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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 03.04.2007
Aktenzeichen: 2 St OLG Ss 318/06
Rechtsgebiete: StPO, GG


Vorschriften:

StPO § 354 Abs. 1 a Satz 1
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
Die Anwendung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO kommt aus Rechtsgründen dann nicht in Betracht, wenn sich bei der Aburteilung eines Verkehrsdelikts zu den vom Tatrichter als rechtsfolgenrelevant angesehenen Eintragungen des Angeklagten im Verkehrszentralregister keine tragfähigen Feststellungen im Urteil des Tatrichters finden.
Oberlandesgericht Nürnberg BESCHLUSS

2 St OLG Ss 318/06

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Seidl sowie der Richter am Oberlandesgericht Beck und Prof. Dr. Jahn

in dem Strafverfahren

gegen

wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

und

wegen vorsätzlichen Anordnen oder Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis

am 3. April 2007

einstimmig beschlossen:

Tenor:

I. 1. Die Revision der Angeklagten ... gegen das Urteil des Landgerichts R vom 16. Oktober 2006 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass es im Tenor des Urteils des Amtsgerichts R vom 18. Juli 2006, Ziffer 1, statt "17.05.2006" heißen muss: "09.05.2006".

2. Die Revisionsführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

II. Auf die Revision des Angeklagten ... wird das Urteil des Landgerichts R vom 16. Oktober 2006 im Rechtsfolgenausspruch - soweit dieser den Angeklagten ... betrifft - mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Mit aufgehoben wird der Kostenausspruch bezüglich des Angeklagten ... .

Seine weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts R zurückverwiesen.

Gründe:

I.

...

1. ...

2. Die Revision des Angeklagten ... hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

a) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch.

b) Rechtlich zu beanstanden ist jedoch der Rechtsfolgenausspruch.

aa) Das Landgericht hat die von ihm strafschärfend gewerteten Eintragungen des Angeklagten im Verkehrszentralregister im Urteil nicht mitgeteilt. Dem pauschalierenden Satz "Schärfend musste sich auswirken, dass sich im Verkehrszentralregister bereits Eintragungen befinden" (BU S. 19) lässt sich weder die Anzahl der Registereintragungen entnehmen, noch, welche Art von Zuwiderhandlung den Eintragungen gegebenenfalls (vgl. § 28 Abs. 3 StVG) zugrunde lagen und wie deren Schwere und ihre Folgen nach dem Punktsystem (§ 4 StVG) bewertet worden sind. Auch kann anhand der Urteilsurkunde nicht beurteilt werden, ob die in Bezug genommenen Eintragungen im Verkehrzentralregister im Zeitpunkt der Aburteilung nach Maßgabe der §§ 29 Abs. 8 StVG, 51 Abs. 1 BZRG überhaupt noch verwertet werden durften (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 46 Rn. 38, 39; Ebner in: Ferner, Handbuch Straßenverkehrsrecht 2. Aufl. § 43 Rn. 41 ff.).

Bereits aus diesem Grund kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.

bb) Ein Absehen von der teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils gemäß § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO kommt - entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 22.12.2006, Bl. 6. 7 - aus Rechtsgründen nicht in Betracht.

Zwar bestimmt die durch das Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz (Ju-MoG) vom 24.8.2004 (BGBl. I, S. 2198) mit Wirkung zum 1.9.2004 eingeführte Vorschrift ihrem Wortlaut nach, dass das Revisionsgericht "wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen" von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen kann, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Die Vorschrift ist im vorliegenden Fall jedoch nicht (analog) anwendbar. § 354 Abs.1a Satz 1 StPO setzt nämlich voraus, dass das Revisionsgericht auf Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere der nach § 46 StGB erheblichen Umstände, im Hinblick auf die verhängte Strafe eine eigene Bewertung der Angemessenheit vornehmen kann (vgl. BGHSt 49, 371/375; BGH NJW 2005, 1813; Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 354 Rn. 28; Maier/Paul, NStZ 2006, 82f.). Eine solche Angemessenheitsprüfung ist dem Senat in Anbetracht dessen, dass zu den Eintragungen des Angeklagten im Verkehrszentralregister keine tragfähigen Feststellungen durch das Tatgericht getroffen sind, nicht möglich. Etwas anderes wäre nur dann der Fall, wenn - was hier nicht zutrifft - die fragliche Einzelstrafe unter völliger Außerachtlassung der nicht ausreichend festgestellten Tatsachen in jedem Fall noch als angemessen bewertet werden könnte. Hiervon kann aber bereits deshalb nicht ausgegangen werden, weil die Vorbelastung des Angeklagten im Verkehrszentralregister möglicherweise Rückschlüsse auf eine (gegebenenfalls gleichgültige oder gar rechtsfeindliche) Gesinnung im Hinblick auf die Einhaltung der Vorschriften des Straßenverkehrsrechts zulässt, und dies bei der Strafzumessung für das vorliegend abzuurteilende Verkehrsdelikt von nicht nur untergeordneter Bedeutung wäre.

Würde das Revisionsgericht im Hinblick auf die hier ausgeworfene Einzelstrafe dennoch eine Angemessenheitsbewertung vornehmen und so außerhalb des von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO gesteckten Rahmens in die dem Tatrichter obliegende Rechtsfolgenbestimmung eingreifen, würde solches gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen (vgl. BVerfGE 2, 207; Maier/Paul a.a.O.). Das revisionsrechtlich zu überprüfende Urteil krankt in diesem Punkt nämlich nicht nur, wie im Gesetzeswortlaut ( § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO) vorgesehen, an einem Fehler bei "Zumessung der Rechtsfolgen" (zu der weiten Auslegung dieses Begriffs durch den BGH und den in diesem Zusammenhang höchstrichterlich anerkannten Fallgruppen: vgl. Jahn/Kudlich, NStZ 2006, 340 ff. sowie Maier/Paul a.a.O. ff.), sondern - der rechtlichen Bewertung vorgelagert - bereits daran, dass das Landgericht die für die Strafzumessung maßgeblichen Anknüpfungstatsachen nicht ausreichend festgestellt hat (- eine im Grundsatz gleichgelagerte Konstellation liegt der Entscheidung BGH StV 2005, 426 zugrunde; in dieselbe Richtung gehen die Erwägungen von Langrock, StraFo 2006, 226, 228; Maier/Paul, NStZ 2006, 82, 84 und Ventzke, NStZ 2005, 461 f.; a.A. für den, allerdings anders gelagerten, Fall unvollständiger Feststellungen im Hinblick auf den fakultativen Strafmilderungsgrund des § 31 Betäubungsmittelgesetz: OLG Celle StraFo 2005 76/77 m. abl. Anm. Junker -). Auf derart lückenhafte Anknüpfungstatsachen, wie in dem angefochtenen Urteil gegeben, lässt sich eine Angemessenheitsprüfung durch das Revisionsgericht (im Sinne des §§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO) nicht stützen.

cc) Der neue Tatrichter wird bei der Strafzumessung zudem zu berücksichtigen haben, dass die seitens des Landgerichts ebenfalls strafschärfend berücksichtigte Wertung, "dass der Angeklagte gerade im Hinblick auf die ihm bekannten einschlägigen Voreintragungen der Angeklagten besonders verpflichtet gewesen wäre, Vorsorge dafür zu treffen, dass seine Ehefrau sich nicht ans Steuer des Fahrzeuges setzt" (BU S. 19), tendenziell einen bereits durch den gesetzlichen Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG poenaiisierten Umstand aufgreift und damit - worüber hier jedoch nicht abschließend zu befinden ist - unter Umständen mit dem Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB in Konflikt gerät.

c) Auf die Revision des Angeklagten ist das Urteil des Landgerichts, soweit es den Angeklagten ... betrifft, deshalb im Rechtsfolgenausspruch mit den zuzuordnenden Feststellungen aufzuheben.

Die weitergehende Revision des Angeklagten ... ist als unbegründet zu verwerfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts R die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens des Angeklagten ... zu befinden haben wird, zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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