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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 10.11.2003
Aktenzeichen: 10 WF 3523/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1603 Abs. 2
Auch wenn der einem minderjährigen Kind aus erster Ehe gegenüber erweitert Unterhaltspflichtige aus einer neuen Ehe ein Kleinkind hat und seine zweite dieses Kind betreuende Ehefrau seine häufigere Präsenz in der Familie einfordert, verbietet sich ein mit deutlichen Lohneinbußen verbundener Wechsel vom Fernverkehr in den Nahverkehr, wenn dadurch der Regelbedarf der Kinder nicht mehr zu decken ist.
10 WF 3523/03 Nürnberg, den 10.11.2003

In der Familiensache

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 10. Zivilsenat und Senat für Familiensachen, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Kelheim vom 07.10.2003 i.V.m. dem Nichtabhilfebeschluß vom 30.10.2003 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Der Antragsteller begehrt Prozeßkostenhilfe für die Abänderung des bestehenden Titels über Kindesunterhalt in Höhe von 135 % des jeweiligen Regelbetrags, weil er in dieser Höhe nicht mehr leistungsfähig sei, da er aus familiären Gründen nicht mehr im Fern-, sondern im Nahverkehr tätig sei und deswegen nurmehr monatlich ca. 1.550 Euro verdiene. Er sei ferner der zweiten Ehefrau und den Kindern ... geb. 03.01.1999 und ... geb. 15.02.2002 zum Unterhalt verpflichtet. Vom Fernverkehr sei er im Januar 2003 in den Nahverkehr gewechselt, da die Ehefrau dies im Hinblick auf ihre Ehe und die Betreuung der beiden Kinder gefordert habe. Auch hätten gesundheitliche Probleme den Wechsel gefordert.

Der Antragsteller beantragt ferner die teilweise Einstellung der Zwangsvollstreckung.

Der Antragsgegner hat beantragt, Prozeßkostenhilfe für die beabsichtigte Abänderungsklage zu verweigern, den Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückzuweisen und verweist insbesondere auf die gesteigerte Erwerbspflicht des Antragstellers gemäß § 1603 Abs. 2 BGB.

Mit Beschluß vom 07.10.2003 hat das Amtsgericht Prozeßkostenhilfe für das Abänderungsbegehren versagt und den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückgewiesen. Das Amtsgericht hält den Antragsteller weiterhin an seinem Verdienst aus dem Fernverkehr fest. Der Antragsteller und seine nunmehrige Ehefrau hätten sowohl bei der Heirat als auch bei der Zeugung der nunmehrigen Kinder die Unterhaltspflicht gegenüber einem weiteren Kind gekannt. Gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB müsse der Antragsteller alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen, um das Existenzminimum des Antragsgegners sicherzustellen. Soweit er meine, nicht mehr im Fernverkehr arbeiten zu wollen, sei er überdies zur Nebentätigkeit verpflichtet.

Gegen diese Entscheidung richtet sich das Rechtsmittel des Antragstellers, mit welchem dieser seine Anträge weiterverfolgt. Er verweist darauf, daß er im Nahverkehr nach längerer Suche eine gut dotierte Arbeitsstelle gefunden habe und ihm die Aufnahme einer Nebenerwerbstätigkeit durch den Arbeitgeber untersagt sei.

II. Das gemäß § 127 Abs. 2, §§ 769, 793 ZPO zulässige Rechtsmittel ist in der Sache nicht begründet.

Das Amtsgericht hält den Antragsteller zu Recht infolge seiner gesteigerten Erwerbspflicht i.S.d. § 1603 Abs. 2 BGB an seinem früher im Fernverkehr erzielten Einkommen fest. Die gesteigerte Erwerbspflicht gegenüber minderjährigen Kindern gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB schränkt das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der freien Berufswahl ein (vgl. BGH, FamRZ 1981, S. 341, 344). In seiner Entscheidung vom 09.07.2003 (FamRZ 2003, 1471, 1473) hat der Bundesgerichtshof betont, daß auf die Mittel abzustellen sei, die der Unterhaltspflichtige bei gutem Willen durch zumutbare Erwerbstätigkeit erzielen könne. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung vom 05.03.2003 (FamRZ 2003, S. 661) zur Frage des fiktiven Ansatzes von Einkünften aus Nebentätigkeit dargelegt, daß der Unterhaltsverpflichtete durch die Auferlegung von Unterhaltsleistungen zwar in seiner durch Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz geschützten Handlungsfreiheit eingeschränkt sei, jedoch nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, soweit dies mit Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz im Einklang stehe. Dabei dürften durch den Unterhaltsanspruch die Grenzen des Zumutbaren nicht überschritten werden. Die Gerichte hätten im Einzelfall zu prüfen, ob bei dem angenommenen Umfang einer Erwerbsobliegenheit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen sei.

Diese Abwägung ist im vorliegenden Fall auch nach Ansicht des Senats so zu treffen, daß der Antragsteller gegenüber seinen minderjährigen Kindern nicht berechtigt ist, die wirtschaftliche Grundlage für deren Unterhaltsansprüche dadurch zu schmälern, daß er von dem Fernverkehr in den Nahverkehr wechselt. Dieser Wechsel ist erfahrungsgemäß mit erheblichen Einkommenseinbußen verbunden. Auch der Schutz der neuen Familie und die vorgetragene Gefährdung der Ehe rechtfertigen die Aufgabe dieses gesicherten Einkommens nicht. Die neue Familie wurde gegründet in Kenntnis der bestehenden Unterhaltpflicht gegenüber dem Antragsgegner und in Kenntnis der berufsbedingten Abwesenheit des Antragstellers während der Woche in Folge seiner Tätigkeit als Fernfahrer. Die Aufrechterhaltung dieser Tätigkeit ist im Rahmen der gesteigerten Erwerbspflicht daher auch unter Berücksichtigung der aus der neuen Ehe entstandenen Kinder und deren Alter zumutbar, auch wenn diesen Kindern damit während der Woche der Vater praktisch entzogen wäre. Auch in vielen anderen Familien mit Kleinkindern ist der Vater während der Woche abwesend. Allein der Wunsch der nunmehrigen Ehefrau und eine eventuelle Gefährdung des Bestands der neuen Ehe können bei der gegebenen wirtschaftlichen Lage den Arbeitsplatzwechsel nicht rechtfertigen.

Soweit der Antragsteller nachgeschoben hat, daß auch gesundheitliche Gründe für den Arbeitsplatzwechsel gesprochen hätten, (so bei schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen der BGH in FamRZ 2003, 1471 f.) ist sein Sachvortrag nicht hinreichend konkret. Es ist nicht vorgetragen, welche gesundheitlichen Probleme durch die Tätigkeit als Fernfahrer eingetreten sind oder einzutreten drohen.

Das Amtsgericht hat daher zutreffend für die Abänderungsklage Prozeßkostenhilfe versagt, § 114 ZPO. Auch wurde der Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Hinblick auf die beantragte Abänderung gemäß § 769 ZPO zutreffend zurückgewiesen.



Ende der Entscheidung

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