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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 30.08.2006
Aktenzeichen: 2 St OLG Ss 94/06
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 267 Abs. 1
StPO § 261
1. Eine unechte Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB liegt auch nach einer fotografischen Reproduktion des Originals mittels Farbkopierer (hier: Kopie eines Privatrezeptes zum Zwecke der Vorlage in der Apotheke als Originalrezept) vor (im Anschluss an BayObLGSt 1988, 30).

2. Der Täter gebraucht die unechte Urkunde (§ 267 Abs. 1, 3. Alt. StGB), wenn er die Reproduktion im Rechtsverkehr verwendet und dabei den Anschein einer Originalurkunde erwecken will.

3. Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, wenn nicht alle aus dem Urteil ersichtlichen Umstände gewürdigt sind, die Schlüsse zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zulassen. Das Revisionsgericht ist auch dann nicht an die Überzeugung des Tatrichters gebunden, wenn sich die Schlussfolgerung so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind, die nicht mehr als einen - wenn auch schwerwiegenden Verdacht - begründen. Die Lückenhaftigkeit wie auch Letzteres stellen sachlich-rechtliche Mängel des Urteils dar.


Oberlandesgericht Nürnberg BESCHLUSS

2 St OLG Ss 94/06

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie der Richter am Oberlandesgericht ... und ...

in dem Strafverfahren

wegen Urkundenfälschung

am 30. August 2006

einstimmig beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts N vom 22. November 2005 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts N zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht N hat den Angeklagten am 21.11.2005 wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt.

Mit der (Sprung-)Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er begehrt die Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts N und beantragt Freispruch, hilfsweise Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht N.

II.

Die (Sprung -)Revision ist zulässig (§§ 312, 335 Abs. 1, 341, 344, 345 SPO) und hat bereits mit der Sachrüge insoweit (zumindest vorläufigen) Erfolg, als das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen ist.

1. Das Amtsgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

"Am 23.10.2004 gegen 17.55 Uhr legte der Angeklagte in der Apotheke am Hauptbahnhof in ... die Farbfotokopie eines Rezeptes des Arztes ... in ... ausgestellt auf einen ... in ... über zwölf Tabletten Viagra 100 vor, die eine kopierte Unterschrift des Rezeptausstellers enthielt, als Original erscheinen sollte und als solches vom Angeklagten auch an den Apothekenmitarbeiter ... übergeben wurde. Der Angeklagte beabsichtigte dabei, sich aufgrund der Vorlage des gefälschten Rezepts das Medikament aushändigen zu lassen. Der Angeklagte hatte das Rezept zuvor von einem Unbekannten in einer Gaststätte erhalten. Der Angeklagte nahm jedenfalls billigend in Kauf, dass das Rezept gefälscht war."

2. Zur Beweiswürdigung führt das Amtsgericht folgendes aus:

"Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der Einlassung des Angeklagten, soweit dieser gefolgt werden kann.

Der Angeklagte räumt ein, mit dem Rezept in die Apotheke gegangen zu sein und versucht zu haben, Viagra zu erhalten. Der Angeklagte erklärt weiter, er habe das Rezept von einem Unbekannten in einer Kneipe erhalten. Er habe dem Unbekannten dafür ein Bier ausgegeben. Er habe nicht gewusst, dass das Rezept falsch sei.

Aus den vom Angeklagten geschilderten Umständen ergibt sich für das Gericht eindeutig, dass der Angeklagte jedenfalls billigend in Kauf nahm, dass das Rezept nicht ordnungsgemäß ist. Der Angeklagte behauptet unwiderlegbar, er habe das Rezept von einem Unbekannten in einer Gaststätte erhalten. Aufgrund dieser Umstände war dem Angeklagten aber klar, dass das Rezept nicht ordnungsgemäß sein kann. Indem der Angeklagte das Rezept einlöste, beging der Angeklagte eine Urkundenfälschung, weil er den Anschein erwecken wollte, dass das Rezept ein Originalrezept ist, obwohl es sich um eine Farbkopie handelte.

Der Angeklagte ist daher wegen Urkundenfälschung zu verurteilen."

3. Zutreffend geht das Amtsgericht davon aus, dass das dem Angeklagten vorgeworfene Verhalten grundsätzlich dem Tatbestand des § 267 Abs. 1 StGB unterfallen kann, gleichgültig ob das vorgelegte Rezept lediglich "eine kopierte Unterschrift des Rezeptausstellers enthielt" (S.4 AU) oder ob es sich beim gesamten Rezept "um eine Farbkopie handelte" (S.5 AU). Zwar ist eine Fotokopie nach der Rechtsprechung (vgl. Tröndle / Fischer StGB 53. Aufl. § 267 Rn.12b m.w.N.) dann keine Urkunde, wenn sie nach außen als Reproduktion erscheint.

Anders zu beurteilen ist jedoch der Fall, wenn technische Hilfsmittel (Fotografien, Fotokopien) dazu verwendet werden, eine neue Originalurkunde herzustellen. Eine solche fertigt jemand auch dann an, wenn er mit der Reproduktion den Anschein einer Originalurkunde erwecken und sie als eine von dem angeblichen Aussteller herrührende Urschrift ausgeben will. Ein solcher Anschein besteht schon dann, wenn die Reproduktion einer Originalurkunde soweit ähnlich ist, dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht auszuschließen ist (BayObLGSt 1988, 30; Tröndle / Fischer a.a.O.). Denn dann täuscht das gefertigte Schriftstück, auch wenn es sich tatsächlich um eine Abbildung handelt, vor, es werde nicht nur wiedergegeben, was in einem anderen Schriftstück verkörpert ist, sondern es enthalte eine eigene Erklärung des angeblichen Ausstellers, für die dieser einstehen wolle. Auf welche Weise dabei der Täter beim Herstellen einer unechten Urkunde vorgeht, insbesondere ob er sich hierbei technischer Hilfsmittel bedient oder ob er nachzeichnet, kann keine Rolle spielen. Desgleichen ist die Qualität des Falsifikats unerheblich. Es kann nicht darauf ankommen, ob es bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte festgestellt werden können. Maßgebend sind die objektive Eignung zur Täuschung und der Wille, eine Urkunde herzustellen, die im Rechtsverkehr zum Zwecke der Täuschung als Originalurkunde Gebrauch finden soll.

4. Das Urteil des Amtsgerichts ist jedoch mit den Feststellungen aufzuheben, weil die Beweiswürdigung Rechtsfehler aufweist:

a) Auf die Sachrüge hin unterliegt die Beweiswürdigung des Tatrichters einer - eingeschränkten - Prüfung des Revisionsgerichts. Die Beweiswürdigung muss die Tatsachenfeststellungen für das Revisionsgericht insgesamt nachvollziehbar machen. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere, wenn sie in sich Widerspruchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt. Widersprüche und Unklarheiten stehen einer Nachprüfung der Beweiswürdigung durch das Revisionsgericht entgegen und stellen daher einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils dar. Die rechtliche Prüfung ist auch nicht möglich, wenn die Beweiswürdigung Lücken aufweist, insbesondere, wenn nicht alle aus dem Urteil ersichtlichen Umstände gewürdigt sind, die Schlüsse zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zulassen. Daher ist es auch rechtsfehlerhaft, wenn der Tatrichter, obwohl der von ihm angenommene Sachverhalt dazu drängt, eine nahe liegende Möglichkeit des Tathergangs, auch der inneren Tatseite, außer Betracht lässt. Auch ein Verstoß gegen die Denkgesetze, etwa wenn der Tatrichter eine nur mögliche Schlussfolgerung irrtümlich als zwingend ansieht, stellt einen sachlich-rechtlichen Fehler dar (vgl. zum Ganzen: Meyer - Goßner StPO 49. Aufl. § 337 Rn.26 ff m.w.N.).

b) Derartige Fehler der Beweiswürdigung sind dem Amtsgericht unterlaufen.

Das Amtsgericht schließt alleine aus den vom Angeklagten geschilderten Umständen der Rezeptübergabe in einer Gaststätte, dass er "jedenfalls billigend in Kauf nahm", bzw., dass ihm "klar" war, dass das Rezept "nicht ordnungsgemäß sein kann". Eine tragfähige Begründung für diese Annahme, die für das Revisionsgericht diese Schlussfolgerung nachvollziehbar macht, liefert das Amtsgericht indes nicht. Insbesondere beschränken sich die Urteilsgründe darauf, das "gefälschte Rezept" als "Farbkopie" zu beschreiben, ohne die Qualität dieser Farbkopie und damit deren Erkennbarkeit auch für den Angeklagten näher darzulegen.

Das Urteil setzt sich daher auch nicht mit der nahe liegenden Möglichkeit auseinander, dass der Angeklagte das Rezept wegen seines äußeren Aussehens für ein "Originalrezept" gehalten haben könnte. Alleine der Umstand, dass das Rezept von einem Zechkumpan in einer Gaststätte übergeben wurde, trägt die Schlussfolgerung nicht, der Angeklagten müsse die Fälschung des Rezeptes zumindest billigend in Kauf genommen haben.

Allerdings ist die Auffassung des Amtsgerichts, für den Angeklagten sei klar gewesen, dass das Rezept "nicht ordnungsgemäß" ist, durchaus nachvollziehbar. Diese dem Angeklagten zugeschriebene "Wertung in der Laienssphäre" lässt aber nicht den alleinigen Schluss auf eine Rezeptfälschung zu; denn auch die Übertragung eines Originalrezeptes an den Angeklagten, für den das Rezept nicht ausgestellt war, damit dieser die verschriebenen Arzneimittel für sich bezieht, rechtfertigt ohne weiteres die Einschätzung, dass das Rezept "nicht ordnungsgemäß" war.

Zwar ist das Revisionsgericht in der Regel an die Überzeugung des Tatrichters vom Tatgeschehen gebunden, auch soweit es sich um nur mögliche Schlussfolgerungen tatsächlicher Art handelt. Das kann ausnahmsweise aber dann nicht gelten, wenn sich die Schlussfolgerungen so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind, die nicht mehr als einen - wenn auch schwerwiegenden - Verdacht begründen (BGH NStZ 1981, 33). So liegt der Fall nach dem Inhalt des angefochtenen Urteils hier. Es enthält als sicheren Tatsachenkern nur die oben angeführten Feststellungen über die Umstände der Übergabe eines gefälschten Rezeptes und lässt befürchten, dass die daran anknüpfende tatrichterliche Überzeugung hinsichtlich der subjektiven Tatseite nicht hinreichend fundiert ist (vgl. Meyer-Goßner a.a.O. § 261 Rn.38).

III.

Wegen der aufgezeigten Mängel (§ 337 StPO) wird das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufgehoben (§ 353 StPO). Die weitergehende Revision des Angeklagten ist als unbegründet zu verwerfen.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts N zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO); dort wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden sein.

Ende der Entscheidung

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