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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 30.04.2002
Aktenzeichen: 4 VA 954/02
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, HinterlO


Vorschriften:

ZPO § 850
ZPO § 832
BGB § 372
HinterlO § 3
1. Ansprüche von Ärzten gegen die Kassenärztliche Vereinigung auf Abschlagszahlungen für ärztliche Leistungen unterliegen dem Pfändungsschutz für "Arbeitseinkommen" nach § 850 ZPO.

2. Solche monatlichen Abschlagszahlungen stellen "fortlaufende Bezüge" im Sinne des § 832 ZPO dar.

3. Die Pfändung fortlaufender Bezüge im Sinne des § 832 ZPO ist nicht schon deshalb unwirksam, weil die gepfändete Forderung zum Zeitpunkt der Pfändung an einen anderen Gläubiger abgetreten war.

4. Die Hinterlegungsstelle eines Amtsgerichts kann die Hinterlegung ablehnen, wenn auf Grund eindeutiger Rechtslage objektiv keine Ungewissheit darüber besteht, wem der zu hinterlegende Betrag zusteht; daran ändert auch nichts der Umstand, dass sich der Hinterleger bei der Einschätzung als ungewiss auf die Auskunft eines Rechtskundigen stützen kann.


4 VA 954/02

Nürnberg, den 30.4.2002

In Sachen

wegen Schadensersatzes u.a.,

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 4. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens trägt die Antragstellerin.

III. Der Geschäftswert wird auf 13 683,89 Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 3 HinterlO, § 23 EGGVG ist zulässig (I), aber nicht begründet (II).

I.

Auslöser des Verfahrens ist die Weigerung der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Straubing, einen von der Antragstellerin bereit gestellten (Teil-) Betrag in Höhe von 26.763.37 DM (umgerechnet 13 683.89 Euro) zur Hinterlegung anzunehmen (Beschluss des Amtsgerichts Straubing -Hinterlegungsstelle - vom 21.8.2001, Az HL 14/01).

Die hiergegen eingelegte Sachaufsichts-Beschwerde wies der Direktor des Amtsgerichts Straubing zurück (Bescheid vom 11.10.2001, Gz. 313 E HL 14/01).

Auch mit ihrer weiteren Sachaufsichts-Beschwerde zum Präsidenten des Landgerichts Regensburg hatte die Antragstellerin keinen Erfolg (Bescheid vom 26.2.2002, Gz. 313 E [HL 14/01 AG Straubing]).

Die Antragstellerin beantragt deshalb eine gerichtliche Entscheidung des Oberlandesgerichts mit dem Ziel.

1) die vorausgegangenen Bescheide aufzuheben und

2) die Hinterlegungsstelle beim Amtsgericht Straubing anzuweisen, den angedienten (Teil-)Betrag zur Hinterlegung anzunehmen.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig (§ 3 HinterlO §§ 23, 24 EGGVG), die einmonatige Einlegungsfrist (§ 26 Abs. 1 EGGVG) ist gewahrt, das Oberlandesgericht Nürnberg, in dessen Bezirk das Landgericht Regensburg seinen Sitz hat, ist zur Entscheidung zuständig (§ 25 Abs. 1 EGGVG).

II.

Der Rechtsbehelf der Antragstellerin bleibt jedoch ohne Erfolg.

Der angegriffene Bescheid des Präsidenten des Landgerichts Regensburg ist richtig und entspricht sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung der Sach- und Rechtslage. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die eingehenden Ausführungen in den Gründen des Bescheids Bezug.

Im Hinblick auf die nach wie vor vorhandenen Bedenken der Antragstellerin gegen den vom Landgerichtspräsidenten (in Übereinstimmung mit den vorausgegangenen Entscheidungen) vertretenen Standpunkt hält es der Senat jedoch für zweckmäßig, die auch nach seiner Ansicht eindeutige Rechtslage noch einmal klarzustellen.

1) Bei den gepfändeten Ansprüchen der Schuldnerin handelt es sich um "Arbeitseinkommen" im Sinne des § 850 ZPO.

Zu dieser aus sozialen Gründen besonders geschützten Einkunfts-Kategorie zählen nach § 850 Abs. 2 ZPO nicht nur Einkünfte aus Arbeitsverhältnissen im engeren Sinne, sondern auch "sonstige Vergütungen für Dienstleistungen aller Art, die die Erwerbstätigkeit des Schuldners vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen". Hierunter fallen auch die Ansprüche von Kassenärzten gegen die Kassenärztliche Vereinigung aus ärztlichen Leistungen, somit auch die im konkreten Fall gepfändeten Ansprüche der Schuldnerin gegen die Antragstellerin auf monatliche Abschlagszahlungen.

Die Einstufung solcher "Arbeitseinkommen" als Einkünfte im Sinne des § 850 Abs. 2 ZPO kann spätestens seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5.12.1985 (BGHZ 96, 324 = NJW 1996, 2362 = JZ 1986, 500 mit Anm. Brehm) als völlig herrschende Meinung in der vollstreckungsrechtlichen Praxis gelten (vgl. Zöller-Stöber. ZPO. 23 Aufl. § 850 Rn. 9, Wieczorek-Luke, ZPO. 3. Aufl., Rn. 68, Thomas-Putzo. ZPO, 24. Aufl. § 850 Rn. 7, von Glasow, RPfl 1987, 289 ff). Die Antragstellerin zeigt denn auch keine einzige Fundstelle in Rechtsprechung oder Literatur auf, die eine andere Rechtsmeinung vertritt.

Es mag zwar sein, dass die Antragstellerin selbst "seit jeher" davon ausgeht, dass ärztliche Honorarforderungen nicht mit dem Arbeitseinkommen von Nichtselbstständigen gleichgesetzt werden können, und dass dieser Standpunkt "von verschiedenen Banken und Finanzämtern uneingeschränkt anerkannt" wird (vgl. Schreiben vom 17.8.2001). Diese Rechtsansicht entspricht jedoch in Bezug auf kassenärztliche Vergütungen und deren Einordnung als Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 Abs. 2 ZPO aus den dargelegten Gründen nicht (mehr) der Rechtslage.

2) Bei den gepfändeten Ansprüchen der Schuldnerin handelt es sich zugleich um "fortlaufende Bezüge" im Sinne des § 832 ZPO.

Hierzu hat sich der Bundesgerichtshof in der oben erwähnten Entscheidung zwar nicht ausdrücklich geäußert. Angesichts der Einstufung als "Arbeitseinkommen" im Sinne des § 850 Abs. 2 ZPO kann aber wohl kein Zweifel bestehen, dass der BGH - würde die Rechtsfrage an ihn herangetragen - seine Entscheidung vom 5.12.1985 (aaO.) in diese Richtung fortschreiben und seine Überlegungen auf die Anwendbarkeit des § 832 ZPO übertragen würde.

Doch auch ohne eine solche ausdrückliche Bestätigung entspricht es der ganz herrschenden Meinung in der vollstreckungsrechtlichen Rechtspraxis und Literatur, dass die von einer Kassenärztliche Vereinigung an einen Kassenarzt geleisteten Abschlagszahlungen als "fortlaufende Bezüge" im Sinne des § 832 ZPO zu behandeln sind (OLG Nürnberg, JW 1926, 2471, Zöller-Stöber, aaO, § 832 Rn 2; Stöber, Forderungspfändung, 13. Aufl., Rn. 888 und FN 6 zu Rn. 965; Stein-Jonas-Brehm, ZPO, 21. Aufl., § 832 FN 27 zu Rn 5, Wieczorek-Lüke, aaO, § 832 Rn. 2, Musielak-Becker, ZPO, 2. Aufl., § 832 Rn 2, Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 832 Rn. 4 "Arzt", MüKomm-Smid, ZPO, 2. Aufl., § 832 Rn. 8 für Krankenpflegeleistungen).

Auch hier zeigt die Antragstellerin keine einzige Fundstelle auf, die in Bezug auf Kassenarzt-Vergütungen einen anderen Standpunkt vertritt. Die von ihr angeführte Fundstelle bei Stein-Jonas-Brehm (aaO., § 832 Rn. 5), die auf den ersten Blick etwas anderes zu besagen scheint bezieht sich bei näherem Hinsehen ausschließlich auf ärztliche Privathonorare, auf die § 850 Abs. 2 ZPO nach wohl einhelliger Meinung in der Tat nicht anwendbar ist. Die vorliegend im Rede stehenden Kassenarzt-Vergütungen behandelt jedoch auch Stein-Jonas-Brehm als fortlaufende Bezüge im Sinne des § 832 ZPO (aaO. FN 27).

3) Die Pfändung der fortlaufenden Bezüge durch die Beteiligte zu 3 war nicht deshalb unwirksam, weil die gepfändete Forderung zum Zeitpunkt der Pfändung an eine andere Gläubigerin abgetreten war.

Zwar hatte die Schuldnerin ihre kassenärztlichen Vergütungs-Ansprüche gegen die Antragstellerin schon am 16.3.1992 an die bank abgetreten und erst am 24.4.2000, gut ein halbes Jahr nach der Pfändung am 8.9.1999, wieder zurückübertragen erhalten. Bei gewöhnlichen Geldforderungen hätte dies zur Folge haben können, dass die Pfändung der dem Vollstreckungsschuldner nicht mehr zustehenden Forderung ins Leere gegangen und daher unwirksam gewesen wäre (BGHZ 100, 36, BAG NJW 1993, 2700/2701, Zöller-Stöber, aaO., § 829 Rn 4. Thomas-Putzo, aaO., § 829 Rn 29).

Anders verhält es sich jedoch bei fortlaufenden Bezügen im Sinne des § 832 ZPO. Hier ist spätestens seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 17.2.1993 (NJW 1993, 2699) - das sich seinerseits auf BGHZ 66, 150 ff. = NJW 1976, 1090) beruft - in der Rechtspraxis anerkannt, dass die Pfändung einer bereits abgetretenen Forderung nicht etwa unwirksam ist, sondern zu einem durchsetzbaren Pfandrecht erstarkt, sobald der Anspruch auf die fortlaufenden Bezüge wieder zurückabgetreten wird (vgl. Zöller-Stöber, aaO., § 832 Rn 2; Stöber, Forderungspfändung, aaO., Rn 967; Thomas-Putzo, aaO., § 829 Rn 29, § 832 Rn 1; Musielak-Becker, aaO., § 832 Rn 2).

Die scheinbaren Widersprüche und Unklarheiten, die die Antragstellerin in der Kommentierung bei Thomas-Putzo (aaO., § 832 Rn 2) entdecken zu können glaubt, existieren in Wirklichkeit nicht, sondern lösen sich bei vollständiger Lektüre der Anmerkungen zu §§ 829, 832 auf.

4) Als Ergebnis bleibt somit festzuhalten, dass die von der Antragstellerin geltend gemachte Ungewissheit darüber, an welche Gläubiger und in welcher Reihenfolge die gepfändeten Abschlagszahlungen auszuzahlen sind, bei Lichte betrachtet nicht begründet ist.

Damit fehlt es an einem berechtigten Interesse für die Hinterlegung der von der Antragstellerin geschuldeten (Teil-) Abschlagszahlung (§ 372 S. 2 BGB). Der Umstand allein, dass mehrere Gläubiger Anspruch auf die Auszahlung erheben oder gar nur erheben könnten, reicht für einen Anspruch der Antragstellerin auf Hinterlegung nicht aus (BGHZ 7, 302/305; WM 1960, 112).

5) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf Hinterlegung einem Rat ihres Rechtsanwalts gefolgt ist.

Zwar darf ein Rechtsunkundiger (wenn man denn die Antragstellerin zu dieser Kategorie rechnen will) im allgemeinen dem Rat seines Rechtsanwalts folgen, der ihm die Rechtslage als zweifelhaft Schilden und deshalb empfiehlt, den geschuldeten, jedoch von mehreren Gläubigern beanspruchten Geldbetrag sicherheitshalber zu unterlegen. Stellt sich dann hinterher heraus, dass die Rechtslage entgegen der erteilten Auskunft in Wirklichkeit doch nicht unsicher war, dann berührt dies weder die Zulässigkeit (§ 372 BGB) noch die Tilgungswirkung (§ 378 BGB) der Hinterlegung (BGHZ 7, 302/307; 27, 241/243 f.: WM 1960, 112: Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Aufl. § 372 Rn 6; MüKomm-Heinrichs, 3. Aufl., § 372 Rn 10).

Diese Rechtsprechung zu Gunsten des gutgläubigen und sorgfältigen Drittschuldners, der einem von kompetenter Stelle eingeholten Rechtsrat vertraut, betrifft jedoch nur den Fall, dass er den von mehreren Gläubigern beanspruchten Betrag tatsächlich hinterlegt hat. So verhielt es sich in den drei vom BGH (s.o.) entschiedenen Fällen.

Vorliegend geht es jedoch erst einmal darum, ob eine Hinterlegung überhaupt vorzunehmen ist. Dies ist, wie ausführlich dargelegt, gerade nicht der Fall, weil bei näherer Betrachtung die von der Antragstellerin befürchtete Ungewissheit, die Voraussetzung für eine Hinterlegung wäre, von vornherein nicht besteht.

Das Hinterlegungs-Hindernis der objektiv fehlenden "Ungewissheit" kann nicht einfach dadurch überbrückt werden, dass die Antragstellerin oder der von ihr zu Rate gezogene Rechtsanwalt eine abweichende Rechtsauffassung vertreten, für die es zwar ebenfalls gute Gründe geben mag, die aber der ganz herrschenden Meinung widerspricht und jedenfalls nach gegenwärtigem Stand keine Aussicht hat, sich in der Rechtspraxis durchzusetzen (vgl. BGHZ 7. 302/305).

III.

Die Kostenfolge des erfolglosen Antrags ergibt sich aus § 30 Abs. i EGGVG. § 130 Abs. 1 KostO (vgl. Kissel, GVG, 3. Aufl., § 30 EGGVG).

Als Geschäftswert (§ 30 EGGVG, § 30 KostO) hat der Senat den zur Hinterlegung vorgesehenen Teil-Betrag festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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