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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 14.04.2009
Aktenzeichen: 2 St OLG Ss 33/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 58 Abs. 1
StPO § 244
StPO § 397 Abs. 1 Satz 1
1. Es bleibt offen, ob § 58 Abs. 1 StPO eine bloße Ordnungsvorschrift ist. Revisibel ist jedenfalls nur ein Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsaufklärung gem. § 244 Abs. 2 StPO durch die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 58 Abs. 1 StPO.

2. Es spricht vieles dafür, dass es einer besonders vorsichtigen tatrichterlichen Beweiswürdigung von Zeugenaussagen des nach § 397 Abs. 1 Satz 1 StPO in der Hauptverhandlung anwesenheitsberechtigten Nebenklägers nur dann bedarf, wenn im Einzelfall konkrete Umstände dafür ersichtlich sind, dass die Angaben des Nebenklägers gerade wegen der ununterbrochenen Gegenwart in der Hauptverhandlung zur Wahrheitsfindung vollständig oder jedenfalls weitgehend unbrauchbar sein könnten.


Oberlandesgericht Nürnberg BESCHLUSS

2 St OLG Ss 33/09

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Kunz sowie der Richter am Oberlandesgericht Prof. Dr. Jahn und Sommerfeld

in dem Strafverfahren

gegen G R und G

wegen gefährlicher Körperverletzung

am 14. April 2009

einstimmig beschlossen:

Tenor:

I. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 10. November 2008 werden mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Tenor des Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth in Ziff. I.1 und 2 wie folgt neu gefasst wird:

"I. Die Berufungen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 06.02.2008 werden mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass

1. R G unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 19.12.2007, Az.: 43 Cs 453 Js 48955/07 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt wird und

2. R G unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bamberg vom 03.03.2008, Az.: 10 Ds 104 Js 19/08 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt wird.

Die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafen wird bei beiden Angeklagten zur Bewährung ausgesetzt."

II. Die Revisionsführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten R G am 6.2.2008 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten und den Angeklagten R G wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und beide Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt. Die gegen dieses Urteil eingelegten Berufungen der Angeklagten und die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Nürnberg-Fürth am 10.11.2008 mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte R G unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Amtsgericht Nürnberg vom 19.12.2007 (43 Cs 453 Js 48955/07) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt wird und der Angeklagte R G unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Amtsgericht Bamberg vom 3.3.2008 (10 Ds 104 Js 19/08) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt wird.

Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung materiellen Rechts; der Angeklagte R G beanstandet zudem das Verfahren.

II.

Die Rechtsmittel sind zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO). Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat jedoch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

1. Die von dem Angeklagten R G erhobene Rüge zeigt einen Mangel des Verfahrens nicht auf.

a) Der Angeklagte R G macht geltend, die Kammer habe gegen § 58 Abs. 1 StPO i.V.m. § 261 StPO dadurch verstoßen, dass sie in ihrer Beweiswürdigung nicht ausdrücklich auf den Umstand abstellt, dass der als Nebenkläger zugelassene Zeuge S während der Vernehmung beider Angeklagter und der Verlesung der Aussage des Zeugen O im Saal anwesend war. Der darin liegenden Einschränkung des Beweiswertes der Angaben des Zeugen S habe sich die Kammer aber bewusst sein müssen.

b) Unabhängig von der Frage, ob § 58 Abs. 1 StPO eine nicht-revisible, bloße Ordnungsvorschrift ist (krit. zur dogmatischen Kategorie Jahn, in: Gutachten C für den 67.

Deutschen Juristentag, 2008, S. C. 42 ff.), erkennt die Revision im Ausgangspunkt noch zu Recht, dass das Urteil auf einem Verstoß gegen diese Vorschrift regelmäßig nicht beruhen kann (§ 337 StPO). Revisibel ist allenfalls ein Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsaufklärung gem. § 244 Abs. 2 StPO durch die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 58 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, NJW 1987, 3088, 3090; Senge in: Karlsruher Kommentar 6. Aufl. § 58 Rn. 11).

aa) Insoweit fehlt es jedoch an einer Verfahrensrüge, die den Förmlichkeiten des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht. Nach jener Vorschrift muss der Beschwerdeführer, der eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend machen will, die den Mangel enthalten den Tatsachen angeben. Dies hat so vollständig und so genau zu geschehen, dass das Revisionsgericht allein auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen werden (stRspr., vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 344 Rn. 24 m.w.N.). Die Revision teilt aber nicht mit, welche konkreten Angaben der Zeuge S gemacht bzw. gerade nicht gemacht haben würde, wenn er während der Einlassungen der beiden Angeklagten und der Verlesung der Zeugenaussage des O nicht zugegen gewesen wäre. Das Vorbringen, die Kammer hätte sich "im Ergebnis zugunsten meines Mandanten entschieden", wenn sie sich des eingeschränkten Beweiswerts der Angaben des Zeugen S bewusst gewesen wäre, genügt nicht.

bb) Die Rüge wäre darüber hinaus auch unbegründet.

Zwar vermag die ermessensfehlerhafte Anwendung der Vorschrift des § 58 Abs. 1 StPO die Revision dann zu begründen, wenn zugleich gegen die Pflicht zur Wahrheitserforschung verstoßen worden wäre (BGH, NJW 1987, 3088, 3090; Senge in KK aaO. m.w.N.). Bei der Prüfung, ob eine derartige Fallgestaltung vorliegt, spielt aber der Umstand, daß es sich bei dem Zeugen, in dessen Gegenwart ein anderer Zeuge vernommen worden ist, um einen zugelassenen Nebenkläger handelte, die entscheidende Rolle. Er ist von der Bestimmung, dass Zeugen in Abwesenheit der später zu hörenden Zeugen zu vernehmen sind, nach der Systematik der gesetzlichen Regelung in § 397 Abs. 1 Satz 1 StPO ausdrücklich ausgenommen. Der zugelassene Nebenkläger ist also zur Anwesenheit auch dann uneingeschränkt berechtigt, wenn er als Zeuge vernommen werden soll (Meyer-Goßner StPO aaO. § 397 Rn. 2). Das Gesetz nimmt die deshalb denkbare Beschränkung der Wahrheitsermittlung aus übergeordneten Erwägungen der Beteiligung des Verletzten am Verfahren ausdrücklich in Kauf. Unter diesen Umständen spricht vieles dafür, dass es einer besonders vorsichtigen tatrichterlichen Beweiswürdigung nur dann bedarf, wenn im Einzelfall konkrete Umstände dafür ersichtlich sind, dass die Angaben des Nebenklägers gerade wegen der ununterbrochenen Gegenwart in der Hauptverhandlung zur Wahrheitsfindung vollständig oder jedenfalls weitgehend unbrauchbar sein könnten. In dieser Richtung ist jedoch vorliegend nichts vorgetragen noch sonstwie ersichtlich.

2. Das Urteil leidet auch nicht unter einem sachlich-rechtlichen Mangel.

Die vom Tatrichter getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch der Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und, soweit es den Angeklagten R G betrifft, Bedrohung.

a) Auch ein sachlich-rechtlicher Mangel des Urteils ist auf der Grundlage der unter II. 1. a. aufgezeigten Verfahrenstatsachen nicht dargetan.

Soweit die Revision darauf abstellt, ein solcher Darstellungsmangel liege in der fehlenden Berücksichtigung des eingeschränkten Beweiswertes der Angaben des Zeugen S in der Urteilsurkunde, gefährdet sie den Bestand des Urteils nicht. Eine mit den anerkannten Fallgruppen des sachlich-rechtlichen Urteilsmangels (vgl. Meyer-Goßner StPO aaO. § 58 Rn. 15) vergleichbare Konstellation liegt hier - worauf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hinweist - nicht vor.

b) Entgegen der Auffassung der Revision ist die Beweiswürdigung auch im Übrigen frei von Rechtsmängeln.

3. Auch der Rechtsfolgenausspruch ist bezüglich beider Angeklagter nicht zu beanstanden.

Ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot liegt nicht darin, dass die Kammer zu Lasten beider Angeklagter berücksichtigt hat, die Tat trage "als solche das Gepräge eines Rollkommandos (zwei Personen ergreifen eine andere vor einem Cafe und zerren diese mit sich weg)". Ersichtlich wollte sie damit nicht - was einen Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB begründen würde - erneut die gemeinschaftliche Begehungsweise i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafschärfend berücksichtigen, sondern allein besondere Umstände, die das Landgericht hier als Anzeichen für den Willen der Angeklagten in der Ausführung ihres gesetzwidrigen Tuns und ihre erhebliche kriminelle Energie wertet. Sie gehören nicht zum Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung, sondern kennzeichnen vielmehr Modalitäten der Tatausführung, die nach § 46 Abs. 2 StGB als Zumessungsgesichtspunkte namentlich in Betracht kommen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 3 Körperverletzung 1).

Im Übrigen hat sich die revisionsrichterliche Überprüfung der Strafzumessung am sachlichen Gehalt der Ausführungen des Tatgerichts, nicht an dessen möglicherweise missverständlichen Formulierungen zu orientieren (stRspr. des Senats, vgl. OLG Nürnberg, NJW 2007, 1767,1768).

III.

Die Revisionen sind daher als unbegründet zu verwerfen.

Bei der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB sind, im Unterschied zum Jugendstraf recht (§ 31 Abs. 2 JGG), wo frühere Urteile einbezogen werden, nach § 55 StGB rechtskräftige Strafen einzubeziehen (Fischer StGB, 56. Aufl. § 55 Rdn. 2). Der Tenor des Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 10.11.2008 war daher zu berichtigen wie geschehen.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, 2 StPO.

Ende der Entscheidung

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