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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 31.05.2005
Aktenzeichen: 1 Ws 321/05
Rechtsgebiete: BRAGO, RVG


Vorschriften:

BRAGO § 97
RVG § 61
Die Anwendung alten oder neuen Rechts zur Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren richtet sich nach dem Zeitpunkt der Beauftragung als Wahlverteidiger.
1 Ws 321/05

Nürnberg, den 31. Mai 2005

In dem Strafverfahren

wegen erpresserischen Menschenraubes;

hier: sofortige Beschwerde des Verteidigers gegen die Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren,

erläßt der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden Beschluß:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts S gegen den Beschluß des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.02.2005 wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

Rechtsanwalt S zeigte sich mit Schriftsatz vom 04.06.2004 als Verteidiger an und legte die Vollmacht vom 01.06.2004 vor. Am 07.06.2004 ging die Anklage der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Nürnberg-Fürth ein. In der Hauptverhandlung vom 25.10.2004 ordnete der Vorsitzende dem Angeklagten Rechtsanwalt S als Pflichtverteidiger bei.

Letzterer hat mit Schriftsatz vom 21.12.2004 beantragt, seine Gebühren und Auslagen als Pflichtverteidiger des Angeklagten - einschließlich der Vorverfahrensgebühr - nach dem RVG auf 1.574,24 EUR festzusetzen. Der Kostenbeamte beim Landgericht Nürnberg-Fürth hat als maßgeblichen Zeitpunkt für die Frage, ob altes öder neues Recht anzuwenden ist, den Zeitpunkt der Beauftragung als Wahlverteidiger angesehen und die Pflichtverteidigergebühr gemäß § 98 BRAGO auf 1.208,65 EUR festgesetzt.

Hiergegen hat Rechtsanwalt S mit Schriftsatz vom 18.01.2005, bei Gericht eingegangen am 20.01.2005, Erinnerung eingelegt mit der Begründung, die Bestimmung der Pflichtverteidigergebühren richte sich nach dem RVG, weil für die Vergütung des Pflichtverteidigers nach der Übergangsvorschrift des § 61 RVG der Zeitpunkt der Bestellung als Pflichtverteidiger für die Frage der Anwendbarkeit des RVG maßgebend sei.

Die hiergegen gerichtete Erinnerung des Rechtsanwalts verwarf das Landgericht Nürnberg-Fürth mit Beschluß vom 24.02.2005 und führte aus, hätte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt, hätte er, wie er es für den Fall der Rechtsmitteleinlegung gemacht habe, eine ausdrückliche Regelung getroffen.

Gegen diesen ihm formlos am 02.03.2005 mitgeteilten Beschluß wendet sich der Verteidiger mit seiner am 11.03.2005 eingelegten sofortigen Beschwerde mit dem Ziel, die Pflichtverteidigervergütung nach neuem Recht (RVG) festgesetzt zu erhalten.

Mit Verfügung vom 22.03.2005 hat der Vorsitzende der 3. Strafkammer des Landgericht Nürnberg-Fürth der eingelegten Beschwerde nicht abgeholfen.

Für weitere Einzelheiten wird auf die Festsetzung der Pflichtverteidigergebühr vom 10.01.2005, den Schriftsatz des Verteidigers vom 18.01.2005, den Beschluß der 3. Strafkammer vom 24.02.2005 und die Beschwerde vom 10.03.2005 Bezug genommen.

Die gem. § 98 Abs. 3 BRAGO zulässig Beschwerde ist unbegründet. Nach § 61 Abs. 1 RVG ist die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte weiter anzuwenden, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit i. S. d. § 15 vor dem 1. Juli 2004 erteilt worden ist. Das gilt auch dann, wenn in der Folgezeit der Rechtsanwalt auch noch gerichtlich bestellt oder beigeordnet worden ist und dieser zweite Zeitpunkt nach dem 30.06.2004 liegt. Denn maßgeblich ist, daß er schon vor dem Stichtag für seinen Mandanten tätig ist, sei es aufgrund Beauftragung oder sei es aufgrund Bestellung; dementsprechend wird in § 61 Abs. 1 S. 2 RVG der übergeordnete Begriff des Tätigseins in derselben Angelegenheit verwendet; nur wenn ein Rechtsmittel eingelegt wird, kommt es zu einer Zäsur, und für das Verfahren über ein am 01.07.2004 oder später eingelegtes Rechtsmittel gilt das neue Gesetz (vgl. den Beschluß des Senats vom 18.04.2005 - 1 Ws 400/05).

Dem kann nicht mit dem Argument entgegengetreten werden, hier sei die Sache anders zu sehen als im Fall der nachträglichen Gewährung von Prozeßkostenhilfe, bei der soweit ersichtlich einhellig der Zeitpunkt der ursprünglichen Beauftragung als maßgeblich angesehen wird; mit der Niederlegung des Wahlmandats bzw. spätestens mit der Pflichtverteidigerbestellung ende das Wahlmandat und stehe somit nicht mehr als Anknüpfungspunkt zur Verfügung (vgl. den Beschluß des 1. Strafsenats des Kammergerichts Berlin vom 17.01.2005, Az. (1) 2 StE 10/03-2(4/3)), und die Folge sei, daß der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit als Wahlverteidiger die Gebühren eines Wahlverteidigers nach der BRAGO erhalte, dagegen eine Pflichtverteidigervergütung nach RVG und zwar gem. § 48 Abs. 5 S. 1 RVG auch für seine Tätigkeit vor seiner Bestellung (vgl. OLG Schleswig, Beschluß vom 30.11.2004 1 Ws 423/04, NJW 2005, 234). Wie die Übergangsregelung auszulegen ist, war schon für die entsprechend formulierte Übergangsregelung des § 134 Abs. 1 S. 1 BRAGO streitig. Der Streit ist auch nicht durch die. Äußerungen in den Materialien zum Entwurf des RVG (Bundestagsdrucksache 15/1971) i. S. d. Gegenmeinung entschieden worden (auch wenn das Kammergericht die dortigen Ausführungen zum Anlaß nahm, im zitierten Beschluß seine bisherige Auslegung aufzugeben). Denn der Gesetzgeber wußte, daß die Auslegung des § 134 Abs. 1 S. 1 BRAGO umstritten war. Wenn er den Streit selbst hätte beilegen wollen, hätte er Anlaß gehabt, dies in der Formulierung des Gesetzes selbst zum Ausdruck zu bringen, statt die bisherige Formulierung in den entscheidenden Punkten unverändert zu übernehmen. Erhebliches oder gar entscheidendes Gewicht kann dieser Meinungsäußerung von Beteiligten im Gesetzgebungsverfahren nicht beigemessen werden, da diese Meinung keinen Eingang in den Gesetzestext gefunden hat.

Vielmehr ist der entscheidende Gesichtspunkt für die Beantwortung der Frage, ob im Sinn der Vorschrift das ursprüngliche Wahlmandat eine andere Angelegenheit ist und unbeachtlich bleiben muß, die Regelung in § 48 Abs. 5 S. 1 RVG, die die Regelung in § 97 Abs. 3 BRAGO fortführt und verallgemeinert.

Denn diese Regelung zeigt, daß der Gesetzgeber die Tätigkeit des Verteidigers für den vom Ermittlungs- und Strafverfahren Betroffenen als Einheit ansieht, auch wenn die öffentlich rechtliche Pflicht, die Verteidigung zu übernehmen (vgl. den zitierten - Beschluß des OLG Schleswig), erst im Lauf der Tätigkeit begründet wurde. Erst mit dem Ende der Instanz, aber nicht mit dem Übergang vom Vorverfahren zum gerichtlich anhängigen Verfahren (obwohl dieser gebührenrechtlich bedeutsam ist) ergibt sich eine Zäsur. Die Betrachtung der Tätigkeit des Verteidigers als Einheit ist auch von den Pflichten her gerechtfertigt; an der Pflicht, die Interessen des vom Verfahren betroffenen zu wahren und ihm als Verteidiger beizustehen, ändert sich durch den Übergang vom Wahlmandat zur Tätigkeit als Pflichtverteidiger nichts. Im übrigen führt allein diese Lösung zu einer widerspruchsfreien Abrechnung der anwaltlichen Tätigkeit. Weder kommt es dazu, daß der Verteidiger für dieselbe Tätigkeit deshalb, weil er sie vor seiner Bestellung ausgeübt hat, als Wahlverteidiger nach BRAGO und als Pflichtverteidiger nach RVG abzurechnen hat, noch werden in Konsequenz dessen für bestimmte Tätigkeiten eines Verteidigers, die er schon vor dem 01.07.2004 ausgeübt hat, Gebührentatbestände ausgelöst, die es damals gar noch nicht gegeben hat und die er als Wahlverteidiger nicht geltend machen kann (z.B. Teilnahme an einem Haftprüfungstermin).

Eine Kostenentscheidung ist gem. § 98 Abs. 4 BRAGO nicht erforderlich. Gleiches folgt aus § 56 Abs. 2 u. 3 RVG.

Ende der Entscheidung

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