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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 01.10.2003
Aktenzeichen: 3 W 2509/03
Rechtsgebiete: ZPO, UWG


Vorschriften:

ZPO § 890
UWG § 3
Zur Reichweite eines Unterlassungstitels im Ordnungsgeldverfahren, wenn Gegenstand des Titels die Wettbewerbswidrigkeit einer konkreten Anzeige ist und diese in veränderter Form erscheint.
Nürnberg, den 1.10.2003

3 W 2509/03

In Sachen

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 3. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Der Ordnungsmittelbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30. Juni 2003, Az.: 4 HK O 2594/02 VH I - V wird aufgehoben.

II. Die Ordnungsmittelanträge des Gläubigers vom 5. Februar 2003, 17. März 2003 und 30. Mai 2003 werden zurückgewiesen.

III. Der Gläubiger trägt die Kosten des Ordnungsmittelverfahren.

IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.000,-- EURO festgesetzt.

Gründe:

I.

1. Der Gläubiger ist ein Verbraucherschutzverein, die Schuldnerin vertreibt eine Illustrierte, in der sie eine Werbeanzeige für ein sog. "Fett-Weg-Pille" mit dem Namen "S..." veröffentlichte. Ein von dem Gläubiger deswegen eingeleitetes einstweiliges Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth endete mit einem Urteil, in dem es der Schuldnerin untersagt wurde, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das erschienene und dem Urteil in Fotokopie beigeheftete Inserat zu veröffentlichen. Zur Begründung ist im Urteil folgendes ausgeführt:

Zunächst werden im Urteil zwei konkrete Aussagen der Anzeige zitiert, nämlich "S... dagegen wirkt ohne jedes Fasten und Hungern!" und "Essen wie bisher und dennoch Abnehmen: Kein Problem, wenn das Nahrungsfett rechtzeitig abgefangen wird - durch S...".

Diese zwei Passagen werden im Urteil auf folgende (so wörtlich bezeichnete) "Kernaussage" zurückgeführt, nämlich "die Einnahme des Produktes S... verringere das Körpergewicht ohne Änderung der Ernährungsgewohnheiten".

Als grober und eindeutiger Wettbewerbsverstoß wird ferner die nach Auffassung des Gerichts ebenfalls irreführende Werbebehauptung "Wirkung, Qualität und Sicherheit sind bei einem Medizinprodukt nachgewiesen!" gewertet, da so eine gerade nicht vorhandene amtliche Überprüfung der wettbewerbswidrigen Kernaussage erweckt wird. Wörtlich heisst es auf Seite 15 des Urteils oben:

"Dennoch erweckt die hier in Rede stehende Werbebehauptung ... den Eindruck, die Richtigkeit wenigstens der vorbezeichneten Kernaussage sei hier nachgewiesen". Aufgrund dieses hier gravierenden Verstosses wird in dem Urteil auch die Verantwortlichkeit der Schuldnerin als Verlegerin bejaht.

2. Im Jahr 2003 veröffentlichte die Schuldnerin in 7 Ausgaben der von ihr verlegten Zeitschrift eine in mehreren Passagen abgeänderte, in beiden Teilen aber identische Werbeanzeige für das Mittel "S...". Der Gläubiger hat deswegen beantragt, gegen die Schuldnerin ein Ordnungsgeld zu verhängen.

Die Schuldnerin hat unter Berufung auf die Entscheidung des BGH vom 26.10.2000 (GRUR 2001, 453 ff. - TCM - Centrum) vorgetragen, dass gegen das von dem Gläubiger erstrittene Unterlassungsurteil lediglich die identische Werbung, jedoch nicht die mit dem Ordnungsmittelantrag beanstandete Werbung verstosse. Soweit der Gläubiger in dieser erneuten Werbung eine Wettbewerbswidrigkeit sehe, müsse er eben notfalls einen neuen Unterlassungstitel erstreiten.

Das Landgericht hat dem Antrag des Gläubigers stattgegeben und über die Schuldnerin ein Ordnungsgeld von 7.000,-- EURO verhängt. Im Beschluss ist ausgeführt, dass das gerichtliche Verbot im Kern die Aussage erfasse, dass das Produkt "S..." das Körpergewicht ohne Änderung der Ernährungsgewohnheit verringert. Diese Aussage wiederhole die Schuldnerin sinngemäß auch in der geänderten Anzeige, wenn sie behauptet:

- "Sie müssen sich nicht kasteien, denn S... entzieht ihrer Nahrung nachhaltig das überschüssige Nahrungsfett".

- "Muss ich streng fasten oder hungern? Auf keinen Fall!" "S ist ein natürlicher Fettbremser und stillt den Hunger bestens".

3. Die Schuldnerin hat dagegen rechtzeitig Beschwerde eingelegt und trägt vor:

Aus dem Urteil des Landgerichts lasse sich nicht entnehmen, dass die isolierte Behauptung, man könne bei der Einnahme von "S..." ohne Umstellung der Ernährungsgewohnheiten abnehmen, vom Verbotsinhalt erfasse sei. Hinzukommen müsse vielmehr bei einer verlegerischen Tätigkeit wie der ihren der zusätzliche Hinweis darauf, dass diese Wirkungsweise wie bei einem Medizinprodukt nachgewiesen sei. Nur dann liege der für die Verantwortlichkeit des Verlegers relevante Wettbewerbsverstoß überhaupt vor. Selbst wenn man jedoch der erstgenannten Auffassung folge, seien die drei im Ordnungsmittelbeschluss aufgeführten Behauptungen dieser Wirkungsbehauptung nicht gleich zu setzen.

Wegen der weiteren Ausführungen wird auf die Beschwerdebegründung Bezug genommen.

Die Gläubigerin beantragt Zurückweisung der Beschwerde:

Die vom Landgericht zitierten Passagen aus der geänderten Anzeige stellten sehr wohl einen Verstoß gegen den Kern des Unterlassungsurteils vom 16.10.2002 dar, mit welcher gerade untersagt worden sei, für das Produkt "S..." mit der Aussage zu werben, mit diesem könne man abnehmen ohne zu fasten oder zu hungern.

II.

Die sofortige Beschwerde ist im Ergebnis begründet. Die geänderte Annonce wird von dem vom Gläubiger erstrittenen Vollstreckungstitel nicht erfasst.

Zur Klarstellung sind angesichts der schriftsätzlichen Diskussion der Parteien folgende Ausführungen veranlasst:

1. Der Gläubiger verfügt mit dem Unterlassungsurteil über einen Titel, der nicht die Werbung für "S..." schlechthin verbietet, sondern lediglich die Werbung in einer ganz konkreten Form. Dies ergibt sich unmissverständlich aus dem durch den Klageantrag des Gläubigers vorgegebenen Urteilstenor, der auf eine konkret in Kopie beigefügte Annonce Bezug nimmt. Ein solcher Unterlassungstitel erfasst dann allerdings ohne irgendwelche Zweifel nur die erneute und unveränderte wörtliche Wiedergabe der Annonce (siehe BGH im Urteil vom 26.10.2000 a.a.O. TCM - Centrum, Seite, 453 rechte Spalte). Ob die veränderte Wiedergabe einer Anzeige ebenfalls vom Unterlassungstitel erfasst wird, ist im Bestrafungsverfahren einer Prüfung vorbehalten, die sich streng an dem bereits existierenden Titel halten muss und nicht etwa zu einem neuerlichen "nachgeschobenen" Erkenntnisverfahren führen darf.

Eine Antwort, wie diese Prüfung vorzunehmen ist, findet sich zum einen in der Entscheidung des BGH vom 11.10.1990 (I ZR 35/39, GRUR 91, Seite 254 ff. "unbestimmter Unterlassungsantrag"). In dieser Entscheidung hat der BGH bezogen auf einen - Unterlassungsantrag, der eine ganz konkret gestaltete Anzeige zum Gegenstand hat, wörtlich ausgeführt (siehe Seite 257 linke Spalte):

"... der Wortlaut des Klageantrages, der Beklagten zu verbieten, Anzeigen Dritter zu veröffentlichen, wenn dies wie in der Ausgabe der ... Zeitung vom 5.6.1987 .... geschieht, hätte, sowie formuliert, auch die Deutung gerechtfertigt, dass sich der Kläger lediglich gegen die konkrete Verletzungsform und gegen solche weiteren Verletzungsformen gewandt hat, die - ersterer unmittelbar vergleichbar und nicht nur ähnlich - das für die konkrete Verletzungsform Charakteristische enthalten".

Das für die konkrete Verletzungsform "Charakteristische" hat durch Auslegung des Unterlassungstitels zu erfolgen.

Zur Auslegung können auch Tatbestand und Entscheidungsgründe herangezogen werden (siehe Köhler/Piper, UWG, 3. Auflage, RdNr. 378 vor § 13 UWG).

b) Zum anderen ist bei einem Bestrafungsverfahren zu berücksichtigten, dass die Verhängung eines Ordnungsgeldes auf Seiten des Schuldners ein Verschulden voraussetzt. Ein schuldhaftes Verhalten hat zur Grundvoraussetzung, dass dem Schuldner überhaupt klar ist, was er nicht tun darf. Dies war im übrigen auch Ausgangspunkt für die höchstrichterlichen Entscheidungen für die Bestimmtheit eines Unterlassungsantrages bezogen auf eine Annonce in ihrem vollen Wortlauf (siehe oben a.a.O.). Klarheit gewinnt man nur, wenn in dem in einem Erkenntnisverfahren erlassenen Unterhaltstitel unmißversändlich im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen (siehe oben Zitat bei Köhler/Piper a.a.O.) das für die Wettbewerbswidrigkeit Charakteristische herausgearbeitet worden ist. Übertragen auf den vorliegenden Fall ist ersichtlich, dass sich das Prozeßgericht insoweit darauf beschränkte, eine - von ihm als Kernaussage bezeichnete Aussage herauszuarbeiten, die - wie bereits oben dargelegt - lautet wie folgt:

"Die Einnahme des Produktes S... verringert das Körpergewicht ohne Änderung der Ernährungsgewohnheit".

c) Der Senat hat sich folglich im Bestrafungsverfahren allein auf die Beantwortung der Frage zu beschränken, ob die von der Schuldnerin vorgenommenen Änderungen der Anzeige nach wie vor die im Erkenntnisverfahren festgestellte und herausgearbeitete Kernaussage enthalten. Der Senat verneint dies im Gegensatz zum Erstgericht aus folgenden Gründen:

In der ursprünglichen Anzeige waren folgende Sätze enthalten:

"Sie können also wie gewohnt weiter essen, müssen keine entbehrungsreiche Diät halten - und nehmen trotzdem ab. Bei gleichbleibenden Essgewohnheiten kommt daher kein Hungergefühl auf".

Diese zwei Sätze sind in der hier streitgegenständlichen Anzeige ersetzt worden durch den Satz:

"Sie müssen sich nicht kasteien, denn S... entzieht ihrer Nahrung überflüssiges Nahrungsfett".

Durch diese Aussagen bringt die Schuldnerin jedoch nicht zum Ausdruck, dass sie ein wirksames Abnehmen ohne Änderung der Essgewohnheiten behaupten will, dieses Thema lässt sie nun vielmehr unberührt. Sie bringt lediglich zum Ausdruck, dass S... nicht von einer generell als negativ empfundenen und dem Bereich einer Kasteiung zuzuordnenden Diät begleitet werden muss. Damit wiederholt sie jedoch nicht das, was im Erkenntnisverfahren als charakteristisch für eine Irreführung und damit Wettbewerbswidrigkeit herausgearbeitet worden ist.

Das gleiche gilt, wenn man folgende Passagen vergleicht:

In der ursprünglichen Anzeige wurde die Frage gestellt:

"Muss ich fasten oder hungern?" In der neuen Anzeige heisst es dagegen

"Muss ich streng fasten oder hungern?". Nach dieser geänderten Frage folgen zwar zwei gleichlautende Sätze, der in der ersten Anzeige enthaltene Schlusssatz "S... dagegen wirkt ohne jedes Fasten und Hungern" fehlt. Es fehlt auch der weitere nach Auffassung des Senates jedenfalls entscheidende Satz:

"Essen wie bisher und dennoch abnehmen: Kein Problem, wenn das Nahrungsfett rechtzeitig abgefangen wird - durch S...".

Durch diese Änderungen lässt die Schuldnerin gerade die Sätze weg, die im Ersturteil als entscheidend für die oben genannte Kernaussage zitiert worden sind, bzw. diese Kernaussage mit Tatsachen ausfüllen.

Die vom Gläubiger weiter beanstandete und aus der Ursprungsanzeige wörtlich übernommene Passage:

"S... ist ein natürliches Fettbremser und stillt den Hunger bestens!" betrifft - darin ist dem Vertreter der Schuldnerin Recht zu geben - ein anderes Thema, dessen Relevanz für die Wettbewerbswidrigkeit der im Erkenntnisverfahren überprüften Anzeige ausdrücklich offen gelassen worden ist. Demgemäß verbietet es bereits das Erfordernis eines Verschuldens im Ordnungsgeldverfahren hierauf einen Ordnungsgeldbeschluss zu stüzten.

2. In Zusammenhang mit dem Gebrauch des Wortes "Medizinprodukt" in der geänderten Anzeige liegt ebenfalls kein Verstoss mehr gegen das Unterlassungsurteil, vielmehr hat die Schuldnerin gerade den ebenfalls als Kernaussage qualifizierten Satz, nämlich dass Wirkung, Qualität und Sicherheit nachgewiesen werden sind, nicht mehr wiederholt.

Dem Gebrauch des Wortes "Medizinprodukt" als solches für "S..." hat das Landgericht dem Urteil gerade nicht beanstandet.

3. Ob die geänderte Anzeige aus weiteren Gründen als den im Urteil genannten wettbewerbswidrig ist (dafür spricht zumindestens die Entscheidung des OLG Hamburg vom 24.4.03, MD 2003, 747 ff) darf in den hier vorliegenden Bestrafungsverfahren nicht geprüft werden. Zu messen war die geänderte Anzeige entsprechend der oben zitierten Rechtsprechung des BGH allein an der Kernaussage der genannten Entscheidung. Es bleibt dem Gläubiger unbenommen, insbesondere mit einem differenzierter gestalteten Abmahn- bzw. Klageantrag die geänderte Annonce anzugreifen (so z.B. in dem vom Landgericht Darmstadt entschiedenen Fall, in dem 17 Aussagen einer konkreten Anzeige beanstandet worden sind, MD 2003, 908 ff.), bzw. in einem umfassenden Verfahren die Werbung für S... schlechthin ohne Bezug auf eine konkrete Anzeigenform anzugreifen. Weil sich der Gläubiger hier nun einmal auf eine konkrete Anzeige bezogen hat, hat er einen relativ eingeschränkten Unterlassungstitel erwirkt.

4. Da die im Ordnungsgeldbeschluss aufgeführten Passagen ohnehin nicht vom Unterlassungstitel erfasst werden, kann die Frage, ob in der geänderten Annonce kumulativ nochmals der Nachweischarakter eines Medizinproduktes hätte aufgeführt werden müssen, um auch im Bestrafungsverfahren die Haftung der Schuldnerin als Verlegerin zu bejahen, kann dahingestellt bleiben.

III.

Der Ordnungsgeldbeschluss war folglich mit der Kostenfolge der §§ 91, 97 ZPO aufzuheben.



Ende der Entscheidung

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