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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 12.03.2009
Aktenzeichen: 1 Ws 119/09 H
Rechtsgebiete: StPO, StVollzG
Vorschriften:
StPO § 112 | |
StPO § 126 Abs. 1 | |
StPO § 126 Abs. 2 | |
StPO § 451 | |
StVollzG § 122 |
1 Ws 119/09 H
Nürnberg, den 12.3.2009
In dem Strafverfahren
Tenor:
Einer Haftprüfung durch das Oberlandesgericht gemäß §§ 121, 122 StPO bedarf es derzeit nicht.
Gründe:
I.
Der Beschuldigte befand sich seit 23.08.2005 in Strafhaft und zwar im offenen Vollzug in der Justizvollzugsanstalt Euskirchen. Wegen des dringenden Verdachts des Betruges in zwei Fällen gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB während des Vollzugs dieser Strafhaft erließ das Amtsgericht Fürth am 28.07.2008 gegen den Beschuldigten Haftbefehl und stützte diesen auf die Haftgründe der Flucht- bzw. Wiederholungsgefahr. Nach Haftbefehlseröffnung durch das Amtsgericht Euskirchen und Verlegung zunächst von der Justizvollzugsanstalt Euskirchen in die Justizvollzugsanstalt Willich I wurde der Beschuldigte auf seinen Antrag hin dem Amtsgericht in Fürth vorgeführt, das mit Beschluss vom 20.08.2008 den Haftbefehl aufrecht erhielt und anordnete, dass der Beschuldigte in die Justizvollzugsanstalt Nürnberg zu verbringen sei. Gleichzeitig stellte der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Ersuchen um dortige Aufnahme des Beschuldigten zum Vollzug der Untersuchungshaft. Der Beschuldigte wurde anschließend in die JVA Nürnberg aufgenommen.
Einen am 29.08.2008 gestellten Antrag des Beschuldigten auf Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Willich I lehnte das Amtsgericht Fürth mit Beschluss vom 04.09.2008 ab. Ebenso durch weiteren Beschluss vom 7.10.2008 nach nochmaligem Antrag der Verteidigerin vom 30.09.2008. Die hiergegen eingelegten Beschwerden verwarf das Landgericht Nürnberg-Fürth mit Beschluss vom 28.11.2008 als unbegründet. In seiner Begründung stellt es entscheidend darauf ab, dass der Beschuldigte sich nicht in Straf-, sondern in Untersuchungshaft befinde, da die Strafhaft durch die Maßnahmen des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts Fürth unterbrochen worden sei. Seither werde Untersuchungshaft vollzogen.
Trotz gerichtlicher Ablehnung sämtlicher Verlegungsgesuche wurde der Beschuldigte ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth auf Anordnung der Justizvollzugsanstalt Nürnberg am 26.01.2009 in die Justizvollzugsanstalt Willich I verlegt. Die Justizvollzugsanstalt stützt sich - wie auch die Staatsanwaltschaft Stuttgart, für die ursprünglich vorrangig Strafhaft verbüßt wurde - auf die Rechtsansicht, der Beschuldigte befinde sich nach wie vor in Strafhaft. Neben der Haftstrafe für die Staatsanwaltschaft Stuttgart (Urt. v. 28.06.2006, Az.: ...) sind auch noch zwei weitere Freiheitsstrafen für die Staatsanwaltschaft München I (Urt. v. 06.10.1998, Az.:... jug und Urt. v. 25.03.1999, Az.:...) zu vollstrecken. Diesbezüglich ist derzeit jedoch mit Bescheid der Staatsanwaltschaft München I vom 19.01.2009 die Vollstreckung bis zum 30.03.2009 jederzeit widerruflich unterbrochen.
II.
Einer Entscheidung gemäß §§ 121, 122 StPO über die Fortdauer der Untersuchungshaft bedarf es derzeit nicht, da sich der Beschuldigte nicht im Vollzug der Untersuchungshaft, sondern in Strafhaft befindet. Der Vollzug der Strafhaft wurde weder wirksam durch den Haftbefehl des Amtsgerichts Fürth vom 28.7.2008 noch die Beschlüsse des Amtsgerichts Fürth vom 4.9.2008 bzw. 30.9.2008 wirksam unterbrochen, weil weder die formellen noch die materiellen Voraussetzungen für eine Strafhaftunterbrechung gegeben waren.
1. Die vollzogene Strafhaft wurde nicht automatisch durch den Erlass des Untersuchungshaftbefehls vom 28.7.2008 unterbrochen.
Eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift, die die Reihenfolge der Vollstreckung bzw. die Vorrangfrage beider Titel in dieser Fallkonstellation betrifft, existiert nicht. § 122 Abs. 1 S. 1 StVollzG besagt jedoch, dass beim Vollzug der Strafhaft, wenn gleichzeitig Untersuchungshaftbefehl erlassen ist, auch für die Strafhaft die Beschränkungen gelten, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert Bereits daraus ergibt sich der Wille des Gesetzgebers, dass bei Zusammentreffen von Strafhaft und Untersuchungshaft der Gefangene im Vollzug der Freiheitestrafe verbleibt und die Untersuchungshaft als Überhaft vorzumerken ist. Aus der nachrangigen Untersuchungshaft können sich allerdings weitere Beschränkungen im Strafvollzug ergeben (vgl. Arloth, StVollzG 2. Aufl. § 122 Rdn. 2; Callies/Müller-Dietz, StVollzG 11. Aufl. § 122 Rdn. 1). Eine gleichzeitige Vollstreckung mehrerer Hafttitel ist dagegen unzulässig (so die ganz überwiegende Meinung in Rspr. und Literatur; vgl. Callies/Müller-Dietz, StVollzG § 122 Rdn. 1; Graf in Karlsruher Kommentar zur StPO 5. Aufl. vor § 112 Rdn. 16; einschränkend dagegen Hilger in LR, StPO 26. Aufl. vor § 112 Rdn. 52).
Jedoch spricht nicht nur die Regelung des § 122 StVollzG, sondern auch das Interesse des Gefangenen und damit der Schutz des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 GG für den Vorrang der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Der Vollzug derselben mindert nämlich jeden Tag seine noch zu verbüßende Reststrafzeit, während der Verbleib in der Untersuchungshaft nur in der Regel nach § 51 Abs. 1 S. 1 StGB auf die spätere Freiheitsstrafe angerechnet wird. Letzteres ist aber weder zwingend (vgl. § 51 Abs. 1 S. 1 StGB), noch steht überhaupt fest, ob tatsächlich später eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe erfolgen wird. Somit steht sich der Strafgefangene in der Regel besser, als bei vorrangigem Vollzug der Untersuchungshaft.
Auch praktische Gründe sprechen nicht für den Vorrang der Untersuchungshaft. Der Zweck der Untersuchungshaft kann nämlich im Normalfall durch den nach §122 StVollzG geregelten Wegfall der Vergünstigungen in der Strafhaft erreicht werden. Bedarf für eine Unterbrechung der Strafhaft durch Untersuchungshaft besteht deshalb nur in Ausnahmefällen. Hier ist die Zulässigkeit dieses Vorgehens auch anerkannt, so bei Erforderlichkeit aus Gründen der Vollzugsorganisation nach § 455 a Abs. 1 StPO (Graf in Karlsruher Kommentar, StPO 6. Aufl. vor § 112 Rdn. 18) oder bei außerordentlichen Gründen wie besonders gesteigerter Verdunkelungsgefahr (vgl. Nr. 93 UVollzO; Meyer-Goßner, StPO 51 .Aufl. vor § 112 Rdn. 15).
2. Eine Strafhaftunterbrechung erfolgte mangels Zuständigkeit auch nicht wirksam durch die Strafhaftunterbrechungsbeschlüsse des Amtsgerichts Fürth. Hierfür wäre formal nur die zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe zuständige Staatsanwaltschaft befugt gewesen (§ 451 StPO; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl. Rdn. 687). Folgerichtig ist im umgekehrten Fall der Unterbrechung der lautenden Untersuchungshaft zur Vollstreckung von Strafhaft allein nach § 126 Abs. 1 und 2 StPO das Haftgericht zuständig. Da im vorliegenden Fall aktuell vorrangig die Strafe aus dem Urteil vom 28.06.2006 vollstreckt wurde (und wird), war allein die Staatsanwaltschaft Stuttgart zur Unterbrechung der Strafhaft zuständig.
b) Erst recht hatte das Ersuchen der Aufnahme des Beschuldigten in der Justizvollzugsanslalt Nürnberg im Anschluss an den Haftfortdauerbeschluss keine rechtlichen Auswirkungen auf die Strafhaft. Denn mangels Entscheidungszuständigkeit konnten sich weder die Anordnungen des Amtsgerichts Fürth, noch das Verhalten der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth auf den Vollzug der Strafhaft auswirken, so dass es bei der als Überhaft anzusehenden, aber aktuell nicht vollzogenen Untersuchungshaft verblieb. Die Unterbrechung des Strafhaftvollzugs durch die Staatsanwaltschaft München I (Bl. 725 d.A.) steht dem nicht entgegen, da diese Strafe erst nach der aktuell vollstreckten vollzogen wird.
Die Qualifizierung der Haft des Beschuldigten als Strafhaft entspricht auch der Bewertung' durch die Justizvollzugsanstalten Nürnberg und Willich I, als auch der Bewertung durch die derzeit allein zuständige Staatsanwaltschaft Stuttgart, die den Beschuldigten stets als Straf- und nicht als Untersuchungsgefangenen behandelt haben.
3. Im übrigen lagen auch keine materiellen Gründe für die Unterbrechung der Strafhaft vor.
Es bestand keine Veranlassung, die Strafhaft zum Zwecke des Vollzugs der Untersuchungshaft zu unterbrechen. Der Untersuchungshaftbefehl des Amtsgerichts Fürth ist nicht auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, sondern lediglich auf Flucht- und zusätzlich - entgegen § 112a Abs. 2 StPO - auf Wiederholungsgefahr gestützt. Vollzugsorganisatorische Gründe sind hier nicht geltend gemacht worden oder sonst ersichtlich, die eine Unterbrechung der Strafhaft erfordert hatten. Allenfalls wäre hier an den umgekehrten Fall (Unterbrechung der U-Haft zur Vollstreckung von Strafhaft) zu denken, denn die Justizvollzugsanstalt Nürnberg hat der Verlegung des Beschuldigten nach Willich I offenbar im Zusammenhang mit einer notwendigen Operation zugestimmt, die in Nürnberg nur in einem externen Krankenhaus durchgeführt werden könnte.
4. Da somit keine Untersuchungshaft vollzogen wird und wurde, war auch keine Entscheidung des Senats nach §§ 121, 122 StPO veranlasst. Darüber hinaus wäre - auch wenn man der Ansicht des Landgerichts Nürnberg-Fürth im Beschluss vom 28.11.2008 folgen würde - spätestens mit der Überführung des Beschuldigten in die Justizvollzugsanstalt Willich I am 26.01.2009 der Vollzug der Untersuchungshaft beendet.
Zwar unterliegt der Beschuldigte wegen der als Überhaft notierten Untersuchungshaft Beschränkungen im Sinne des § 122 StVollzG. Dies begründet aber mangels Vollzug der Untersuchungshaft keine Überprüfung durch das Oberlandesgericht gemäß §§ 121,122 StPO.
Ende der Entscheidung
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