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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 29.08.2008
Aktenzeichen: 3 U 1274/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 241
BGB § 280
BGB § 823 Abs. 1
Zu den Verkehrssicherungspflichten eines Landwirts, der "Ferien auf dem Bauernhof anbietet.
Oberlandesgericht Nürnberg IM NAMEN DES VOLKES

Az.: 3 U 1274/08

Verkündet am 29.08.2008

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz

erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg -3. Zivilsenat- durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Seidel, die Richterin am Oberlandesgericht Junker-Knauerhase und die Richterin am Oberlandesgericht Scheib auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2008 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 29. Mai 2008, Az. 6 O 419/08 wird abgeändert.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.873 € sowie weitere 546,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.02.2008 zu bezahlen.

III. Der Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten daraus seit 28.02.2008 zu bezahlen.

IV. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftigen Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 2/3 ( zu Lasten der Klägerin) zu ersetzen, die dieser aus dem Schadensereignis vom 6.9.2007 noch entstehen, soweit die Ansprüche auf Ersatz dieser Schäden nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen, sowie sämtliche künftigen immateriellen Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverursachungsanteils von 2/3.

V. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen; die Klage bleibt insoweit abgewiesen.

VI. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die die Klägerin 77 % und der Beklagte 23 %.

VII. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 22.909,28 € festgesetzt (10.409,28 € materieller Schadensersatzanspruch, 7.500 € für den nach Klagevortrag angemessenen Schmerzensgeldanspruch, 2.500 € für den Feststellungsantrag).

Gründe:

I.

Der Beklagte ist Eigentümer eines Bauernhofes in der Oberpfalz und bietet dort "Ferien auf dem Bauernhof durch die Vermietung verschiedener Appartments an. Wie schon 2006 machte die Klägerin auch im Sommer 2007 zusammen mit ihrer Familie dort Urlaub. Am ersten Urlaubstag, dem 6.9.2007 wollte die Klägerin junge Katzen auf dem Heuboden besichtigen. Die Ehefrau des Klägers hatte den Gästen zuvor mitgeteilt, dass diese auf dem Heuboden seien. Der Heuboden befindet sich mit einem Höhenabstand von 3 m über dem mit einer Betondecke versehenen darunter liegenden Raum. Der Heuboden ist über eine Aluminiumleiter frei zugänglich. Diese ist ohne weitere Befestigung lediglich lose auf dem Fußboden und an der Eingangsöffnung des Heubodens angelehnt. Die Klägerin bestieg ebenso wie weitere 9 Personen zwecks Besichtigung der Katzen diese Leiter. Alle Personen verließen auf dem Heuboden angekommen die Leiter und spielten mit den Katzen oder im Heu. Die Klägerin wollte als erste den Heuboden wieder verlassen.

Sie behauptet, beim Abstieg sei die Leiter verrutscht und so habe sie den Halt verloren. Sie sei deswegen auf den Betonboden gestürzt und habe sich einen komplizierten Fersenbeinbruch zugezogen.

Die Klägerin stellt sich auf den Standpunkt, dass der Beklagte wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht Ersatz des materiellen Schadens in Höhe von 10.409,28 € sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 € schulde. Da Spätschäden nicht auszuschließen seien, könne sie auch die Feststellung der Unfallursächlichkeit für weitere Schäden verlangen.

Der Beklagte, bzw. die hinter ihm stehende Versicherung lehnt jegliche Ansprüche ab. Auch das Erstgericht hat mangels Verletzung der Verkehrssicherungspflicht Ansprüche der Klägerin schon dem Grund nach abgelehnt.

Von der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird abgesehen (§§ 540 Abs.2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO).

II.

Die Klage ist teilweise begründet.

Der Klägerin stehen Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens sowie auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes zu. Allerdings muss sich die Klägerin ein deutliches Mitverschulden an der Entstehung des Schadens zurechnen lassen, welches zur entsprechenden Kürzung ihrer Ansprüche führt.

1. Der Beklagte schuldet Schadensersatz und Schmerzensgeld nach §§ 241, 280, bzw. 823 Abs. 1 BGB:

Zwischen den Parteien bestand aus der Beherbergung ein Vertragsverhältnis, aus dem die Nebenpflicht resultiert, die Klägerin vor Schäden zu bewahren; diese ist identisch mit der im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB relevanten Verkehrssicherungspflicht (Palandt/ Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 280, Rd. 28).

Diese Verkehrssicherungspflicht hätte es im vorliegenden Fall erforderlich gemacht, eine Leiter zu verwenden, die gegen ein Wegrutschen oder Wegkippen besser gesichert gewesen wäre. Ähnlich wie ein Vermieter hat der Beklagte dafür zu sorgen, dass diejenigen Räume, die er entsprechend seiner vertraglichen Verpflichtung fremden Personen zugänglich macht, gefahrlos betreten werden können. Wer "Ferien auf dem Bauernhof anbietet, muss davon ausgehen, dass seine Gäste auch den Heuboden betreten, ist dieser doch ein für einen Bauernhof geradezu charakteristischer und nicht nur für Kinder, sondern auch Erwachsene attraktiver Raum. Aus dem vom Beklagten nicht bestrittenen Sachvortrag ergibt sich, dass der Beklagte selbst einen Besuch seiner Gäste auf dem Heuboden als etwas Selbstverständliches ansieht, da bei Ankunft der Gäste von der Ehefrau des Beklagten darauf hingewiesen worden ist, dass sich auf dem Heuboden junge Katzen befänden.

Entgegen der Ansicht des Beklagten genügt es nicht, dass die Aluminiumleiter an beiden Enden mit Gummistoppern versehen war. Auch das Erstgericht hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, dass Ursache für den Unfall ein Verrutschen der Aluminiumleiter aus der Anfangsposition war, die zunächst ein gefahrloses Besteigen des Dachbodens ermöglicht hatte. Dieses Verrutschen hätte ohne großen Aufwand, wie die Klägerin darlegen ließ, etwa durch eine Einhängevorrichtung am Ausstieg des Heubodens erreicht werden können. Auch eine Leiter mit - durch einen Querriegel - seitlich verlängerter Standfläche, wie sie längst handelsüblich sind, hätte durch die Vergrößerung der Auflagefläche die Gefahr eines Wegrutschens oder eines seitlichen Wegkippens wesentlich verringert.

Dies zu verlangen überspannt auch nicht die an den Beklagten zu stellenden Sorgfaltspflichten. Denn schließlich handelt es sich hier nicht um eine Leiter, die an einen Obstbaum oder eine Hauswand angelehnt wird und auf der nur hinauf und hinunter gestiegen wird, ohne die Leiter zu verlassen. Hier hat die Leiter tatsächlich Treppen-Ersatzfunktion, wird die Leiter doch zwecks Begehung des Heubodens am Ausstieg vollständig verlassen. Gerade beim neuerlichen Einstieg auf die Leiter entsteht eine kritische Situation, da der Benutzer - wenn auch unabsichtlich - die Leiter dabei ohne weiteres und ohne dies zu bemerken verschieben kann. Es ist Sache des Beklagten, dieser spezifischen Gefahrensituation vorzubeugen. Da er dies nicht getan hat, hat er sowohl eine vertragliche Nebenpflicht als auch eine Verkehrssicherungspflicht verletzt, die ihn zum Schadensersatz und Ersatz der immateriellen Schäden nach den oben genannten Vorschriften i.V.m. §§ 249, 253 BGB verpflichtet.

Mit dieser Wertung wird dem Beklagten nichts Unzumutbares abverlangt. Zwar trifft es zu, dass durch geeignete Sicherungsmaßnahmen ein Dritter "idR nur vor den Gefahren zu schützen (ist), die er selbst, ausgehend von der sich ihm konkret darbietenden Situation bei Anwendung der von ihm in dieser Situation zu erwartenden Sorgfalt erfahrungsgemäß nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und vermeiden kann" ( Palandt/ Sprau, aaO, § 823, Rd. 51). Die Annahme eines solchen Regelfalles verbietet sich jedoch, da es nicht darum geht, Vorkehrungen gegen die beim regelmäßigen Betrieb eines Bauernhofs auftretenden Gefahren zu treffen. "Ferien auf dem Bauernhof sprechen vielmehr auch und gerade Menschen aus städtischen Bereichen an, die - wie die Klägerin selbst nach ihrem substantiierten Vortrag - mit den Unfallrisiken eines Lebens auf dem Bauernhof nicht vertraut sind. Mit deren Unerfahrenheit musste der Beklagte rechnen und durch geeignete Maßnahmen die aus der Gefahrenquelle "Anlehnleiter" resultierenden Risiken zu minimieren zu versuchen. Diese Maßnahmen waren ihm durchaus auch wirtschaftlich zumutbar.

2. Die Klägerin muss sich allerdings ein Mit verschulden bzw. ein Mitverursachungsbeitrag nach § 254 BGB in Höhe von 2/3 entgegen halten lassen. Die Klägerin hat immer wieder betont, dass sie im Gebrauch von Leitern völlig unerfahren ist. Einem durchschnittlich aufmerksamen Benutzer der Leiter muss die Instabilität des vom ihm benutzten Zugangs zum Heuboden auffallen. Entweder muss er dann, wenn er so unerfahren ist, von einer Benützung Abstand nehmen oder sich an Dritte wenden und um Hilfe bitten. Dies konnte bereits in einem einfachen Festhalten der Leiter beim Abstieg bestehen. Der schuldhafte Verursachensbeitrag der Klägerin ist deutlich höher als der des Beklagten.

3. Der Klägerin stehen folgende materielle Schadensersatzansprüche zu:

a) Haushaltsführungsschaden:

Beim Haushaltsführungsschaden, bzw bei dem Ersatzanspruch wegen erhöhter eigener Bedürfnisse, die zusammen einen einheitlichen Schadensersatzanspruch nach §§ 842, 843 bilden (s. Staudinger, BGB, 2007, Rz. 123 zu § 842 BGB), hält der Senat eine Unterstützung von 3 Stunden bei einem Totalausfall der Klägerin auch unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verpflichtungen für ausreichend. Mit einer täglichen Fremdhilfe von drei Stunden lassen sich die eine körperliche Betätigung erforderlichen Tätigkeiten im Haushalt und Garten samt Betreuung eines fünf- und eines siebenjährigen Kindes erfüllen. Dies führt dazu, dass der Klägerin für die ersten 25 Tage kein zusätzlicher Anspruch zusteht, da für diese Zeit von der Krankenkasse eine entsprechende Hilfe gestellt worden ist.

Für die Zeit vom 1.10.2007 - 31.12.2007, d.h. für 92 Tage ist eine Haushaltshilfe von täglich 3 Stunden à 10 € gerechtfertigt, dies ergibt einen Ersatzanspruch von 2.760 €. Für weitere 31 Tage im Januar 2008 (davon laut Klägerin 80 %) besteht ein Anspruch in Höhe von 744 €, für die nächsten 29 Tage ein solcher unter Berücksichtigung des von der Klägerin selbst angesetzten 50 % - Anteils ein solcher von 435 €. Insgesamt ergibt dies einen - noch nicht nach § 254 BGB gekürzten - Anspruch von 3.939 €.

b) Zuzahlungen und zusätzliche Fahrtkosten:

Gegen diesen in Höhe von 647,17 € substantiiert dargelegten Anspruch sowie gegen die in gleicher Weise erläuterten zusätzlichen Fahrtkosten in Höhe von 138,60 € hat der Beklagte keine Einwendungen erhoben.

c) Anschaffung neuer Schuhe:

Diese Kosten waren, wie in der mündlichen Verhandlung erläutert, um 50 % ersparte Aufwendungen auf gerundet 150 € zu kürzen.

d) Verdienstausfall:

Eine Kürzung um Fahrtkosten ist bei dem in Höhe von 743,66 € geltend gemachten Verdienstausfall nicht veranlasst, da die Klägerin dargelegt hat, dass sie ihre Monatskarte auch in anderer Weise, insbesondere für Arztbesuche benützt hat.

Unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils von 2/3 ist der Gesamtanspruch von 5.618,43 € auf 1.873 € zu kürzen.

4. Das nach § 253 BGB Abs. 2 BGB festzusetzende Schmerzensgeld beträgt unter Berücksichtigung des Mitverschuldensbeitrags der Klägerin 2.500 €. Dabei ist berücksichtigt, dass die Klägerin fast 2 Wochen im Krankenhaus stationär behandelt werden musste und über viele Wochen einer deutlichen, mit Schmerzen verbundenen empfindlichen Einschränkung der körperlichen Beweglichkeit ausgesetzt war. Nach den vom Beklagten zitierten Entscheidungen gemäß der Nummern 1069, 1192 und 1219 in der Schmerzensgeldtabelle Hacks/Ring/Böhm, 24. Aufl., erscheint ein ungekürztes Schmerzensgeld in der Größenordnung von 7.500 € als "billige Entschädigung" erforderlich. Denn bei den dort zitierten Beträgen ist entweder schon ein Mitverschulden berücksichtigt bzw. liegen diese Urteile schon mehrere Jahre zurück.

5. Die außergerichtlichen Kosten sind der Klägerin nach § 249 BGB zu erstatten. Allerdings ist dafür nur der Gegenstandwert anzusetzen, der der Verurteilung entspricht, d.h, ein Gegenstandswert von 1.873 € (mat. Schäden) sowie von 2.500 € (Schmerzensgeld) und weiteren 800 € (Feststellungsantrag) = insgesamt 5.173 €. Die entsprechend den klägerischen Vorgaben korrigierte Berechnung der außergerichtlichen Kosten ergibt einen weiteren Anspruch von 546,69 €.

6. Die Entscheidung über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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