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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 05.02.2002
Aktenzeichen: 1 U 2314/01
Rechtsgebiete: AGBG
Vorschriften:
AGBG § 9 |
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL
In Sachen
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2001
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Amberg vom 29.05.2001 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Wert der Beschwer für die Klägerin beträgt 12.550,32 Euro (= 24,546,30 DM).
Beschluß:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf
12.550,32 Euro (= 24.546,30 DM)
festgesetzt.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
A.
Die Berufung ist zulässig; sie hat auch in der Sache Erfolg.
Die Klägerin stützt ihr Zahlungsbegehren auf Nummer 4 des Darlehens- und Bierlieferungsvertrages vom 15.03.1993. Dort ist - neben anderen Konstellationen - für den Fall der Einstellung des Getränkebezugs eine Vertragsstrafe von 30 % des bei der Brauerei (= der Klägerin) gültigen Verkaufspreises für jeden nichtbezogenen Hektoliter Bier und alkoholfreie Getränke vereinbart.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 18.12.2001 hat die Klägerin dies erneut betont und klargestellt, daß auch in ihrem Schriftsatz vom 06.11.2001 kein Übergang zu einer konkreten Schadensberechnung zu sehen sei; die dort vorgetragenen weiteren Rechnungsposten dienten vielmehr nur zur Begründung der Angemessenheit der Vertragsstrafe.
Die Vertragsstrafenklausel in Nummer 4 der Vereinbarung der Parteien ist indes wegen eines Verstoßes gegen § 9 AGBG unwirksam. Dem Begehren der Klägerin fehlt damit die Rechtsgrundlage.
I.
Zwar hat das Erstgericht - vom damaligen Sach- und Streitstand ausgehend zu Recht - Klausel Nummer 4 als Individualvereinbarung ge- und bewertet. Im Verlauf des Berufungsverfahrens haben die Parteien jedoch unstreitig gestellt, daß es sich um eine von der Klägerin vorformulierte und von ihr ständig verwendete Bestimmung handelt.
II.
Allerdings ist die Klausel gemäß § 24 AGBG nur einer beschränkten Inhaltskontrolle zu unterziehen:
Da die Beklagte als Gastwirtin Unternehmerin im Sinn des § 14 BGB ist, finden die Verbote bestimmter Klauseln nach §§ 10, 11 ABGB keine - direkte - Anwendung. Maßstab für die Beurteilung einer Klausel als unangemessen und damit als unwirksam ist vielmehr § 9 ABGB (Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Auflage, § 9 AGBG Rn. 32).
III.
Die vorliegende Vertragsstrafenklausel benachteiligt den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen: Zum einen weicht sie von einem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 ABGB); zum anderen erweitert sie die Rechte des Verwenders zu Lasten des Vertragspartners unangemessen. Im Rahmen der nach § 9 ABGB vorzunehmenden Beurteilung ist die Vertragsstrafenklausel nicht nur isoliert zu betrachten; vielmehr muß sie auch im Zusammenspiel mit der - als solche nach herrschender Meinung nicht zu beanstandenden (vergleiche Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 138 Rn. 81 m.w.N.) - Vetragsdauer von 13 1/2 Jahren sowie dem in Nr. 1 d Absatz 2 des Vertrages vereinbarten Recht der Brauerei, bei Einstellung des Getränkebezuges "in den Mietvertrag mit dem Hausbesitzer einzutreten", bewertet werden.
1. In Nummer 4 Absatz 2 des Vertrages wird dem Gastwirt eine Vertragsstrafe auferlegt und nicht nur eine Regelung pauschalierten Schadensersatzes getroffen.
Nummer 4 Absatz 2 des Vertrages bezeichnet die bei Verstößen gegen die Getränkebezugsverpflichtung zu leistende Zahlung ausdrücklich als "Vertragsstrafe".
Zwar enthält Absatz 5 der Vertragsnummer 4 Anklänge an die Regelung pauschalierten Schadensersatzes, indem dort vereinbart ist, daß sich die Brauerei "daneben die Geltendmachung weiterer Schadensersatzansprüche" vorbehält. In der Zusammenschau ihrer einzelnen Regelungen spiegelt Klausel Nummer 4 aber letztlich den doppelten Zweck einer Vertragsstrafe wider, nämlich zum einen Druckmittel zur Erfüllung der Vertragspflichten zu sein und zum anderen bei einer Leistungsstörung den Schadensbeweis entbehrlich zu machen (vergleiche Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 276 Rn. 55).
Zudem gehen Unklarheiten bei der Auslegung von Bestimmungen in AGBGs zu Lasten des Verwenders (§§ 5 ABGB).
2. Eine Unangemessenheit der Vertragsstrafenklausel ergibt sich allerdings nicht bereits allein aus ihrer Höhe von 30 % des bei der Brauerei gültigen Verkaufspreises. Diese liegt nämlich - jedenfalls bezogen auf Bierlieferungen - noch unterhalb der Gewinnspanne der Klägerin.
Hierzu hat die Klägerin unbestritten vorgetragen, daß vom entgangenen Nettoerlös von 185,-- DM pro Hektoliter lediglich ersparte Kosten in Höhe von 48,33 DM (für Malz- und Hopfeneinsatz, sowie sonstige Braustoffe) abzuziehen seien.
Diese Berechnung steht - worauf die Klägerin zutreffend hinweist - im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vergleiche BGHZ 107, 67, 69 f.). Dieser zufolge sind im Rahmen der Feststellung des einer Brauerei entgangenen Gewinns - ausreichende Produktionskapazitäten vorausgesetzt - bei der Ermittlung des Herstellerpreises die sog. fixen Kosten nicht zu berücksichtigen.
3. Ein Verstoß der vorliegenden Vertragsstrafenklausel gegen § 9 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 Nr. 1 liegt jedoch darin, daß die Vertragsstrafe unabhängig von einem Verschulden des Gastwirtes bei jeder Einschränkung oder Einstellung des Getränkebezuges verwirkt sein soll.
a) Zwar läßt die Formulierung "Verstöße gegen die Getränkebezugsverpflichtung" an eine nicht nur objektiv vorliegende, sondern zudem subjektiv vorwerfbar verursachte Verletzung der Getränkebezugsverpflichtung denken. Der nächste Satz der Vereinbarung, in dem klar gestellt wird, daß "ein Verstoß gegen die Bezugsverpflichtung auch darin zu sehen ist, wenn Vertragspartner den Getränkebezug nicht aufnimmt, einschränkt oder einstellt" enthält dann aber keinen Hinweis auf ein erforderliches Verschulden des Gastwirts. Zweifel bei der Auslegung der Klausel ( muß der "Verstoß" nur objektiv vorliegen oder darüberhinaus auch subjektiv vorwerfbar sein? ) gehen aber auch hier zu Lasten des Verwenders (§ 5 AGBG).
Absatz 4 der Klausel Nummer 4 läßt zwar einen Gegenbeweis zu; dieser bezieht sich aber nur auf die Höhe der Strafe, die zunächst von der Brauerei ausgehend vom zukünftigen Bedarf geschätzt wird.
b) Zum gesetzlichen Leitbild einer Vertragsstrafenvereinbarung gehört jedoch - wie sich aus der Bezugnahme auf einen Verzug und somit auf § 285 BGB in § 339 Satz 1 BGB ergibt -, daß die Vertragsstrafe nur bei Verschulden verwirkt ist.
Zwar ist die gesetzliche Regelung nicht zwingend; sie kann nach herrschender Meinung individualvertraglich abbedungen werden (Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 339 Rn. 3). Die Rechtslage ist aber eine andere bei formularmäßigen Klauseln: Hier sind Versprechen einer Vertragsstrafe unabhängig von einem Verschulden nur wirksam, wenn wichtige Gründe dafür vorliegen (Palandt-Heinrichs a.a.O., § 339 Rn. 3 und § 11 ABGB Rn. 33; BGHZ 72, 174, 178/179; BGH NJW 85, 57 f.).
Derartige besondere Gründe, die geeignet wären, die Unwirksamkeitsvermutung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 ABGB auszuräumen, sind vorliegend aber nicht ersichtlich. Der Klägerin geht es vielmehr nur allgemein und generell um eine Sicherung ihrer Ansprüche auf Vertragserfüllung.
4. Betrachtet man weiter die Vertragsstrafenklausel im Kontext des gesamten Vertrages, so führt auch dies zum Ergebnis einer gegen Treu und Glauben verstoßenden unangemessenen Benachteiligung des Gastwirtes.
a) Heranzuziehen ist zum einen die mit 13 1/2 Jahren lange Vertragslaufzeit. Stellt der Gastwirt in den Anfängen der Laufzeit - auch unverschuldet - den Getränkebezug ein oder schränkt er ihn ein, so führt dies gemäß den AGB der Klägerin zu einer auf die gesamte Laufzeit des Vertrages hochgerechneten und somit erheblichen Vertragsstrafe. Dies würde selbst in den Fällen gelten, in denen das Brauereidarlehen - unter Umständen, was nach Nummer 1 e des Vertrages möglich ist, vorzeitig - zurückgezahlt wurde, und ein besonderes Sicherungsinteresse der Brauerei nicht mehr besteht.
b) Hinzu kommt das in Nummer 1 d des Vertrages vereinbarte Recht der Brauerei - neben dem Fall des Zahlungsverzugs - auch bei einer Einstellung des Getränkebezugs an Stelle des Vertragspartners "in den Mietvertrag mit dem Hausbesitzer einzutreten". Auch wenn nicht verkannt werden darf, daß ein solcher Eintritt mit finanziellen Aufwendungen verbunden ist, so gibt er der Brauerei auf der anderen Seite doch die Möglichkeit, die örtlichen Gegebenheiten und einen entsprechenden "goodwill" des Lokals zu nutzen und Gewinn aus einer - in der Regel angestrebten - Unterverpachtung mit neuer Getränkebezugsverpflichtung zu erzielen. Dieser Gewinn stünde der Brauerei neben der vom früheren Pächter zu zahlenden Vertragsstrafe zu. Demgegenüber bliebe dem Gastwirt nur die Möglichkeit, sich gänzlich umzuorientieren und an einem neuen Ort von vorne anzufangen.
Diese Konstellation weist Ähnlichkeiten mit den Fällen auf, in denen - von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vergleiche BGH NJW 85, 2693, 2694) für unwirksam befunden - bei Fortbestehen der Bezugsverpflichtung des Gastwirtes formularmäßig die Rückgabe von leihweise überlassenem Gaststätteninventar bei Vertragsverletzung vereinbart war: In beiden Fällen wird dem Gastwirt die Grundlage seiner Erwerbstätigkeit entzogen, während er gleichzeitig weiterhin finanziell für die Erfüllung seiner Vertragspflichten einzustehen hat.
Die kumulierenden Rechte der Brauerei bei - auch unverschuldeter - Einstellung des Getränkebezuges durch den Gastwirt, zum einen in das Pachtverhältnis einzutreten und zum anderen daneben eine je nach noch offener Laufzeit unter Umständen hohe Vertragsstrafe zu fordern, ohne daß sich die Brauerei eventuelle Vorteile aus einer weiteren Unterverpachtung anrechnen lassen müsste, stellen eine mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht mehr zu vereinbarende unangemessene Benachteiligung des Gastwirtes dar, sodaß die Vertragsstrafenklausel unwirksam ist.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Festsetzung der Beschwer auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO, § 546 Abs. 2 ZPO a.F..
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Das Urteil weicht nicht von höchstrichterlichen Entscheidungen ab (§ 546 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO a.F.), vielmehr werden anerkannte Grundsätze der Rechtsprechung zur Wirksamkeit von Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen im konkreten Fall umgesetzt. Es fehlt somit auch an einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsache (§ 546 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO a.F.).
Ende der Entscheidung
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