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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 04.07.2007
Aktenzeichen: 12 U 2273/05
Rechtsgebiete: CMR, EGBGB
Vorschriften:
CMR Art. 17 | |
CMR Art. 29 | |
CMR Art. 41 | |
EGBGB Art. 28 | |
EGBGB Art. 32 |
2. Bei den vom BGH entwickelten Regeln des Anscheinsbeweises für die Übergabe des Transportgutes bei gewerblichen Versendern, insbesondere bei Verwendung des sog. EDI-Verfahrens, sowie der sekundären Darlegungslast des Frachtführers zu den Umständen aus seinem Betriebsbereich bei ungeklärtem Schadenshergang handelt es sich nicht um materiellrechtliche Beweislastregeln. Sie sind deshalb auch dann als lex fori anwendbar, wenn ergänzend zur CMR fremdes Recht, hier das der Niederlande, auf den Frachtvertrag Anwendung findet.
3. Die Rechtsprechung des BGH zum Mitverschulden des Versenders bei unterlassener Wertdeklaration ist nur dann anwendbar, wenn ergänzend zur CMR deutsches Recht anwendbar ist.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL
In Sachen
Tenor:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 22.9.2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 98.367,55 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Transport von elektronischen Mikrobauteilen im November 2003 von der Firma ... in ... (Niederlande), zur Firma ... AG in ..., für dessen Durchführung die Beklagte von der Firma ... & ... beauftragt worden war.
Wegen des Sachvortrags der Parteien in erster Instanz und der von diesen dort gestellten Anträge nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (Seiten 3 bis 4), § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Ergänzend hat der Senat festgestellt:
Der Versandauftrag wurde im sog. "EDI-Verfahren" abgewickelt. Dabei gibt die Versenderin mittels einer speziellen von der Beklagten zur Verfügung gestellten Software die Versand- und Rechnungsdaten in ihre EDV ein und übermittelt diese Daten anschließend an die Beklagte. Bei der Übermittlung der Paket- und Rechnungsdaten vergibt deren Software automatisch eine Paketkontrollnummer für die Sendung. Anschließend kann die Versenderin das Versandlabel mit dem Barcode unmittelbar aus dem System ausdrucken und auf dem Paket anbringen. Ab diesem Zeitpunkt ist dieses im System der Beklagten erfasst.
Für die streitgegenständliche Sendung wurde unter dem 18.11.2003 eine sog. "Tracking-Number" "..." und eine sog. "Shipping-Record-Number" "..." vergeben (Anl. K 2). Auf Seite 2 rechts unten hat ein Fahrer der Beklagten unter der Rubrik "Received for ..." unterschrieben.
Die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, von deren Einbeziehung diese ausgeht (Anl. B 2) enthalten in Ziffer 3. (A) (ii) eine Klausel, wonach der Wert eines Paketes den Gegenwert von 50.000, US-Dollar in der jeweiligen Landeswährung nicht überschreiten darf. In Ziffer 3. (e) schließt die Beklagte die Haftung für Verluste von Paketen aus, die unter diesen Beförderungssausschluss fallen.
In Ziffer 9.2. beschränkt sie die Haftung im Falle der Anwendung niederländischen Rechts auf 3,40 EUR pro Kilogramm.
Unter 9.4. bietet die Beklagte eine Anhebung dieser Haftungsgrenze für den Fall der zutreffenden Wertdeklaration durch Zahlung eines Entgeltzuschlags auf diesen deklarierten Wert an, wobei in keinem Fall die in 3. (A) (ii) genannten Grenzen überschritten werden dürfen, was vom Versender garantiert wird.
Das Landgericht Regensburg hat mit Endurteil vom 22.9.2005 der Klage überwiegend stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 98.367,55 EUR nebst P % Zinsen aus 97.600,- EUR seit 4.12.03 und 5 % Zinsen aus 767,55 EUR seit 17.3.05 verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Es hat in den Gründen ausgeführt, dass sie durch Vorlage des Schreibens vom 10.6.2004 bewiesen habe, dass sie an ihre Versicherungsnehmerin, die Fa.- ..... .... 37.600,- EUR im Hinblick auf den Schadensfall vom 18.11.2003 bezahlt habe und insoweit Ansprüche der Firma ... & ... auf sie übergegangen sind.
Die Haftung der Beklagten ergebe sich aus den Artikeln 17, 29 CMR.
Die Überzeugung davon, dass das streitgegenständliche Transportgut von der Beklagten übernommen worden sei, beruhe auf dem mittels der Software der Beklagten ausgedruckten Frachtauftrags der Firma ... (Anlage K 2). Dort sei diese Sendung erfasst worden. Der Fahrer der Beklagten habe mit der Unterschrift auf der Anlage K 2 die Übernahme des Transportguts quittiert. Die in dieser Anlage K 2 aufgelisteten Waren seien in der Handelsrechnung (Anlage K 1) vom 18.11.2003 aufgeführt.
Hinsichtlich des Haftungsmaßstabs greife Art. 29 CMR ein, da die Beklagte der ihr obliegenden qualifizierten Darlegungslast zu den Umständen des Verlustes nicht nachgekommen sei. Deshalb sei auch Verjährung nicht eingetreten. Etwaigen Haftungsbeschränkungen stehe Art. 41 CMR entgegen.
Die geltend gemachten Recherchekosten in Höhe von 767,55 EUR seien nach § 430 HGB ersatzfähig, da ergänzend zur CMR deutsches Recht anwendbar sei.
Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.
Sie bestreitet, das streitgegenständliche Transportgut übernommen zu haben und hält die Anlage K 2 zum Beweis hierfür nicht geeignet. Ihr Fahrer habe lediglich Seite 2, die sog. Summary Section quittiert, nicht die erste, in der EDV-Anlage des Versenders generierte Seite der Anlage K 2.
Die Beklagte habe in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen wirksam einen Beförderungsausschluss für Pakete vereinbart, deren Wert 50.000,- EUR übersteigt. Wäre ihr der Wert bekannt gewesen, hätte sie das Paket nicht übernommen, mit der Folge, dass der streitgegenständliche Schaden nicht entstanden sei. Es liege keine Haftungsbeschränkung, sondern ein Beförderungsausschluss vor. Art. 41 CMR stehe dem berechtigten Anliegen des Transportunternehmers, besonders wertvolle oder diebstahlsanfällige Ware generell vom Transport auszuschließen, nicht entgegen.
Die Beklagte bestreitet weiterhin den Inhalt des streitgegenständlichen Pakets. Sie ist der Ansicht, dass der Anscheinsbeweis nach dem vom BGH entwickelten Grundsätzen daran scheitere, dass ein Lieferschein nicht vorliege.
Die Beklagte wendet weiter ein Mitverschulden wegen unterlassener Wertdeklaration ein.
Sie hält die Recherchekosten nicht für erstattungsfähig und ist der Auffassung, dass sie eine verschärfte Haftung nicht treffe, mit der Folge, dass der Anspruch verjährt sei.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Regensburg vom 22.9.2005 (AZ: 1 HKO 2685/04 (1)) die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil.
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Erholung eines Rechtsgutachtens zum Inhalt niederländischen Rechts. Insoweit wird auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. ... vom 26.02.2007 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Anspruch der Klägerin - die Aktivlegitimation der Klägerin wird von der Beklagten im Berufungsverfahren nicht mehr angegriffen, beruht auf den Art. 17, 29 CMR. Diese ist anwendbar, weil Vertragsgegenstand unstreitig der Transport von Gütern auf der Straße mittels Fahrzeugen war, bei dem der Ort der Übernahme des Guts in den Niederlanden und der für die Ablieferung vorgesehene Ort in der Bundesrepublik Deutschland, mithin in Vertragsstaaten der CMR lag. Ergänzend zur CMR ist, soweit diese Lücken aufweist, ist materielles niederländisches Recht anwendbar. Die Parteien haben keine Rechtswahl getroffen. Es hat insbesondere die Beklagte mit Schriftsatz vom 15.2.2006 es ausdrücklich abgelehnt, nachträglich die Geltung deutschen Rechts zu vereinbaren. Die Geltung niederländischen Rechts als Vertragsstatut folgt aus Art. 28 Abs. 4 EGBGB. Die Beklagte, der Transporteur, mit Sitz in den Niederlanden, hat die charakteristische Leistung zu erbringen, mit der Folge, dass widerleglich vermutet wird, dass der Sachverhalt die engste Verbindung zu dem Recht des Staats aufweist, in dem diese Partei Sitz hat. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts begründet der Umstand, dass die Beklagte auch über Niederlassungen in der Bundesrepublik Deutschland verfügt, keine engere Verbindung zum deutschen Recht.
Dies bedeutet, dass materielles niederländisches Recht sowohl zur Frage eines Mitverschuldens anwendbar ist, wie auch bezüglich der Erstattungsfähigkeit der geltend gemachten Recherchekosten. Das Prozessrecht hingegen bestimmt sich nach dem lex fori, dem Recht des Gerichtsorts, also deutschem Recht (BGH, NJW-RR, 1993, 130). Dies gilt insbesondere für den Grundsatz der freien Beweiswürdigung, § 286 ZPO. Deutsches Prozessrecht gilt auch für den prima facie Beweis (BGH, Urteil vom 4.10.84, I ZR 112/82) und der sekundären Darlegungslast des Transporteurs über die Einzelheiten der Durchführung des konkreten Transports.
1. Die Beklagte hat das streitgegenständliche Transportgut übernommen.
a. Hinsichtlich des Packstückes folgt dies daraus, dass die Bekagte es unterlassen hat, einen Abgleich der bei der Sicherungsnehmerin der Klägerin abgeholten Pakete und derauf diesen aufgeklebten Barcodes mit den übermittelten Daten vorzunehmen, die Richtigkeit der Versandliste unverzüglich zu überprüfen und etwaige Beanstandungen unverzüglich mitzuteilen. Unterbleibt eine unverzügliche Beanstandung, kann der Versender dies nach Sinn und Zweck des hier unstreitig angewendeten EDI-Verfahrens als Bestätigung der Versandliste ansehen. Diese erhält damit die Wirkung einer Empfangsbestätigung, welche eine widerlegliche Vermutung der Übernahme des Transportgutes begründet (BGH, Urteil vom 4.5.2005, I ZR 235/02; BGH, Urteil vom 20.7.2006,1 ZR 9/05).
b. Das übergebene Paket hat die von der Klägerin behaupteten Waren, elektronische Mikrobauteile im Wert von 102.600,- EUR enthalten.
Die Angaben auf der Handelsrechnung vom 18.11.2003 (Anlage K 1) und der von der Beklagten nicht beanstandeten Versandliste vom 18.11.2003 (Anlage K 2) legen die Vermutung nahe, dass die Versenderin die darin aufgeführten Waren tatsächlich der Beklagten übergeben hat. Dies folgt aus dem Umstand, dass es sich sowohl bei der Versenderin, als auch bei der Empfängerin der Waren um Gewerbetreibender handelt und im gewerblichen Bereich nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass an den gewerblichen Kunden exakt die bestellten und sodann berechneten Waren versandt wurden. Sofern die Güter wie hier - in verschlossenen Behältnissen zum Versand gebracht wurden, ist bei kaufmännischen Absendern prima facie anzunehmen, dass die im Lieferschein und Rechnung aufgeführte Ware tatsächlich zum Versand gelangt ist.
Es liegt zwar kein Lieferschein vor. Die Klägerin hat aber als Anlage K 8 die Packliste ihrer Versicherungsnehmerin vorgelegt. Dort ist als "Barcode" die Nummer "..." aufgeführt, die sich auf der Rechnung Anlage K 1 (Mitte) wiederfindet (Packed in).
Die Packliste Anlage K 8 enthält desweiteren eine "..." Nummer, nämlich "...". Diese Nummer findet sich auf der Anlage K 2 als "Reference ...".
Schließlich wird die auf der Anlage K 2 aufgeführte Tracking Number nach dem insoweit unbestrittenen Vortrag der Klägerin aus der Kundennummer der Versenderin "..." und der CMR Nummer "..." gebildet. Diese wiederum findet sich auch auf der Packliste Anlage K 8.
2. Die Beklagte haftet für den Verlust unbeschränkt, Art. 29 CMR. Der Vorwurf qualifizierten Verschuldens trifft entweder sie selbst oder ihre Leute. Sie hat zum Schadenseintritt in zeitlicher, räumlicher und personeller Hinsicht nichts vorzutragen vermocht. Wegen ihrer besonderen Sachnähe hätte jedoch die Beklagte Umstände darlegen und beweisen müssen, die gegen die Kausalität eines entsprechenden Sorgfaltsverstoßes bei der Behandlung des Transportguts sprachen (BGH, Urteil vom 15.12.2005, I ZR 95/03 m.w.N.).
3. Es kann dahinstehen, ob die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten Vertragsinhalt geworden sind, denn selbst wenn dies der Fall wäre, wären diese Klauseln unwirksam, Art. 41 CMR.
Nach Art. 41 Abs. 1 CMR ist jede Vereinbarung, die unmittelbar oder mittelbar von den Bestimmungen des Übereinkommens abweicht, nichtig und ohne Rechtswirkung.
Durch vertragliche Ausgestaltung kann somit auch der Haftungsmaßstab nicht herabgesetzt werden. Die CMR beschränkt insoweit die Vertragsfreiheit.
Die Regelungen in Ziffer 3 e und 9 der allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten haben - jedenfalls auch - das Ziel, die Haftung der Beklagten zu begrenzen. Damit wird jedenfalls mittelbar von den Bestimmungen der CMR, wonach der Transporteur im Fall leichtfertigen Handelns unbegrenzt für den Wert des Guts haftet, abgewichen.
4. Der von der Beklagten erhobene Einwand des Mitverschuldens durch unterlassene Wertdeklaration greift nicht durch.
Die Frage des Mitverschuldens ist eine Frage des materiellen Rechts und deshalb nach niederländischem Recht zu beurteilen. Zum Inhalt des niederländischen Rechts hat der Sachverständige Prof. ... in sich schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass das niederländische Recht zwar den Mitverschuldenseinwand generell kennt, dieser jedoch von der Rechtspraxis (jedenfalls bisher) bei unterlassener Wertdeklaration von Transportgut nicht angewendet wird. Auch die niederländische Transportrechtsliteratur fordere dies nicht. Es bestehe auch keine Deklarationsobliegenheit bezüglich des Warenwerts.
Das fremde Recht ist so anzuwenden ist, wie es der dortigen Rechtspraxis entspricht (BGH NJW 2003, 2685). Deshalb ist der Senat gehindert, rechtsfortbildend tätig zu werden und die zum deutschen Recht entwickelte Rechtsprechung des BGH zum Mitverschulden bei unterlassener Wertdeklaration auf das niederländische Transportrecht zu übertragen.
5. Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Recherchekosten ist nach niederländischem Recht begründet. Es handelt sich nach den Darlegungen des Sachverständigen Dr. ... um Folgeschäden, die nach Art. 6:96 Abs. 2 a und b NBW erstattungsfähig sind, wenn der Verlust, wie hier, wenigstens leichtfertig verschuldet worden ist.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat lässt die Revision nicht zu, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Die Frage, welche Bedeutung beim EDI-Verfahren die Unterschrift des Fahrers unter dem "Shipment Summary" hat, ist vom BGH entschieden Gleiches gilt für die Frage der Anwendbarkeit des prima facie Beweises im Bereich der CMR.
Bei der weiteren prozessentscheidenden Frage, der Berücksichtigung des Mitverschuldens bei unterlassener Wertdeklaration nach niederländischem Transportrecht, handelt es sich um eine Frage ausländischen Rechts, das einer Rechtsfortbildung durch deutsche Gerichte nicht zugänglich ist.
Ende der Entscheidung
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