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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 22.01.2009
Aktenzeichen: 1 Vs 1/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 383 Abs. 2
StPO § 310 Abs. 2
StPO § 471 Abs. 3
Im Verfahren über die Kostentragungspflicht eines Privatklageverfahrens können zulässigerweise keine Schuldfeststellungen getroffen oder Aufklärungshandlungen in Bezug auf die Schuldfrage vorgenommen werden, wenn das Verfahren zum Zeitpunkt der Einstellung noch nicht bis zur Schuldspruchreife gediehen war.
Oberlandesgericht Nürnberg BESCHLUSS

1 Vs 1/09

Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Wankel sowie des Richters am Oberlandesgericht Schorr und des Richters am Amtsgericht Kellendorfer

in dem Privatklageverfahren

gegen

wegen Verleumdung

am 22. Januar 2009

beschlossen:

Tenor:

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 1. September 2008 wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.

2. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 1. September 2008 hinsichtlich der in Ziff. II und III getroffenen Entscheidungen aufgehoben und die Sache zu erneuten Entscheidung an das Landgericht Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Nürnberg hat nach Durchführung eines "Sachaufklärungstermins" am 26.6.2006 in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss vom 30.6.2006 unter Ziffer I das am 4.4.2006 gegen den Angeklagten eingeleitete Privatklageverfahren gemäß § 383 Abs. 2 StPO eingestellt und unter Ziffer II dem Angeklagten gemäß § 471 Abs. 3 Nr. 2 StPO die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Privatklägers auferlegt. Die allein gegen die Kostenentscheidung unter Ziffer II erhobene sofortige Beschwerde des Angeklagten wurde mit Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 31.7.2006 als unbegründet verworfen.

Mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.1.2008 (Az. 2 BvR 1975/06) wurden auf die Verfassungsbeschwerde des Angeklagten der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 30.6.2006 und der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 31.7.2006 hinsichtlich der zu den Kosten und Auslagen getroffenen Entscheidungen wegen Verletzung des Grundrechtes des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Privatklageverfahrens an das Amtsgericht zurückverwiesen. Das Bundesverfassungsgericht beanstandete, dass das Amtsgericht Nürnberg und das Landgericht Nürnberg-Fürth die Kostenentscheidung jeweils entgegen der im Grundgesetz verankerten Unschuldsvermutung mit Feststellungen zur Schuld begründet hatten, obwohl das Verfahren nicht in einer Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife gediehen gewesen war.

Mit Beschluss vom 7.2.2008 eröffnete das Amtsgericht Nürnberg daraufhin das Hauptverfahren und ließ die Privatklage vom 4.4.2006 nach Maßgabe eines näher bezeichneten Sachverhalts zur Hauptverhandlung zu. Aufgrund einer am 25.2.2008 entsprechend den §§ 243 ff. StPO ausgestalteten und durchgeführten Hauptverhandlung erging gegen den Angeklagten ein Urteil mit folgendem Tenor:

"I. Der Angeklagte ist schuldig der Verleumdung.

II. Das Verfahren wird eingestellt.

III. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens - einschließlich der notwendigen Auslagen des Privatklägers zu tragen."

Gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 25.2.2008 legte der Angeklagte mit Schriftsatz vom 27.2.2008 Berufung, hilfsweise sofortige Beschwerde ein.

Mit Urteil vom 1.9.2008 hat das Landgericht Nürnberg-Fürth mit folgendem Tenor entschieden:

"I. Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 25.02.2008 in Ziffer I. aufgehoben.

II. Die weitergehende Berufung des Angeklagten, mit der er sich gegen die Kostenentscheidung des Amtsgerichts wendet, wird als unbegründet verworfen.

III. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Privatkläger und der Angeklagte je zu Hälfte. Auslagen des Privatklägers und des Angeklagten im Berufungsverfahren werden nicht erstattet.

Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 8.9.2009, der beim Landgericht Nürnberg-Fürth am selben Tag einging, Revision, hilfsweise sofortige Beschwerde ein, die mit weiterem Schriftsatz vom 24.10.2008 begründet wurde. Er beantragt:

"I. Das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 25.02.2008, Az. 48 Bs 290/06 N wird in II. und III. mit sämtlichen Feststellungen und das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 01.09.2008 wird in II. und III. mit sämtlichen Feststellungen aufgehoben.

II. Der Angeklagte wird freigesprochen.

III. Dem Privatkläger werden die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt."

hilfsweise

"I. Das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 25.02.2008, Az. 48 Bs 290/06 N wird in II. und III. mit sämtlichen Feststellungen und das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 01.09.2008 wird in II. und III. mit sämtlichen Feststellungen aufgehoben.

II. Das Verfahren wird eingestellt.

III. Dem Privatkläger werden die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt."

Der Privatkläger hält mit Gegenerklärung vom 24.11.2008 die Revision mangels Beschwer für unzulässig.

II.

1. Die Revision des Angeklagten ist gemäß § 349 Abs. 1 StPO mangels Beschwer als unzulässig zu verwerfen.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat auf die Berufung des Angeklagten mit zutreffender Begründung den Schuldspruch in Ziffer I des Urteils des Amtsgerichts Nürnberg vom 25.2.2008 wegen der bereits mit insoweit rechtskräftigem Beschluss vom 2.6.2006 gemäß § 383 Abs. 2 StPO vorgenommenen Einstellung des Privatklageverfahrens aufgehoben und die damit verbundene Beschwer des Angeklagten beseitigt und keine weitere Beschwer begründet. Im Hinblick auf die vorangegangene rechtskräftige Einstellung war nämlich weder Raum für einen nachfolgenden Schuldspruch zu Lasten des Angeklagten, noch Raum für den vom Angeklagten beantragten Freispruch. Soweit der Beschwerdeführer den Freispruch daher erneut mit der Revision verfolgt, steht dem ebenfalls die Rechtskraft der Einstellungsentscheidung entgegen. Hieran ändert auch nichts, dass das Amtsgericht im Urteil vom 25.2.2008 unter Ziff. II das Verfahren erneut eingestellt hat, da diese Einstellung - worauf das Amtsgericht selbst hinwies - lediglich zur Klarstellung noch einmal ausgesprochen wurde.

2. a) Die vom Angeklagten hilfsweise erhobene sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung ist - da das Hauptrechtsmittel keinen Erfolg hat (vgl. Gieg in Karlsruher Kommentar, StPO 6. Aufl. § 464 Rdn. 14) - dagegen gemäß § 464 Abs. 3 S. 1 StPO statthaft und auch sonst zulässig.

Der Kostenbeschwerde steht insbesondere nicht § 310 Abs. 2 StPO entgegen, weil das Landgericht eine originäre Kostenentscheidung getroffen hat.

Das Amtsgericht hatte in der Entscheidung vom 25.2.2008 die Kostenentscheidung auf den Schuldspruch gestützt, den das Berufungsgericht aber nachfolgend aufgehoben hat. Durch diese Aufhebung wurde der strikt akzessorischen Kostenentscheidung als einem Annex der Sachentscheidung jedoch die Grundlage entzogen (vgl. Gieg a.a.O.).

Damit hatte das Landgericht im Berufungsverfahren über die Kosten der ersten Instanz mitzuentscheiden und hat dies auch im Ansatz zutreffend getan (S. 7 BU). Wegen des genannten Wegfalls der Entscheidungsgrundlage war die Kostenentscheidung des Landgerichts damit inhaltlich keine Beschwerdeentscheidung im Sinne des § 310 Abs. 2 StPO mit der Folge, dass eine weitere Anfechtung dieser Entscheidung unzulässig wäre, sondern verfahrensbedingt eine originäre erstinstanzliche Entscheidung über die Kosten, die gemäß § 464 Abs. 3 S. 1 StPO mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden konnte.

b) Die sofortige Kostenbeschwerde ist auch begründet.

Weder das Amtsgericht noch das Landgericht durfte die Kostenentscheidung auf das Ergebnis der Hauptverhandlung vom 25.2.2008 stützen. Durch die nicht angefochtene Einstellung des Privatklageverfahrens mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 30.6.2006 war das Verfahren rechtskräftig beendet. Ein selbständiges Nachverfahren, das die Möglichkeit förmlicher Beweiserhebung vorsieht und ausschließlich der Herbeiführung einer sachgerechten Nebenentscheidung über Verfahrenskosten und Auslagen dient, ist der Strafprozessordnung unbekannt und deshalb mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar. Das geltende Strafverfahrensrecht sieht keine Möglichkeit vor, außerhalb eines anhängigen Verfahrens Schuldfeststellungen zu treffen oder Aufklärungshandlungen in bezug auf die Schuldfrage vorzunehmen (BVerfG StV 1991, 114). Wird das Verfahren - wie vorliegend - vor Schuldspruchreife eingestellt, so ist das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung nach § 471 Abs. 3 StPO nicht gehindert zu berücksichtigen, inwieweit der Beschuldigte nachvollziehbaren Anlass zur Erhebung der Privatklage gegeben hat. Dabei darf es allerdings nur die keiner weiteren Aufklärung bedürftigen Umstände des Sachverhalts zugrunde legen (BVerfG StV 1991, 114, 115).

Nach alledem hätte das Amtsgericht nach der Entscheidung vom 30.6.2006 keinerlei Beweiserhebung zur Klärung der Schuldfrage mehr vornehmen dürfen, sondern hätte bei der Kostenentscheidung maßgeblich nur feststellen und berücksichtigen dürfen, ob und inwieweit der Angeklagte nachvollziehbaren Anlass zur Privatklageerhebung gegeben hat (wegen der näheren Einzelheiten hierzu s. BVerfG StV 1991, 114). Ebensowenig hätte das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung auf die Beweiserhebungen des Amtsgerichts zurückgreifen dürfen, sondern hätte von der Tatsachenplattform ausgehen müssen, die es zulässgerweise der Verfahrenseinstellung zugrundelegen durfte, d.h. die keiner weiteren Aufklärung bedürftigen Umstände (vgl. BVerfG Beschluss vom 14. Januar 2008 im hiesigen Verfahren). Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung derartige Feststellungen nun gerade nicht selbst getroffen, sondern hat wegen Nichtbeachtung seiner originären Entscheidungskompetenz {vgl. oben) unter unzutreffender Bezugnahme auf § 464 Abs. 3 S. 2 StPO, die vom Amtsgericht rechtswidrig erhobenen Tatsachenfeststellungen zur Schuld der Kostenentscheidung zu Grunde gelegt.

Da es deshalb - nunmehr bezogen auf die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts - an den erforderlichen Feststellungen im Sinne des § 464 Abs. 3 S. 2 StPO fehlt, war die Entscheidung über die Kosten aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Privatklageverfahrens und damit verbunden die Kosten des Berufungsverfahrens und des Beschwerdeverfahrens an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (vgl. Gieg, a.a.O. Rdn. 11 m.w.N.).

3. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der als unzulässig verworfenen Revision beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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