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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 01.08.2001
Aktenzeichen: 1 W 1796/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO §§ 690 ff
ZPO § 78
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
ZPO § 91 Abs. 2 S. 1
ZPO § 91 Abs. 2 S. 2
1. Grundsätzlich erstattungsfähig sind die Reisekosten eines beim Prozeßgericht zwar postulationsfähigen, aber nicht zugelassenen Rechtsanwalts jedenfalls dann, wenn dem streitigen Verfahren ein Mahnverfahren vorausging, in welchem der Gläubiger mit einem Widerspruch nicht rechnen mußte.

2. Überträgt der Prozeßbevollmächtigte in einem solchen Fall die Vertretung in der mündlichen Verhandlung einem anderen Rechtsanwalt, so sind die durch die Unterbevollmächtigung entstandenen Kosten in Höhe der fiktiven Reisekosten des Prozeßbevollmächtigten ersatzfähig.


1 W 1796/01

Nürnberg, den 1.8.2001

In Sachen

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 1. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluß des Landgerichts Regensburg vom 03.04.01 abgeändert:

Über den im Kostenfestsetzungsbeschluß festgesetzten Erstattungsbetrag hinaus hat der Beklagte der Klägerin weitere Kosten i.H.v. 190 DM sowie 4 % Zinsen hieraus sein 21.03.01 zu ersetzen.

II. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Klägerin 4/5 und der Beklagte 1/5.

III. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 1.052 DM.

Gründe:

I.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 104 Abs. 3 Satz 1, § 577 ZPO). In der Sache hat sie teilweise Erfolg.

Über die vom Landgericht anerkannten Kosten (10/10 Prozeßgebühr, 5/10 Verhandlungsgebühr, Unkostenpauschale und verauslagte Gerichtskosten) hinaus kann die Klägerin Ersatz fiktiver Reisekosten ihres Prozeßbevollmächtigten verlangen.

1. Die Münchener Prozeßbevollmächtigten der ebenfalls in München ansässigen Klägerin haben zunächst beim Amtsgericht München den Erlaß eines Mahnbescheides gegen den Beklagten beantragt. Nach Eingang eines Widerspruches haben sie den Rechtsstreit vor dem Landgericht Regensburg weiter betrieben. Den Termin zur mündlichen Verhandlung vom 07.03.01 haben sie jedoch von einer Regensburger Kanzlei in Untervollmacht wahrnehmen lassen. In diesem Termin ist ein Versäumnisurteil ergangen.

Vorrangig erstrebt die Klägerin neben der Erstattung der Kosten der Prozeßbevollmächtigten auch die Erstattung der Kosten der Unterbevollmächtigten (5/10 Prozeßgebühr, 5/10 Verhandlungsgebühr sowie Unkostenpauschale). Hilfsweise beruft sich die Klägerin auf die Erstattungsfähigkeit von Verkehrsanwaltsgebühren bzw. auf die Erstattungsfähigkeit fiktiver Kosten einer Informationsreise der Partei sowie einer Ratsgebühr.

2. Die Kosten mehrerer Anwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten mußte (§ 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO).

a) Seit der Neufassung des § 78 ZPO zum 01.01.00 ist ein Anwaltswechsel nach Widerspruch gegen einen Mahnbescheid nicht mehr notwendig. Vielmehr ist der bei einem Amts- oder Landgericht zugelassene Rechtsanwalt vor jedem Landgericht postulationsfähig.

b) Ausnahmsweise sind die Kosten mehrerer Anwälte dann zu erstatten, wenn die Einschaltung eines Verkehrsanwaltes (§ 52 BRAGO) notwendig war oder mit der tatsächlich gewählten Form der Prozeßvertretung die Kosten eines Verkehrsanwaltes eingespart werden.

Vorliegend wurde weder ein Verkehrsanwalt eingeschaltet - vielmehr waren die anwaltlichen Vertreter der Klägerin "vor Ort" zugleich deren Prozeßbevollmächtigte -; noch wären die Kosten eines Verkehrsanwaltes erstattungsfähig gewesen: Weder war der Fall ungewöhnlich schwierig gelagert, noch ist die Klägerin geschäftsungewandt zu den Voraussetzungen der Erstattungsunfähigkeit von Verkehrsanwaltskosten, siehe Zöller - Herget, ZPO, 22. Auflage, § 91 Rn 13, Stichwort "Verkehrsanwalt").

c) Abzustellen ist somit auf die - tatsächlich entstandenen oder fiktiven - "Kosten eines Anwaltes", soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Klägerin war vorliegend nicht gehalten, von vornherein mit der Wahrnehmung ihrer Interessen einen am Landgericht Regensburg zugelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen. Der Klägerin sind vielmehr die mit der Beauftragung der Münchner Prozeßbevollmächtigten - tatsächlich oder fiktiv - verbundenen notwendigen Kosten zu ersetzen. Soweit die durch die Beauftragung der Prozeßbevollmächtigten tatsächlich entstandenen Kosten die notwendigen fiktiven Kosten unterschreiten, sind die Kosten der Unterbevollmächtigten ersatzfähig.

aa) Nach der Neufassung des § 78 ZPO ist streitig, ob die Reisekosten eines beim Prozeßgericht zwar postulationsfähigen aber nicht zugelassenen Rechtsanwaltes erstattungsfähig sind, insbesondere, ob maßgeblich auf die Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 1 2. Halbs. oder auf die entsprechende Anwendung der Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO abzustellen ist (für die Erstattungsfähigkeit im Regelfall: OLG Frankfurt, MDR 2000, 1215; OLG Düsseldorf, MDR 2001, 475; Kammergericht, MDR 2001, 473 ff; SchlH OLG, Jur. Büro, 2001, 197; verneinend: OLG Zweibrücken, MDR 2001, 535; OLG Karlsruhe, Jur. Büro 2001, 201; OLG Hamburg, Jur. Büro 2001, 203; OLG München, MDR 2001,773; Musielak/Wolst, ZPO, 2. Auflage, § 91 Rn 17 ff).

Der erkennende Senat neigt dazu, die Erstattungsfähigkeit im Regelfall zu bejahen. Bei einer Prognose und Kalkulation der voraussichtlichen Kosten der Beauftragung eines am Prozeßgericht zugelassenen Rechtsanwalts einerseits und der Beauftragung eines auswärtigen, am Wohnort oder Sitz der Partei niedergelassenen Rechtsanwalts andererseits werden die Ergebnisse häufig nicht gravierend differieren r Den Reisekosten des auswärtigen Anwaltes stehen meist neben einer Ratsgebühr auch die Kosten einer Informationsreise der Partei zum Prozeßbevollmächtigten gegenüber. Neben der Frage nach dem kostengünstigsten Weg sind bei der Bewertung der Beauftragung eines Rechtsanwalts als notwendige, zweckentsprechende Maßnahme der Rechtsverfolgung oder -Verteidigung auch sonstige Interessen der Partei, wie Vertrautheit des Anwaltes mit der Sache oder die Möglichkeit einer schnellen und direkten Information des Rechtsanwaltes nicht gänzlich außer Acht zu lassen.

Wenn nicht besondere Umstände vorliegen - wie z.B. voraussichtlich mehrere Gerichtstermine mit der Folge entsprechend hoher Reisekosten des auswärtigen Anwaltes oder sehr einfach gelagerte Routinefälle, bei denen eine schriftliche Information eines Prozeßbevollmächtigten am Sitz des Prozeßgerichts ohne weiteres möglich ist - tendiert der Senat daher dazu, die Reisekosten eines beim Prozeßgericht zwar postulationsfähigen, aber nicht zugelassenen Anwaltes für erstattungsfähig zu halten.

bb) Die Streitfrage muß jedoch nicht abschließend entschieden werden. Da vorliegend dem streitigen Verfahren ein Mahnverfahren vorausging, war die weitere Beauftragung der am Sitz der Klägerin niedergelassenen Rechtsanwälte der im Vergleich mit einer Beauftragung eines am Landgericht Regensburg zugelassenen Anwaltes kostengünstigere Weg.

(1) Nach der Rechtsprechung des Senats sind die Kosten eines Mahnanwaltes - jedenfalls in den Fällen, in denen mit einem Widerspruch nicht gerechnet werden mußte - grundsätzlich erstattungsfähig; dies gilt auch in den Fällen, in denen eine geschäftsgewandte Partei eine Routineangelegenheit aus ihrem alltäglichen Geschäftsbetrieb weiterverfolgt (OLG Nürnberg, MDR 1999, 1467). Das Mahnverfahren bietet dem Gläubiger die Möglichkeit, schnell und kostengünstig zu einem Titel zu kommen. Dem Gläubiger ist es grundsätzlich - auch unter Mitberücksichtigung der Interessen des Schuldners - nicht zuzumuten, allein wegen der Möglichkeit eines nachfolgenden Streitverfahrens einen am Sitz des Prozeßgerichts ansässigen Anwalt bereits mit dem Antrag auf Erlaß eines Mahnbesscheides zu beauftragen. Hieran hat sich auch durch die Neufassung des § 78 ZPO nichts geändert (so auch OLG Düsseldorf, Jur. Büro 2001, 199).

Vorliegend mußte die Klägerin mit einem Widerspruch des Beklagten nicht rechnen. Vorprozessual hatte der Beklagte die Forderung anerkannt; letztlich ließ er Versäumnisurteil gegen sich ergehen.

(2) Für die Tätigkeit im Verfahren über den Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheides erhält der Rechtsanwalt nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO eine volle Gebühr (vorliegend 1.265 DM). Diese Gebühr ist jedoch gem. § 43 Abs. 2 BRAGO auf die Prozeßgebühr, die der Rechtsanwalt in einem nachfolgenden Rechtsstreit erhält, anzurechnen.

Daher ist die - weitere - Beauftragung des am Sitz bzw. Wohnsitz des Gläubigers ansässigen "Mahnanwaltes" in der Regel kostengünstiger als die - neue - Beauftragung eines am Prozeßgericht zugelassenen Anwaltes: Zumeist werden die Reisekosten des bereits im Mahnverfahren tätig gewordenen Rechtsanwalts die Höhe der im Mahnverfahren anfallenden vollen Gebühr nicht erreichen (für eine Erstattung der Reisekosten bei Fortführung des Rechtsstreits durch den Mahnanwalt auch: Zöller-Herget, a.a.O., § 91 Rn 13, Stichwort "Mahnverfahren", 2. Rechtslage ab 01.01.00; OLG-Düsseldorf, Jur. Büro 01, 199).

(3) So ist es auch im vorliegenden Fall, in dem sich fiktive Reisekosten wie folgt ergeben:

Fahrkosten gem. § 28 Abs. 2 Nr. 1 BRAGO (2 x 125 km x 0,52 130 DM

Tage- und Abwesenheitsgeld gem. § 28 Abs. 3 Satz 1 BRAGO (4 bis 8 Stunden) = 60 DM

190 DM

cc) In Höhe dieses Betrages sind die der Klägerin tatsächlich entstandenen Kosten der Unterbevollmächtigten ersatzfähig.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 57 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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