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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 10.03.2004
Aktenzeichen: 11 UF 1817/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1601
BGB § 1610
1. Auch bei höherem Einkommen der Eltern muss sichergestellt sein, dass Kinder an einer Lebensführung teilhaben, die der besonders günstigen wirtschaftlichen Situation ihrer Eltern entspricht

2. Eine Begrenzung des Unterhalts auch für volljährige, aber sich noch in der Ausbildung befindliche Kinder ergibt sich jedoch aus der Tatsache, dass sie die Stellung von Kindern und Heranwachsenden haben, die sich auf dem Weg zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit befinden. Der Kindesunterhalt hat hier die Aufgabe, den gesamten - erforderlichenfalls auch gehobenen - Lebensbedarf eines Kindes oder Heranwachsenden sicherzustellen; nicht aber ihm vollständige Teilhabe an den besonders guten wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern zu gewähren.


Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

11 UF 1817/03

Verkündet am 10. März 2004

In der Familiensache

wegen Unterhalts, hat der 11. Zivilsenat und Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den V und die Richter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - ... vom 6. Mai 2003 abgeändert:

a. Der Beklagte hat an die Klägerin ab 1. April 2004 einen monatlichen, monatlich vorauszahlbaren Unterhalt von 865,00 EUR zu zahlen.

b. Der Beklagte hat an die Klägerin für die Zeit vom 1. Mai 2002 bis 31. März 2004 einen Unterhaltsrückstand von 1.495,00 EUR nebst 90,31 EUR Zinsen zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

3. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

4. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin 62 % und der Beklagte 38 % zu zahlen. Von den Kosten der ersten Instanz hat die Klägerin 53 % und der Beklagte 47 % zu tragen.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert der Berufung beträgt 12.300,00 EUR, der für die Anschlussberufung 4.958,00 EUR.

Gründe:

1. Die Parteien streiten um die Höhe des Ausbildungsunterhalts für die Klägerin.

Die Klägerin ist die am 2002 volljährig gewordene Tochter des Beklagten. Sie besucht eine private Fachschule, in der sie zur staatlich geprüften kaufmännischen Assistentin ausgebildet wird.

Die Klägerin wohnt bei ihrer Mutter, die mit dem Beklagten nicht verheiratet war. Die Mutter verdient monatlich in Teilzeitbeschäftigung etwa 800,-- EUR, während der Beklagte monatlich 15.000,-- EUR brutto verdient. Das staatliche Kindergeld erhält die Mutter. Bis zur Volljährigkeit hat der Beklagte an die Klägerin einen monatlichen Kindesunterhalt von 350 % des Regelbetrages bezahlt, das entsprach zuletzt 865,- EUR.

Die Klägerin hat unter konkreter Darstellung und Bezifferung ihren Lebensbedarf mit 2.201,90 EUR berechnet.

Vor dem Familiengericht hat die Klägerin ab 1. Mai 2002 einen monatlichen Ausbildungsunterhalt von 1.900,-- EUR eingeklagt unter Anrechnung von bezahlten Unterhaltsbeträgen.

Der Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt.

Mit Endurteil vom 6. Mai 2003 hat das Amtsgericht -Familiengericht- den Beklagten verurteilt, an die Klägerin ab 1. Juli 2002 einen monatlichen Ausbildungsunterhalt von 800,-- EUR zu bezahlen sowie einen Rückstand von 898,-- EUR für die Monate Mai und Juni 2002 und Zinsen auf den Rückstand in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz.

Das Familiengericht hat sein Urteil im Wesentlichen damit begründet, dass sich der Unterhaltsbedarf der Klägerin zwar am Einkommen der Eltern orientiere. Die Klägerin habe aber keinen Anspruch auf Teilhabe am Luxus. Ihr Bedarf werde auch durch die Tatsache ihres "Kindseins" geprägt. Das Leben der Klägerin sei bisher durch den Unterhalt des Vaters in Höhe von 350 % des Regelbetrages und der Betreuung durch die Mutter, die 800,-- EUR im Monat verdiene, geprägt gewesen. Im Übrigen müsse die Klägerin einen Anreiz haben, ihre Ausbildung voranzutreiben und auch wirtschaftlich selbstständig zu werden. Zu dem zugesprochenen Unterhaltsbetrag von 800,-- EUR müsse noch das der Klägerin zustehende Kindergeld gerechnet werden.

Gegen das Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Im Wesentlichen begründet sie das Rechtsmittel damit, dass das Familiengericht sich nicht mit ihrem konkret dargestellten Bedarf auseinandergesetzt habe.

Die Klägerin beantragt deshalb im Berufungsverfahren:

1. Das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - vom 6. Mai 2003 wird abgeändert.

2. Der Beklagte hat an die Klägerin ab 1. August 2003 monatlich, monatlich im voraus bis zum dritten Werktag eines Monats einen Ausbildungsunterhalt von 1.700,-- EUR zu bezahlen sowie Zinsen in Höhe 5 % über dem Basiszinssatz jeweils ab dem 4. Tag des jeweiligen Monats aus 1.700,-- EUR.

3. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für Mai und Juni 2002 einen Unterhaltsrückstand von 1.578,-- EUR zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz aus 789,-- EUR seit 4. Mai 2002 und aus 789,-- EUR seit 4. Juni 2002.

4. Der Beklagte wird verurteilt, vom 1. Juli 2002 bis 31. Juli 2003 an die Klägerin über den im Endurteil des Amtsgerichts ... ausgeurteilten Betrag hinaus einen weiteren Unterhalt in Höhe von monatlich 900,-- EUR zu bezahlen sowie Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz aus 900,-- EUR jeweils ab dem vierten Tag des jeweiligen Monats.

Der Beklagte beantragt im Berufungsverfahren:

1. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen

2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - ... vom 6. Mai 2003 abgeändert:

a) Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab 1. Juli 2002 einen monatlich, monatlich zum 3. eines Monats im voraus fälligen Unterhalt in Höhe von 446,-- EUR zu bezahlen.

b) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte begründet seine Anträge im Wesentlichen damit, dass der konkret ausgerechnete Bedarf der Klägerin mit 2.200,-- EUR fiktiv sei. Es sei zu beachten, dass die Mutter 800,-- EUR verdiene. Die Klägerin habe als Kind keinen Anspruch auf Luxus.

Der Senat verweist im Übrigen auf die Ausführungen im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung.

2. Die Rechtsmittel der Parteien sind zulässig. Die Berufung der Klägerin ist zu einem geringen Teil begründet. Die Berufung des Beklagten ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten, ihren Vater, ab Mai 2002 einen monatlichen Anspruch auf Ausbildungsunterhalt in Höhe von 865,-- EUR (§§ 1601, 1610 BGB). Dass der Beklagte seiner Tochter Ausbildungsunterhalt schuldet, ist unter den Parteien unstreitig. Uneinigkeit besteht über die Höhe des Unterhalts, den Bedarf der Klägerin.

Im Recht des Verwandtenunterhalts bestimmt sich das Maß des zu leistenden Unterhalts nach der Lebensstellung des Berechtigten (angemessener Unterhalt, § 1610 BGB). Kriterien sind im allgemeinen der ausgeübte Beruf, die berufliche Stellung, die Vorbildung zu einem Beruf sowie vor allem die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des jeweiligen Berechtigten. Ein Kind dagegen hat bis zum Abschluss der Ausbildung noch keine eigene Lebensstellung in diesem Sinn. Es ist wirtschaftlich unselbständig und von seinen Eltern abhängig. Deshalb leitet sich seine Lebensstellung von der seiner Eltern ab. Dabei kommt es vor allem auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern an. Das gilt auch für das volljährige, in Ausbildung befindliche Kind, weil es trotz seiner Volljährigkeit auf die von den Eltern zur Verfügung gestellten Mittel angewiesen ist (Wendl-Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl. § 2 Rdnr. 108 ff). Mit Eintritt der Volljährigkeit entfällt der Betreuungsunterhalt und beide Eltern werden barunterhaltspflichtig, so dass sich der Bedarf aus den beiden Einkommen der Eltern unter Berücksichtigung ihres Eigenbedarfes errechnet. Da der Verdienst der Mutter hier die Grenze des Eigenbedarfs von 1.000,-- EUR (SüdL Nr. 21.3) nicht erreicht, ist sie der Klägerin nicht barunterhaltspflichtig. Der Bedarf der Klägerin bestimmt sich deshalb allein nach den Einkommensverhältnissen des Beklagten.

Im Regelfall bemisst der Senat den Bedarf eines Kindes nach den Richtsätzen der sog. Düsseldorfer Tabelle (SüdL Nr. 11). Durch ihre Anwendung wird bei gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen eine Gleichbehandlung erreicht. Allerdings endet das Tabellenwerk (gültig ab 1. Juli 2003) bei Einkünften des Verpflichteten von 4.800,-- EUR. Eine Anwendung der Düsseldorfer Tabelle scheidet daher aus, weil der Beklagte deutlich mehr verdient. Eine proportionale Fortschreibung der Tabelle hat der BGH abgelehnt. Er fordert vielmehr eine konkrete Bedarfsermittlung an Hand des vom Berechtigten dargelegten Lebensaufwandes (BGH FamRZ 2000, S. 358).

Grundsätzlich gibt es keine festgeschriebene Obergrenze für den Kindesunterhalt. Auch bei höherem Einkommen der Eltern muss sichergestellt sein, dass Kinder an einer Lebensführung teilhaben, die der besonders günstigen wirtschaftlichen Situation ihrer Eltern entspricht (BGH a.a.O.). Auf der anderen Seite bedeutet das nicht, dass den Kindern eine Lebensführung ermöglicht werden muss, die den überdurchschnittlich günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern völlig entspricht. Eine Begrenzung des Unterhalts auch für volljährige, aber sich noch in der Ausbildung befindliche Kinder ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass sie die Stellung von Kindern und Heranwachsenden haben, die sich auf dem Weg zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit befinden. Der Kindesunterhalt hat die Aufgabe, den gesamten - erforderlichenfalls auch gehobenen - Lebensbedarf eines Kindes oder Heranwachsenden sicherzustellen; nicht aber ihm vollständige Teilhabe an den besonders guten wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern zu gewähren (BGH NJW 1983, S. 1429).

Im konkreten Fall ist bei der Bedarfsbemessung auch zu bedenken, dass es eine gemeinsame Haushaltsführung der Eltern der Klägerin nie gegeben hat; die Klägerin also nie unmittelbar am Lebensstandard des Beklagten teilgenommen hat. Ihr Lebensstil war geprägt von dem überdurchschnittlich hohen Kindesunterhalt von 350 % des Regelbetrages nach der RegelbetragVO und von der Betreuung durch ihre Mutter, die in Teilzeitbeschäftigung 800,-- EUR verdient (vgl. BGH NJW 1983, S 1429). Die Berücksichtigung dieser Umstände benachteiligt die Klägerin nicht, weil sie ein nichteheliches Kind ist, wie sie meint. Dasselbe müsste auch gelten für ein ehelich geborenes Kindes, dessen Eltern sich vor der Geburt oder kurz danach getrennt haben.

Die Klägerin legt im Einzelnen dar, welchen Bedarf sie hat und endet bei einem Monatsbetrag von 2.200,-- EUR, von dem sie in der Berufung noch 1.700,-- EUR geltend macht. Diese Berechnung der Klägerin entspricht aber nicht der Wirklichkeit und den tatsächlichen Lebensverhältnissen. Es handelt sich um eine fiktive Berechnung, weil die Klägerin Mittel in dieser Höhe nie zur Deckung dieses Bedarfs zur Verfügung hatte. Die Unterhaltsforderung der Klägerin übersteigt das Einkommen ihrer Mutter um mehr als das Doppelte.

Wenn also die konkrete Darstellung des Bedarfs durch die Klägerin nicht auf ihren wirklichen Lebensverhältnissen beruht, hat der Senat den Bedarf unter Berücksichtigung des üblichen Unterhaltsbedarfs eines volljährigen, in der Ausbildung befindlichen Kindes, wie er sich aus den Tabellen und den Leitlinien ergibt, aus der konkreten Bedarfsaufstellung der Klägerin und den günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen des Vaters und unter Zuhilfenahme allgemeinen Erfahrungswissens nach Maßgabe des § 287 ZPO zu bestimmen (BGH FamRZ 2000, S. 358 ff).

Eine Durchsicht der Bedarfsaufstellung der Klägerin ergibt, dass ihre Bedürfnisse nach ihrer Art im Großen und Ganzen denen gleichaltriger Schülerinnen entsprechen. Erhöhend kommt der Bedarf für das Schulgeld hinzu und Ausgaben für Pkw und Reisen.

Lebt ein volljähriges, noch in der Ausbildung befindliches Kind im Haushalt eines Elternteils sieht die Düsseldorfer Tabelle einen Höchstbetrag von 654,-- EUR vor. Der angemessene Bedarf für solche Kinder, die nicht mehr bei den Eltern leben, beträgt im Regelfall 600,-- EUR (SüdL Nr. 13.1). Angesichts der günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten und des Aufwandes für das Schulgeld sind diese Beträge für die Beklagte deutlich anzuheben. In Abwägung der oben dargestellten Gesichtspunkte hält der Senat einen Bedarf der Klägerin in Höhe von 1.019,-- EUR für angemessen.

Der Unterhaltsanspruch ist allerdings niedriger, weil dem Beklagten das Kindergeld in Höhe von 154,-- EUR monatlich anzurechnen ist (§ 1612 b Abs. 1, 2 und 3 BGB). Er hat deshalb nur 865,-- EUR zu bezahlen. Das Kindergeld kann die Klägerin von ihrer Mutter verlangen, so dass ihr letztlich der genannte Unterhaltsbedarf von 1.019,-- EUR zur Verfügung steht.

Die Rückstände für die Zeit vom 1. Mai 2002 bis 31. März 2004 errechnen sich unter Anrechnung des vom Beklagten bereits bezahlten Unterhalts wie folgt: Der Beklagte hat unstreitig den vom Amtsgericht - Familiengericht - ... ausgeurteilten Betrag bezahlt. Es stehen deshalb für jeden Monat dieses Zeitraumes 65,-- EUR noch offen. Das ergibt insgesamt einen Rückstand von 1.495,- EUR (23 x 65).

Für jeden Monat des Zeitraumes vom 1. Mai 2002 bis 31. März 2004 ist der Beklagte mit 65,-- EUR in Verzug (§ 286 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Während des Verzuges ist der jeweilige Monatsbetrag mit 5 % über dem Basiszinssatz zu verzinsen (§ 288 Abs. 1BGB). Das ergibt einen Zinsbetrag für den gesamten Zeitraum in Höhe von 90,31 EUR.

Die Kostenentscheidung berücksichtigt den jeweiligen Grad des Obsiegens der Parteien an Hand des Streitwerts (§ 92 Abs. 1 ZPO).

Der Ausspruch über die vorläufig Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahrens wurde gem. § 17 Abs. 1 und 4 GKG berechnet.

Der Streitwert der Berufung beträgt 12.300,-- EUR (12 x (1.700 -800) - § 17 Abs. 1 GKG und 2 x (789 - 489) + (1.700 - 800) - § 17 Abs. 4 GKG).

Der Streitwert der Anschlussberufung beträgt 4.958,-- EUR (12 x (800 - 446) - § 17 Abs. 1 GKG und 2 x (489 - 311) + (800 - 446) - § 17 Abs. 4 GKG.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen fehlen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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