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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 21.04.2004
Aktenzeichen: 11 UF 2470/03
Rechtsgebiete: ZPO, GSiG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 323
GSiG § 1
GSiG § 2
GSiG § 3
BGB § 1601
BGB § 1602
1. Außer bei beengten wirtschaftlichen Verhältnissen liegt in der Regel eine wesentliche Änderung der für die Verurteilung zu einer Unterhaltsleistung maßgebenden Verhältnisse vor, wenn die Änderung zu einer Verringerung des Unterhaltsanspruchs von etwa 10 % führt.

2. Ein volljähriges erwerbsunfähiges Kind muss sich Leistungen nach §§ 1 ff. GSiG auf seinen Unterhaltsanspruch gegen seinen Vater fiktiv nur dann anrechnen lassen, wenn ihm wegen der Nichtinanspruchnahme der Grundsicherungsleistungen ein Obliegenheitsverstoß anzulasten ist.

3. Die auf Grund eines Unterhaltstitels erbrachten Unterhaltsleistungen können gemäß § 3 Abs. 2 GSiG i.V.m. §§ 76 ff. BSHG dazu führen, dass das Kind keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen hat.


Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

11 UF 2470/03

Verkündet am 21. April 2004

In der Familiensache

hat der 11. Zivilsenat und Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Forster und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Postler und Herrler aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31. März 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Erlangen vom 24.Juni 2003 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen, mit Ausnahme der durch die Nebenintervention entstandenen Kosten, welche die Nebenintervenienten je zur Hälfte zu tragen haben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluß :

Der Gebührenstreitwert des Berufungsverfahrens wird auf 6.951,48 Euro (579,29 x 12) festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Abänderung des Urteils des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 23.01.2002, in dem er verurteilt wurde, der. Beklagten, seiner Tochter, für die Zeit vom 01.03.2000 bis 31.12.2001 Unterhaltsrückstände von insgesamt 11.721,88 Euro und ab 01.01.2002 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 579,29 Euro zu zahlen.

Die am 07.09.1966 geborene Beklagte ist schwerbehindert. Wegen einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis ist sie nicht erwerbsfähig. Der Grad ihrer Behinderung beträgt 60 %. Sie erhält eine Erwerbsunfähigkeitsrente von monatlich 188,85 Euro. Vom 01.07.2002 bis 31.06.2003 betrug die Rente monatlich 186,90 Euro.

Grundlage für die Verurteilung zur Zahlung des laufenden Unterhalts war ein Mindestbedarf der Beklagten in Höhe des notwendigen Selbstbehalts von 1.425,00 DM (= 728,59 EUR), ein Medikamentenmehraufwand von monatlich 60,00 DM (= 30,68 EUR).

Nach Anrechnung der Erwerbsunfähigkeitsrente der Beklagten von 352,00 DM (= 179,97 EUR) verblieb der vom Kläger zu zahlende Betrag von 1.133,00 DM (= 579,29 EUR).

Der Kläger ist der Auffassung, seine erwerbsunfähige Tochter habe einen Anspruch auf eine Grundsicherungsleistung. Mit Schreiben vom 22.02.03 forderte er die Beklagte deshalb auf, Grundsicherungsleistungen im Rahmen des Grundsicherungsgesetzes in Anspruch zu nehmen.

Den daraufhin von der Beklagten am 10.03.03 gestellten Antrag wies die Stadt E mit Bescheid vom 20.03.03 zurück, da die Beklagte über ein Bank- und Sparguthaben von 6.508,31 Euro verfüge, welches sie bis zum Betrag von 2.301,00 Euro vor Gewährung von Grundsicherungsleistungen für ihren Lebensunterhalt einzusetzen habe. Außerdem sei ihr bereinigtes Einkommen von 755,00 Euro (§ 3 Abs. 2 GSiG) höher als ihr Anspruch auf Grundsicherung von 584,30 Euro. Die Regierung von M wies den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch am 26.01.2004 mit der Begründung zurück, das Vermögen der Beklagten sei gemäß § 3 Abs. 2 GSiG i.V.m. §§ 76, 88 BSHG zu berücksichtigen. Im übrigen sei nicht nachvollziehbar, wieso das aus Unterhaltstzahlungen stammende Vermögen in der kurzen Zeit verbraucht sei. Über die dagegen eingelegte Klage hat das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden.

Mit dem Vorbringen, der notwendige Bedarf der Beklagten werde durch die Grundsicherung im vollen Umfange abgedeckt, so dass der Beklagten kein Unterhaltsanspruch mehr zustehe, hat der Kläger die Abänderung des Urteils des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 23.01.2002 dahin beantragt, dass er der Beklagten ab. 01.03.2003 keinen Unterhalt mehr schuldet.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie sei nach wie vor unterhaltsbedürftig, da sie sich erfolglos um eine Grundsicherung bemüht habe. Außerdem habe sie keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen, da der Kläger über ein jährliches Einkommen von 100.000,00 Euro verfüge.

Durch Endurteil vom 24.06.2003 hat das Amtsgericht -Familiengericht- Erlangen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es. ausgeführt, die Voraussetzungen einer Abänderungsklage seien nicht gegeben. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des OLG sei das Gesetz über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bereits erlassen gewesen. Darüberhinaus schränke das Grundsicherungsgesetz weder die Unterhaltspflicht der Verwandten ein noch führe es zu einem Wegfall der Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten. Die Beklagte könne sich nicht durch einen freiwilligen Verzicht auf die titulierte Unterhaltsforderung arm machen.

Gegen dieses dem Kläger am 03.07.2003 zugestellte Urteil wendet er sich mit seiner am 01.08.2003 eingegangenen Berufung vom 31.07.2003, die er mit einem am 03.09.2003 eingegangenen Schriftsatz begründete. Er macht geltend, die Beklagte sei nicht mehr bedürftig, da ihr titulierter, notwendiger Bedarf gedeckt sei, wenn sie die Grundsicherungsleistung in Anspruch nehme.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des familiengerichtlichen Urteils vom 24.06.2003 das Endurteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 23.01.2002 dahin abzuändern, dass der Kläger der Beklagten ab 01.03.2003 keinen Unterhalt mehr schuldet.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und weist darauf hin, dass ihr Bedarf nach dem Grundsicherungsgesetz insgesamt 584,30 Euro betrage. Dieser Betrag sei niedriger als der titulierte Unterhaltsbedarf, so dass sie auf jeden Fall einen restlichen Unterhaltsanspruch habe, der bei Zahlung jedoch ihren Anspruch auf Grundsicherung wieder mindern würde. Schon wegen dieses "Ping-Pong-Effektes" werde deutlich, dass der grundsätzliche Grundsicherungsanspruch die Unterhaltsansprüche der Beklagten nicht erlöschen lassen könne.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Mit der Berufungsbegründung vom 03.09.2003 hat der Kläger den Rechtsanwälten D, L H und G den Streit verkündet. Die Rechtsanwälte H und G sind dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beigetreten und beantragen, unter Aufhebung des familiengerichtlichen Urteils vom 24.06.2003 das Endurteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 23.01.2002 dahin abzuändern, dass der Kläger der Beklagten ab 01.03.2003 keinen Unterhalt mehr schuldet. Wegen der Begründung dieses Antrages wird auf den Schriftsatz vom 17.09.2003 verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 11.04.2003 hat die Beklagte der Stadt El den Streit verkündet. Die Stadt E ist dem Rechtstreit nicht beigetreten.

Eine Beweiserhebung hat nicht stattgefunden.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Die Abänderungsklage ist zwar zulässig, insbesondere hat der Kläger mit der Behauptung, die Beklagte habe seit 01.01.2003 einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen eine nach der mündlichen Verhandlung im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Nürnberg am 12.12.2001 eingetretene neue Tatsache geltend gemacht (§ 323 Abs. 2 ZPO). Zwar ist das Gesetz über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bereits am 29.06.2001 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden (BGBl I, 1310 [1335 ff.]). In Kraft trat das Gesetz jedoch erst am 01.01.2003 (Art. 35 Abs. 6 des Altersvermögensgesetzes vom 26.06.2001). Damit konnte die Beklagte frühestens ab 01.01.2003 einen Grundsicherungsanspruch haben. Dass dieser Anspruch bereits zum 12.12.2001 (letzte mündliche Verhandlung beim Oberlandesgericht) voraussehbar war, spielt keine Rolle.

Denn maßgeblich ist, wann die wesentliche Veränderung tatsächlich eingetreten ist, nicht der frühere Zeitpunkt der Vorhersehbarkeit wie dem eindeutigen Wortlaut des § 323 Abs. 2 ZPO ("entstanden") zu entnehmen ist (Wendl/Thalmann, Unterhaltsrecht, 6. Aufl., § 8, Rdnr. 160; BGH FamRZ 1992, 162, 163).

Die Abänderungsklage ist aber nicht begründet. Denn eine wesentliche Veränderung für die Verurteilung des Kläger zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 579,29 Euro liegt nicht vor (§ 323 Abs. 1 ZPO).

Zwar beträgt die Erwerbsunfähigkeitsrente der Beklagten seit 01.07.2003 monatlich 188,85 Euro. Außerdem erhält sie 13,00 Euro-Wohngeld. Diese Veränderungen sind jedoch nicht wesentlich, da dadurch der Unterhaltsanspruch lediglich um 4 % verringert würde. Wesentlich ist eine Änderung aber nur dann, wenn sie in einer nicht unerheblichen Weise zu einer anderen Beurteilung der Höhe des Anspruches führen würde (Wendl/ Thalmann, a.a.O., § 8 Rdnr. 158; BGH, FamRZ 1984, 353, 355). Davon ist dann auszugehen, wenn die Änderung zu einer Verringerung des Unterhaltsanspruches von etwa 10 % führt. (Wendl/Thalmann a.a.O.). Anhaltspunkte, dass wegen beengter wirtschaftlicher Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen ein geringerer Prozentsatz anzusetzen wäre, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Andere den Grund oder die Höhe des Unterhaltsanspruches beeinflussende Verhältnisse, die eine von der Ausgangsentscheidung abweichende Entscheidung gebieten würden, liegen nicht vor. Insbesondere ist die Bedürftigkeit der Beklagten wegen Bezugs von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz nicht vermindert oder entfallen. Denn die Beklagte erhält keine Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz.

Solche Leistungen können der Beklagten auch nicht bedürftigkeitsmindernd (§ 1602 Abs. 1 BGB) fiktiv zugerechnet werden.

Zwar muss sich der Unterhaltsberechtigte vom privilegierten Unterhaltspflichtigen (Verwandter in gerader Linie) grundsätzlich auf die Inanspruchnahme der Grundsicherung verweisen lassen, da die Grundsicherung anders als die Sozialhilfe nicht nachrangig ist und eine Verweisung auf Unterhaltsansprüche gegen Verwandte gerader Linie nach § 2 Abs. 1 S. 3 GSiG ausgeschlossen ist (Wendl/Dose, a.a.O. § 1 Rdnr. 467 c; BGH FamRZ 2002, 1698, 1701). Die Zurechnung fiktiver Einkünfte in Höhe der Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz ist aber nur gerechtfertigt, wenn dem Unterhaltsberechtigten wegen der Nichtinanspruchnahme der Grundsicherung ein Obliegenheitsverstoß anzulasten ist. Eine solche Obliegenheitsverletzung ist der Beklagten jedoch nicht vorzuwerfen. Denn die Beklagte erhält trotz Antragstellung und der gegen den ablehnenden Bescheid eingelegten Rechtsbehelfe bis heute keine Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz.

Die Beklagte hat am 10.03.2003 einen Antrag auf Erhalt von Grundsicherungsleistungen gestellt. Gegen den ihren Antrag zurückweisenden Bescheid der Stadt El vom 20.03.2003 hat sie erfolglos Widerspruch eingelegt, wie dem Widerspruchsbescheid der Regierung von M vom 26.01.2004 zu entnehmen ist. Sie betreibt derzeit das Klageverfahren.

Auch wenn der Antrag auf Grundsicherung im Widerspruchsbescheid mit dem Hinweis auf das zur Zeit der Antragstellung vorhandene Vermögen der Beklagten zurückgewiesen wurde, rechtfertigt dies keine fiktive Zurechnung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz. Denn dieses Vermögen beruhte auf Zahlungen von rückständigem Unterhalt durch den Kläger und kann daher den laufenden Unterhaltsanspruch nicht beeinflussen.

Der Unterhaltsanspruch kann auch nicht für die Zukunft um Grundsicherungsleistungen gekürzt werden. Wie oben bereits ausgeführt, berechtigt nur eine eingetretene Veränderung zu einer Abänderung der rechtskräftigen Prognoseentscheidung nach § 323 Abs. 1 BGB. Die Gewährung von Grundsicherungsleistungen ist auch kein zu einem bestimmten Zeitpunkt sicher zu erwartender Umstand, der zu einer Verminderung des Unterhaltsleistungen des Klägers führen wird und in diesem Verfahren nach § 258 ZPO bereits berücksichtigt werden kann.

Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Beklagte Grundsicherungsleistungen erhält, ist nämlich ungewiss. Der Unterhalt, den die Beklagte auf Grund des Urteils vom 23.01.2002 erhält, ist höher als ihr Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach § 3 Abs. 1 GSiG. Die auf Grund des Urteils erbrachten Unterhaltsleistungen sind aber als zu berücksichtigendes Einkommen i.S.v. § 3 Abs. 2 GSiG i.V.m. §§ 76 ff. BSHG auf den Anspruch auf Grundsicherungsleistung anzurechnen (VGH München Urteil vom 05.02.2004, Az: 12 BV 03.3282 - recherchiert in Juris; Schoch in LPK-GSiG, § 2 Rdnr. 27; Klinkhammer, FamRZ 2002, 997, 999; Münder, NJW 2002, 3661, 3663). Dem steht § 2 Abs. 1 S. 3 GSiG nicht entgegen. Aus dem Wort "Unterhaltsansprüche" ergibt sich nämlich, dass tatsächlich geleistete Unterhaltszahlungen als Einkommen zu berücksichtigen sind. Diese Auslegung widerspricht auch nicht dem Sinn und Zweck der Privilegierung. § 2 Abs. 1 S. 3 GSiG bezweckt nämlich nicht die. Entlastung des Unterhaltspflichtigen, vielmehr soll die Situation des Antragsberechtigten selbst verbessert werden, in dem es ihm erleichtert wird, die existenzsichernden Leistungen des Grundsicherungsgesetzes ohne Furcht vor Regress gegen die Verwandten in Anspruch zu nehmen (VGH a.a.O.).

Die bedarfsorientierte Grundsicherung gemäß § 3 Abs. 1 GSiG würde für die Beklagte 587,75 Euro ausmachen (284,00 Euro (Regelsatz) + 43,05 (15 % Erhöhung) + 257,70 Miete). Hierauf müsste sich die Beklagte gemäß § 3 Abs. 2 GSiG i.V.m. § 76 Abs. 1 BSHG ihre Erwerbsunfähigkeitsrente von derzeit 188,85 Euro und das Wohngeld von 13,00 Euro anrechnen lassen. Der Anspruch auf Grundsicherung betrüge daher 385,90 Euro. Der titulierte Unterhalt der Beklagten ist demgegenüber mit 579,29 Euro höher. Ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen besteht daher nicht.

Es kann auch davon ausgegangen werden, dass der Kläger seiner Verpflichtung aus dem Urteil nachkommt, zumal die Beklagte diesen jederzeit durch eine Zwangsvollstreckung realisieren kann. Die Realisierung des Unterhaltsanspruches liegt auch im Interesse der Beklagten, da der Unterhaltsanspruch höher ist als ein Anspruch auf Grundsicherung. Es spricht daher alles dafür, dass die Beklagte eine eventuelle Einstellung der Zahlungen des Vaters, um der Tochter zu einer Grundsicherungsleistung zu verhelfen, nicht hinnimmt. Auch wenn der Kläger derzeit auf Grund des Beschlusses über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung an die Beklagte nur einen Teilbetrag leistet und den restlichen Betrag hinterlegt, kann die Beklagte nicht mit einen Grundsicherungsanspruch rechnen, da bei Abweisung der Klage der ihr dann zufließende hinterlegte Betrag als Vermögen i.S.v. § 88 BSHG zuzurechnen ist.

Angesichts der Rechtslage, bei der die Beklagte zwar nicht auf Unterhaltsansprüche gegen ihren Vater verwiesen werden kann, wenn sie Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz in Anspruch nehmen will, diese aber nicht erhält, wenn ihr Vater tatsächlich Unterhalt zahlt, kann die Beklagte Grundsicherungsleistungen nur erhalten, wenn sie auf ihre Rechte aus dem Urteil des OLG vom 23.01.2002 verzichten würde. Dies kann der Beklagten aber nicht zugemutet werden, da der titulierte Unterhaltsanspruch höher ist als Ansprüche nach dem Grundsicherungsgesetz.

Der Beklagten ist auch kein Teilverzicht in Höhe der Leistungen des Grundsicherungsgesetzes zumutbar.

Unterstellt, Grundsicherungsleistungen würden unterhaltsmindernd angesetzt, bleibt unklar, wie sich der restliche Unterhaltsanspruch auf die Zuteilung von Grundsicherungsleistungen auswirkt.

Der unterhaltsrechtlicher Bedarf der Beklagten (§ 1610 Abs. 1 BGB) nach dem Urteil vom 23.01.2002 beträgt 759,27 Euro. Auch unter Berücksichtigung der höheren Erwerbsunfähigkeitsrente und des Wohngeldes verbliebe nach Anrechnung der Grundsicherung noch ein ungedeckter Unterhaltsbedarf von 171,52 Euro (759,27 - 188,85 - 13 - 385,90).

In dieser Höhe bestünde daher auch bei Anrechnung von Grundsicherungsleistungen ein Unterhaltsanspruch. Erfüllt der Kläger diesen dann titulierten restlichen Unterhaltsanspruch, vermindert sich gemäß § 3 Abs. 2 GSiG i.V.m. § 76 Abs. 1 BSHG in dieser Höhe wiederum der Anspruch der Beklagten auf Grundsicherung. Ob und wann diese Spirale der Anrechnung der titulierten Unterhaltszahlung auf den Grundsicherungsanspruch unterbrochen wird, ist, soweit ersichtlich, in der Verwaltungspraxis und in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht geklärt.

Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens kommt deshalb aber nicht in Betracht. Nach den obigen Ausführungen ist davon auszugehen, dass sich die Beklagte die titulierten tatsächlichen Unterhaltszahlungen ihres Vaters voll als Einkommen anrechnen lassen muss, so dass kein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen mehr besteht. Die Frage, wie sich eine Teilunterhaltsleistung auf den Grundsicherungsanspruch auswirken wird, dürfte daher für das verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht entscheidungserheblich sein.

Ein Teilverzicht kann von der Beklagten auch deshalb nicht verlangt werden, da sie dadurch ihren Grundsicherungsanspruch verlieren kann und dann weder Unterhalt noch Grundsicherungsleistungen bekommen würde.

In der Literatur wird nämlich die Ansicht vertreten, dass der Unterhaltsbedürftige, der den Unterhaltsverpflichteten veranlasst, die Unterhaltszahlungen einzustellen, seinen Grundsicherungsanspruch wegen vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführter Bedürftigkeit verliert (Klinkhammer, FPR 2003, 640, 646 unter Hinweis auf Günther, FF 2003, 10,12).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 2 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die Frage, ob der nach § 2 Abs. 1 S. 3 GSiG privilegierte Unterhaltspflichtige den Unterhaltsberechtigten trotz eines Titels auf Unterhaltsleistungen auf die Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen verweisen kann, ist bisher höchstrichterlich nicht entschieden und über den vorliegenden Rechtsstreit hinaus bedeutsam.

Ende der Entscheidung

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