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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 13.12.2005
Aktenzeichen: 1 Ws 1348/05
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 112 |
2. In entsprechender Anwendung der in § 455 Abs. 4 StPO aufgestellten Grundsätze ist der Vollzug der Untersuchungshaft nicht zulässig, wenn er wahrscheinlich zu einer konkreten Lebensgefährdung oder zu erheblichen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen bei dem Untersuchungsgefangenen führen kann. Soweit sich eine medizinische Betreuung als notwendig erweist, kann diese in der Haft erfolgen. Es bedarf im Einzelfall einer Abwägung zwischen den Belangen des Beschuldigten sowie den staatlichen Interessen, wie sie in den jeweiligen Haftgründen ihren Ausdruck finden.
1 Ws 1348/05
Nürnberg, den 13.12.2005
In dem Strafverfahren
wegen Verstoßes gegen das BtmG;
hier: weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen die Aufrechterhaltung des Haftbefehls,
erläßt der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden
Beschluß:
Tenor:
Die weitere Beschwerde des Beschuldigten B gegen den Beschluß des Landgerichts ... vom 05.11.2005 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe:
Die formell nicht zu beanstandende weitere Beschwerde des Beschuldigten (§§ 304, 310 Abs. 1 StPO) hat in der Sache keinen Erfolg. Die 1. Strafkammer des Landgerichts ... hat zu Recht die Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts ... vom 10.10.2005 verworfen, mit dem dieses den Haftbefehl des gleichen Gerichts vom 31.03.2005, nunmehr gestützt auf Fluchtgefahr, aufrecht erhalten hat. Auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses wird zunächst Bezug genommen.
Die weitere Beschwerde stützt der Beschuldigte in den Schriftsätzen seines Verteidigers vom 17.11. und 05.12.2005 nunmehr nicht mehr darauf, es liege kein dringender Tatverdacht vor. Tatsächlich haben die zwischenzeitlich von der Polizei Vernommenen bestätigt, daß der Inhalt von Dateien eines dem Beschuldigten zugeordneten Laptops dessen Rauschgiftgeschäfte mit diesen Personen zutreffend wiedergibt.
Soweit mit der weiteren Beschwerde weiterhin die angebliche Haftunfähigkeit des Beschwerdeführers geltend gemacht wird, rechtfertigen die vorgebrachten Gesichtspunkte eine Haftverschonung nicht.
Das Recht der Untersuchungshaft enthält keine eigenständige Regelung zum Begriff und zu den Folgen einer Haftunfähigkeit. In entsprechender Anwendung der in § 455 Abs. 4 StPO aufgestellten Grundsätze (vgl. OLG Hamburg, wistra 2002, 275; Kammergericht NStZ 1990, 142; Meyer-Goßner, StPO, § 455 Rn 3; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 112 Rn 68 m.w.N.) ist der Vollzug der Untersuchungshaft nicht zulässig, wenn er wahrscheinlich zu einer konkreten Lebensgefährdung oder zu erheblichen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen bei dem Untersuchungsgefangenen führen kann. Soweit sich eine medizinische Betreuung als notwendig erweist, kann diese in der Haft erfolgen. Es bedarf im Einzelfall einer Abwägung zwischen den Belangen des Beschuldigten sowie den staatlichen Interessen, wie sie in den jeweiligen Haftgründen ihren Ausdruck finden. Das bedeutet, daß bei § 112 StPO (Flucht- und Verdunkelungsgefahr) der Sicherstellung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses Rechnung zu tragen ist (OLG Schleswig SchlHA 1990, 114). Muß der Beschuldigte bei der Fortdauer der Untersuchungshaft mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit irreversiblen und schwerwiegenden Schäden an seiner Gesundheit oder dem Tode rechnen, verletzt die Aufrechterhaltung eines Haftbefehls nicht nur das Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten nach Artikel 2 Abs. 2 GG; vielmehr kommt darüber hinaus in Betracht, daß auch sein Anspruch auf Achtung der Menschenwürde verletzt ist. Dies wäre etwa der Fall, wenn der Beschuldigte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Abschluß der Hauptverhandlung nicht mehr erleben wird (VerfGH Berlin, NJW 1994, 436 ff. Fall Mielke).
In Anwendung dieser Grundsätze besteht kein Anlaß, den Haftbefehl des Amtsgerichts ... vom 31.03.2005 außer Vollzug zu setzen. Nach seiner Verhaftung wurde der Beschwerdeführer am 10.10.2005 im Anstaltskrankenhaus der Justizvollzugsanstalt einer eingehenden ärztlichen Untersuchung unterzogen. Diese kam zu dem Ergebnis, der Patient sei klinisch stabil, es gebe keinerlei Anzeichen einer cardiologischen Dekompensation. Der Beschuldigte sei aus ärztlicher Sicht haftfähig. In der Justizvollzugsanstalt ... wurde er der stellvertretenden Anstaltärztin und später auch dem Anstaltsarzt vorgestellt. Die angeratene cardiologische Kontrolluntersuchung hat zwischenzeitlich am 10.11.2005 bei einem Internisten stattgefunden. Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, daß vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft eine nahe Lebensgefahr für den Beschuldigten zu besorgen ist oder er sonst in einer Weise schwer erkrankt ist oder das die Krankheit in einer Justizvollzugsanstalt nicht behandelt werden kann. Daß bei ihm erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen bestehen, ist dabei unbestritten.
Auch Gründe der Verhältnismäßigkeit stehen dem weiteren Vollzug nicht entgegen. Im Hinblick auf Art und Ausmaß der begangenen Straftaten hat der Beschuldigte eine erhebliche Freiheitsstrafe zu erwarten.
Weiterhin besteht Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Der Beschuldigte hat eine Haftunterbrechung in anderer. Sache genutzt, um sich nach Jamaika abzusetzen, unter diesen Umständen bedarf es keiner näheren Darlegung, daß bei einer etwaigen Freilassung damit zu rechnen ist, ... werde sich erneut dem Ermittlungs- und Strafverfahren entziehen.
Kosten: § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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