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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 02.05.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 972/06
Rechtsgebiete: RVG, StPO


Vorschriften:

RVG § 52 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz
StPO § 464 d
1. Bei einem Teilspruch ist dann, wenn das Gericht in seiner Kostengrundentscheidung keine Quotelung (§ 464 d StPO) vorgenommen, sondern die Kosten und notwendigen Auslagen wie vorliegend verteilt hat, der frühere Angeklagte im Kostenfestsetzungsverfahren so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn allein die zur Verurteilung führenden Taten Gegenstand des Verfahrens gewesen wären; die in diesem Fall entstandenen notwendigen Auslagen (fiktive Kosten) fallen ihm zur Last.

2. Er soll jedoch von allen Mehrkosten freigestellt werden, die durch die Taten veranlasst sind, welche zum Freispruch geführt haben (sogenannte Differenztheorie).

3. Die Ausscheidung geschieht bei den Verteidigergebühren in der Weise, dass von dem Gesamthonorar des Verteidigers das fiktive Honorar abgezogen wird, das diesem zustehen würde, wenn nur die abgeurteilten Taten Gegenstand der Verteidigung gewesen wären. In Höhe des weitergehenden Gebührenanspruches besteht ein Erstattungsanspruch des früheren Angeklagten gegen die Staatskasse.


1 Ws 972/06

Nürnberg, den 02. Mai 2007

In dem Strafverfahren

gegen

K geboren am ...

zur Zeit: Justizvollzugsanstalt

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern;

hier: sofortige Beschwerde gegen die Versagung der Erstattung von notwendigen Auslagen aus der Staatskasse,

erlässt der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Weiden i. d. OPf. vom 05.09.2006 wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Landgericht Weiden i. d. OPf. hat den Beschwerdeführer am 03.11.2005 (rechtskräftig i. V. mit dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24.05.2006) wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen unter Freispruch im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.

Dem Freispruch liegt zugrunde, dass dem Beschwerdeführer mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 15.06.2005 schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in 19 Fällen zur Last gelegt worden war.

In der Kostenentscheidung des landgerichtlichen Urteils ist u. a. vermerkt, dass die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten soweit Freispruch erfolgte der Staatskasse überbürdet werden.

Mit Schriftsatz des Verteidigers vom 01.12.2005 beantragte dieser Kostenerstattung gegenüber der Staatskasse in Höhe von (noch) 274,36 € über die bereits festgesetzten und bezahlten Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 2.406,65 € hinaus. Bei seiner Berechnung, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, und deren einzelne Positionen nicht streitig sind, setzte der Verteidiger für die Verteidigung gegen den gesamten Schuldvorwurf aus der Anklageschrift als Grundgebühr, Verfahrensgebühren und Terminsgebühren jeweils die Mittelgebühr mit einer Gesamtsumme von 1.941,25 € an und setzte für Post- und Telekommunikation, Fotokopien, Schreibauslagen einen Betrag von insgesamt 111,70 € und die Mehrwertsteuer mit 376,47 € an. Dies ergibt insgesamt einen Betrag von 2.729,42 €. Hiervon macht er 85 % als Anteil des Freispruchs mit 2.320,01 € geltend und zieht 85 % der Pflichtverteidigergebühren mit 2.045,65 € (aus 2.406,65 €) ab. Die verbleibende Differenz von 274,36 € verlangt er aus der Staatskasse erstattet. Nach Einholung einer Stellungnahme des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Weiden i. d. OPf. vom 05.09.2006 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts Weiden i. d. OPf. den Antrag zurückgewiesen und ausgeführt, die prozentuale Aufteilung der Kosten komme im Hinblick auf die vom Bundesgerichtshof und überwiegend in Schrifttum und Literatur vertretenen Differenztheorien nicht in Betracht. Danach seien nur die Teile der Verteidigergebühr gegen die Staatskasse festzusetzen, die der Angeklagte zu zahlen hätte, wenn Anklage nur wegen der Tat erfolgt wäre, bezüglich der er auch verurteilt wurde. Ausscheidbare Kosten seien insofern nicht feststellbar. Akteneinsichtskosten, Reisekosten, Auslagepauschale und Schreibauslagen seien keine Mehrkosten, da sie auch für die zur Verurteilung führenden Taten angefallen seien.

Die aus der Staatskasse erstattete Vergütung sei in voller Höhe und nicht nur zu einem Bruchteil anzurechnen.

Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem "Rechtsmittel" vom 08.09.2006 und vertritt die Auffassung, dass die aus der Staatskasse erstattete Vergütung nur zu einem Bruchteil anzurechnen sei, also im anteiligen Verhältnis von Freispruch zur Verurteilung. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die sofortige Beschwerde kostenfällig als unbegründet zu verwerfen.

Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Weiden i. d. OPf. ist erneut gehört worden.

II.

Das "Rechtsmittel" des Verteidigers ist als sofortige Beschwerde auszulegen, als solche gemäß § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, § 11 Abs. 3 RPflG statthaft und ferner form- und fristgerecht eingelegt (§§ 306, 311 Abs. 2 StPO).

In der Sache selbst hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg.

Bei einem Teilfreispruch ist dann, wenn das Gericht in seiner Kostengrundentscheidung keine Quotelung (§ 464 d StPO) vorgenommen, sondern die Kosten und notwendigen Auslagen wie vorliegend verteilt hat, der frühere Angeklagte im Kostenfestsetzungsverfahren so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn allein die zur Verurteilung führenden Taten Gegenstand des Verfahrens gewesen wären; die in diesem Fall entstandenen notwendigen Auslagen (fiktive Kosten) fallen ihm zur Last. Er soll jedoch von allen Mehrkosten freigestellt werden, die durch die Taten veranlasst sind, welche zum Freispruch geführt haben (sogenannte Differenztheorie; vgl. hierzu: BGH NJW 1973, 665; h.M). Die Ausscheidung geschieht bei den Verteidigergebühren in der Weise, dass von dem Gesamthonorar des Verteidigers das fiktive Honorar abgezogen wird, das diesem zustehen würde, wenn nur die abgeurteilten Taten Gegenstand der Verteidigung gewesen wären. In Höhe des weitergehenden Gebührenanspruches besteht ein Erstattungsanspruch des früheren Angeklagten gegen die Staatskasse.

Soweit ein solcher Erstattungsanspruch besteht, kann der Pflichtverteidiger von seinem Mandanten gemäß § 52 Abs. 2 S. 1 1. Halbsatz RVG die Wahlverteidigergebühren verlangen. Diesen auf den Freispruch entfallenden Teil der Gebühren eines Wahlverteidigers kann der Beschwerdeführer im Kostenfestsetzungsverfahren gegen die Staatskasse festsetzen lassen. Bei der Errechnung der fiktiven Gebühren ist auch zu berücksichtigen, ob das Hauptverfahren vor einem Gericht niedrigerer Ordnung hätte eröffnet werden können, wenn nur die Taten, die zur Verurteilung führten, angeklagt worden wären (OLG Saarbrücken, Rechtspfleger 2000, 564 m. w. N.).

Zu den Mehrkosten würde es auch gehören, wenn bei Wegfall des auf den Freispruch entfallenden Teils, etwa weil dann bestimmte Zeugen oder Sachverständige nicht mehr zu vernehmen gewesen wären, hierdurch die Verhandlung kürzer ausgefallen wäre.

Aus der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen ergibt sich, dass die Durchführung des Strafverfahrens vor einem Gericht niedriger Ordnung nicht in Betracht gekommen wäre. Auch eine Verkürzung der Verhandlungsdauer mit dem Wegfall ganzer Verhandlungstage oder eine gebührenrechtlich relevante Verkürzung der Verhandlungsdauer an einzelnen Tagen ist angesichts des Umstandes, dass alle angeklagten Taten die selbe Geschädigte betrafen, es sich bei den vernommenen Zeugen im Wesentlichen um die Familienangehörigen und die ermittelnden Kriminalbeamten handelte und die Sachverständigen auch bezüglich der Verurteilung wegen nur dreier der Angeklagten Taten zu hören waren, keine messbare Verkürzung erkennbar.

Akteneinsichtkosten, Auslagenpauschale und Schreibauslagen sind nicht erstattungsfähig, weil insoweit keine Mehrkosten vorliegen. Diese Kosten sind auch für die Taten angefallen, wegen deren der Angeklagte kostenpflichtig verurteilt wurde.

Der Rechtsanwalt hat für die Verteidigung bezüglich aller Anklagepunkte in seinem Schreiben vom 01.12.2005 die Mittelgebühr angesetzt, was unter Zugrundelegung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG nicht zu beanstanden ist.

Für die drei Fälle, deretwegen der frühere Angeklagte verurteilt worden ist, wäre aber ebenfalls die Mittelgebühr nicht übersetzt gewesen, insbesondere wenn man die Schwere des Tatvorwurfs und die Schwierigkeit der Verteidigung (Würdigung von Gutachten, umfangreiche Zeugenaussagen) mit einbezieht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des früheren Angeklagten. Bei den Gebühren ergäben sich also nach der Differenztheorie trotz des Freispruchs in zahlreichen Punkten keine Mehrkosten, die festsetzbar wären. Schon aus diesem Grund ist die Entscheidung der Rechtspflegerin beim Landgericht Weiden i. d. OPf. zutreffend und die sofortige Beschwerde daher zurückzuweisen.

Zum - nicht mehr entscheidungserheblichen - Umfang der Anrechnung der Pflichtverteidigervergütung weist der Senat auf folgendes hin:

Im Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Pflichtverteidigervergütung nur anteilig auf den Erstattungsanspruch, der sich nach der Differenztheorie ergibt, angerechnet wird. Anzurechnen ist dann die Pflichtverteidigervergütung nach dem Verhältnis von Freispruch zu Verurteilung. Dies entspricht der im vorliegenden Verfahren auch vom Verteidiger des früheren Angeklagten vertretenen Auffassung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27.08.1997 (NStZ-RR 1999, 64 = JB 1999, 82). Dies entspricht im Übrigen auch der Auffassung des Strafsenats in seiner Entscheidung vom 10.01.2000 (Ws 1376/99) unter Ablehnung der gegenteiligen Auffassung des Hans. OLG Hamburg vom 22.04.1999 (Rechtspfleger 99, 413). Die insoweit abweichende Auffassung der Rechtspflegerin in ihrer Entscheidung vom 05.09.2006 und des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Weiden i. d. OPf. in seinen Stellungnahmen vom 10.08.2006 und 11.12.2006 kommt für die Entscheidung nicht mehr zum Tragen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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