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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 15.11.2001
Aktenzeichen: 11 UF 3092/01
Rechtsgebiete: BGB, GG


Vorschriften:

BGB § 1612 b Abs. 5
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 2 S. 1
Die Regelung des § 1612 b Abs. 5 BGB, wonach eine Anrechnung des Kindergeldes unterbleibt, soweit der Unterhaltspflichtige außerstande ist, Unterhalt in Höhe von 135 % des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten, ist verfassungsgemäß.
11 UF 3092/01

Nürnberg, den 15.11.2001

In der Familiensache

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 11. Zivilsenat und Senat für Familiensachen, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Erlangen vom 20. Juli 2001 wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Beschwerdewert wird auf 1.620,00 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner wurde mit Beschluß des Amtsgerichts Nürnberg vom 30.11.1999 verpflichtet, an den Antragsteller ab 01.07.1999 100 % des Regelbetrages der 2. Altersstufe gem. § 1 Regelbetrag-VO abzgl. des hälftigen Kindergeldes für ein erstes Kind, ab dem 01.06.2004 100 % des Regelbetrages der 3. Altersstufe gem. § 1 Regelbetrag-VO abzgl. des hälftigen Kindergeldbetrages für ein erstes Kind zu zahlen.

Das Amtsgericht Erlangen hat am 20. Juli 2001 im vereinfachten Abänderungsverfahren den Beschluß des Amtsgerichts Nürnberg dahin abgeändert, daß ab 01.01.2001 das Kindergeld in der Höhe nicht angerechnet wird, in welcher der titulierte Unterhalt 135 % des jeweiligen Regelbetrages unterschreitet.

Gegen diesen ihm am 26.07.2001 zugestellten Beschluß hat der Antragsgegner am 07.08.2001 Beschwerde eingelegt, mit dem Ziel, den Beschluß des Amtsgerichts Erlangen aufzuheben. Er macht geltend, die Nichtanrechnung des Kindergeldes sei verfassungswidrig.

Das durch das Landratsamt E als Beistand vertretene Kind verteidigt den angefochtenen Beschluß und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Das nach 655 Abs. 5 S. 1 ZPO als sofortige Beschwerde statthafte Rechtsmittel des Antragsgegners ist gemäß §§ 569, 577 ZPO zulässig, aber nicht begründet.

Zutreffend hat die für die Abänderung von Unterhaltstiteln im vereinfachten Verfahren zuständige Rechtspflegerin (§ 20 Nr. 10 b RpflG, § 2 Unterhaltsanpassungungsgesetz i.V.m. § 655 ZPO den Beschluß des Amtsgerichts Nürnberg dahin abgeändert, daß auf den Unterhalt Kindergeld nicht angerechnet wird, weil der vom Antragsgegner zu zahlende Unterhaltsbetrag für sein minderjähriges Kind weniger als 135% des jeweiligen Regelbetrages nach § 1 der Regelbetrag-VO beträgt (§ 1612 b Abs. 5 BGB).

Auf den Beschluß wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Die Entscheidung des Amtsgerichts ist nicht deshalb unrichtig, weil es mit § 1612 b Abs. 5 BGB eine verfassungswidrige Norm angewandt hat, wie der Antragsgegner meint. Der Senat hält die Bestimmung für verfassungsgemäß.

Nach § 1612 b Abs. 5 BGB hat der Antragsgegner als Barunterhaltspflichtiger den ihm nach § 1612 b Abs. 2 BGB zur Hälfte zustehenden Anteil am Kindergeld für den Unterhalt seines minderjährigen Kindes einzusetzen, wenn er außerstande ist, Unterhalt in Höhe von 135 % des Regelbetrages nach § 1 der Regelbetrag-VO zu zahlen. Der Grund für diese Regelung liegt darin, daß der Barunterhaltspflichtige für den für die Existenz des Kindes erforderlichen Barbetrag, der etwa 135 % des Regelbetrages entspricht, aufkommen soll.

Im Grunde ist die gesetzliche Regelung nur insoweit neu als sie die Messlatte, ab welcher der Mindestbedarf eines minderjährigen Kindes als gesichert gilt, auf 135 % des Regelbetrages festlegt. Soweit das Gesetz hierfür dem Barunterhaltspflichtigen den Einsatz seines Anteils am Kindergeld zumutet, normiert es nur die herrschende Rechtsprechung. Danach hatte der Unterhaltsschuldner im Mangelfall entsprechend § 1603 Abs. 2 S. 1, 2 BGB auch seinen Kindergeldanteil zur Sicherung des Barunterhaltes des minderjährigen Kindes einzusetzen.

Kindergeld ist wegen seiner Zweckbestimmung, den Unterhaltsschuldner zu entlasten, kein Einkommen, das bei der Festlegung des Barbedarfes des Kindes herangezogen werden kann (BGH NJW 1997, 1919, 1921 ff.). Bei der Frage der Leistungsfähigkeit des Schuldners ist es aber zu berücksichtigen (BGH a.a.O. 1923).

Ein Gesetz, das den Zielkonflikt, Sicherung des Existenzminimums des Kindes einerseits und Entlastung des Unterhaltspflichtigen andererseits, zugunsten des Existenzminimums des Kindes entscheidet, erscheint sachgerecht und berührt den Antragsgegner nicht in seinen verfassungsmäßigen Rechten nach Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG.

Etwas anderes würde gelten, wenn der Unterhaltspflichtige den Kindergeldanteil für sein Existenzminimum braucht. Denn eine Regelung die das Existenzrecht einer Person in Frage stellen würde, wäre verfassungswidrig. Zu dieser Situation führt aber § 1612 b Abs. 5 BGB nicht.

Das Existenzminimum wird dem Unterhaltsschuldner im Unterhaltsrecht durch den notwendigen Selbstbehalt belassen, der derzeit nach den Bayerischen Leitlinien bei 1.640,00 DM beim Erwerbstätigen und bei 1.425,00 DM beim Nichterwerbstätigen liegt. Diese Beträge übersteigen das sozialhilferechtliche Existenzminimum. Der für seine Existenz notwendige Betrag bleibt dem Unterhaltsschuldner damit in jedem Fall. Durch den Einsatz seines Kindergeldanteiles wird daher das Existenzminimum des Antragsgegners nicht berührt.

Auch wird durch die Regelung des § 1612 b Abs. 5 BGB dem Antragsgegner sein Recht auf Umgang mit dem Kind und der damit verbundene Erziehungsauftrag nicht unmöglich gemacht. Ein Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 GG liegt damit nicht vor.

Zwar entstehen dem Antragsgegner Aufwendungen bei der Ausübung des Umgangs (z.B. Fahrtkosten). Dies führt grundsätzlich aber nicht dazu, daß sein notwendiger Selbstbehalt zu erhöhen ist. Denn die anfallenden Belastungen sind Kosten, die er im eigenen Interesse und im Interesse des Kindes selbst aufzubringen hat (BGH NJW 1995, 717, 718). Auch wenn der Bundesgerichtshof zur Deckung dieser Kosten den Unterhaltspflichtigen auf das Kindergeld verweist, auf das bei Anwendung des § 1612 b Abs. 5 BGB nicht zurückgegriffen werden kann, liegt insoweit kein Verfassungsverstoß vor. Denn, wenn die Opfergrenze unterschritten wird, kann aus Billigkeitsgesichtspunkten eine andere Regelung vorgenommen werden.

So weist der Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung darauf hin, daß der unterhaltsberechtigte Ehegatte nach Billigkeitsgesichtspunkten an den Umgangskosten durch Verminderung seines Unterhaltsanspruches beteiligt werden kann, wenn die Kostenbelastung für den Umgangsberechtigten schlechthin unzumutbar ist und dazu führt, daß dieser sein Umgangsrecht nicht oder nur noch in erheblich eingeschränktem Umfang ausüben könnte. Ein verfassungswidriges Ergebnis bei der Anwendung des § 1612 b Abs. 5 BGB kann daher im Einzelfall durch die Gerichte vermieden werden.

Zudem hält sich die Verschiebung der in Art. 6 GG enthaltenen Schutzzwecke, nämlich die Sicherung des Existenzminimums des Kindes einerseits und die finanzielle Sicherung des Unterhaltsschuldners zur Pflege der Eltern-Kind-Beziehung andererseits zugunsten des Kindeswohl noch im Bereich der Verhältnismäßigkeit (OLG Düsseldorf, FamRZ 2001, 1096, 1098).

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist auch nicht deshalb gegeben, weil der betreuende Elternteil seinen Kindergeldanteil behalten darf. Der betreuende Elternteil erbringt den Unterhalt in der Regel durch seine Betreuungsleistung (§ 1606 Abs.3 Satz 2 BGB). Damit erbringt er anders als der Barunterhaltspflichtige, der weniger als 135 % des Regelbetrages zahlt, seinen Teil zur Existenzsicherung des Kindes. Es ist daher sachlich gerechtfertigt, ihm seinen Kindergeldanteil zu belassen.

Der Senat vermag auch darin keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz festzustellen, weil im Unterhaltsrecht der finanzschwächere Elternteil stärker belastet wird als der einkommensstärkere. Nach der Regelung des § 1612 b Abs. 5 BGB haben Unterhaltsschuldner praktisch bis zur Einkommensgruppe 6 der Düsseldorfer Tabelle zur Unterhaltszahlung das Kindergeld ganz oder teilweise heranzuziehen, während Unterhaltsschuldner mit höherem Einkommen, den Kindergeldanteil voll behalten können. Diese unterhaltsrechtliche Regelung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Denn sie findet die Rechtfertigung darin, daß anders der Mindestunterhalt des Kindes nicht gewährleistet wäre. Damit liegt ein Spannungsverhältnis zum Recht des Kindes aus Art. 6 Abs. 1 GG vor. Die Lösung dieses Interessenkonfliktes zugunsten des Kindes erscheint nicht unverhältnismäßig.

Gleiches gilt, soweit innerhalb der Einkommensgruppen 1 bis 6 der Düsseldorfer Tabelle keine unterschiedliche Unterhaltslast gegeben ist, da bis zu dieser Einkommensgruppe immer 135 % des Regelbetrages geschuldet werden, soweit Leistungsfähigkeit besteht.

Diese unterhaltsrechtlichen Fragen sind streng von den steuerrechtlichen Fragen zu scheiden.

Unterhaltsrechtlich kann dahinstehen, ob die Nichtanrechnungsregelung des § 1612 b Abs. 5 BGB zu verfassungswidrigen Ergebnissen im Einkommenssteuerbereich führt. Die unterhaltsrechtliche Frage, die sich auf das Verhältnis unterhaltsberechtigtes Kind zum barunterhaltspflichtigen Elternteil bezieht, ist anders zu beurteilen als die steuerrechtliche Frage, die das Verhältnis des Unterhaltspflichtigen zum Staat betrifft (Grabha, NJW 2001, 249, 252).

Der Staat ist nach der Verfassung gehalten, den notwendigen Unterhaltsaufwand für Kinder von der Besteuerung auszunehmen (BVerfG, NJW 1999, 157). Dies erfolgt im Einkommenssteuerrecht zweispurig, einmal durch das Kindergeld und zum anderen durch den Kinderfreibetrag (§ 3l S. 1 EStG).

Ob die erforderliche steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes trotz des ganzen oder teilweisen Anrechnungsverbotes des Kindergeldes noch gegeben ist, wie B im Hinblick auf den Verrechnungsmodus des § 31 S. 5 EStG meint (FamRZ 2001, 1266) oder, ob dies nicht mehr der Fall ist, wie sich den Ausführungen von Sch entnehmen läßt (FamRZ 2000, 1542, 1543), kann dahinstehen. Denn verfassungswidrig wäre danach nicht § 1612 b Abs. 5 BGB, sondern die steuerrechtliche Freistellungsregelung.

Die steuerrechtlichen Bestimmungen sind jedoch für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites nicht erheblich, so daß eine Aussetzung des Verfahrens und Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG nicht veranlaßt ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Beschwerdewert ergibt sich aus § 17 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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