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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 15.11.2005
Aktenzeichen: 1 Ws 1152/05
Rechtsgebiete: StrEG


Vorschriften:

StrEG § 8 Abs. 1
1. Das Unterlassen der gebotenen Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung (§ 8 Abs. 1 StrEG) ist grundsätzlich nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

2. Wird der Angeklagte im Anschluss an die Urteilsverkündung über das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde "gegen die nicht ausgesprochene Haftentschädigung" belehrt, so kommt dem der Charakter einer endgültigen Ablehnung zu. Diese ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.


1 Ws 1152/05

Nürnberg, den 15. Nov. 2005

In dem Strafverfahren

gegen

wegen Verstoßes gegen das BtmG;

hier: sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten gegen die Versagung der Entschädigung nach dem StrEG,

erläßt der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird festgestellt, daß die Staatskasse verpflichtet ist, den Beschwerdeführer für die Dauer der vorläufigen Festnahme und der erlittenen Untersuchungshaft in der Zeit vom 12.03.2004 bis zum 25.02.2005 sowie für die am 12.03.2004 in der Zeit von 09.36 Uhr bis 10.58 Uhr durchgeführte Durchsuchung der Wohnung im Anwesen ... und die in diesem Rahmen erfolgte Sicherstellung und Beschlagnahme der auf Blatt 32 - 34 der Akten näher bezeichneten Gegenstände zu entschädigen.

II. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem früheren Angeklagten hierbei entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:

I.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat ... am 16.03.2005 vom Vorwurf der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge freigesprochen. Dieses Urteil ist zwischenzeitlich rechtskräftig.

Der Angeklagte ... wurde aufgrund des Vorwurfs am 12.03.2004 vorläufig festgenommen und befand sich in dieser Sache aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Erlangen vom 13.03.2004, ersetzt durch den Haftbefehl des Amtsgerichts Erlangen vom 29.07.2004, bis zur Aufhebung des Haftbefehls durch Beschluß des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.02.2005 ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Am 12.03.2004 in der Zeit von 09.36 Uhr bis 10.58 Uhr wurden aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Erlangen vom 11.03.2004 (Az: Gs 348/04) die Wohnung des Angeklagten in ... durchsucht und zahlreiche Gegenstände als Beweismittel bzw. Einziehungsgegenstände aufgefunden und sichergestellt.

Obwohl das Landgericht Nürnberg-Fürth den Angeklagten ... durch Urteil vom 16.03.2005 freigesprochen hat, wurde eine Haftentschädigung dem Grunde nach nicht zugesprochen. Durch die Strafkammer erfolgte im Anschluß an die Urteilsverkündung lediglich eine Belehrung "über die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gegen die nicht ausgesprochene Haftentschädigung".

Mit Schreiben vom 23.03.2005, eingegangen beim Landgericht Nürnberg-Fürth am selben Tag, legte der Verteidiger des Beschwerdeführers sofortige Beschwerde gegen die unterlassene Entscheidung über die Entschädigungspflicht ein. Mit Verfügung vom 29.04.2005 leitete daraufhin der Vorsitzende der ... Strafkammer die Akten der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit der Bitte zu, die Akten dem Beschwerdegericht vorzulegen. Mit Verfügung vom 08.06.2005 legte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth die Akten dem Vorsitzenden der Strafkammer mit der Bitte wieder vor, die eingelegte Beschwerde des Verteidigers des Beschwerdeführers als Antrag auf isolierte Entschädigungsentscheidung auszulegen und über die Entschädigung für die erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen zu entscheiden. Da bisher keine Entscheidung über die Entschädigungspflicht getroffen worden sei, sei diese im Beschlußverfahren nach § 8 Abs. 1 S. 2 StrEG nachzuholen. Für ein Rechtsmittel vor Erlaß der isolierten Entscheidung sei kein Raum.

Mit Vermerk des Vorsitzenden vom 20.07.2005 hat dieser die Akten der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit dem Hinweis zurückgeleitet, daß es einer erneuten Entscheidung der Kammer nicht bedürfe. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth legte die Akten danach am 05.08.2005 der Generalstaatsanwaltschaft vor. Diese leitete mit Verfügung vom 08.08.2005 die Akten nochmals dem Vorsitzenden der Strafkammer zu mit der Bitte, die Entschädigungsentscheidung nachzuholen.

Mit Verfügung vom 12.08.2005 gab der Vorsitzende der ... Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth die Akten wieder zurück mit dem Hinweis, die Kammer habe von einer Entscheidung nach dem StrEG abgesehen, weil der Angeklagte nach Überzeugung der Kammer in den Drogenhandel verstrickt sei, wenn ihm auch die jetzt angelastete Tat nicht nachzuweisen gewesen sei.

Gegen die Entscheidung des Vorsitzenden der ... Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 12.08.2005, die am 15.08.2005 formlos an den Verteidiger hinausgegeben wurde, legte dieser mit Schreiben vom 23.08.2005, beim Landgericht eingegangen am selben Tag, erneut sofortige Beschwerde ein.

Mit Verfügung vom 05.09.2005 nahm die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zum Antrag auf Erlaß einer Grundentscheidung Stellung. Der Beschwerdeführer sei wegen der erlittenen Untersuchungshaft vom 12.03.2004 bis 15.02.2005 sowie für die am 12.03.2004 durchgeführte Durchsuchung, Sicherstellung und Beschlagnahme zu entschädigen. Ausschließungs- oder Versagungsgründe gemäß §§ 5, 6 StrEG seien nicht ersichtlich.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers festzustellen, daß dieser für die Dauer der erlittenen Untersuchungshaft vom 12.03.2004 bis 25.02.2005 sowie für die am 12.03.2004 in der Zeit von 9.36 Uhr bis 10.58 Uhr durchgeführte Durchsuchung der Wohnung im Anwesen ... zu entschädigen ist.

II.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt (§ 8 Abs. 3 StrEG). Sieht man eine ablehnende Entscheidung bereits in dem Unterlassen des Ausspruchs über die Entschädigung bei der Urteilsverkündung im Zusammenhang mit der erteilten Belehrung über die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde (vgl. dazu im Einzelnen unten), so hat der frühere Angeklagte hiergegen mit dem Schreiben seines Verteidigers vom 23.03.2005 rechtzeitig ausdrücklich sofortige Beschwerde eingelegt. Wollte man eine endgültige Ablehnung erst der Verfügung des Vorsitzenden vom 12.08.2005 entnehmen, so hat die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO nicht zu laufen begonnen, nachdem die Verfügung des Vorsitzenden vom 12.08.2005 dem Verteidiger nicht zugestellt, sondern lediglich formlos mitgeteilt worden war. Die mit weiterem Schreiben vom 23.08.2005 eingelegte sofortige Beschwerde ist damit fristgerecht erhoben.

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Das Gericht hat in einem das Verfahren abschließenden Urteil über die Verpflichtung zur Entschädigung des Beschuldigten wegen Strafverfolgungsmaßnahmen von Amts wegen zu entscheiden (§ 8 Abs. 1 StrEG). Eine solche Entscheidung ist immer dann geboten, wenn im Laufe des Verfahrens irgendwann eine entschädigungspflichtige Maßnahme der in § 2 StrEG aufgeführten Art angeordnet und vollzogen worden ist. Der Beschwerdeführer wurde in Untersuchungshaft genommen. Am 12.03.2004 hat eine Durchsuchung seiner Wohnung stattgefunden, bei der zahlreiche Gegenstände und Unterlagen sichergestellt wurden. Damit haben unzweifelhaft entschädigungspflichtige Maßnahmen stattgefunden. Nach § 8 Abs. 1 StrEG wäre die Strafkammer verpflichtet gewesen, in ihrem das Verfahren abschließenden Urteil vom 16.03.2005 eine Entscheidung über die Entschädigung des damaligen Angeklagten aus der Staatskasse dem Grunde nach zu treffen und diese zu begründen.

Da das Landgericht Nürnberg-Fürth eine derartige Entscheidung jedenfalls ausdrücklich nicht getroffen hat, wäre sie durch gesonderten Beschluß nachzuholen gewesen (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1999, 2831). Eine solche Nachholung wäre auch dann geboten gewesen, wenn eine Entscheidung zunächst versehentlich unterblieben oder nicht für erforderlich gehalten worden wäre (OLG Düsseldorf, a.a.O.; Schätzler/Kunz, StrEG, 3. Auflage, § 8 Rn. 39). Das unterlassen der gebotenen Entscheidung ist an sich nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Dem bloßen Schweigen kann grundsätzlich nicht die Bedeutung einer Versagung der Entschädigung beigemessen werden. Etwas anderes gilt aber jedenfalls dann, wenn der Unterlassung die Bedeutung einer endgültigen Ablehnung und nicht nur einer bloßen Verzögerung der zu treffenden Entscheidungen zukommt (OLG Düsseldorf a.a.O.; Schätzler/Kunz, a.a.O., § 8 Rn. 49).

Aus der dem damaligen Angeklagten erteilten Belehrung im Anschluß an die Urteilsverkündung, "über die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gegen die nicht ausgesprochene Haftentschädigung" und der späteren Erläuterung des Vorsitzenden in seiner Verfügung vom 12.08.2005, die Kammer habe von einer Entscheidung nach dem StrEG abgesehen, "weil der Angeklagte nach Überzeugung der Kammer in den Drogenhandel verstrickt ist, wenn ihm auch die jetzt angelastete Tat nicht nachzuweisen war", ergibt sich, daß die Strafkammer über die Entschädigung geschwiegen hat, weil sie eine solche nicht zubilligen wollte.

Damit kommt dem Unterlassen des Zuspruchs einer Entschädigung im Zusammenhang mit der erteilten Rechtsmittelbelehrung über ein bloßes Schweigen hinaus der Charakter einer endgültigen Ablehnung zu. Der Kammer war die Notwendigkeit einer Grundentscheidung nämlich durchaus bewußt: Weder der Vertreter der Staatsanwaltschaft noch der Verteidiger des Angeklagten hatten Anträge zur Frage der Entschädigung gestellt, gleichwohl erteilte die Kammer dann die erwähnte Rechtsmittelbelehrung.

Die vom Vorsitzenden gegebene Begründung vermag weder die Weigerung zu rechtfertigen, eine Grundentscheidung zu treffen, noch käme ihr im Rahmen der Begründung einer zu treffenden Grundentscheidung Bedeutung zu. Soweit der Vorsitzende mit dieser Begründung möglicherweise den Versagungsgrund des § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG im Auge hat, ist darauf hinzuweisen, daß etwaige Verdachtsgründe einen unmittelbaren Bezug zum Tatvorwurf haben müssen (BVerfG, NJW 1996, 1049, 150; BGH, StV 1998, 29; OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 127; Senatzler/Kunz, a.a.O., § 5 Rn. 43), was hier offensichtlich nicht gegeben ist. Im übrigen wäre dies aber gerade in der nicht erlassenen Entscheidung über die Entschädigungspflicht zu begründen gewesen.

Nachdem der Beschwerdeführer, wie oben ausgeführt, erhebliche Zeit in Untersuchungshaft verbracht hat sowie gegen ihn Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen vollzogen wurden, andererseits Ausschließungs- oder Versagungsgründe gemäß §§ 5, 6 StrEG nicht ersichtlich sind, war dem Beschwerdeführer dem Grunde nach Entschädigung für die aus dem Tenor ersichtlichen Strafverfolgungsmaßnahmen zuzusprechen.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 467 StPO (§ 8 Abs. 3 S. 1 StrEG).

Ende der Entscheidung

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