05.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Klier, des Richters am Oberlandesgericht Dr. Tiemann und des Richters am Amtsgericht Schulz auf die mündliche Verhandlung vom 16.5.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 31.3.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg (4 O 1406/02) wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Revisionsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 8.000,-- Euro abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung restlichen Mietzinses für die Zeit von Januar 1998 bis Dezember 2000 in Anspruch. Der Mietvertrag bestand zunächst zwischen G. Ur. und der Rechtsvorgängerin der Beklagten. G. Ur. hat das Mietobjekt an eine GbR verkauft. Gesellschafter der GbR waren R. U. und die Eigentümergemeinschaft A. . An der Eigentümergemeinschaft wiederum waren R. U. und eine T. AG beteiligt. Die Klägerin hat später das Eigentum am Mietobjekt erworben. Im streitgegenständlichen Zeitraum von Januar 1998 bis Dezember 2000 hat die Beklagte in unterschiedlicher Höhe den Mietzins gezahlt (Bl. 60/61). Sie wendet Mängel am Mietobjekt, insbesondere Undichtigkeiten am Dach, ein (- z.B. Schreiben vom 22.12.1998 - Bl. 111 I -). Mit Schreiben vom 20.10.2000 forderte R. U. die M. zur Zahlung des anteiligen Mietzinses für September und des vollen Mietzinses für Oktober auf (Bl. 193 I) auf. Mit weiterem Schreiben vom 20.12. 2000 forderte R. U. die Zahlung von Rückständen ab dem Jahr 1996 (Bl. 59 I). Dem Schreiben war eine Aufstellung über die erfolgten Zahlungen der Beklagten beigefügt. Mit Anwaltsschreiben vom 20.11.2001 mahnte die Klägerin den rückständigen Mietzins unter Fristsetzung bis zum 10.12.2001 an (Bl. 56 I) und erhob mit Schriftsatz vom 19.4.2002 die vorliegende Klage. Die Beklagte rügt die Aktivlegitimation der Klägerin und wendet Verwirkung ein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrages der Parteien und der in erster Instanz gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs.1 ZPO Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl. 60 - 69 II -).

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin sei aktivlegitimiert. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass sie als Käuferin des Objekts in den Mietvertrag eingetreten sei und zum anderen aus der Abtretungsvereinbarung. Ansprüche seien aber verwirkt, sowohl das Zeit- als auch das Unstandsmoment seien erfüllt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Der Nachforderungsanspruch sei nicht verwirkt. Es fehle bereits am Zeitmoment. Abzustellen sei nicht auf den Gesamtzeitraum ab Januar 1998 bis zur Zahlungsaufforderung erstmals durch den Zwangsverwalter; vielmehr sei zu berücksichtigen, dass der Mietzinsanspruch monatlich neu entstehe und vorher eine Aufforderung zur Zahlung nicht in Betracht komme. Das Umstandsmoment sei ebenfalls nicht erfüllt, da dafür der reine Zeitablauf nicht ausreiche. Die Klägerin habe zu keiner Zeit zu verstehen gegeben, den restlichen Mietzins nicht mehr geltend machen zu wollen.

Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 17.6.2003 (Bl. 103 - 113 II-) und des Schriftsatzes vom 20.8.2003 (Bl. 151 - 157 II).

Hinsichtlich der von der Klägerin in der Berufungsinstanz gestellten Anträge wird auf Seite 1 und 2 (Bl. 103/104 II) der Berufungsbegründung vom 17.6.2003 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihren Vortrag aus erster Instanz. Sie rügt weiter die Aktivlegitimation der Klägerin. Sie sei zur Minderung des Mietzinses wegen vorhandener Mängel berechtigt gewesen. Sie trägt weiter vor, dass dem Ehemann der Klägerin eine Vielzahl von Mängelanzeigen zugesandt worden seien. Auf diese Mängelanzeigen habe man seitens der Klägerin über einen Zeitraum von rund 3 Jahren nicht reagiert. Erst das Schreiben vom 20.12.2000 habe eine Aufforderung zur Zahlung von Rückständen enthalten.

Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungserwiderung vom 23.7.2003 (Bl. 137 - 149 II).

Die Klägerin hat den Zugang von Mängelanzeigen bestritten.

Der Senat hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 4.11.2003 (Bl. 163 - 170 II) zurückgewiesen. Ein Zahlungsanspruch sei in "spiegelbildlicher" Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze zur Verwirkung eines Minderungsrechts bei vorbehaltloser Zahlung in Kenntnis von Mängeln (§ 539 BGB a.F. in analoger Anwendung) verwirkt.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die zugelassene Revision eingelegt. Mit Urteil vom 19.10.2005 hat der Bundesgerichtshof (Bl. 38 - 44 III) die Entscheidung des Senats aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Der Bundesgerichtshof hat (soweit für das folgende Verfahren noch von Interesse) zur Begründung ausgeführt, dass ab dem 1.9.2001 die Grundsätze über die analoge Anwendung des § 539 BGB a.F. auf § 536 BGB n.F. nicht mehr angewendet werden könnten, weil es an der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke fehle. Eine Verwirkung des Nachforderungsanspruchs komme nur nach den allgemeinen Grundsätzen in Betracht. Die Beklagte habe ab dem 1.1.1998 nur noch eine gekürzte Mietzahlung geleistet. Erst mit Schreiben vom 20.12.2000 habe die Klägerin die Zahlung der rückständigen Miete verlangt. Dieser Zeitraum, in der die Vermieterseite gekürzte Zahlungen widerspruchslos hingenommen habe, sei grundsätzlich für die Annahme des für die Verwirkung erforderlichen Zeitmoments ausreichend. Das Berufungsgericht müsse im weiteren Verfahren Feststellungen dazu treffen, ob auch das Umstandsmoment erfüllt sei. Insoweit habe die Beklagte substantiiert und unter Beweisantritt vorgetragen, die Vermieterseite wiederholt zur Mängelbeseitigung aufgefordert zu haben.

Die Parteien haben zu dem Revisionsurteil Stellung genommen. Auf die Schriftsätze der Klägerin vom 1.3.2006 (Bl. 78 - 82 III) und der Beklagten vom 10.2.2006 (Bl. 69 - 76 III) wird Bezug genommen.

Der Senat hat gemäß dem Hinweis- und Beweisbeschluss vom 6.3.2006 (Bl. 88 - 91 III) Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 16.5.2006 (Bl. 99 - 101 III).

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Nach dem Inhalt des Revisionsurteils ist geklärt, dass die Klägerin zur Geltendmachung der Klageforderung aktivlegitimiert ist.

Ein Zahlungsanspruch ist verwirkt. Das erforderliche Zeitmoment ist erfüllt. Die Beklagte hat die Miete ab 1.1.1998 gemindert. Unstreitig erst mit Schreiben vom 20.12.2000 (Bl. 59 I) hat die Klägerin die Rückstände angefordert. Dies ist für die Annahme des Zeitmoments ausreichend (RU S. 10 - Bl. 43 III -).

Auch das erforderliche Umstandsmoment ist erfüllt. Die Beklagte hat vorgetragen, in der Zeit zwischen dem 22.7.1997 und dem 18.2.1998 - allein - 9 Mängelanzeigen an den Ehemann der Beklagten per Fax gerichtet zu haben. Wenn ein Mieter in 9 Schreiben dem Vermieter Mängel an dem Mietobjekt anzeigt, die Mietzahlung mindert und erst nach rund 3 Jahren von der Vermieterseite eine Reaktion dahingehend erfolgt, die Rückstände anzufordern, dann reicht dies auch für das Umstandsmoment der Verwirkung aus. Der Mieter kann dann davon ausgehen, dass der Vermieter mit der Minderung einverstanden ist, wenn neben der Untätigkeit hinsichtlich der Anforderung der Rückstände auch keine Mängelbeseitigungsmaßnahmen ergriffen werden. Die Klägerin bestreitet zwar, dass ihr (bzw. ihrem - unstreitig - für sie handelnden Ehemann) Mängelanzeigen von der Beklagten übermittelt wurden. Aus den im Hinweis- und Beweisbeschluss (auf dessen Inhalt Bezug genommen wird) dargelegten Gründen liegen dann, wenn der Erklärende (Beklagte) 9 Schreiben vorlegt, die an eine Faxnummer gerichtet sind, unter der der Erklärungsempfänger am Rechtsverkehr teilnimmt, und weiter zu allen 9 Schreiben den Sendebericht mit dem "ok" Vermerk vorweisen kann, auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 1995, 665, 667) die Voraussetzungen für die Annahme eines Anscheinsbeweises vor. Diesen gegen sie streitenden Anscheinsbeweis hat die Klägerin mit der Aussage des Zeugen U. zur Überzeugung des Senat nicht zu erschüttern vermocht. Der Zeuge hat auf konkreten Vorhalt der im Beweisbeschluss genannten (9) Schreiben auch auf Nachfrage lediglich bekundet, dass er sich an keines der Schreiben erinnern könne. Diese Aussage ist zur Erschütterung des gegen die Klägerin wirkenden Anscheinsbeweises unzureichend. Selbst wenn das Faxgerät in einem offenen Gemeinschaftsbüro untergebracht war und von mehreren Unternehmen genutzt wurde (Bürogemeinschaft G. Straße), folgt daraus zugunsten der Klägerin nichts. Es ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin auf den von ihr veranlassten Schreiben die Faxnummer der Bürogemeinschaft angegeben, aber nicht als solche gekennzeichnet hat. Wer im Geschäftsverkehr selbst eine Faxnummer benennt, unter der er Erklärungen entgegennimmt, muss dafür Sorge tragen, dass ihn die dort eingehenden Schreiben auch erreichen und sich das Gerät in einem technisch einwandfreien Zustand befindet. Die Erklärung des Zeugen U. , dass er tätig geworden wäre, wenn er Kenntnis von den Mängelanzeigen der Beklagten gehabt hätte, ist schon deshalb ungeeignet, den Anscheinsbeweis zu erschüttern, weil er zugleich bekundet, sich an die Schreiben nicht erinnern zu können, da es dann für eine Schlussfolgerung an der tatsächlichen Grundlage fehlt und die Erklärung somit nur eine Vermutung darstellt.

Die Klägerin hat den gegen sie wirkenden Anscheinsbeweis des Zugangs der Mängelanzeigen der Beklagten nicht erschüttert. Daraus folgt, dass sich die Beklagte nach Ablauf von rund 3 Jahren bis zur Aufforderung zur Nachzahlung der Minderungsbeträge darauf einstellen konnte, nicht mehr mit einer Nachforderung konfrontiert zu werden. Ein Nachzahlungsanspruch der Klägerin ist verwirkt. Das Landgericht hat die Klage daher im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Kostenentscheidung (einschließlich der Kosten für das Revisionsverfahren) folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 543 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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