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Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 26.06.2007
Aktenzeichen: 4 U 1073/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GG, AO
Vorschriften:
ZPO § 522 Abs. 2 | |
BGB § 839 | |
GG Art. 34 | |
AO § 129 |
Gründe:
erteilt das Oberlandesgericht Nürnberg -4. Zivilsenat- durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kammerer, Richterin am Oberlandesgericht Reitzenstein und Richter am Oberlandesgericht Bauer am 26.06.2007 folgenden
I. Hinweis an die Parteien:
Der Senat beabsichtigt, die Berufung mangels Erfolgsaussicht gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Die Klagepartei hat weder neue berücksichtigungsfähige Tatsachen vorgetragen (§ 529 Abs.1 Nr. 2 ZPO), noch konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellung des Landgerichts begründen würden (§ 529 Abs.1 Nr. 1 ZPO). Es ist daher von dem im angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Sachverhalt auszugehen. Dieser rechtfertigt weder eine andere Entscheidung, noch ist eine Rechtsverletzung vorgetragen, auf der die erstinstanzliche Entscheidung beruhen würde (§ 513 Abs.1 ZPO).
1.) Die Berufung greift das Ersturteil im Wesentlichen mit der Begründungen an, der Kläger habe zur Rechtsverteidigung gegen den fehlerhaften Bescheid des Finanzamtes ... die Beauftragung eines Steuerberaters für erforderlich halten dürfen. Deshalb handele es sich bei den dadurch verursachten Kosten um einen erstattungsfähigen Schaden.
2.) Der Senat hat die Einwände der Klägerin gegen das angefochtene Urteil geprüft und gewürdigt. Die Ausführungen des Erstgerichts zum Umfang des ersatzfähigen Schadens lassen Rechtsfehler nicht erkennen.
a.) Wehrt sich ein Steuerpflichtiger gegen einen fehlerhaften Bescheid der Steuerbehörde und nimmt hierfür die Dienste eines Steuerberaters in Anspruch, so gehören die hierdurch entstehenden Kosten grundsätzlich zu dem nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu ersetzenden Schaden.
b.) Dieser Grundsatz kann jedoch nicht schrankenlos gelten:
(1) Aufgrund der allgemein anerkannten Konturen des normativen Schadensbegriffes kann der vom Schädiger zu ersetzende Schaden nicht rein mathematisch, sondern muss aufgrund einer wertenden Betrachtungsweise bestimmt werden. In die Definition des erstattungsfähigen Schadens fließt diese wertende Betrachtungsweise durch das auch in der Berufungsbegründung zitierte Merkmal der "Erforderlichkeit" der zur Schadensabwehr- oder beseitigung getätigten Aufwendungen ein.
(2) Nach allgemeinem Verständnis sind diejenigen Aufwendungen "erforderlich", die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte (vgl. z.B. BGH NJW 1970, 1454; BGH NJW 1974, 34; BGH NJW 1992, 1619).
(3) Die Zweckmäßigkeit der Einschaltung eines Steuerberaters, um sich gegen den Bescheid der Finanzbehörde zu wehren, steht außer Zweifel.
(4) Nach Würdigung aller Umstände des vorliegenden Ausnahmefalles gelangt der Senat jedoch In Übereinstimmung mit dem Ausgangsgericht zu dem Ergebnis, dass ein wirtschaftlich denkender Mensch in der Situation des Klägers die Verursachung von Kosten in Höhe von 103.768,96 € nicht für notwendig erachten durfte, um die Finanzbehörde auf die (auch in der Klageschrift so bezeichnete) eklatante und offensichtliche Unrichtigkeit des Bescheids aufmerksam zu machen.
Davon, dass es sich bei dem Fehler des Finanzamts um einen offensichtlichen, sofort ins Auge springenden Eingabefehler des Finanzamtes handelte, der sich auch dem Kläger hatte aufdrängen müssen, ist der Senat aufgrund der vorliegenden Umstände überzeugt. Aus dem Bescheid des Finanzamtes vom 10.09.2003 wird für den Empfänger auf den ersten Blick ersichtlich, dass statt der vom Kläger in seiner Einkommensteuererklärung angegebenen "9.051" € als Einkünfte aus Gewerbebetrieb "300.009.051* € als Besteuerungsgrundlage eingesetzt wurden, dass also offensichtlich durch einen Eingabefehler der richtigen Zahl "9.051" einige Zahlen vorangestellt wurde, die keinen Bezug zu den Vermögensverhältnissen des Klägers hatten. Auch die Gesamtzahl von über 300 Millionen Euro ist aufgrund der sonstigen Vermögensverhältnisse des Klägers so eklatant falsch, dass der vernünftige Empfänger des Bescheids nicht den geringsten Zweifel daran haben kann, dass hier ein bloßer Eingabefehler unterlaufen ist. Es handelt sich also um eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne von § 129 AO, die vom Finanzamt jederzeit berichtigt werden konnte und die auch vom Kläger, der als Handelsvertreter geschäftlich nicht unerfahren ist, sofort als solche zu erkennen war.
Im Unterschied zu der in der Berufungsbegründung zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 1.10. 1956 - III ZR 53/55 (KG), NJW 1957, 97) ging es im vorliegenden Fall auch nicht darum, sich vor Gericht gegen einen Prozessantrag der Finanzbehörde wehren zu müssen. Dass sich wie in dem vom BGH entschiedenen Fall der juristisch oder in Steuerfragen Unkundige In einem gerichtlichen Verfahren von Rechtskundigen vertreten lassen darf und dass hierdurch entstehende Kosten "notwendig" sind, ist unbestritten.
Im vorliegenden Fall jedoch war der offensichtliche Fehler des Finanzamts - wie der Lauf der Dinge gezeigt hat - mit einem einzigen Telefonanruf aus der Welt zu schaffen. Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Anruf beim Finanzamt dem Kläger aus irgendwelchen Gründen nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre, sind weder vorgetragen, noch ersichtlich.
Jeder wirtschaftlich denkende Mensch in der Situation des Klägers hätte zunächst diesen Weg beschritten, bevor er ganz erhebliche Kosten verursacht. Für den Fall, dass das dann Finanzamt auf einen solchen Anruf des Steuerpflichtigen nicht oder abschlägig reagiert hätte, hätte der Kläger die Inanspruchnahme eines Steuerberaters wohl für notwendig erachten dürfen.
Die sofortige, Kosten in ganz erheblichem Umfang verursachende Einschaltung eines Steuerberaters, war hier jedoch nicht erforderlich.
3.) Da somit ein erstattungsfähiger Schaden des Klägers abzulehnen ist, muss die Frage, ob sich der Steuerberater im vorliegenden Fall gegenüber dem Kläger schadensersatzpflichtig gemacht hat, weil er ihn auf die Höhe der durch seinen Anruf ausgelösten Kosten nicht aufmerksam gemacht hat, was dann zu einer Minderung der Schadenshöhe des Klägers führen würde, nicht geprüft werden (vgl. hierzu OLG Brandenburg, Urt. v. 23.2.2006, NVwZ-RR 2007, 369).
Da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil erfordern, beabsichtigt der Senat, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
Sollte sich der Kläger im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen zur Rücknahme seines Rechtsmittels entschließen, hätte dies gegenüber der unanfechtbaren Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO Kostenvorteile (vgl. KV Nr. 1222).
Ende der Entscheidung
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