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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 04.01.2006
Aktenzeichen: 2 Ws 343/05
Rechtsgebiete: StPO, StrEG
Vorschriften:
StPO § 275 a Abs. 5 | |
StrEG § 2 Abs. 2 Nr. 1 |
Aktenzeichen: 2 Ws 343/05
In dem Verfahren wegen nachträglicher Sicherungsverwahrung
wegen Mordes;
hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Anordnung einer Entschädigung für die Unterbringung aufgrund eines Unterbringungsbefehls
erlässt der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden
Beschluss:
Tenor:
I. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Regensburg gegen Ziffer 2 des Urteils des Landgerichts Regensburg vom 19.09.2005 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe:
I.
Das Landgericht Regensburg verurteilte ... 08.03.1991, rechtskräftig seit 06.08.1991, wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren. Nach den Feststellungen des Landgerichts überschüttete ... am 19.06.1990 seine frühere Freundin, als diese die Wohnung einer Bekannten verlassen hatte und in ihr Auto einsteigen wollte, mit Benzin und zündete das Benzin mit einem Feuerzeug an. Das Opfer starb am 27.06.1990 trotz intensiver ärztlicher Behandlung an den Folgen der Brandverletzungen, die schwerste Schmerzen verursacht haben, infolge Lungen- und Kreislaufversagens.
Das Schwurgericht ging von den Mordmerkmalen "heimtükischheimtückisch" und "grausam" und einer Tatbegehung aus "niedrigen Beweggründen" aus. Es kam, gestützt auf das psychiatrische Sachverständigengutachten, zu dem Ergebnis, dass bei ... zur Tatzeit aufgrund einer als mittelschwer zu bezeichnenden depressiven Reaktionslage, die bei ihm zu einer Bewusstseinseinengung geführt habe, die Steuerungsfähigkeit wegen einer anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich eingeschränkt gewesen sei.
Die Anordnung der Unterbringung gem. § 63 StGB wurde mit der Begründung abgelehnt, dass bei ... derzeit ein krankhafter Zustand nicht mehr vorliege, eine Wiederholung nicht zu erwarten und er daher nicht mehr als gefährlich anzusehen sei. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 08.03.1991 Bezug genommen.
Der Verurteilte hat die verhängte Freiheitsstrafe von 15 Jahren mit Ablauf des 19.06.2005 vollständig verbüßt.
Mit Antrag vom 04.03.2005 beantragte die Staatsanwaltschaft Regensburg, gegen den Verurteilten gem. § 66 b Abs. 2 StGB die nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen. Außerdem wurde vorsorglich gem. § 275 a Abs. 5 StPO beantragt, gegen den Verurteilten einen Unterbringungsbefehl zu erlassen.
Mit Beschluss des Schwurgerichts des Landgerichts Regensburg vom 14.04.2005 wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 04.03.2005 auf Erlass eines Unterbringungsbefehls abgelehnt. Mit weiterem Beschluss vom gleichen Tag ordnete das Schwurgericht die Erholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen und Prof. Dr. ... an, zu der Frage, ob nach der Verurteilung des ... Tatsachen erkennbar geworden sind, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, und ob die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzuges ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss vom 14.04.2005 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg mit Beschluss vom 10.06.2005 den Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 14.04.2005 aufgehoben und gegen den Verurteilten die einstweilige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
Mit Urteil des Schwurgerichts des Landgerichts Regensburg vom 19.09.2005 wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 04.03.2005 auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten abgelehnt. Mit In Ziffer 2 dieses Urteils ordnete das Landgericht Regensburg an, den Verurteilten für die in der Zeit vom 20.06.2005 - 19.09.2005 erlittene "Haft" zu entschädigen. Das Landgericht stützte seine Entscheidung bezüglich der Ablehnung der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung vor allem auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. ... und des Sachverständigen Landgerichtsarzt ..., wonach beim Verurteilten zwar eine akzentuierte Persönlichkeit vorliege, mit folgenden Zügen: Egozentrizietät mit beharrlichem Festhalten an den eigenen Auffassungen und Verhaltensweisen bis an den Rand des Zwanghaften, Selbstgerechtigkeit mit Tendenz zu kritischer Überhöhung der eigenen Position, Introvertiertheit und eine nach feindseliger Ablehnung, die bis hin zu paranoid und fanatisch anmutenden Verfassungen reichen könne. Diese Persönlichkeitseigenschaften seien während der Haft stärker hervorgetreten. Aus dem schwierigen Vollzugsverhalten des Verurteilten könne jedoch keine negative Prognose im Sinne eines Hinweises auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit abgeleitet werden. Die Kammer ist daher davon ausgegangen, dass sich Tatsachen der in § 66 b Abs. 1 StGB genannten Art nicht feststellen ließen und hat daher den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt. Der Verurteilte sei nach § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StrEG zu entschädigen, da unter den Begriff der einstweiligen Unterbringung in dieser Vorschrift auch die vorläufige Inhaftierung aufgrund eines nach § 275 a Abs. 5 StPO erlassenen Unterbringungsbefehls falle. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf das Urteil vom 19.09.2005 Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Regensburg mit Schreiben vom 19.09.2005 beschränkt auf die Entscheidung über die Entschädigungspflicht der Staatskasse für die erlittene vorläufige Unterbringung des Verurteilten soforrtige Beschwerde ein, die bei Landgericht Regensburg am 20.09.2005 einging. Die sofortige Beschwerde wurde mit Schriftsatz vom 11.11.2005 begründet. In der Begründung führt die Staatsanwaltschaft Regensburg im Wesentlichen aus, bei der Unterbringung nach § 275 a Abs. 5 StPO handele es sich um keine Strafverfolgungsmaßnahme, sie könne auch nicht der vorläufigen Unterbringung gem. § 126 a StPO gleichgestellt werden. Selbst wenn man § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrEG für anwendbar erachte, hätte eine Entschädigung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG versagt werden müssen. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung werde bei einem Verfahren gegen Schuldunfähige eine Entschädigung für eine einstweilige Unterbringung dann abgelehnt, wenn eine Unterbringung nach § 63 StGB nicht angeordnet worden ist, weil die weiter von diesem Beschuldigten zu erwartenden rechtswidrigen Taten nicht erheblich waren oder von ihm keine Gefährdung für die Allgemeinheit ausgegangen ist. Dies sei auf den vorliegenden Fall übertragbar, da hier eine erhebliche Gefährdung der Allgemeinheit durch den Verurteilten nicht festgestellt werden konnte und deshalb die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden sei. Im Übrigen sei eine Entschädigung nach § 5 Abs. 2 StrEG ausgeschlossen, da der Verurteilte durch sein eigenes Verhalten gegenüber Teilen des Personals der JVA ... zumindest grob fahrlässig ein entsprechendes Verfahren auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung mitveranlasst habe. Auf die weitere Begründung wird Bezug genommen.
Der Verteidiger des Verurteilten hatte Gelegenheit, zur sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stellung zu nehmen.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde (§ 8 Abs. 3 S. 1 StrEG, §§ 306, 311 Abs. 2 StPO) ist nicht begründet.
Der Senat teilt die Auffassung des Schwurgerichts, dass unter den Begriff der einstweiligen Unterbringung nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrEG auch die vorläufige Inhaftierung aufgrund eines nach § 275 a Abs. 5 StPO erlassenen Unterbringungsbefehls fällt.
Der Unterbringungsbefehl nach § 275 a Abs. 5 StPO stellt eine einstweilige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung dar und ist somit nach dem Wortlaut der Vorschrift eine einstweilige Unterbringung im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrEG.
Für diese Auslegung spricht auch der Zweck der Regelung. Durch den Unterbringungsbefehl nach § 275 a Abs. 5 StPO wird vermieden, dass ein Verurteilter aus der Strafhaft oder aus dem psychiatrischen Krankenhaus entlassen werden muss und dadurch möglicherweise weitere Straftaten begeht, durch die die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden (vgl. Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 275 a Rn. 16).
Auch die einstweilige Unterbringung nach § 126 a StPO dient dem Schutz der Allgemeinheit vor gemeingefährlichen Rechtsbrechern und soll die Vorwegnahme der Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB ermöglichen (vgl. Meyer-Goßner a.a.O. § 126 a Rn. 1).
Die einstweilige Unterbringung wird in § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrEG als andere Strafverfolgungsmaßnahme angeführt.
Gegen diese Auslegung spricht nicht, dass der Erlass eines Unterbringungsbefehls gemäß § 275 a Abs. 5 StPO nicht der Strafverfolgung dient, sondern ausschließlich präventiven Charakter hat. Auch die einstweilige Unterbringung nach § 126 a StPO, die § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrEG in erster Linie meint, ist eine Präventivmaßnahme zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und hat deshalb in § 2 Abs. 2 StrEG Aufnahme gefunden, weil diese Art der Freiheitsentziehung in der Wirkung der Untersuchungshaft gleichkommt, wenn sie auch auf anderen rechtlichen Gesichtspunkten beruht (vgl. Schätzler/Kunz StrEG 3. Aufl. § 2 Rn. 43). Dafür spricht auch, dass § 275 a Abs. 5 S. 4 StPO eine dem § 126 a Abs. 2 StPO vergleichbare Regelung enthält und § 126 a Abs. 3 StPO in § 275 a Abs. 5 S. 4 StPO für entsprechend anwendbar erklärt wurde.
Die Entschädigung war auch nicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG zu versagen, weil die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung mangels einer erheblichen Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit unterblieben ist. Die von der Staatsanwaltschaft angeführte obergerichtliche Rechtsprechung, wonach eine Entschädigung nach dieser Vorschrift auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus deshalb nicht angeordnet wurde, weil keine weiteren erheblichen rechtswidrigen Taten zu erwarten waren, lässt sich auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragen. Die Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG setzt voraus, dass der Beschuldigte ohne diese Gründe verurteilt worden wäre. Insoweit bedarf es sicherer Feststellungen zum Schuldspruch (vgl. Schätzler/Kunz a.a.O. § 6 Rn. 23). Grund für die Versagung der Entschädigung ist also, dass der Beschuldigte eine rechtswidrige Tat begangen hat und nicht verurteilt werden kann, weil Schuldunfähigkeit oder ein Verfahrenshindernis vorlag oder eine Unterbringung nach § 63 StGB deshalb nicht angeordnet werden konnte, da keine weiteren erheblichen rechtswidrigen Taten zu erwarten sind. In all diesen Fällen hat der Beschuldigte eine rechtswidrige Tat begangen, wobei eine Verurteilung aus bestimmten, dargelegten Gründen nicht möglich ist.
Im vorliegenden Fall hat der Verurteilte die Strafe, die für die von ihm begangene Tat verhängt worden war, jedoch vollständig verbüßt und die vorläufige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erfolgte deshalb, weil nach Auffassung des Gerichts dringende Gründe für die Annahme der Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung vorlagen.
Die Entschädigung ist auch nicht nach § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG ausgeschlossen, da der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme weder vorsätzlich, noch grob fahrlässig verursacht hat. Der Strafrichter muss bei der Ausfüllung dieser Begriffe die zivilrechtlichen Maßstäbe zugrunde legen. Von grober Fahrlässigkeit ist daher nur dann auszugehen, wenn die Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich großem Maße verletzt wurde, indem schon einfachste, naheliegende Überlegungen anzustellen versäumt wurden oder dasjenige unbeachtet blieb, was im gegebenen Fall jedem einleuchten würde (vgl. Schätzler/Kunz a.a.O. § 5 Rn. 64, 70). Es kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass der Verurteilte durch sein eigenes Verhalten gegenüber Teilen des Personals der JVA ... nämlich nach den Feststellungen des Urteils wenig kooperationswilliges, eigenbrötlerisches, leicht gereiztes und kontaktscheues Verhalten, die vorläufige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung grob fahrlässig herbeigeführt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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