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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 07.02.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 71/08
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
In teleologischer Auslegung des § 68 e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13.04.2007 (BGBl. I 513) ist diese Vorschrift auch auf gleichzeitig eintretende Führungsaufsichten anzuwenden.

Würden mit der Entlassung aus dem Strafvollzug mehrere Führungsaufsichten nach § 68 f StGB eintreten, so gilt die wegen der zuletzt vollstreckten Strafe als neue Führungsaufsicht im Sinne des § 68 e Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB. Wegen der früher vollständig vollstreckten Strafen, für die ebenfalls § 68 f StGB gilt, tritt keine Führungsaufsicht ein.

Weisungen, die wegen der nicht eingetretenen Führungsaufsichten hätten erteilt werden können, können nach § 68 b Abs. 4 StGB in der fortbestehenden Führungsaufsicht berücksichtigt werden.


1 Ws 71/08 1 Ws 72/08

Nürnberg, den 07.02.2008

In dem Strafvollstreckungsverfahren gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.;

hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft München I gegen die Erledigterklärung der Führungsaufsicht wegen zeitgleichen Eintritts einer neuen Führungsaufsicht gemäß § 68 e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB;

erlässt der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft München I gegen Ziffer III. des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22.01.2007 wird kostenfällig als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Landgericht München I hat S mit Urteil vom 13.04.1994, rechtskräftig seit 21.04.1994, wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt; außerdem wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

Die Maßregel der Unterbringung wurde vom 21.04.1994 bis 06.01.1998 vollzogen. Sie war in der Zeit vom 02.01.1995 bis 26.07.1995 und wieder vom 29.09.1996 bis 22.10.1996 unterbrochen.

Mit Beschluss vom 08.12.1997 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts München I angeordnet, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht weiter zu vollziehen ist und zugleich die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt.

Die Freiheitsstrafe ist seit 31.08.2006 vollständig verbüßt.

Durch Urteil des Landgerichts München II vom 03.11.1999, rechtskräftig seit 07.12.1999, wurde er wegen Freiheitsberaubung mit vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen und gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Strafende ist vorgemerkt für den 08.02.2008. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat mit Beschluss vom 22.01.2007 festgestellt, dass bei dem Verurteilten nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts München II vom 03.11.1999 gesetzliche Führungsaufsicht eintritt. Im Hinblick auf den Eintritt der neuen Führungsaufsicht hat sie in Ziffer II. des Beschlusses festgestellt, dass die nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug kraft Gesetzes eingetretene Führungsaufsicht gemäß § 68 e Abs. 1 Nr. 3 StGB beendet ist und in Ziffer III. des Beschlusses, dass die nach vollständiger Verbüßung der verhängten Freiheitsstrafe von neun Jahren kraft Gesetzes eingetretene Führungsaufsicht ebenfalls gemäß § 68 e Abs. 1 Nr. 3 StGB beendet ist. Im übrigen hat sie die Dauer der Führungsaufsicht auf fünf Jahre festgesetzt, den Verurteilten für die Dauer der Führungsaufsicht einem Bewährungshelfer unterstellt und ihm eine Reihe von Weisungen erteilt.

Die Staatsanwaltschaft München I hat mit Fax-Schreiben vom 29.01.2008 gegen den ihr am 28.01.2008 zugestellten Beschluss sofortige Beschwerde im Hinblick auf Ziffer III. des Beschlusses eingelegt mit der Begründung, dass die in Ziffer III. aufgeführte Führungsaufsicht zeitgleich mit der unter Ziffer I. aufgeführten Führungsaufsicht eingetreten ist und deshalb der Anwendungsfall des § 68 e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB nicht eröffnet sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg vertritt die sofortige Beschwerde und hat beantragt, den Beschluss der Strafvollstreckungskammer in Ziffer III. dahin zu ändern, dass nach vollständiger Verbüßung der mit Urteil des Landgerichts München I verhängten Freiheitsstrafe von neun Jahren eintretende gesetzliche Führungsaufsicht nicht entfällt.

II.

Die statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft (§§ 463 Abs. 3, 451 Abs. 3 Satz 1 StPO) ist unbegründet.

Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung in § 68 e Abs. 1 Nr. 3 StGB bestimmt, dass eine Führungsaufsicht, soweit sie nicht unbefristet ist, mit Eintritt der neuen Führungsaufsicht endet. Im Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht (Bundestags-Drucksache 16/1993, Seite 22) ist hierzu ausgeführt:

"Nach dem bisherigen Recht kann es dazu kommen, dass mehrere Führungsaufsichten parallel zueinander laufen. ...Parallele Führungsaufsichten bedingen mehrfachen Verwaltungsaufwand (z.B. durch doppelte Aktenführung), dem in der Regel kein praktischer Nutzen gegenübersteht. Deshalb sollte das Nebeneinander mehrerer Führungsaufsichten soweit möglich vermieden werden. Der Empfehlung des Strafrechtsausschusses, dass mit Eintritt einer neuen Führungsaufsicht jede früher eingetretene Führungsaufsicht ihre Erledigung finden sollte, wurde für den Regelfall der zeitlich befristeten Führungsaufsicht gefolgt ..."

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 20.03.2007 (Bundestags-Drucksache 16/4740) erwähnen die Vorschrift des § 68 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht.

In der vorliegenden Fallgestaltung tritt Führungsaufsicht nach vollständiger Strafverbüßung der Freiheitsstrafen aus dem Urteil des Landgerichts München I vom 13.04.1994 und des Urteils des Landgerichts München II vom 03.11.1999 wegen der Anschlussvollstreckung gleichzeitig mit der Entlassung aus dem Strafvollzug ein (§ 68 f Abs. 1 StGB). Die Vorschrift des § 68 e Abs. 1 Nr. 3 StGB geht vielmehr von einem zeitlich versetzten Eintritt aus. Dem Wortlaut kann nicht entnommen werden, dass der gleichzeitige Eintritt zweier Führungsaufsichten durch diese Vorschrift erfasst und vermieden werden soll.

Hiervon kann indes ausgegangen werden. Der Gesetzgeber glaubte erkennbar, mit dem geschaffenen Gesetz sei alles getan, damit "das Nebeneinander mehrerer Führungsaufsichten soweit möglich vermieden" werden kann (Bundestags-Drucksache 16/1993, S. 22). Die Möglichkeit des gleichzeitigen Eintritts zweier Führungsaufsichten gemäß § 68 f Abs. 1 StGB war dem Gesetzgeber offenbar nicht bewusst, sonst hätte er diese Fallgestaltung in die Regelung des § 68 e Abs. 1 Nr. 3 StGB ausdrücklich einbezogen, weil, wie die Begründung des Gesetzentwurfes erkennen lässt, ein Nebeneinander von Führungsaufsichten gerade nicht für sinnvoll erachtet wurde.

In teleologischer Auslegung des § 68 e Abs. 1 Nr. 3 StGB ist diese Regelung deshalb auch auf gleichzeitig eintretende Führungsaufsichten anzuwenden. Nur so kann das vom Gesetzgeber gewollte Ziel, der Vermeidung mehrerer nebeneinander laufender Führungsaufsichten vermieden werden. Eine sachliche Notwendigkeit für eine unterschiedliche Behandlung ist nicht ersichtlich und wird auch mit der Beschwerde nicht vorgetragen. Weisungen im Hinblick auf die entfallende Führungsaufsicht können entsprechend § 68 b Abs. 4 StGB im Rahmen der Ausgestaltung der aufrecht erhaltenen Führungsaufsicht erteilt werden.

Wegen der Aktualität und Sachnähe liegt es nahe, die wegen der letzten vollständigen Strafverbüßung eintretende Führungsaufsicht als "neue Führungsaufsicht" im Sinne des § 68 e Abs. 3 Nr. 1 StGB anzusehen.

Auch wenn in den Beschlussgründen nicht gesondert darauf hingewiesen worden ist, ob und welche Weisungen im Zusammenhang mit der Verurteilung des Landgerichts München I vom 13.04.1994 (entfallende Führungsaufsicht) stehen, so ist aus der Art der angeordneten Weisungen doch ersichtlich, dass die der entfallenden Führungsaufsicht zugrunde liegende Straftat, deren Verbüßung sowie die nicht erfolgreich beendete Maßregel der Unterbringung i. S. von § 68 b Abs. 4 StGB berücksichtigt sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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