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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 23.06.2005
Aktenzeichen: 13 U 1934/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 633 a.F.
BGB § 633 n.F.
1. Der Werkunternehmer schuldet im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen ein funktionstaugliches und zweckentsprechendes Werk. Zur Beantwortung der Frage, ob ein Mangel vorliegt, ist zunächst durch Vertragsauslegung das Leistungssoll zu ermitteln. Ergibt die Auslegung ein bestimmtes Vertragssoll, so ist das Werk mangelhaft, wenn die Sollbeschaffenheit nicht erreicht wird.

Für die Beurteilung, ob die Werkleistung hinter dem Leistungssoll zurückbleibt, sind auch neue, d.h. nach der Abnahme erlangte, Erkenntnisse maßgebend (hier: neue Fachregeln für das Dachdeckerhandwerk).

2. Es stellt einen Mangel dar, wenn beim Bau eines mehrgeschossigen Wohngebäudes mit Mansarddach auf Dachflächen mit einer Neigung von mehr als 65 Grad nicht jeder Ziegel einzeln befestigt wird.


Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES ENDURTEIL

13 U 1934/02

Verkündet am 23. Juni 2005

In Sachen

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Walther, die Richterin am Oberlandesgericht Walther und den Richter am Oberlandesgericht Hilzinger aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 02. Juni 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16.05.2002 abgeändert.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Wohnungseigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft D und L in F in ihrer Gesamtheit zu Händen des WEG-Verwalters, W 56.753,40 Euro Kostenvorschuß sowie Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 18.01.2002 zu bezahlen.

III. Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, die den Betrag von 56.753,40 Euro übersteigenden Kosten für die Beseitigung folgender von der Beklagten bei der Errichtung der Wohnanlage L in F verursachten Mängel am Gemeinschaftseigentum inclusive Abnahme durch einen Baufachmann zu tragen:

Fehlende Einzelbefestigung der Biberschwanzziegel an sämtlichen Dachflächen der Wohnanlage ... in F (Haus 3 und 4) mit Ausnahme der Dachfläche des Gebäudes L Westseite (Haus 3) und des nordseitigen Walmdaches des Längsbaues L.

IV. Hinsichtlich der fehlenden Einzelbefestigung der Ziegel in der Fläche des nordseitigen Walmdaches des Längshauses L wird die Klage abgewiesen.

V. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

VI. Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Den Streithelfern werden die durch die Nebenintervention verursachten Kosten auferlegt.

VII. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt vorbehalten, eine Vollstreckung durch die Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, falls nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Beschluß:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird -auch hinsichtlich der Streithelfer- auf 59.753,40 Euro festgesetzt.

A)

Die Parteien streiten um Vorschußansprüche hinsichtlich der Befestigung von Dachziegeln auf dem Dach der Wohnanlage L in F.

Die Kläger sind Eigentümer von Eigentumswohnungen in der oben genannten Wohnanlage. Die Beklagte erstellte bis 1995 als Bauträger diese Eigentumswohnanlage. Veräußert wurden die Wohnungen von der Beklagten ab 1993.

Die Dächer weisen eine sogenannte geknickte Dachform (Mansarddach) auf. Im unteren Teil sind sie steil und mit Biberschwanzziegeln gedeckt. Im oberen Teil sind sie abgeflacht und mit Betondachsteinen gedeckt.

Auf den Dachflächen mit Ausnahme des Westdachs des Gebäudes Nr. 37 (Haus 3) ist nur jeder fünfte bis sechste Biberschwanzziegel mittels einer Klammer befestigt.

Die Abnahme der gesamten Eigentumswohnanlage durch die Wohnungseigentümergemeinschaft erfolgte im Jahr 1995.

Die Kläger behaupten, daß die Dächer im unteren Bereich eine Dachneigung von mehr als 65 Grad aufweisen. Sie sind der Ansicht, daß die Biberschwanzziegel aufgrund der hohen Dachneigung einzeln hätten befestigt werden müssen. Da dies nicht geschehen sei, liege ein Mangel vor. Hinsichtlich des Daches Westfassade Haus 3 liege ein Mangel darin, daß zumindest die Randziegel nicht befestigt seien.

Die Beklagten wurden mit Fax vom 28.04.2000 unter Fristsetzung bis 05.05.2000 zur Beseitigung der Mängel aufgefordert. Eine Nachbesserung ist bis heute nicht erfolgt.

Die Kläger haben deshalb ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt (Landgericht Nürnberg-Fürth, Az.: 1 OH 7380/00). Dort hat der Sachverständige S zwei Gutachten erstellt am 22.12.00 und am 16.05.01. Wegen des Inhalts dieser Gutachten wird auf die Akten des selbständigen Beweisverfahrens Bezug genommen.

Die Kläger haben in erster Instanz behauptet, daß zur Mängelbeseitigung ein Betrag von 111.000,-- DM erforderlich sei.

Sie haben deshalb in. erster Instanz beantragt, die Beklagten zu einem Kostenvorschuß von 111.000,-- DM nebst Zinsen zu verurteilen und festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, die diesen Betrag übersteigenden Kosten für die Mängelbeseitigung am Gemeinschaftseigentum inclusive Abnahme durch einen Baufachmann ebenfalls zu tragen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Streithelfer zu 1) bis 3) haben sich diesem Antrag angeschlossen.

Die Beklagte hat die Aktivlegitimation der Eigentümergemeinschaft gerügt. Sie hat darüberhinaus die Ansicht vertreten, daß zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den Jahren 1994/ 1995 das Dach nach den damals anerkannten Regeln der Technik errichtet worden sei. Damals sei es für Dächer mit einer Dachneigung von über 65 Grad ausreichend gewesen, wenn nur jeder fünfte bis sechste Ziegel fixiert wurde. Eine Fixierung jedes einzelnen Ziegels sei nicht vorgeschrieben gewesen. Eine solche sei zwischen den Parteien auch nicht vereinbart worden. Neue Fachregeln, die eine Fixierung jedes einzelnen Ziegels vorschreiben, seien erst im September 1997 in Kraft getreten, und bei der Beurteilung, ob ein Mangel vorliege, nicht zu berücksichtigen. Im übrigen seien seit der Erstellung der Wohnanlage keine Ziegel heruntergefallen.

Die Beklagten tragen darüberhinaus vor, daß die vom Sachverständigen angesetzten Kosten für die Mängelbeseitigung bei weitem überzogen seien. Ein Betrag von 50,-- DM pro qm zuzüglich Gerüstkosten sei viel zu hoch. Die Arbeiten seien für 25,-- DM pro qm zu erbringen.

Schließlich vertreten sie die Ansicht, daß das Dach ... Haus 4 über der Westfassade vom Klageantrag nicht umfaßt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat durch Endurteil vom 16.05.2002 der Klage stattgegeben (Bl. 71 - 85 d.A.). Es hat in den Entscheidungsgründen die Voraussetzungen des § 633 Abs. 3 BGB bejaht. Insbesondere hat es unter Zugrundelegung der Gutachten des Sachverständigen S einen Mangel angenommen, wobei das Landgericht darauf abstellte, daß auch nachträglich erzielte neuere wissenschaftliche oder technische Erkenntnisse zu berücksichtigen seien. Der Mangel liege darin, daß bei Dachneigungen von über 65 Grad nicht jeder Ziegel einzeln befestigt worden sei und bei dem Dach mit der geringeren Dachneigung jedenfalls die Befestigung im Randbereich fehle.

Die Beklagte hat gegen das an ihre Prozeßvertreter am 22.05.2002 zugestellte Urteil am 20.06.2002 Berufung eingelegt und diese am 22.07.2002 begründet.

Die Streithelfer zu 2) und 3) haben am 28.06.2002 bzw. am 01.07.2002 ebenfalls Berufung eingelegt.

Die Beklagte verfolgt die Klageabweisung weiter und wiederholt und vertieft hierzu ihren Sachvortrag erster Instanz.

Sie rügt weiterhin die Aktivlegitimation der Kläger und bestreitet, daß das Dach Westseite ... vom Klageantrag umfaßt war. Die in der mündlichen Verhandlung vom 17.10.2002 insoweit erhobene Verjährungseinrede hat sie jedoch mit Schriftsatz vom 22.10.2002 fallengelassen.

Hinsichtlich der Mängel trägt sie vor, daß maßgeblicher Zeitpunkt für den Stand der Technik der der Abnahme sei. Im Zeitpunkt der Abnahme im Jahr 1995 habe das Dach jedoch den anerkannten Regeln der Technik entsprochen. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse seien nicht relevant. Wenn Ziegel abgerutscht seien, sei das auf abgebrochene Nasen und auf die Steilheit des Daches zurückzuführen.

Die Beklagte und ihre Streithelfer zu 2) und 3) beantragen:

I. Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16.05.2002 wird abgeändert:

II. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigen das Ersturteil und wiederholen und vertiefen ihren Sachvortrag erster Instanz. Sie gehen nach wie vor davon aus, daß das Dach mangelhaft sei.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Erholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) S und eines statischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. Ing. B. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen ... vom 16.06.2003 (Bl. 215/247 d.A.) und das Gutachten des Sachverständigen B vom 09.08.2004 (Bl. 302/330 d.A.) mit Ergänzung vom 26.03.2005 (Bl. 350/353 d.A.) verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 02.06.2005 haben die Kläger mit Zustimmung der Beklagten die Klage zurückgenommen, soweit die Befestigung von Ziegeln in den Rand- und Eckzonen der im Gutachten des Sachverständigen Dr.-Ing. B mit "D" und "G" bezeichneten Flächen betroffen ist.

B)

Die zulässige Berufung ist hinsichtlich des Zahlungsanspruchs unbegründet. Sie führt zu einer Abänderung des Urteils im Feststellungsausspruch unter Ziffer II., soweit die Kläger Befestigungsmaßnahmen hinsichtlich der Dachziegel auf dem nordseitigen Walmdach des Längshauses L und der Westseite der Dachfläche auf dem Gebäude L verlangen. Bezüglich der Rand- und Eckzonen dieser beiden Dachflächen haben die Kläger die Klage im Termin vom 02.06.2005 zurückgenommen, denn diese beiden Dachabschnitte entsprechen den im Gutachten des Sachverständigen Dr. Ing. B mit "D" und "G" bezeichneten Flächen. Soweit im übrigen eine Einzelbefestigung der Ziegel in der Fläche des nordseitigen Walmdaches am Längsbau des Gebäudes L verlangt wird, ist die Berufung hinsichtlich des Feststellungsausspruchs begründet.

Auf das Schuldverhältnis findet das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 Satz 1 BGBGB).

Die zulässigen Klagen sind überwiegend begründet.

I.

Die Kläger sind aktivlegitimiert.

Klagepartei ist nicht die WEG als solche; Kläger sind vielmehr ihre einzelnen Mitglieder gemäß dem von Klägerseite übergebenen Eigentümerverzeichnis vom 04.03.2002 (BayOblG NZM 2001, 956). Jeder Miteigentümer kann den Anspruch auf Vorschuß zur Mängelbeseitigung auch für Mängel außerhalb des räumlichen Bereichs seines Sondereigentums geltend machen; die Eigentümerversammlung hat außerdem am 18.03.2000 (K 15) die gerichtliche Durchsetzung der Gewährleistungsansprüche beschlossen (Palandt/Sprau, BGB, 61. Aufl., vor § 633 Rn. 30; Werner/Pastor, Der Bauprozeß, 10. Aufl., Rz. 478). Aus diesem Beschluß ergibt sich auch die Vollmacht des Verwalters zur Klageerhebung im Namen der beteiligten Miteigentümer (§ 27 Abs. 2 Nr. 5 WEG).

II.

Der Klageantrag umfaßt nach der teilweisen Klagerücknahme alle Dachflächen des Anwesens L mit Ausnahme der Westseite des Gebäudes L (Haus 3). Hinsichtlich der Einzelbefestigung der Biberschwanzziegel bezog er sich ursprünglich auf sämtliche Dachflächen des Anwesens L (Häuser 3 und 4) mit Ausnahme der Westseite des Gebäudes L (Haus 3), wo nur Befestigung in den Rand- und Eckzonen verlangt wurde. Dies haben die Kläger mit Schriftsatz vom 28.3.2002 und der beigefügten Planskizze (Bl. 52/53 d.A.) und vom 24.04.2002 (Bl. 67/69 d.A.) nochmals ausdrücklich klargestellt. Danach sind im Klageantrag II. 2. beide Innenhöfe erfaßt, so auch der westliche Innenhof des Hauses Nr. 4, ... mit dem darüber liegenden Dach. Die Klageanträge sind nur insoweit mißverständlich, als die Dachfläche Ostseite Haus Nr. 4 im Klageantrag II. 4. nochmals ausdrücklich genannt wird, obwohl sie bereits als dem Innenhof zugehörig vom Klageantrag II. 2. umfaßt ist.

III.

Den Klägern steht ein Kostenvorschußanspruch in Höhe von 56.753,40 Euro (= 111.000,-- DM) zu.

Dieser Anspruch ergibt sich aus § 633 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 BGB a.F. (Palandt/Sprau, a.a.O., 633 Rn. 9).

1. Die Ziegeldeckung des gesamten Dachs mit Ausnahme der Westseite des Hauses 3 ... und des nordseitigen Walmdaches des Hauses 4 ... ist fehlerhaft im Sinne des § 633 Abs. 1 BGB a.F., weil die Biberschwanzziegel nicht einzeln befestigt sind.

Nach § 633 Abs. 1 BGB a.F. darf ein Werk nicht mit Fehlern behaftet sein, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder zu dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern.

Die Leistung des Auftragnehmers ist nur vertragsgerecht, wenn sie die Beschaffenheit aufweist, die für den vertraglich vorausgesetzten oder gewöhnlichen Gebrauch erforderlich ist. Im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen schuldet der Auftragnehmer ein funktionstaugliches und zweckentsprechendes Werk. An dieser Erfolgshaftung ändert sich selbst dann nichts, wenn die Parteien eine bestimmte Ausführungsart vereinbart haben, mit der die geschuldete Funktionstauglichkeit des Werkes nicht erreicht werden kann. Ist die Funktionstauglichkeit für den vertraglich vorausgesetzten oder gewöhnlichen Gebrauch versprochen, und ist dieser Erfolg mit der vertraglich vereinbarten Ausführungsart nicht zu erreichen, schuldet der Auftragnehmer die vereinbarte Funktionstauglichkeit (BGH NJW-RR 2000, 465; NJW 1998, 3707/3708). Unabhängig davon schuldet der Auftragnehmer vorbehaltlich abweichender Vereinbarung die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik (BGH NJW 1998, 3707, 3708 = LM § 631 BGB Nr. 84 Bl. 2).

Welche Beschaffenheit des Werkes geschuldet ist, ist zunächst durch die Auslegung des Vertrags zu ermitteln. Ergibt die Auslegung, ein bestimmtes Vertragssoll, so ist unabhängig vom jeweiligen Stand der anerkannten Regeln der Technik die Werkleistung mangelhaft, wenn die Sollbeschaffenheit nicht erreicht wird. Lassen sich insoweit keine Feststellungen treffen, kommt es darauf an, ob das Werk so hergestellt ist, daß es nicht mit Fehlern behaftet ist, die die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen Gebrauch aufheben oder mindern. Dabei sind die anerkannten Regeln der Technik von erheblicher Bedeutung; denn der Besteller kann redlicherweise erwarten, daß das Werk zum Zeitpunkt der Fertigstellung und Abnahme diejenigen Qualitäts- und Komfortstandards erfüllt, die auch vergleichbare andere zeitgleich fertiggestellte und abgenommene Bauwerke erfüllen. Der Unternehmer sichert üblicherweise stillschweigend bei Vertragsschluß die Einhaltung dieses Standards zu. Es kommt deshalb insoweit im allgemeinen auf den Stand der anerkannten Regeln der Technik zur Zeit der Abnahme an (BGH NJW 1998, 2814 = LM § 633 BGB Nr. 105 Bl. 2).

Die Ermittlung und Festlegung des Vertragssolls muß jedoch zunächst und in erster Linie mittels der Vertragsauslegung erfolgen, wobei eine Beschaffenheit auch stillschweigend vereinbart sein kann. Genügt die Werkleistung nicht den so ermittelten Anforderungen, ist sie mangelhaft, auch wenn die anerkannten Regeln der Technik eingehalten wurden. Ausschlaggebend ist allein, daß der Leistungsmangel zwangsläufig den angestrebten Erfolg beeinträchtigt (BGH LM § 633 BGB Nr. 88 Bl. 2).

Insoweit, also bezüglich einer einen Werkmangel ergebenden Abweichung vom Vertragssoll, sind auch spätere Erkenntnisse der Bautechnik maßgebend. Anders als zur Bestimmung eines Leistungssolls sind für die Bewertung der Ordnungsmäßigkeit einer Werkleistung zum Zeitpunkt der Abnahme auch noch nachträglich erzielte neuere wissenschaftliche und/oder technische Erkenntnisse zu berücksichtigen (Werner-Pastor, Der Bauprozeß, 10. Aufl., Rn. 1467, 1468; OLG Köln NJW-RR 1991, 1077/1078); geht es doch dann "nur" darum, einen von Anfang an tatsächlich vorhandenen Fehler, also eine tatsächliche Abweichung vom Vertragssoll, gleichsam unter Einsatz neuer Erkenntnisse aufzuspüren und festzustellen.

Ergeben die anerkannten Regeln der Technik, daß das Werk zur Erreichung des vereinbarten Vertragssolls anders als tatsächlich geschehen hätte ausgeführt werden müssen, steht eine Abweichung und damit ein Fehler schon zum Zeitpunkt der Abnahme bereits fest, nämlich eine Schadensanfälligkeit und damit das Risiko einer Schadensverwirklichung, was für die Annahme eines Mangels genügt. Ein Verstoß gegen anerkannte Regeln der Technik führt nicht erst dann zur Mangelhaftigkeit der Werkleistung und zu Ansprüchen des Auftraggebers nach § 633 BGB, wenn ein Schaden bereits eingetreten ist. Jedenfalls wenn die Werkleistung das Risiko eines Schadens in sich birgt, muß der Auftraggeber angesichts des Verstoßes gegen die anerkannten Regeln der Technik den Schadenseintritt nicht abwarten; es liegt bereits ein Mangel vor (BGH NJW 1981, 2801; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, 146; Brandenburgisches OLG BauR 2004, 1313).

Die Übertragung dieser Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt folgendes:

a) Nach der vertraglichen Vereinbarung sollten die streitgegenständlichen Dächer gerade angesichts ihrer extremen Steilheit so beschaffen sein, daß jedes Risiko dahin ausgeschlossen ist, daß sich einzelne Ziegel irgendwann lockern, ihren Halt verlieren, herabrutschen und mit großer Wucht angesichts der Gebäudehöhe auf den Boden treffen. Gegenstand des Vertrages war die Errichtung von Wohngebäuden; Passanten auf dem Gehweg würden mit Sicherheit den Tod finden oder erheblich verletzt werden, wenn aus großer Höhe und mit großer Wucht ein scharfkantiger Dachziegel sie treffen würde. So wie nach den getroffenen Vereinbarungen ein für eine Lager- und Produktionshalle errichtetes Dach auch ohne besonderen Hinweis des Auftraggebers so dicht sein muß, daß es nach heftigem Regen nicht zu Wassereinbrüchen kommt (BGH LM § 13 (A) VOB/B 73 Nr. 22 = NJW-RR 2000, 465), und ein Mietshaus den geltenden Anforderungen für Schall- und Brandschutz entsprechen muß (BGH NJW 1998, 3707), müssen Ziegel auf einem (extremen) Steildach so befestigt sein, daß sie nicht herabfallen und große Schäden anrichten können, die Ersatzansprüche gegen die Wohnungseigentümer zur Folge hätten. Zu dem Interesse der Eigentümer an einer sicheren Benutzbarkeit der Gebäude und an der Vermeidung einer Haftung aus §§ 823, 836 BGB kommt hinzu, daß bei den Gebäuden eine Kontrolle auf abgerutschte Dachziegel und eine Befestigung oder ein Austausch solcher Ziegel mit erheblichem Aufwand verbunden sind: Ohne die auch kostenaufwändige Errichtung eines Gerüsts oder den Einsatz einer Hebebühne - der sich bei der Erstellung des Gutachtens vom 16.06.2003 durch den Sachverständigen S als schwierig erwiesen hat - ist beides nicht möglich.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen S weisen sämtliche Dächer mit Ausnahme des Westdaches L (Haus 3) und des nördlichen Walmdaches L, (Haus 4) Dachneigungen von über 65 Grad auf. Diese Feststellungen beruhen auf Messungen der Neigung an den einzelnen Dachflächen mit der Wasserwaage. Das Ergebnis der Messungen ist im Gutachten des Sachverständigen vom 16.06.2003 niedergelegt und wird von den Parteien nicht angegriffen. Der Senat folgt insoweit den Angaben des Sachverständigen.

Die Dachneigungen bewegen sich danach zwischen 72,4 Grad und 73,4 Grad. Die extreme Steilheit der Dächer läßt sich auch aus den vom Sachverständigen vorgelegten Lichtbildern erkennen.

b) Nach den "Fachregeln für Dachdeckungen mit Dachziegeln und Dachsteinen", Ausgabe September 1997 mit Änderungen Juli 2000, ist bei Dachneigungen von mehr als 65 Grad jeder Dachziegel/Dachstein zu befestigen. Die Fachregeln wurden vom Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks herausgegeben. Diese von einem zuständigen Berufsverband herausgegebenen Regeln für fachgerechtes Arbeiten gehen davon aus, daß die Sicherheit eines Daches mit über 65 Grad Dachneigung nur durch ein Befestigen aller Dachziegel erreicht wird. Daß in der früheren Ausgabe der Fachregeln aus dem Jahre 1984 keine entsprechende Festlegung enthalten war, ist unerheblich. Denn es geht darum, eine Abweichung der tatsächlichen Ausführung der Leistung vom Leistungssoll (funktionstaugliches, nämlich benutzungssicheres Dach) festzustellen und nicht darum, den Inhalt des Leistungssolls erst zu ermitteln. Wie oben bereits ausgeführt wurde, sind die anerkannten Regeln der Technik für die Feststellung des Leistungssolls nur dann heranzuziehen, wenn sich durch Auslegung des Vertrages nicht ermitteln läßt, welche Beschaffenheit des Werkes geschuldet ist.

Daß es sich um eine Regelung handelt, die die Sicherheit der Dachdeckung gewährleisten soll, und keine bloße Ordnungsvorschrift, zeigen der vorangehende Satz in Ziffer 1.4.1 (1) der Fachregeln ("Überschreitet der Windsog das Eigengewicht der Dachdeckung, sind Zusatzmaßnahmen zur Windsogsicherung erforderlich.") und das Gutachten des Sachverständigen B. Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, daß bei Zugrundelegung eines üblichen Reibungsbeiwertes für die Reibung zwischen Dachziegel und Holzlatten sowie eines üblichen Sicherheitsbeiwertes bei einer Dachneigung von mehr als 65 Grad die Sturmsicherheit der Dachdeckung ohne Zusatzmaßnahmen regelmäßig nicht gewährleistet ist, mit anderen Worten: daß bei der vorliegenden Dachneigung die Nichtbefestigung jedes einzelnen Ziegels das Risiko eines nicht auszuschließenden Schadenseintritts birgt. Der Sachverständige hat in seinem Ergänzungsgutachten vom 26.03.2005 erläutert, daß auch bei Verwendung der von der Streithelferin zu 2) angegebenen Werte für Soglast und Reibungsbeiwert sich das Ergebnis seines Gutachtens nicht ändert. Zwar handelt es sich bei den Berechnungen des Sachverständigen, wie dieser ausdrücklich angemerkt hat, nur um eine grobe Näherung, die nicht die individuellen Verhältnisse an den streitgegenständlichen Dächern wiedergibt. Entscheidend ist aber, daß sie belegen, daß bei fehlender Einzelbefestigung der Ziegel auf einem Dach mit mehr als 65 Grad Neigung grundsätzlich die Sturmsicherheit nicht gewährleistet ist, mithin das Risiko besteht, daß sich Dachziegel lösen und herabstürzen, daß mithin die in den Fachregeln enthaltene Bestimmung, ab einer Dachneigung von 65 Grad jeden einzelnen Ziegel zu befestigen, der Sicherheit der Dachdeckung dient. Steht ein Verstoß gegen anerkannte Regeln der Technik fest, genügt aber das Risiko eines Schadenseintritts für die Bejahung eines Mangels. Ein solcher Verstoß liegt in der fehlenden Einzelbefestigung der Ziegel trotz einer Dachneigung von über 65 Grad.

Da ein Mangel bereits im Verstoß gegen die der Sicherheit der Dachdeckung dienenden Fachregeln liegt und eine Schadensanfälligkeit für die Bejahung eines Mangels ausreicht, ist unerheblich, daß es noch nicht zum Herabfallen von Ziegeln gekommen ist. Darüberhinaus - und durch dieses Indiz wird das Vorliegen eines Mangels zusätzlich bestätigt - sind auch bereits bedrohliche Zustände festgestellt worden. So hat der Sachverständige S schon bei der ersten Ortsbesichtigung am 27.10.2000 an der Hofseite (Ostfassade) von Haus 35 einen abgerutschten Ziegel festgestellt (Bl. 11 des Gutachtens vom 22.12.2000; Lichtbild Nr. 11). Bei der zweiten Ortsbesichtigung am 11.04.2001 stellte der Sachverständige von der Straßenseite ... unter dem First zwei abgerutschte Biberschwanzziegel fest. Ein weiteres instabiles Bauteil lokalisierte der Sachverständige im Innenhof (Ostseite Gebäude Nr. 35). Nach der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 17.10.2002 wurde festgestellt, daß sich Ziegel auf einer Fläche von 1 qm aufgewölbt haben, zwei Ziegel abgerutscht sind und ein weiterer Ziegel sich abgelöst hat und heruntergefallen ist; diesen Vortrag der Kläger belegen die von ihnen mit Schriftsatz vom 18.11.2002 vorgelegten Lichtbilder.

Mit Schreiben vom 12.04.2000 wies außerdem die Stadt F die Hausverwaltung darauf hin, daß bei einer am 24.03.2000 durchgeführten Baukontrolle festgestellt wurde, daß zwei Ziegel der straßenseitigen Mansarddacheindeckung sich nicht mehr in ihrem ursprünglichen Zustand befanden und deshalb auf den öffentlichen Gehweg herabfallen könnten. Der Hausverwaltung wurde insoweit eine Frist zur Beseitigung gesetzt.

c) Nach alledem kommt der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht zur Überzeugung, daß die Nichtbefestigung jedes einzelnen Ziegels bei einer Dachneigung von mehr als 65 Grad einen Mangel darstellt und zwar unabhängig davon, daß die anerkannten Regeln der Technik im Jahr 1995 eine solche Einzelbefestigung noch nicht vorgeschrieben haben.

Dieser Mangel erstreckt sich auf alle Dachflächen der Gebäude L mit Ausnahme des nordseitigen Walmdaches an dem Längsbau L (Haus 4) und der Westseite des Daches des Hauses L (Haus 3). Denn an diesen beiden Dachflächen beträgt die Dachneigung nach den Messungen des Sachverständigen S weniger als 65 Grad. Soweit die Rand- und Eckzonen dieser beiden Dachflächen betroffen sind, haben die Kläger die Klage zurückgenommen. Nachdem aber im Klageantrag unter II. 3. die fehlende notwendige Einzelbefestigung aller Dachziegel an der Nordfassade des Längsbaus als Mangel geltend gemacht wird, und auch eine entsprechende Verurteilung durch das Landgericht erfolgt ist, ist das Urteil des Landgerichts in diesem Punkt abzuändern. Die Berufung hat insoweit Erfolg.

2. Ein Beseitigungsverlangen nach § 633 Abs. 2 BGB ist ebenso gegeben wie Verzug. Denn die Beklagte hat auf das Beseitigungsverlangen vom 28.04.2000 eine Mängelbeseitigung bis heute abgelehnt.

3. Den Vorschußanspruch hat das Landgericht zu Recht mit 111.000,-- DM (56.753,40 Euro) beziffert.

Der Anspruch auf Kostenvorschuß besteht hinsichtlich der voraussichtlichen oder mutmaßlichen Kosten für erforderliche Nachbesserungsmaßnahmen (Palandt/Sprau, a.a.O., § 633 Rn. 9).

An die Darlegungen zur Anspruchshöhe dürfen beim Vorschuß nicht gleich strenge Anforderungen gestellt werden wie bei den Kosten einer Ersatzvornahme. Diese müssen abschließend und im einzelnen genau vorgetragen und nachgewiesen werden. Ein Vorschuß dagegen kann, eben weil es sich nur um voraussichtliche Aufwendungen handelt, nicht in gleichem Maße genau begründet werden. Er ist auch keine abschließende, sondern nur eine vorläufige Zahlung, über die am Ende abgerechnet werden muß. Insbesondere braucht ein Auftraggeber Mängelbeseitigungskosten nicht etwa vorprozessual durch ein Sachverständigengutachten zu ermitteln. Es genügt, daß er die Kosten schätzt und bei Bestreiten ein Sachverständigengutachten anbietet (BGH NZBau 2001, 313, 314; BauR 99, 631, 632).

Die Höhe des Vorschusses hat der gerichtliche Sachverständige nachvollziehbar geschätzt. Weil erst an Ort und Stelle festgestellt werden kann, welche Ziegel im einzelnen nicht befestigt sind und deshalb befestigt werden müssen, bedarf es insoweit keiner weiteren Begutachtung, zumal der Vorschuß ohnehin abgerechnet werden muß.

Der Sachverständige führt aus, daß er aufgrund der Planunterlagen rechnerisch zu einer biberschwanzgedeckten Fläche von 753,74 qm komme, die ausführende Firma ... 662,40 qm abgerechnet habe. Er bildet deshalb aus beiden Werten einen Mittelwert und kommt so auf 708 qm. Davon zieht er 106 qm für das Dach Westseite L (Haus 3) ab, da insoweit die Dachneigung unter 65 Grad liegt. Er kommt somit auf ca. 600 qm nachzubessernder Ziegelfläche.

Der Sachverständige schätzt sodann die Ziegelarbeiten auf 50,-- DM pro qm.

Beim Gerüst geht der Sachverständige von ca. 2444 qm Gerüstfläche aus, wobei er insoweit 22,-- DM pro qm netto veranschlagt.

Diese Berechnung ist plausibel und nachvollziehbar. Sie ist deshalb der Vorschußzahlung zugrundezulegen. Der Betrag ist auch nicht deshalb zu korrigieren, weil den Klägern keine Gewährleistungsansprüche hinsichtlich der Westseite des Daches von Haus 3 und des nördlichen Walmdaches von Haus 4 zustehen. Die Westseite von Haus 3 ist im Vorschußbetrag des Sachverständigen nicht enthalten. Die Tatsache, daß bei der Dachfläche des nördlichen Walmdaches des Hauses 4 nach den Messungen des Sachverständigen zur Dachneigung keine zusätzlichen Befestigungsmaßnahmen durchzuführen sind, wirkt sich insoweit nach Ansicht des Senats nicht anspruchsmindernd aus. Zum einen handelt es sich um eine relativ geringe Dachfläche. Zum anderen handelt es sich bei dem Vorschußbetrag nach § 633 Abs. 3 BGB um einen geschätzten Betrag, der auf einer Prognose der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten beruht und abzurechnen ist. Der Wegfall der Teilfläche ist danach nicht so erheblich, daß er die Größenordnung der zu erwartenden Mängelbeseitigungskosten verschieben würde.

IV.

Auch der Feststellungsantrag ist - für die gleichen Flächen wie der Leistungsantrag - begründet, denn die Nachbesserungskosten sind noch nicht endgültig bezifferbar. Da im Urteil des Landgerichts unter Ziff. II.3. das nordseitige Walmdach des Hauses Nr. 4 (hinsichtlich dessen keine Ansprüche auf Befestigung jedes einzelnen Ziegels bestehen) und unter Ziff. II.3. und 5. die Rand- und Eckzonen der Westseite des Daches von Haus 3 sowie des nordseitigen Walmdaches des Hauses Nr. 4 (hinsichtlich deren die Klage zurückgenommen wurde) enthalten sind, war das Ersturteil in Ziffer II. abzuändern und zur Klarstellung neu zu fassen.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97, § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 269 Abs. 3, § 101 ZPO. Da die Verurteilung auf den Leistungsantrag im Umfang unverändert bleibt und der Feststellungsantrag nur einen geringen Bruchteil des Streitwerts ausmacht, ist die Zuvielforderung der Kläger nur geringfügig.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO liegen nicht vor.

VI.

Streitwert: Für die Festsetzung des Streitwertes wurde der Wert des Feststellungsantrages mit 3.000,-- Euro angenommen (§ 3 ZPO).

Ende der Entscheidung

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