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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 20.08.2007
Aktenzeichen: 10 UF 662/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1360
BGB § 1360a
Zur Verpflichtung des in einem Pflegeheim aufgenommenen Ehemanns, für den (Familien-)Unterhalt der Ehefrau Vermögen einzusetzen.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

10 UF 662/07

Verkündet am 20. August 2007

hat der 10. Zivilsenat und Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Breitinger und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Söllner und Weikl aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. Juli 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Kelheim vom 16.4.2007 abgeändert.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin von September 2007 bis einschließlich November 2007 monatlich bis zum 3. Tag im Voraus einen Unterhalt in Höhe von 410,00 € zu zahlen.

III. Der Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin rückständigen Unterhalt für die Zeit Mai 2006 bis August 2007 in Höhe von insgesamt 6.560,00 € zu zahlen.

IV. Im Übrigen werden die Klage abgewiesen und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

V. Die Kosten des Rechtsstreites werden gegeneinander aufgehoben.

VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

VII. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.780,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der am 8.3.1949 geborene Beklagte und die am 10.12.1967 geborene Klägerin, thailändische Staatsangehörige, haben am 10.11.2000 die Ehe geschlossen, aus der Kinder nicht hervorgingen. Die Klägerin lebte bereits seit 1999 in Deutschland. Im Juli 2005 erlitt der Beklagte einen Herzinfarkt, der eine massive Hirnschädigung zur Folge hatte. Er steht seit Oktober 2005 unter Betreuung und ist in einem Pflegeheim untergebracht. Die anfallenden Gesamtkosten übersteigen sein Einkommen um monatlich rund 200,00 €. Der Beklagte hat Sparvermögen in Höhe von rund 50.000,00 € sowie eine Eigentumswohnung in München, die 35 qm groß ist. Die Mieteinnahmen in Höhe von monatlich 483,89 € sind Teil seines Einkommens.

Die Klägerin ist ohne Einkommen und Vermögen und beherrscht die deutsche Sprache kaum.

Bis einschließlich April 2006 erhielt sie von der Betreuerin des Beklagten monatlich 400,00 €. Sie bewohnt die bisherige eheliche Wohnung, die sich im Haus der Mutter des Beklagten befindet, und zahlt dort weder Mietzins noch Nebenkosten. Allerdings wurde sie mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Mutter des Beklagten vom 10.5.2006 erfolglos aufgefordert, eine monatliche Nutzungsentschädigung von 500,00 € sowie Nebenkosten in Höhe von 200,00 € zu zahlen.

Nachdem sich die Höhe der Bezüge des Beklagten vermindert hatte, stellte die Betreuerin ab Mai 2006 die Unterhaltszahlungen ein.

Mit der Klage verlangt die Klägerin Familienunterhalt in Höhe von monatlich 770,00 € ab Mai 2006. Mit Endurteil vom 16.4.2007 wies das Amtsgericht - Familiengericht - Kelheim die Klage ab.

Zur Begründung führte das Gericht im wesentlichen aus, es gehe im vorliegenden Fall um Familienunterhalt nach den §§ 1360 und 1360 a BGB. Der seit Juli 2005 andauernde Krankenhaus- und Heimaufenthalt des Beklagten führe, da er nicht vom Willen der Parteien getragen sei, nicht zum Getrenntleben im Sinne des § 1567 BGB, der zu einem Trennungsunterhalt nach § 1361 BGB führen könne. Die Inanspruchnahme des Beklagten scheitere jedoch an seiner fehlenden Leistungsfähigkeit und an der fehlenden Bedürftigkeit der Klägerin. Der 58 Jahre alte Beklagte sei abgesehen von seiner Hirnschädigung körperlich gesund und habe statistisch noch eine Lebenserwartung von etwa 20 Jahren. Er benötige sein Sparvermögen und die Einkünfte aus der Eigentumswohnung dringend, um seinen eigenen Bedarf vollständig mit eigenen Mitteln decken zu können, ohne selbst zum Sozialfall zu werden. Die Klägerin trage nach § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB für den Beklagten Verantwortung und sei ihm zum Beistand verpflichtet mit der Folge, dass sie ihren Lebensbedarf selbst verdienen müsse und auch könne. Innerhalb von sechs Monaten nach dem Herzinfarkt ihres Mannes wäre es ihr möglich gewesen, Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben. Dann hätte sie auch eine Erwerbstätigkeit finden können.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie den ursprünglichen Klageantrag weiter verfolgt.

Sie macht geltend, dass sie sich unmittelbar nach der Einstellung der Unterhaltszahlungen im Mai 2006 als arbeitssuchend gemeldet habe, die Arbeitsgemeinschaft habe jedoch ihre Vermittelbarkeit verneint. Ab November 2006 hätte ein Deutschkurs stattgefunden, er sei jedoch kostenpflichtig gewesen und sie habe kein Geld gehabt. Seit 5.3.2007 nehme sie an einem Integrationskurs teil, welcher bis zum 21.9.2007 laufe. Der Unterricht finde in Vollzeit, nämlich in 25 Unterrichtsstunden pro Woche, statt. Nach Abschluss dieser Maßnahme werde sie sofort das Angebot der ARGE Landkreis Kelheim wahrnehmen und den Kurs "Aktiv in den Arbeitsmarkt" für die Dauer von vier Wochen in Vollzeit besuchen.

Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung. Er ist der Auffassung, dass ihm im Hinblick auf seine Erkrankung eine Vermögensverwertung nicht zugemutet werden könne. An den mangelnden Sprachkenntnissen, die für eine Erwerbstätigkeit der Klägerin hinderlich seien, sei sie selbst schuld. Im übrigen könne sie eine Teilzeitarbeit ausüben.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache teilweise Erfolg.

Das Erstgericht führt im Ansatz zu Recht aus, dass die Klägerin dem Grunde nach einen Anspruch auf Familienunterhalt im Sinne der §§ 1360, 1360 a BGB habe, weil der Umstand, dass ein Ehegatte in einem Pflegeheim aufgenommen wurde, noch nicht zu einer Trennung im Sinne des § 1567 BGB führe und somit ein Unterhaltsanspruch nach § 1361 BGB nicht in Betracht komme.

Die Rechtsauffassung des Erstgerichtes, dass dem Beklagten die Verwertung seines Vermögens unzumutbar sei, teilt der Senat allerdings nicht. Nach § 1360 BGB sind die Ehegatten einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Der Einsatz des Vermögens für den Familienunterhalt ist daher gesetzlich ausdrücklich vorgesehen und entfällt nur dann, wenn die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre. Bei der umfassenden Interessenabwägung fällt bei der Klägerin ins Gewicht, dass sie derzeit weder Vermögen noch Einkommen hat und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch mangelnde Sprachkenntnisse besonders schwierig ist. Auf Seiten des Beklagten fällt seine Krankheit ins Gewicht, die besondere Kosten verursacht. Allerdings kann hierbei nicht unberücksichtigt bleiben, dass er über ein Barvermögen von rund 50.000,00 € und eine Eigentumswohnung in München verfügt, deren Wert mit Sicherheit nicht niedriger ist. Bei einer Verwertung würden allerdings die Mieteinnahmen entfallen und so den monatlichen Zuzahlungsbetrag erhöhen. Bis auf weiteres ist jedoch davon auszugehen, dass der Beklagte monatlich nur etwa 200,00 € zuzahlen muss, also auf die Erhaltung des Gesamtbetrages nicht dringend angewiesen ist. Die Interessenabwägung geht also dahin, ob die öffentliche Hand im jetzigen Zeitpunkt für den Lebensbedarf der Klägerin im Wege der Sozialhilfe aufkommen muss oder ob sie möglicherweise in ferner Zukunft die Lücke zwischen dem Einkommen des Beklagten und den Gesamtkosten seiner Heim Unterbringung schließen muss. Der letzteren Lösung ist schon deswegen der Vorzug zu geben, weil die tatsächliche Lebensdauer des Beklagten in keiner Weise eingeschätzt werden kann. Billigkeitsgesichtspunkte sprechen also nicht dagegen, dass dem Beklagten zugemutet wird, seine Unterhaltsverpflichtungen derzeit zu erfüllen und das Risiko zu tragen, in ferner Zukunft selbst zum Sozialfall zu werden.

Die Verpflichtung zum Familienunterhalt nach §§ 1360, 1360 a BGB schließt jedoch ein, dass beide Ehegatten für den angemessenen Unterhalt auch ihre eigene Arbeitskraft einsetzen müssen (vgl. Palandt, BGB, 66. Aufl., Rn 7 zu § 1360 BGB). Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn die Ehegatten ihre Lebensgemeinschaft - wie hier - darauf angelegt haben, dass ein Partner sich auf den häuslichen Bereich beschränkt, während der andere Partner die finanzielle Basis für die Lebensgemeinschaft erwirtschaftet. Unterhaltsrechtlich ist der Klägerin deswegen kein Vorwurf daraus zu machen, dass sie sich bis April 2006 nicht um eine Erwerbstätigkeit bemühte.

Nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Klägerin hat sie sich nach der Einstellung der Unterhaltszahlungen arbeitssuchend gemeldet, konnte jedoch nicht vermittelt werden. Den Deutschkurs ab 1.11.2006 konnte sie nicht besuchen, weil er kostenpflichtig war und sie kein Geld hatte. Der Integrationskurs, der keine Kosten verursacht, begann erst am 5.3.2007 und endet einschließlich des Kurses "Aktiv in den Arbeitsmarkt" Ende Oktober 2007. Dieser Zeitablauf reicht noch nicht aus, der Klägerin mangels ausreichender Erwerbsbemühungen ein fiktives eigenes Einkommen zu unterstellen. Spätestens nach Ablauf eines Übergangsmonats, in dem sie sich um eine Erwerbstätigkeit bemühen kann, ist sie allerdings für ihren Unterhalt selbst verantwortlich, also ab Dezember 2007 Diese Rücksichtnahme auf die Interessen des Beklagten hält der Senat für angemessen und der Klägerin zumutbar.

Bei der Höhe des angemessenen Familienunterhaltes orientiert sich der Senat an dem Bedarf eines Nichterwerbstätigen, der nach den Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland seit 1.7.2005 monatlich 770,00 € beträgt (vgl. SüdL Nr. 21.2). In diesem Betrag sind jedoch die Kosten der Warmmiete mit 360,00 € enthalten (vgl. SüdL, a.a.O.). Unstreitig hat die Klägerin in der zurückliegenden Zeit keinerlei Miet- oder Nebenkosten bezahlt, obwohl sie hierzu aufgefordert wurde. Ob ein solcher Anspruch tatsächlich besteht, ist offen, nachdem sie die bisherige eheliche Wohnung bewohnte und der Beklagte nach eigenem Vorbringen im Schriftsatz vom 11.4.2007 auch die Nebenkosten selbst trug, also damit einverstanden war. Der Anspruch auf Familienunterhalt beläuft sich deswegen ab Mai 2006 auf monatlich 770,00 € ./. 360,00 € = 410,00 €, bis einschließlich August 2007 also auf insgesamt 6.560,00 €, danach auf monatlich 410,00 €. Im übrigen haben weder die Klage noch die Berufung Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil deren Voraussetzungen nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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