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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 20.11.2007
Aktenzeichen: 2 St OLG Ss 133/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 24 Abs. 2
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
1. Die Rüge, mit der die Befangenheit wegen einer Aufforderung des Vorsitzenden der Berufungskammer zur Rücknahme des Rechtsmittels geltend gemacht wird, bei der dieser auf den Ablauf und das Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht abgehoben hatte, ist regelmäßig nur dann ordnunngsgemäß erhoben, wenn sie die wörtliche oder zumindest inhaltliche Wiedergabe der hierfür relevanten Teile der erstinstanzlichen Beweisaufnahme mitteilt.

2. Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist gerechtfertigt, wenn der Angeklagte auf Grund des ihm bekannten Sachverhalts bei verständiger Würdigung der Sache Grund zu der Annahme hat, der abgelehnte Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könne.

3. Ein Richter kann den Eindruck erwecken, er habe sich in der Schuld- und Straffrage bereits festgelegt, wenn er den Verteidiger der den Tatvorwurf bestreitenden Angeklagten beim Vorwurf des Betruges wegen der Gewährung von Leistungen nach dem BAföG zur Rücknahme der Berufung auffordert und in der übermittelten Verfügung mitteilt, "es können keine Zweifel bestehen, dass die Angeklagte bei Antragstellung von bestehendem Vermögen wusste, das wissentlich nicht angegeben wurde".


Oberlandesgericht Nürnberg BESCHLUSS

2 St OLG Ss 133/07 (Intern: 74/07)

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie der Richter am Oberlandesgericht ... und ...

in dem Strafverfahren

gegen

wegen

Betruges

am 20. November 2007

einstimmig beschlossen:

Tenor: I. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts ... vom 23. April 2007 aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts ... zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht ... hat die Angeklagte am 25.1.2007 wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt.

Die gegen dieses Urteil von der Angeklagten eingelegte Berufung hat das Landgericht ... mit Urteil vom 23.4.2007 verworfen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision rügt die Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 341 Abs.1 StPO) und in zulässiger Weise begründet (§§ 344, 345 StPO). Die erhobene Verfahrensrüge dringt durch.

1. Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben; wie die Beschwerdeführerin zutreffend geltend macht, war das gegen den Vorsitzenden gerichtete Ablehnungsgesuch begründet (§ 338 Nr. 3 StPO).

a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Aufgrund einer Verfügung des Vorsitzenden der Berufungskammer vom 28.2.2007 wurde bei dem Verteidiger der Angeklagten im Vorfeld der Berufungshauptverhandlung schriftlich nach dem mit dem Rechtsmittel verfolgten Ziel angefragt. In dieser Verfügung heißt es auszugsweise: "Anfrage bei Vert. nach Berufungsziel. Die rechtliche Wertung des AG ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nicht zu beanstanden. Es können keine Zweifel bestehen, dass die Angeklagte bei Antragstellung von bestehendem Vermögen wusste, das wissentlich nicht angegeben wurde. Auch die Strafzumessung ist nicht zu beanstanden. Bleibt Berufung aufrecht erhalten? Frist 2 Wo."

Die Angeklagte hat den Vorsitzenden mit Schriftsatz vom 19.3.2007 außerhalb der Hauptverhandlung wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass es der Vorsitzende, noch bevor die Hauptverhandlung überhaupt begonnen hatte, es - ausweislich der von ihm mitgeteilten richterlichen Verfügung vom 28.2.2007 - als feststehende Tatsache angesehen habe, sie habe bei Stellung ihres BAföG-Antrages von bestehendem Vermögen gewusst und dieses wissentlich verschwiegen. Wenn der Vorsitzende nicht einmal abwarte, bis der Verteidiger die Anfrage nach dem Berufungsziel beantwortet habe, bedürfe es der Durchführung des Rechtsmittels nicht mehr. Es bestehe daher der begründete Verdacht, dass der abgelehnte Richter voreingenommen gewesen sei.

Der Vorsitzende hat in seiner dienstlichen Erklärung vom 22.3.2007 mitgeteilt, der Hinweis habe sich "aufgrund der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme aufgedrängt, nachdem die Angeklagte selbst angegeben hatte, von dem bestehenden Vermögen gewusst und dennoch den unzutreffenden BAföG-Antrag unterschrieben zu haben".

Das Landgericht hat das Ablehnungsbegehren mit Beschluss vom 5.5.2007 als unbegründet zurückgewiesen. Die Angeklagte ist der Ansicht, dies sei zu Unrecht geschehen.

b) Die erhobene Rüge entspricht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO.

Will der Beschwerdeführer eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend machen, muss er die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau angeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (BGHSt 3, 213, 214; Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 344 Rn. 21; Kuckein in: KK-StPO 5. Aufl. § 344 Rn. 38).

Diesem Erfordernis wird der Sachvortrag der Beschwerdeführerin gerecht.

Die Entscheidung des Revisionsgerichts darüber, ob der aus dem Ablauf und dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht resultierende Vorwurf der Voreingenommenheit gegenüber dem Vorsitzenden der Berufungskammer inhaltlich berechtigt ist, setzt zwar grundsätzlich die wörtliche oder zumindest inhaltliche Wiedergabe der hierfür relevanten Teile der erstinstanzlichen Beweisaufnahme voraus (vgl. BGHSt 21, 334, 340; BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Befangenheitsrüge 1; Meyer-Goßner a.a.O. § 344 Rn.21).

An der Mitteilung des Sachinhalts des Protokolls der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts - Strafrichters - ... vom 2.2.2007 fehlt es hier. Dies ist aber ausnahmsweise unschädlich.

Die Voreingenommenheit des abgelehnten Vorsitzenden leitet die Angeklagte aus dessen Verfügung her, mit der nach dem Berufungsziel angefragt wurde. Diese Verfügung nimmt inhaltlich auf das Ergebnis der durch das Amtsgericht durchgeführten Beweisaufnahme Bezug ("... aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ..."). Da die Dienstliche Erklärung des Vorsitzenden ebenfalls hierauf Bezug nimmt ("Der vorliegende Hinweis hat sich aufgrund der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme aufgedrängt, ...) und die Revisionsbegründung diesen Umstand mitteilt, ist dieses Protokoll dem Revisionsgericht im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO als Erkenntnisquelle nicht verschlossen. Die Grundlage für die Würdigung des Einlassungsverhaltens der Angeklagten durch den abgelehnten Vorsitzenden kann damit vom Revisionsgericht überprüft werden.

Zudem steht dem Revisionsgericht das Urteil des Amtsgerichts vom 25.1.2007, in welchem die geschehene Beweisaufnahme dargelegt und gewürdigt wird, als weitere Erkenntnisquelle zur Verfügung.

c) Die Rüge ist auch begründet.

Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist nach § 24 Abs. 2 StPO gerechtfertigt, wenn der Angeklagte auf Grund des ihm bekannten Sachverhalts bei verständiger Würdigung der Sache Grund zu der Annahme hat, der abgelehnte Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könne. Maßstab für die Besorgnis der Befangenheit ist, ob der Richter den Eindruck erweckt, er habe sich in der Schuld- und Straffrage bereits festgelegt (BGHSt 21, 334, 340; BGH NJW 2006, 3290, 3295 Tz. 52).

Zwar ist anerkannt, dass das Gericht - auch mit Rücksicht auf das Kosteninteresse des Angeklagten - ihm mittels eines angemessen formulierten Ratschlags die Rücknahme eines Rechtsmittels nahe legen darf, sofern es dessen Durchführung nicht für aussichtsreich erachtet (vgl. Meyer-Goßner a.a.O. § 24 Rn. 18). Es äußert damit dann nur eine vorläufige Meinung, durch deren Kundgabe auch vom Standpunkt eines verständigen Angeklagten aus regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit begründet wird, da dieser davon ausgehen kann und im allgemeinen auch muss, dass ein Richter sich sein endgültiges Urteil unabhängig von einer früheren Stellungnahme allein aufgrund der Hauptverhandlung bilden wird (OLG Düsseldorf StV 2007, 232, 233 m.w.N.).

Anders liegt es aber dann, wenn das Gericht zum Ausdruck bringt oder auf andere Weise den Eindruck erweckt, bereits festgelegt zu sein, etwa einen nach Form und Inhalt unangemessenen Einschüchterungsversuch unternimmt, so dass ein besonnener Angeklagter die Befürchtung hegen muss, das Gericht werde sich nur unwillig und voreingenommen mit dem Rechtsmittel befassen (vgl. OLG Hamm StV 1998, 64; KG StV 1988, 98, 99).

Das ist hier der Fall.

Mit der in seiner Anfrage an den Verteidiger gewählten Formulierung hat der Vorsitzende zu erkennen gegeben, dass er sich über die Schuld der Angeklagten bereits eine abschließende Rechtsmeinung gebildet hat. Eine Auslegung dahin, die Formulierung stehe unter dem Vorbehalt eines anderen Ablaufs der Berufungshauptverhandlung - wofür die Betonung der vom "AG (...) durchgeführten Beweisaufnahme" sprechen könnte - liegt aus Sicht eines verständigen Angeklagten schon deshalb fern, weil sich der Vorsitzende im nächsten Satz ohne möglicherweise als relativierend zu verstehende Formulierungen abschließend festlegt ("Es können keine Zweifel bestehen, daß die Angeklagte bei Antragstellung von bestehendem Vermögen wußte, das wissentlich nicht angegeben wurde".). Darin liegt nicht die unverbindliche Äußerung einer (vorläufigen) Rechtsansicht, sondern eine Vorwegnahme des Ergebnisses der Beweisaufnahme und damit eine eigene rechtliche Bewertung, zumal sich die Angeklagte beim Amtsgericht nur dahingehend eingelassen hatte, dass das Vermögen ihrer Mutter zugeordnet gewesen sei.

2. Auf die sachlich-rechtlichen Beanstandungen kommt es damit nicht mehr an.

III.

Wegen des aufgezeigten Mangels (§ 337 StPO) wird das angefochtene Urteil auf die Revision der Angeklagten mit den Feststellungen aufgehoben (§ 353 StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts ... zurückverwiesen, die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird.

Die Entscheidung ergeht durch einstimmig gefassten Beschluss gemäß § 349 Abs. 4 StPO.

Ende der Entscheidung

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